Erstmals Prozess wegen Folterungen in der Colonia Dignidad eröffnet

(Berlin, 14. September 2011, npl/fdcl).- Das Berufungsgericht Santiago hat am Montag, 13. September erstmals einen Strafprozess wegen Folterungen in der Colonia Dignidad in Chile eröffnet. Als Täter angeklagt sind dabei der deutsche Staatsbürger Gerhard Mücke sowie der chilenische Geheimpolizist Fernando Gómez Segovia.

 

Die Lehrerin Adriana Bórquez, Mutter von 5 Kindern, wurde im Jahre 1975 23 Tage lang in der Colonia Dignidad festgehalten und brutal gefoltert. In der deutschen Siedlung unterhielt die chilenische Geheimpolizei DINA in Zusammenarbeit mit deutschen Siedler*innen ein Gefangenenlager, in dem linke Oppositionelle verhört, brutal gefoltert und auch ermordet wurden. Adriana Bórquez wurde später in ein weiteres Folterzentrum der DINA in Santiago verbracht. Sie ging ins Exil nach England und war 1977 im Zivilprozess vor dem Bonner Landgericht Zeugin von Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation hatte bereits damals auf die Existenz eines Folterlagers der DINA in der Colonia Dignidad aufmerksam gemacht.

Schleppende juristische Aufarbeitung

Die strafrechtliche Aufarbeitung der von der deutschen Sektensiedlung in Chile begangenen Verbrechen schritt bisher nur langsam voran. Das Berufungsgericht in Santiago überstimmte nun mit seiner Entscheidung vom Montag den Sonderrichter Jorge Zepeda, der seit 2005 eine Vielzahl von Verfahren wegen schweren Menschenrechtsverbrechen in der Colonia Dignidad führt. Zepeda hatte sich geweigert, das Strafverfahren zu eröffnen. Nun wurde er durch die Entscheidung des Berufungsgericht dazu gezwungen, das Verfahren in dem Fall Adriana Bórquez zu eröffnen. Angehörige hatten seit langem kritisiert, dass die Ermittlungen des Richters nur sehr langsam vorankommen.

Für den Herbst ist eine rechtskräftige Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in Santiago im Verfahren wegen der systematischen Vergewaltigung von Kindern durch den Sektenführer Paul Schäfer (verstorben im April 2010) angekündigt. Dabei – so wird erwartet – werden ca. ein Dutzend Siedler erstmals mehrjährige Haftstrafen antreten müssen wegen Beihilfe bzw. Mittäterschaft beim vielfachen schweren sexuellen Missbrauch.

Unterdessen haben sich eine Reihe von Angeklagten in den letzten Jahren vor der chilenischen Justiz nach Deutschland geflüchtet. Prominentester Fall ist dabei Dr. Hartmut Hopp, der Leiter des Sektenkrankenhauses und sogenannter „Außenminister“ der Colonia Dignidad, der seit Mai im Raum Krefeld wohnt. Obwohl die Staatsanwaltschaft Bonn 22 Jahre lang gegen ihn ermittelt hatte, wurde in Deutschland bisher keine Anklage gegen ihn erhoben. Ändern könnte sich das bald durch ein neu eingeleitetes Ermittlungsverfahren – die Berliner Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional Rights (ECCHR) hatte kürzlich Strafanzeige gegen Hopp gestellt.

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