Erdölboom ohne Alternative

von Lívia Duarte und Andreas Behn

(Berlin, 03. Juli 2009, npl).- (Rio de Janeiro, 3. Juli 2009, npl).- Erdöl und Gas werden, so die Prognose der Internationalen Energiebehörde, auch noch in den kommenden 20 Jahren die wichtigsten Energiequellen weltweit sein. Ein Szenario, dass in Brasilien Anlass für Euphorie ist. Bereits seit April 2006 ist das größte Land Südamerikas Selbstversorger in Sachen Erdöl. Vergangenes Jahr kamen neue, gigantische Funde hinzu. Im sogenannten Pre-Sal – unter dicken Salzschichten Kilometer unter dem Meeresboden – wurden mehrere Ölfelder gefunden, ein Vielfaches der nachgewiesenen Vorkommen.

Technisch ist es noch ausgesprochen kompliziert, an das Öl tief unter dem Meeresgrund heranzukommen. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, und Präsident Inacio Lula da Silva betont ein ums andere Mal, welch wirtschaftliche und geostrategische Bedeutung das Öl für Brasiliens Zukunft hat. Der Fund komme „einer zweiten Unabhängigkeit“ gleich, sagte der ehemalige Gewerkschafter und Präsident Lula und zerstreute alle Zweifel über Brasiliens zukünftige Energiepolitik.

Vor zwölf Jahren, 1997, trat die Erdölförderung in Brasilien in eine neue Phase. Der rechtliche Rahmen des Umgangs mit dem wichtigsten Rohstoff des Landes wurde aktualisiert und beendete das staatliche Monopol, das seit 1953 in Bereich Forschung und Ausbeutung existierte. Das neue Gesetz hatte zur Folge, dass die staatliche Aktiengesellschaft Petrobras nun mit privaten und ausländischen Unternehmen konkurrieren musste. Die neu geschaffene Regulierungsbehörde ANP (Agência Nacional de Petróleo) organisiert seitdem Versteigerungen, um über den Zuschlag für Förderlizenzen zu entscheiden.

Für den Wirtschaftswissenschaftler Edmar Luiz Fagundes de Almeida vom der Federalen Universität von Rio de Janeiro war dieses neue System ausschlaggebend für die brasilianische Selbstversorgung in der Erdölproduktion. Unter dem alten Modell sei die Petrobras nicht in der Lage gewesen, alleine genug Erdöl zu finden, um unsere Unabhängigkeit im Energiebereich zu erreichen. „Das neue Modell ab 1997 führte zu einer Steigerung der Investitionen und verbesserte unsere Produktionsbedingungen erheblich,“ argumentiert Fagundes de Almeida, der bereits mehrere Studien im Auftrag der Petrobras und des Energieministeriums durchführte.

Andererseits gibt es in Brasilien bis heute keinen Konsens über die neue gesetzliche Regelung der Erdölförderung. Soziale Bewegungen und kritische Wissenschaftler beklagen seit 1997, dass die Versteigerungen nichts anderes seien als eine Privatisierung des nationalen Reichtums. Der Protest mündete in die landesweite Kampagne „Das Öl gehört uns“. Der Name erinnert an die Bewegung, die vor nunmehr 50 Jahren ein staatliches Monopol forderte und zur Gründung der Petrobras führte.

Die Gewerkschaft der Erdölarbeiter von Rio de Janeiro, Sindipetro, ist eine der 70 Organisationen, die in der Kampagne aktiv sind. Ihr Sprecher Emanuel Cancella stellt die Versteigerungen in Frage. Unter anderem kritisiert er, dass die Unternehmen selbst über den Verkauf des Erdöls entscheiden dürfen. „Durch die Versteigerungen befindet sich bereits über die Hälfte der Ölfelder in Händen von multinationalen Unternehmen. Dieses System hat zur Folge, dass wer Öl entdeckt und fördert, damit machen kann, was er will,“ beklagt der Gewerkschafter Cancella, und ergänzt: „. Logischerweise wird das Öl exportiert und wir haben nichts davon.“

Ein Dorn im Auge sind Cancella zudem die Fördergebühren, die seiner Meinung nach unter dem internationalen Durchschnitt liegen. Die wichtigste Gebühr, die private Unternehmen bei der Förderung von Rohstoffen an den Staat abführen muss, sind die sogenannten Royalties. Diese Einnahmen verteilt der Staat an die Gemeinden, in denen Förderung, Raffinierung oder Vertrieb stattfindet.

Aus Sicht der sozialen Bewegungen handelt es sich bei den Royalties lediglich um eine Gebühr, mit denen Umweltschäden und andere Folgen der Ölindustrie gemindert werden sollen, aber keinesfalls um eine zusätzliche Einnahme. Ein staatliche Monopol, so ihre Argumentation, würde eine bessere Nutzung des Profits und vor allem soziale Investitionen ermöglichen.

Einen anderen Aspekt spricht Lúcia Ortiz, Koordinatorin der Arbeitsgruppe Energie des brasilianischen NGO-Forums FBOMS an: Die Euphorie über das Pre-Sal berge die Gefahr, dass Brasilien international den Anschluss bei der Suche nach einer nachhaltigen Wirtschaftsweise verliert. Es sei zu begrüßen, dass viel über Royalties und die Frage des Eigentums an Rohstoffen debattiert werde. Aber die Frage, wozu überhaupt so viel Erdöl, wird viel zu selten gestellt.

In diesem Kontext hat die brasilianische Regierung schnell eine Antwort parat: In jeder Hinsicht werde Biosprit, vor allem aus Rohrzucker gewonnener Alkohol, seit Jahren gefördert. Eine Alternative, die weniger verschmutzt und erneuerbar ist, so der offizielle Diskurs. Doch Umweltfachleute in aller Welt halten diesen Ausweg für eine Sackgasse. Die Produktion vom Agrotreibstoff, vor allem auf industrieller Ebene, sei ökologisch durchaus bedenklich, verschärfe die Konflikte um bebaubares Land vor allem in den Ländern des Südens und habe katastrophale Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen. Die steigenden Lebensmittelpreise und die Beibehaltung des Modells, dass den individuellen Energiekonsum nicht in Frage stellt, sind weitere Kritikpunkte.

Lúcia Ortiz hält die nationale Energiepolitik, die auf Großprojekte und Agrobusiness statt auf saubere und dezentral produzierte Energie setzt, für verfehlt. „Weder alternative Energiequellen noch Programme zur Effizienzsteigerung werden in den langfristigen Planungen der Regierung berücksichtigt,“ gibt die Aktivistin Ortiz zu bedenken.

Ihre Kritik richtet sich darüber hinaus an das Entwicklungsmodell, das auch die Regierung unter Präsident Lula für das einzig machbare hält. „Wenn wir die kommenden zehn, zwanzig Jahre auf den herkömmlichen Energiequellen bestehen, blockieren wir damit auch die Suche nach neuen Wegen.“ Statt auf Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zu setzen, plädiert Ortiz angesichts der weltweiten Finanzkrise für ein generelles Umdenken: „Es geht nicht nur um Energiegewinnung, sondern um das Wirtschaftsmodell als solches. Es sollte dazu dienen, eine Gesellschaft zu schaffen, die weniger Energieressourcen konsumiert,“ so Ortiz.

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