Die NAFTA-Waisen

Von Ana de Ita

(Mexiko-Stadt, 25. Februar 2017, La Jornada)

US-Präsident Donald Trump lässt ihnen keine andere Wahl: Die mexikanische Regierung und der mexikanische Kongress warten auf die für Juni angekündigte Neuverhandlung des Nordamerikanischen Freihandelsvertrages (NAFTA). Für den Republikaner ist NAFTA das schlimmste in der Geschichte abgeschlossene Handelsabkommen. Schon in seiner Wahlkampagne kündigte er an, es zu ändern, “damit es zum Nutzen der Interessen aller US-Amerikaner arbeitet”.

Steile These aus den USA: Mexiko besitzt ein Exportpotential wie China

Trump hat sich darauf verlegt, das Handelsdefizit der USA zu reduzieren. 2016 betrug es 502 Milliarden US-Dollar. Davon gehen 70 Prozent auf das Konto der Einfuhren aus China. Für 12,5 Prozent oder 63 Milliarden US-Dollar des Defizits sind die Importe aus Mexiko verantwortlich. Eine führende Rolle spielen dabei Konsumprodukte und Autos. In der NAFTA-Periode wuchs das Handelsdefizit der USA mit seinem südlichen Nachbarn bisher systematisch an.

Die Mehrheit der Mexikaner*innen, selbst die gut informierten, wird es überraschen, dass die US-Statistikbehörde (United States Census Bureau) es für möglich hält, Mexiko könne wegen seines Exportpotentials das neue China werden, falls es nicht die Drogenkartelle gäbe. Das Land ist die weltweit zwölftgrößte Exportwirtschaft. Um dorthin zu kommen, hat es die selbst für gut qualifizierte Arbeitskräfte äußerst niedrigen Löhne, die Deregulierung bei Umweltstandards und die unbegrenzte Verwertung der Naturvorkommen sowie Steuerbegünstigungen genutzt.

Starker Anstieg bei Elektronik und Auto-Exporten

Zwischen 2010 und 2015 gelangte Mexiko vom neunten auf den siebten Platz bei den weltweit wichtigsten Autofertigern und belegte Rang 4 bei den Autoexporteuren. Zu den ersten Aktionen von Präsident Trump gehörte es, Ford und General Motors mittels Drohungen und Subventionen zu überzeugen, Arbeitsplätze in die USA zu verlegen. Mexiko ist für die USA das wichtigste Fertigungszentrum für elektronische Produkte wie Flachbildschirme, medizinische Apparate und Laborausrüstung sowie für Luft- und Raumfahrtteile geworden. Jüngst überholte es Japan als zweitgrößte Exportnation von Autoteilen in die USA. Aber die Ausfuhren, die unter dem Etikett mexikanisch firmieren, haben einen Importanteil von über 80 Prozent.

Mexikanische Exportenklave

Die Lebensmittelexporte Mexikos in die USA – darunter Avocados, Tomaten, verschiedene Arten von Beeren sowie Erdbeeren, Bier und Tequila – haben sich mit NAFTA mehr als verdoppelt. Allerdings ist ihr Beitrag zum US-Handelsdefizit mit 3,3 Milliarden US-Dollar relativ klein. Die mexikanische Ökonomie stützt sich auf eine Exportplattform, die sich zu fast 80 Prozent Richtung USA orientiert. Die Mehrheit der Bevölkerung hat von diesem Modell keine Vorteile gehabt, dasselbe gilt auch für das die Konzerne begünstigende NAFTA. Stattdessen hat die Bevölkerungsmehrheit die Zerstörung der einheimischen (staatlichen wie privaten) industriellen und landwirtschaftlichen Betriebe, Umweltverwüstung und Kahlschlag der sozialen Errungenschaften erlitten. Obwohl 35 Prozent der Arbeitsplätze von ihr abhängen, ist die NAFTA-Exportenklave vom Rest der Wirtschaft losgelöst und kann daher nicht als deren Antrieb funktionieren.

Wer sind dann diejenigen, die ohne NAFTA verwaisen? Daten über Export- und Importunternehmen in Mexiko werden wie ein Staatsgeheimnis behandelt. Aber laut der Statistikbehörde INEGI existierten 2013 nur 5.844 exportierende Fertigungsunternehmen im Land. Davon konzentrierten 1.262 Großbetriebe 87 Prozent des Exportwertes auf sich. Die Großbetriebe haben mehr als 500 Beschäftigte und einen Jahresumsatz von mehr als 1 Milliarde Pesos. 237 gehören zur Autoindustrie. Sie absorbieren 36 Prozent des wertmäßigen Exportvolumens. 62 Unternehmen produzieren Computer, Mess- und Kommunikationsgeräte. Ihr Anteil am Exportwert beträgt 19 Prozent. 122 Unternehmen sind der Lebensmittelindustrie zuzuordnen, 22 der Getränke- und Tabakindustrie. Zusammen tragen sie nur 3 Prozent zum Exportwert bei.

Mittelständler*innen exportierten kaum in die USA

In der Landwirtschaft gibt es sehr wenige mittelständische Produzent*innen, die Früchte und Gemüse für den Export anbauen können. Die Kosten für Investitionen und Technologie sind beträchtlich. Daher handelt es sich mehrheitlich um Großproduzent*innen, die auf dem Feld und in Gewächshäusern mit Tagelöhner*innen arbeiten. Die Produktionskontrolle bleibt der Verpackungsindustrie, den „Brokern“ und den Zertifizierungsunternehmen überlassen. Einige der wichtigsten Agrarexporteure sind Großproduzent*innen, die sowohl in verschiedenen mexikanischen Bundesstaaten als auch in den USA Anbau betreiben. Bei anderen handelt es sich um Holdings, die gleichermaßen in das Agrobusiness wie in Tankstellen, Parkhäuser und Immobilien investieren.

NAFTA hat zugunsten der Konzerne funktioniert. Das Abkommen hat ihnen die Grenzen geöffnet, damit sie auf beiden Seiten Geschäfte machen können. Die Neuverhandlung von NAFTA, so wie Trump sie will, setzt dieses Geschäftsmodell in Schach. Die NAFTA-Waisen weinen über den Verlust.

CC BY-SA 4.0 Die NAFTA-Waisen von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert