Die Mär von der Reform des mexikanischen Landbaus

von Luis Hernández Navarro

(Mexico-Stadt, 08. April 2014, la jornada).- Ein Gerücht geht um in der Welt des mexikanischen Landbaus: In Ejidos und Landgemeinden wird die unmittelbar bevorstehende Beteiligung chinesischer Investor*innen in der landwirtschaftlichen Produktion kolportiert. Die angekündigte Landwirtschaftsreform soll demnach das gesetzliche Terrain für Projekte vorbereiten, wie die Chines*innen sie in mehreren afrikanischen Ländern durchführen.

Peña Nieto tritt auf die Bremse

Den Startschuss für Vereinbarungen über einen neuen Rechtsrahmen gab Präsident Peña Nieto am vergangenen 6. Januar in Veracruz. Während der Feierlichkeiten zum 99. Jahrestag des ersten Agrargesetzes, verkündet vom damaligen Präsidenten Venustiano Carranza, erklärte der Regierungschef, sein Kabinett werde in diesem Jahr eine tief greifende Reform des Landbaus anstoßen. Dieser solle moderner und wettbewerbsfähiger werden.

Er fügte hinzu, die Initiative werde dem mexikanischen Kongress in der folgenden Sitzungsperiode präsentiert. Zwei Monate nach der Zeremonie in Veracruz trat Peña Nieto auf die Bremse. Am 5. März unterließ er bei einem Treffen mit drei landesweiten Bauernorganisationen jedwede Anspielung auf unumstößliche Fristen bei der Verabschiedung der neuen Gesetzgebung.

Angesichts der durch die Januarankündigung verursachten Unruhe und Ungewissheit versicherte der Präsident außerdem, die geltenden Regelungen zum Landbesitz würden nicht modifiziert. „Um das Verfallen in irgendwelche Spekulationen auszuschließen und eventuell bestehende Spekulationen nicht zu nähren: Die Regierung der Republik hat weder einen Vorschlag bezüglich einer geänderten Regelung des in unserem Land bestehenden sozialen Eigentums unterbreitet, noch wird sie dies tun“, äußerte er.

Eigentümlicherweise ist die Reform kein Bestandteil des von der Bundesregierung und den drei großen parlamentarischen Parteien unterschriebenen „Paktes für Mexiko“. Und es war unter anderem diese Fehlanzeige, die verschiedene Bauernführer*innen dazu brachte, im Vorjahr ein Abkommen für den Landbau zu fordern.

Stiller kollektiver Widerstand 

Die Absicht, eine neue Reform durchzuführen, bringt mehr als 20 Jahre nach deren Verabschiedung das Scheitern der Änderungen am Verfassungsartikel 27 im Jahr 1992, sowie des Landwirtschaftskapitels des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA zum Ausdruck. Die Probleme des mexikanischen Landbaus wurden damit nicht gelöst.

Die Ernährungsabhängigkeit wuchs auf ein alarmierendes Niveau an. Das Bestreben, die Vertreibung der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen von ihrem Land zu beschleunigen und die Landgrundstücke zu konzentrieren, stieß auf den unbeugsamen Widerstand der Ejido- und Gemeindebauern.

Ana de Ita vom Studienzentrum für den Wandel im mexikanischen Landbau Ceccam (Centro de Estudios para el Cambio en el Campo Mexicano) weist darauf hin, dass die Kleinbauernfamilien und „Indios“ auf das Projekt von Weltbank, Unternehmer*innen und Regierungen, das Ejido- und Gemeindeland auf den Markt zu bringen, mit einem hartnäckigen und stillen kollektiven Widerstand abseits der traditionellen Organisationen reagierten. Sie schrieben sich mehrheitlich in das Zertifikationsprogramm für Ejido-Rechte und die Titulierung urbaner Grundstücke (Procede) ein.

Wälder und Quellen

Aber etwa 70 Prozent von ihnen ließ ihr Land als gemeinschaftlich genutzte Böden eintragen. Damit behielt dieses Land seinen Status als unpfändbar und unveräußerbar. Es kann auch nicht an Dritte überschrieben werden. Das heißt, der Zustand vor der salinistischen Gegenreform des Verfassungsartikels 27 blieb bewahrt. Von 31.000 Ejido- und Agrargemeinden, die im Land existieren, blieben etwa 2.700 außerhalb des Programms, in der Mehrheit mit indigener Bevölkerung.

Bei diesem gemeinschaftlichen Land, oft von schlechter Qualität für die Saat, handelt es sich jedoch häufig um Böden, auf denen sich Wälder und Quellen befinden. Oft sind für diese Zonen Bergbaukonzessionen vergeben und die Getränkeindustrie hat es auf die Wasservorkommen abgesehen. Dieses Land ist zum obskuren Objekt der Begierde von Großinvestor*innen geworden.

Bemühungen um zunehmende Landkonzentration

Gleichzeitig, so erklärt Luis Meneses von der Bauernorganisation Unorca (Nationalen Vereinigung der Bäuerlichen Autonomen Regionalorganisationen), hat die Landbevölkerung trotz aller Vertreibungsbemühungen der Regierungen in absoluten Zahlen nicht abgenommen. 1992 gab es eine Landbevölkerung von 28 Millionen Menschen. Ungeachtet der Migration ist diese Zahl gleich geblieben.

Ähnliches geschah mit dem Bestreben, Landbesitz zu konzentrieren. Entgegen den Wünschen der Technokrat*innen pulverisierte sich das Land noch weiter. Zu Beginn von NAFTA gab es auf dem Land 4,5 Millionen Produktionseinheiten. Heute existieren 5,5 Millionen.

Natürlich ist nicht alles heile Welt. Trotz des Widerstandes der Kleinbäuer*innen und Indigenas, die ihren Besitz und ihre Weltsicht bewahren wollen, erzielten die landwirtschaftlichen Großunternehmer*innen und die in diesem Sektor aktiven Multis erhebliche Fortschritte bei der Pacht von Bewässerungsland sowie dem Kauf von Ejido- und Gemeinschaftsland im Randgebiet von Städten und touristischen Zentren.

Dennoch ist der Konzentrationsprozess beim Land wesentlich geringer als vom Großkapital gewünscht und für seine Bedürfnisse erforderlich. Möglich ist dies gewesen, weil es noch gesetzliche Sperrklauseln gibt, die es den Bauern und Bäuerinnen ermöglichen, sich zu verteidigen.

Neue Reform des Landbaus soll Kapitalisierung ermöglichen

Die neue Reform des Landbaus will diese Hindernisse entfernen. Sie sucht den Kauf von Land, das sich heute in gemeinschaftlich genutzten Zonen befindet, zu erleichtern. Unter anderem, um bei der Konzessionsvergabe für die Ausbeutung von Gas- und Ölreserven voranzukommen. Um die Sperrklauseln zu beseitigen ist keine weitere Änderung des Verfassungsartikels 27 notwendig. Es reicht, zumindest die Artikel 23, 26 und 80 des Agrargesetzes zu modifizieren. Damit würden Verfahren für die Privatisierung von Land, das sich in sozialem Eigentum befindet, beschleunigt.

Heute muss die Entscheidung über den Verkauf oder die Verpachtung von Land in der Versammlung von drei Vierteln der Ejido-Bauern und -Bäuerinnen getroffen werden. Mit den in Rede stehenden Veränderungen würde eine absolute Mehrheit der anwesenden Bauern ausreichen. Auch das Recht der Familienangehörigen jener Ejido-Bauern, die das ihnen persönlich gegebene Land verkaufen wollen, würde ausgehebelt. Das heißt, der Anspruch von Ehepartner*innen und Kindern auf ein Vorkaufsrecht gälte nicht mehr.

Mögen die chinesischen Gerüchte, die im mexikanischen Landbau umgehen, wahr sein oder nicht: Die Reform ist eine Notwendigkeit für das große transnationale Kapital. Sowohl für seine mit Öl, Gas und Bergbau verbundenen Vorhaben wie auch für seine Agrargeschäfte. Ebenso essentiell ist die Reform für das Finanzkapital, das die Möglichkeit fordert, Land als Garantie einzusetzen zu können, es also verpfändbar zu machen.

Die Tatsache, dass sich mehr als die Hälfte des mexikanischen Territoriums im Besitz von Ejido- und Gemeindebauern befindet, ist für dieses Kapital nicht hinnehmbar. Darum der Beschluss, den mexikanischen Kleinbauern und Kleinbäuerinnen einen neuen Krieg zu erklären. Darin liegt der Sinn der neuen Gesetzgebung.

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