“Die indigene Bevölkerung hat mich verändert“. Ein Nachruf zum Tod von Bischof Samuel Ruiz García

von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt

(Berlin, 27. Januar 2011, npl).- Ein großes Herz hörte am vergangen Montag auf zu schlagen. Im Alter von 86 Jahren verstarb in Mexiko-Stadt der katholische Altbischof Samuel Ruiz García. Als Menschenrechtsverteidiger, Vermittler in Konflikten und Unterstützer der indigenen Bevölkerung genoss Ruiz über die mexikanischen Grenzen hinaus hohes Ansehen.

Mit seinen Anklagen gegen unsoziale Wirtschaftspolitik und seiner eindeutigen Position für die Armen schaffte er sich aber auch manchen Feind im Vatikan und in den Regierungskreisen seines Landes. Einer breiten internationalen Öffentlichkeit wurde der Bischof bekannt, als er 1994 in der Kathedrale von San Cristóbal de las Casas im Bundesstaat Chiapas die Verhandlungsgespräche zwischen der aufständischen Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional) und der mexikanischen Regierung führte. In San Cristóbal wirkte Samuel Ruiz García 40 Jahre lang bis zu seiner Emeritierung Anfang 2000.

“Die indigene Bevölkerung hat mich verändert“

Als er 1960 als damals jüngster mexikanischer Bischof Einzug in San Cristóbal hielt, machte Samuel Ruiz García auf den Ethnologen Fernando Benítez den Eindruck eines Fanatikers und strammen Antikommunisten, der auf der Seite der Großgrundbesitzer*innen und Mächtigen stand. Doch bald begann eine tiefe Wandlung. „Die indigene Bevölkerung hat mich verändert“, sagte der Bischof rückblickend bei einem längeren Gespräch im November 1995. Und: „Wenn einer gleich bleibt, gibt es keine Bewegung, sondern Tod.“

Im Gegensatz zu den meisten anderen Bischöfen besuchte er auch die entferntesten Gemeinden seiner Diözese und lernte die bittere Armut der bäuerlichen und indigenen Bevölkerung aus eigener Anschauung kennen. Er verwies die Menschen nicht auf das Jenseits, sondern ermunterte sie, für ihre Rechte auf Erden zu kämpfen. Das ihm bald angehängte Etikett Befreiungstheologe lehnte er jedoch ab. „Meine Sorge ist nicht die Theologie, sondern die pastorale Aktion“, so der Bischof in dem erwähnten Gespräch. Um dann nachzuschieben: „Eine Pastoralarbeit, die niemals darin bestehen wird, die Menschen in die Sklaverei zu führen, nicht wahr?“

Diözese als Anlaufpunkt für guatemaltekische Bürgerkriegsflüchtlinge

Für zehntausende Flüchtlinge, die Anfang der 80-er Jahre vor der Politik der verbrannten Erde der damaligen guatemaltekischen Militärdiktatur über die Grenze nach Mexiko flohen, waren Bischof Ruiz und die Mitarbeiter*innen seiner Diözese ein wichtiger Referenzpunkt. Die seelsorgerische Arbeit des Bischofs und seiner Mitstreiter*innen hatte immer auch eine implizit politische Seite. Die Menschen wurden aufgefordert, Subjekte ihrer Geschichte zu sein. Dies führte mehr als einmal zu Anschuldigungen von Regierungsseite, der Bischof stachele die Menschen auf, er sei ein ideologischer Wegbereiter für Rebellionen. Ruiz García dagegen warnte wiederholt vor gewalttätigen Folgen der ungerechten Gesellschaftsstrukturen im Land.

Der Vatikan warf Ruiz García 1993 vor, das Evangelium verkürzt zu interpretieren und versuchte, ihn frühzeitig aus dem Amt zu drängen. Als Vermittler im Konflikt zwischen EZLN und der Regierung wurde der Bischof 1994 dann jedoch kaum angreifbar, so dass das Verfahren nicht weiter verfolgt wurde. Stattdessen schickte Rom damals mit Weihbischof Raul Vera einen Aufpasser an Ruiz Seite. Doch auch diesen beeinflusste die Realität vor Ort nachhaltig. Die beiden Bischöfe verband bald eine enge Freundschaft. Raul Vera ist heute der letzte Vertreter einer radikalen sozialkritischen Position mit der Option für die Armen in der mexikanischen Bischofskonferenz.

Viele Ehrungen – doch kein Friedensnobelpreis

Zweimal wurde Samuel García für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Trotz Unterstützung aus vielen Ländern sollen es die Einwände von Vatikan und mexikanischer Regierung gewesen sein, die eine Auszeichnung verhinderten. An nationalen und internationalen Ehrungen fehlte es in den vergangenen Jahren trotzdem nicht. Viel wichtiger für Samuel Ruiz war es aber, sich nach wie vor zu politischen und sozialen Fragen zu äußern und auf die Einhaltung der Menschenrechte im Land zu pochen. Trotz seines zunehmend labilen Gesundheitszustandes war er bis fast zuletzt auf entsprechenden Foren präsent. Nun wird der Bischof auch von denen buchstäblich in den Himmel gelobt, die für seine Anliegen kaum Interesse zeigten. Am Mittwoch, den 26. Januar wurde Ruiz García in der Kathedrale von San Cristóbal de las Casas bestattet. So hat er es sich gewünscht.

(Bischof Samuel Ruiz García /Foto: Frayba)
 

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