Die Flüsse Amazoniens als Diener der Ölindustrie

von Marc Gavaldà

(Lima, 30. Juli 2011, Servindi/poonal).-

Es ist dringend notwendig, den Verkehr entlang der Flüsse, die von Ölfirmen als Transportwege genutzt werden, unter die Lupe zu nehmen. Denn die Konsequenzen der Flusstransporte werden generell einfach ignoriert oder höchstens als indirekten Auswirkungen gewertet.

 

 

Konsequenzen heruntergespielt

Die Positionen der Verantwortlichen sind so zahlreich wie die Belastungen des Amazonasgebietes durch den Abbau von Kohlenwasserstoffen, in Form von Erdöl, Erdgas, Kohle, Kohleteer und anderen fossilen Brennstoffen. Sowohl die Ölunternehmen – die Verursacher selbst – als auch deren Netzwerk aus Berater*innen und Klientelinstanzen – neigen dazu, die Konsequenzen ihres Tuns zu relativieren indem sie die Folgem kleinreden, falls möglich sogar ignorieren oder die Probleme einfach ausgelagern.

Die Gemeinden Amazoniens sind die Betroffenen der Rohstoffförderung und deren Konsequenzen; aber sie reagieren auf diesen absolutistischen Diskurs mit schwachen Klagen, die häufig zu Schadensersatzforderungen herabgestuft werden.

Das Erdgasprojekt Camisea und die Völker des Urubamba

Der permanente Flussverkehr der Ölfirmen auf dem Fluss Urubamba hat dazu geführt, dass sich die Versorgungslage der an dessen Ufern oder Nebenflüssen lebenden Gemeinden der Ashánikas, Yine Yamis, Machiguengas, Kakintes, Nahuas und Nantis wesentlich verschlechtert hat. Der Fluss Urubamba entspringt nur wenige Kilometer entfernt vom viel gepriesenen Machu Pichu und fliesst bergabwärts durch die legendäre Pongo de Mainique, die „Bärenschlucht“, einer heiligen Enklave der Machiguengas. Dort bewässert er eine riesige Amazonasregion, bekannt als Bajo Urubamba mit einer Größe von etwa 25.000 km². Das Becken umfasst zehn Mikrobecken und wird räumlich begrenzt durch ethnogeographisch wichtige Gebiete, wie dem Heiligtum Santuario Megantoni im Süden, der Bergkette Cordillera de Vilcabamba im Osten, dem Reservat Nahua-Kugapakori im Westen und dem Fluss Ucayali im Norden.

Seit 2003 ist das Erdgasprojekt Camisea verantwortlich für eine nur mäßige Fließgeschwindigkeit des Flusses, von der die ganze Region Bajo Urubamba betroffen ist. Sie ist auch am Fluss Ucayali bis Pucallpa zu spüren. Die acht ethnischen Gruppen, die das Becken bewohnen, erleben eine zunehmende kulturelle Erosion aufgrund des von den Ölfirmen erzwungenen Zusammenlebens.

Der umstrittene Block 88 – mit seinem Gasvorkommen von 192,6 Milliarden Kubikmetern und dem Versprechen des Präsidenten, das gesamte Vorkommen nicht für den Export zu verwenden – wird heute um die Nachbarblöcke 56 (Pluspetrol), 57 (Repsol YPF) und 58 (Petrobas) erweitert (1). Jede dieser Firmen nutzt das Wasser des Flusses Urubamba, um unter anderem das Material zur Öffnung der seismischen Linien, zum Bau der Arbeiterunterkünfte, zur Bohrung der Löcher oder zur Verlegung der Erdgasleitungen zu transportieren.

Dichter Flugverkehr am Himmel Amazoniens

Auch der Himmel über dem Amazonasgebiet wird als Wegstrecke für dichten Helikopterverkehr missbraucht. Obwohl das Gesetz vorschreibt, beim Überfliegen der Zone einen Mindestabstand von einem Kilometer zur nächsten Siedlung einzuhalten, werde der Himmel über den Gemeinden Camisea, Kirigueti und Shivankoreni andauernd durch den Lufttransport missbraucht. Dies bestätigte das Team des Projektes Alerta Amazónica [einem Dokumentarfilm zur Unterstützung und Stärkung der indigenen Gemeinden des peruanischen Amazonasgebietes, die von der Ölförderung betroffen sind]. Dabei werden Bauteile für die Erdgasleitung von der Station Malvinas zum Bohrloch Mayapi des Blocks 56 geflogen.

Der Ölhafen Atalaya

Der Fluss Ucayali entsteht an der Stelle, wo die Flüsse Tambo und Urubamba zusammenfließen. Dort befindet sich auch die rasant wachsende Stadt Atalaya, deren Bevölkerung sich im Laufe des vergangenen Jahrzehnts auf heute 35.000 Einwohner*innen verdoppelt hat. Im Hafen der Stadt werden jeden Nachmittag Motorboote der Ölfirmen entladen, die den Bajo Urubamba erkunden und dessen Kohlenwasserstoffreserven freibohren. Hunderte von Arbeitern in verschiedenen Uniformen füllen die Plätze der Hotels. Es sind die Arbeiter der Subunternehmen von Repsol, Pluspetrol und Petrobas, die von den Flusstransporten und den seismischen Erkundungen aus dem tiefen Regenwald zurückkehren.

Wachsendes Wirtschaftszentrum

Francisco Sousa Mendoza, der Bürgermeister von Atalaya ist stolz auf das Wachstum der Stadtgemeinde. „Die Stadt bereitet sich darauf vor, weiter zu wachsen. Wir arbeiten hart daran, eine Schnellstraße zu errichten, um diesen geostrategisch wichtigen Ort mit anderen Orten zu verbinden (2).“ Am Ufer des Ucayali gibt es eine Anlegestelle für Schiffe mit großem Laderaum, den sogenannten „chatas“. Dies sind dicke Frachtkähne, die den Urubamba nur in der Regenzeit durchfahren können. Ein halbes Jahr lang ankern sie regungslos nur wenige Flussschleifen von der Gemeinde entfernt. Derzeit wird für die Kähne ein logistischer Hafen in der Gemeinde Ashaninka gebaut, wenige Kilometer von Atalaya entfernt. Für den Bau sind zwei Kilometer des Ufers gerodet worden.

Unsicherheit auf den Flüssen

Wenn der Flusspegel niedrig ist, wird die gesamte Ladung auf viele kleinere Boote verteilt, die rund um die Uhr über den Fluss manövrieren, mit ihrem speziellen Motorenlärm und dem verursachten Wellengang.

Für die Anwohner*innen des Flusses ist die Geschwindigkeit der Motorboote ein Sicherheitsrisiko. In ihren Kanus, die sie mit Paddeln oder kleinen Motoren antreiben, fühlen sie sich durch die Kraft einer unerwarteten Welle verunsichert. In der Machiguenga-Gemeinde Kirigueti wurde der Tod eines Mädchens bekannt, das durch den Wellengang – verursacht von den Schiffen Pluspetrols – beim Manövrieren ihres Kanus getötet wurde (3). Kürzlich wurde vor Gericht von Atalaya eine Klage eingereicht, die Petrobras für den Untergang eines Motorbootes mit vier Passagieren und dessen Ladung am 22. Mai 2011 verantwortlich macht (4).

Gasaustritt durch beschädigte Rohre

In all den Gemeinden der Asháninkas und Machiguengas des Bajo Urubamba erinnert man sich an den Unfall von 2004. Ein Riss im Inneren eines Rohres, durch das flüssiges Erdgas transportiert wurde, führte zum Austritt von etwa 1151 Barrel Flüssiggas. Das Unternehmen Transportadora del Gas de Perú (TGP), Eigentümer der Gasleitung und Verantwortlicher des Unfalls, informierte erst mehrere Tage später die anliegenden Gemeinden über die Gefahren beim Verzehr von Wasser und vergifteten Fisch. Die Gemeinden flussabwärts entdeckten die Gefahr erst, „als die Fische mit dem Bauch nach oben auf dem Wasser trieben“, wie ein Einwohner der indigenen Gemeinde Shinkiato berichtete – Shinkiato liegt mehrere Bootsstunden vom Ort des Gasaustritts entfernt. Erst daraufhin begannen die indigenen Organisationen, gegen die Gasunternehmen zu mobilisieren. Die Unternehmen erkannten die Abkommen zu Schadensersatzforderungen jenseits der wenigen „direkt betroffenen“ Gemeinden an (5). Dennoch berichten viele Zeugenaussagen von dem autoritären und wenig gesprächsbereiten Verhalten des Unternehmens TGP bei den Verhandlungen während der Krise. Ebenso erwähnen sie die späteren Unfälle, die sich bedauerlicherweise immer wieder entlang der ganzen Strecke ereignet haben (6).

Ernährungs-Unsicherheit

Neben den unerwarteten Austritten von Gas aus den Leitungen des Projektes Camisea und den möglichen Unfällen in den zukünftigen Leitungen, welche die Blöcke 56, 57 und 88 durch die steilen Hügelketten hindurch verbinden sollen, kommt es noch zu weiteren, wenn auch weniger starken Belastungen. Diese werden durch den ständigen Bootsverkehr der Ölfirmen verursacht.

Eine Beobachterin am Fluss der indigenen Gemeinde Camisea sprach von circa 100 Booten, die täglich ihre Gemeinde durchqueren würden. Durch den Lärm, die Benzinrückstände und den Wellengang würden sowohl die Fischbestände, als auch der aktive Fischfang selbst zurückgehen. Zahlreiche Stimmen am Urubamba warnen davor, dass in der Zeit der „Mijana“ (Jahreszeit zu der die Fische zu einem bestimmten Ort flussaufwärts schwimmen) der Fischfang auf ein historisches Tief gesunken sei.

Zukunft der Fischer*innen ungewiss

Da die Boote und Helikopter der Ölfirmen den Fischfang und die Jagd behindern, sind die indigenen Gemeinden am Bajo Urubamba gezwungen, resigniert um wirtschaftlichen Ausgleich zu betteln, um ihre täglichen Bedürfnisse decken zu können. Währenddessen ist der Fluss Urubamba zur Wasserstraße des Ölgeschäfts geworden und befördert immer mehr Material, um neue Lager für die Gasförderung zu errichten. Dabei vervielfacht sich das Risiko weiterer Unfälle durch Gasaustritt. All das wirft seinen Schatten auf die Zukunft der Fischerinnen und Fischer von Urubamba.

Anmerkungen:

(1) Ministerium für Energie und Bergbau, Plan Referencial 2007/Consorcio Camisea, zitiert aus der Tageszeitung Diario La República

(2) Alerta Amazónica, Interview mit Francisco Sousa de Mendoza, Bürgermeister von Atalaya (04/07/2011)

(3) Santiago Echevarría, “Tímpia: Gases y Gasoducto” („Tímpia: Gas und Gasleitungen“), Magazin Estudios Amazónicos N. 4, Januar – Juni 2006

(4) Niederschrift der Klage zu den Vorfällen auf dem Fluss. Atalaya (24/05/2011)

(5) Alerta Amazónica, Interview mit Daisy Zapata, Vizepräsidentin von Aidesep. Atalaya (02/07/2011)

(6) Vorfälle aufgrund des Rohrbruchs der Gasleitung Camisea: (22/12/2004) Austritt von 1151 Barrel in der Schlucht von Kemariato. (29/08/2005) Austritt von 15 Barrel im Pumpwerk von Pacobamba. (16/09/05) Austritt von 4000 Barrel in Tocate. (24/11/2005) Austritt von 4361 Barrel in Vilcabamba. (04/03/2006) Austritt von 4600 Barrel in Kepashiato. (02/04/2007) Wiederholter Austritt in Kepashiato. Quelle: Osinerg, gesammelt in El Muro, Las Verdades del proyecto Camisea (zu Deutsch: Die Mauer, Die Wahrheit über das Projekt Camisea), Broschüre, Cusco, Juli 2010.

 

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