„Die Bekämpfung der Dürre ist eine Illusion“

von IHU – Instituto Humanitas Unisinos

(Fortaleza, 10. Juli 2012, adital-poonal).- Der Agrarwissenschaftler Márcio Moura hält die Losung der brasilianischen Regierung von der Bekämpfung der Dürre für unsinnig: Trockenheit lasse sich nicht bekämpfen, denn sie kehre zyklisch immer wieder zurück. Stattdessen müsse man einen vernünftigen Umgang mit diesem Phänomen lernen.

Pressemeldungen sprechen von der größten Dürre im Nordosten Brasiliens seit 50 Jahren. Wie gehen die Bewohner*innen, die Sertanejos, mit diesen Trockenperioden um?

Diese semiaride Region Brasiliens hat sich seit langem darauf eingestellt. Die Menschen wissen schon vorher, welchen Bedarf an Wasser sie haben werden, auch um die Tiere zu tränken. Erforderlich sind Investitionen sowohl der Bundesregierung als auch der Regierungen der Bundesstaaten. Die Kommunen wiederum müssen dafür sorgen, dass Staudämme, Zisternen und Wasserleitungen gebaut sowie Brunnen gebohrt werden, damit die Landwirtschaft gut durch die Trockenzeit kommt.

Jene Landwirt*innen, die nicht das Geld haben, um persönliche Vorkehrungen zu treffen, verkaufen ihr Vieh in der schwierigsten Periode, die von Juni bis Januar dauert. Sie hoffen dann, dass es im Januar regnen wird, damit sie ihre Tiere zurückkaufen können.

Welche Rolle spielt der halbtrockene Nordosten Brasiliens auf der Agenda der Regierung? Versteht diese, welche Notwendigkeiten und Prioritäten in dieser Region bestehen?

Nun, die Regierung von Dilma Rousseff hat einen Ansatz, der sehr stark an technischen Details orientiert ist. Die Regierung sorgt sich eher um ihre Ziele, sie führt aber kaum den Dialog mit der organisierten brasilianischen Zivilgesellschaft. Traditionelles Wissen der Familien müsste herangezogen werden, um eine nachhaltigere Landwirtschaft zu entwickeln.

Ein anderer Fehler stammt zwar noch aus der Zeit der Präsidentschaft Lulas, die Regierung Rousseff setzt diesen Weg aber fort: Ich spreche von der Umleitung des Rio São Francisco. Die Regierung hat Millionen in ein Projekt investiert, dessen Undurchführbarkeit sich mehr und mehr herausstellt. Infrastrukturminister Fernando Bezerra Coelho aber fordert immer neue Gelder, um das zu reparieren, was bereits begonnen wurde. Es handelt sich um eine weitere Illusion der Regierung, die glaubt, dass sich die Dürre mit solchen Großstrukturen bekämpfen ließe, anstatt in die Familiensysteme zu investieren. Diese verfügen bereits über eine Produktionsdynamik, die eng mit der Sicherstellung der Lebensmittelversorgung verbunden ist. Das Motto der Regierung lautet unsinnigerweise: „Die Dürre bekämpfen.“ Eine Illusion: die Dürre ist doch zyklischer Natur. Wir müssen eben lernen, mit den Widrigkeiten eines Phänomens zu leben, das natürlich ist. Die Familien brauchen mehr Wasserressourcen, Zugang zu Krediten, eine qualifiziertere technische Beratung als bislang, Abwassersysteme, eine hochwertige Bildung – all dies brauchen die ländlichen Räume im Sertão, damit die Familien ein besseres und würdevolleres Leben führen können.

Wie würden Sie die soziale und ökonomische Entwicklung des brasilianischen Nordostens beschreiben? Stimmt das Bild einer armen und unterentwickelten Gegend noch – oder gehört es allmählich der Vergangenheit an?

Ich denke, es gab schon Fortschritte. Wir haben Regierungsprogramme wie Bolsa Família, Bolsa Estiagem oder Garantia Safra, die lindernd wirken und den Kauf von Lebensmitteln ermöglichen. Diese Programme lösen aber nicht das grundlegende Problem, sondern schieben es nur zur nächsten Generation weiter. Denn es handelt sich um keine Politik, die den Ausgeschlossenen Zugang zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten verschafft. Genau betrachtet, ist es reine Kosmetik.

Wir sollten aber nicht verallgemeinern, denn es wird Arbeit auf dem Gebiet der Agroökologie geleistet, an dieser ist auch das Ministerium für soziale Entwicklung beteiligt. Hier geht es darum, dass die Familien Produkte konsumieren, die frei von Agrargiften sind. Überschüsse werden zum Teil auf städtischen, agroökologischen Märkten verkauft. Im brasilianischen Nordosten gibt es eben noch starke Kontraste.

Welche sind heute die wichtigsten Entwicklungshemmnisse? Außer der Konzentration von Land und Wasser in den Händen weniger.

Es gibt eine „assistenzialistische“ Kultur [Das heißt, Unterstützung wird im Gegenzug für bestimmte Leistungen als gegeben angesehen, Anm. d. Red.]. Die Leute verkaufen zum Beispiel ihre Wählerstimme für Medikamente oder Zement. Dieses System führt dazu, dass Menschen gewählt werden, die kaum dazu fähig sind, im Konsens mit der Gesellschaft Politik zu betreiben. Allerdings verfügen sie über eine umso größere Fähigkeit, sich gesetzeswidrig zu bereichern.

Die Korruption auf lokaler Ebene ist eines der Haupthindernisse für die Entwicklung des ländlichen Nordostens. Dabei leisten die Organisationen der Zivilgesellschaft wichtige Arbeit. Die Leute müssen aufwachen, was die Wahlen betrifft. Nach wie vor beherrschen die alten Clans die lokale Politik, eine Generation übergibt an die nächste. Gelder werden unterschlagen, die für Gesundheit, Bildung und Landwirtschaft bestimmt sind.

Besteht das Risiko, dass der halbtrockene brasilianische Nordosten sich zunehmend in eine Wüste verwandelt?

Die Agrarkonzerne, aber auch viele Familien fügen Fauna und Flora Schaden zu, durch Brandrodungen oder den zügellosen Einsatz von Agrargiften. Ja, im Bundesstaat Piauí zum Beispiel hat unsachgemäße Bodennutzung einen Prozess ausgelöst, in dem Land zu Wüste wird. Einer Statistik zufolge sind bereits 45 Prozent der Vegetationsfläche der Caatinga, einer charakteristischen Landschaft des Sertão, verwüstet. Ein Großteil des Bodens liegt dort bereits bloß und ist Regen, Sonne und Wind ausgesetzt ist, die dann ihr Werk verrichten. Es gibt keine Programme und keine Politik, die eine Revitalisierung von Flüssen und Bächen zum Ziel hat, das gleiche gilt für eine Wiederaufforstung. Die Investitionen wären zweifellos kostspielig, aber auf jeden Fall notwendig, um beim Erhalt der Umwelt voranzukommen. Brasilien hat zwar eine gute Gesetzgebung zum Naturschutz, aber es gibt keine Strafen.

Welche Bedeutung hat die Caatinga für den Erhalt der halbtrockenen Zone Brasiliens?

Bei der Caatinga handelt es sich um eines der komplexesten und reichhaltigsten Biome der Erde, hier gibt es eine Biodiversität von Pflanzen und Tieren, die ausschließlich in Brasilien anzutreffen sind. Es kommt darauf an, die Caatinga richtig zu nutzen, dann liefert sie Nahrung für die Familien und für die Tiere. Sie ist aber auch eine riesige Quelle für medizinische Studien, die zur Entwicklung von Medikamenten führen können. Dies geht weit über die Schönheit der Caatinga hinaus, und deren Fähigkeit, sich zu regenerieren, wenn wieder der erste Regen fällt.

 

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