Der Reichtum geht, die Zerstörung bleibt. Ein peruanischer Priester im Kampf gegen die größte Goldmine Lateinamerikas

von Eva Völpel

(Berlin, 11. Dezember 2009, npl).- Cajamarca im Nordwesten Perus: Seit 1994 fördert das US-amerikanische Unternehmen Newmont Mining Corporation, an dem auch die Weltbank Anteile hält, in der Region Gold. Die offene Tagebaumine Yanacocha hat das Gesicht Cajamarcas verändert: Dort, wo früher grüne Hügel waren, starren heute riesige Erdkrater in den Himmel. Für den Goldabbau gräbt Newmont ganze Berge und Täler um, denn um ein Gramm des Edelmetalls zu gewinnen, müssen rund zwei Tonnen Gestein bewegt werden. Mit hochgiftigem Zyanid wird das Gold aus den Steinen gewaschen. Übrig bleiben das Gold – und eine Chemiesuppe. Denn durch die Behandlung mit dem Zyanid lösen sich auch andere Metalle aus den Steinen, unter anderem Arsen und Quecksilber, die zum großen Teil ungefiltert in die Umwelt gelangen.

„Es gibt keinen sauberen Bergbau“, unterstreicht Marco Arana, Priester in Cajamarca und seit dem Entstehen des Tagebaus in den Kampf gegen die Yanacocha-Mine involviert. „Es gibt höchstens weniger schmutzigen Bergbau – in Ländern, wo er besser kontrolliert wird.“

Doch das sei in Peru nicht der Fall. Newmont bekam die Konzession zum Goldabbau, obwohl das Gebiet in rund 4.000 Metern Höhe auf der Atlantik-Pazifik-Wasserscheide liegt. Unzählige Flüsse und Quellen durchziehen die Berglandschaft und haben von jeher den Bauern das nötige Nass geliefert, um ihre Felder zu bewirtschaften und den Einwohner*innen der Region und der gleichnamigen Stadt Cajamarca das Trinkwasser. Jetzt ist das Wasser verseucht oder sind manche Quelle gleich ganz versiegt, denn „Newmont gräbt sich tief in die Erde, manchmal bis zu 400 Meter tief. Dort, wo sie graben, müssen sie das Grundwasser entfernen. Sie zerstören das gesamte Bodengefüge: Wenn es vorher regnete, filterte der Boden das Wasser, das zum Grundwasser nach unten durchsickerte. Jetzt versickert das Wasser nicht mehr, es bilden sich Gruben mit saurem Wasser“, sagt Marco Arana.

Das andere Problem sei die Verschmutzung des Wassers, erzählt er: „Die Bauern sehen es jeden Tag, das Wasser verändert Geruch und Farbe. Dort, wo das mit Chemikalien verseuchte Wasser über die Felder läuft, sieht die Landschaft danach aus, als hätte man kochendes Wasser über alles geschüttet.“

Mit der Verschmutzung des Wassers kamen die Krankheiten bzw. der Tod. Es verendeten nicht nur Fische und kleinere Tiere wie Frösche in den Flüssen und Seen, auch das Vieh werde krank, erzählt Marco. Die Schafe verlören ihre Wolle und Zähne, das Horn ihrer Hufe werde dünn. Kühe bekämen Tumore oder Blutungen, etliche Tiere seien schon auf den Feldern verendet. „Aber für jedes tote Tier gibt Newmont den Bauern bisher zwei neue Tiere. Also gibt es viele Bauern, die die Situation akzeptieren. Andere aber sagen, es reicht.“

Denn auch die Gesundheit der Menschen litte unter der Yanacocha-Mine: Viele aus Cajamarca, einer ärmlichen Stadt, geprägt in ihrer Umgebung von kleinbäuerlicher Landwirtschaft, hätten Augenentzündungen und Hautkrankheiten, „vor allem die Frauen und Kinder“, sagt Marco. „Sie halten sich die meiste Zeit in der direkten Umgebung der Mine auf.“ Doch für die Krankheiten in der Bevölkerung wolle Newmont nicht verantwortlich sein, erzählt Marco Arana.

Der 47-Jährige Cajamarqueño ist zum Bergbauexperten geworden. Er kann detailliert darüber Auskunft geben, wie die Mine operiert, welche Folgen das hat und welche Gebiete bisher von der Suche nach dem Gold betroffen sind. Auf Karten zeigt er, welche Wasserläufe verseucht sind, welches Gebiet heute zur Mine gehört und ehemals das Land der Bauern war.

„Sie hatten keine Chance, sie mussten entweder ihr Land verkaufen oder wurden enteignet“, erzählt er. Noch heute kämpft der Priester mit Hilfe seiner 2002 gegründeten NGO Grufides für höhere Abfindungen an die Bauern. Die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation bietet den Bauern juristischen Rat und Unterstützung beim Führen von Prozessen. Grufides ist über die Jahre zu einer der bekanntesten NGOs in Peru geworden – und Marco zu einem der wichtigsten Verteidiger der Bevölkerung im Kampf gegen die Goldmine.

Er selbst wurde in der Region Cajamarca geboren, in einer religiösen Familie. Bereits mit 12 Jahren war er Mitglied christlicher Jugendkomitees, die der Befreiungstheologie anhingen. „Ich bin groß geworden mit Priestern oder Bischöfen, die in engem Kontakt standen mit der bäuerlichen Welt. Bei uns zu Hause übernachteten häufig Bauern, weil sie nichts hatten, wo sie schlafen konnten, oder weil sie für ihr Land kämpften und verfolgt wurden. Ich habe das Christentum als etwas kennen gelernt, wo das Leben nicht vom Glauben getrennt wird. Das wahre Christentum stellt die Organisation von Gesellschaften, die Vorteile nur für einige wenige bringt und viele leiden machen, radikal in Frage.“

Dieser frühen Überzeugung von der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit ist Marco Arana treu geblieben. Nachdem er Soziologie studiert hatte und in das Priesterseminar eingetreten war, arbeitete er eine Zeit lang in Perus Hauptstadt Lima, „weil mich die Kirche dorthin schickte.“ Doch für ihn war immer klar, er wollte zurück nach Cajamarca. Nach vier Jahren war es dann so weit. Marco wurde in Cajamarca in einer armen Landgemeinde eingesetzt. „Es gab viel Analfabetismus und Mangelernährung, Gewalt gegen Frauen. 1992 kam dann die Cholera – und die Goldmine. An der Cholera starben etliche Menschen, wir mussten Wasser- und Abwasserleitungen legen, den Leuten beibringen, das Wasser zu reinigen, es gab kein medizinisches Personal. Wir haben es geschafft, die Cholera zu besiegen – aber die Mine ist gekommen, um zu bleiben.“

Doch Newmont hatte nicht mit dem Widerstand der Bevölkerung gerechnet. 2002 trotzen die Bewohner*innen der Region dem Bergbauunternehmen ab, dass dieses auf das Umgraben des Quillish, eines Berges, an dem wichtige Wasserquellen entspringen, verzichtet. Marco Arana musste in den tagelangen Blockaden der Straßen immer wieder vermitteln zwischen Bewohner*innen und einer hochgerüsteten Polizei sowie den schwer bewaffneten Sicherheitskräften der Yanacocha-Mine. Die Polizei reagierte trotzdem mit Gewalt, schoss Tränengasgranaten in die Menge und töteten in einer der Auseinandersetzungen einen Bauern. Marco Arana bleibt trotzdem dabei: Von Seiten der Bevölkerung darf keine Gewalt ausgehen, „denn dann wird es viele Tote auf beiden Seiten geben, aber mehr auf unserer Seite“. Und die Bauern hören auf den Priester mit der ruhigen Stimme, der mit ihnen zusammen inmitten der Demonstrationen und Blockaden Gottesdienste abhält und ihnen Mut zuspricht.

Doch woher kommt dieser Mut, an der Seite einer benachteiligten Bevölkerung zu kämpfen, obwohl er damit das eigene Leben aufs Spiel setzt? Denn spätestens seit den Blockaden zum Schutz des Quillish ist Marco landesweit bekannt – und wird in der Mehrzahl der in Peru von einigen wenigen Familien kontrollierten Zeitungen und Fernsehsendern sowie von Teilen der obersten Kirchenhierarchie offen angefeindet. Morddrohungen gegen ihn und seine Familie sowie gegen die Mitarbeiter von Grufides sind mittlerweile an der Tagesordnung. In Cajamarca selbst bewegt sich Marco nur noch mit einem Leibwächter auf der Straße. Ja, er habe manchmal Furcht, gibt Marco zu. „Verliert man die, ist man nicht mehr menschlich. Aber meine Kraft rührt aus dem Wissen darum, dass wir zwar sehr klein sind, aber für etwas Gerechtes kämpfen. Diese tiefe Überzeugung hilft mir, zu leben. Und ich weiß, jenseits all des Leidens und all der Anfeindungen, der Todesdrohungen, ist mein Leben ein Motiv der Hoffnung für viele.“

Dass er eine Hoffnung für viele ist, wird er schon 2011 beweisen können. Da will er mit der neu geschaffenen Bewegung Tierra y Libertad zu den Präsidentschaftswahlen antreten. Im April 2010 soll die offizielle Kür von ihm sein. Schon jetzt mobilisiert die Bewegung beachtlich, gewinnt Anhänger*innen, darunter viele junge Menschen, auch in der Hauptstadt Lima.

Doch warum sollte gerade er die richtige Person für das Präsidentenamt sein? Die Antwort kommt prompt und bestimmt: „Ich bin nicht der Auserwählte. So etwas zu glauben, wäre unglaublich naiv. Wenn ich die Präsidentschaftskandidatur für Tierra und Libertad annehme, dann, weil ich der Sache dienen will, Gerechtigkeit zu schaffen. Dazu gehört, seine Macht, sein Charisma und die Fähigkeiten, die man hat, einzusetzen für ein Volk und sein Anliegen. Die Völker Perus, die Armen Perus, glauben daran, dass man Tierra y Libertad für den Wandel stark machen muss. An mich delegieren sie die Verantwortung, diesen Wandel mit ihnen gemeinsam anzustreben. Das nehme ich an und ich werde immer wissen, dass es nur vorübergehender Natur ist.“

Konkrete Vorstellungen, wie Peru ganz anders als derzeit zu regieren sei, hat er. So müsste der Verkauf der Bergbaukonzessionen, der in Peru derzeit rasant voranschreitet – allein 30 Prozent des Landes sind für Bergbaukonzessionen vorgesehen – verboten werden. Neue Bergbauvorhaben in ökologisch sensiblen Gebieten würde es mit ihm an der Spitze des Landes nicht mehr geben, alte überprüft und gegebenenfalls geschlossen – mit Programmen zur Unterstützung der Bergarbeiter, die ihren Job verlieren würden. Daneben hätten die Bergbauunternehmen finanziell für die Kosten der Zerstörung aufzukommen, strikte Umweltschutzvorschriften einzuhalten und höhere Steuern abzuführen, erläutert Marco.

Jenseits des Bergbausektors würde er eine Politik einläuten, die mit dem neoliberalen Ausverkauf des Landes bricht: „Wir müssen weg von der Fixierung auf die extraktiven Industrien und nachhaltige Industrie und Dienstleistung entwickeln, dabei die kleinen und mittleren Unternehmen fördern, nicht das große Kapital“, erklärt Marco. Der Landwirtschaft müsste endlich wieder Priorität eingeräumt werden und es müsse wieder Garantien für kollektives Eigentum an Land geben. Daneben müsse das Land dezentralisiert werden und seine Institutionen eine tiefgreifende Demokratisierung erfahren. „Peru darf nicht mehr von nur einer nationalen Gruppe und einigen wenigen Familien regiert werden, die Vielfalt der Nationen, die es in Peru gibt, braucht politische Repräsentation“, sagt Arana. Und all diese Prozesse, unterstreicht er, „müssen durch Formen tiefer demokratischer Mitbestimmung begleitet werden“.

Doch bevor es so weit ist, gilt es erst einmal weiter den Widerstand gegen die Yanacocha-Mine zu organisieren. Denn die versucht erneut, sich den Quillish-Berg anzueignen – und viele weitere Gebiete. Denn Newmont operiert bisher „nur“ auf 26.000 Hektar Fläche – nutzt damit aber erst rund 11 Prozent der ihm zugesprochenen Fläche. Da der Goldpreis stetig steigt, will Newmont möglichst immer mehr des Edelmetalls fördern. Schon jetzt spült die Mine jedes Jahr – und das ist eine vorsichtige Schätzung – über 1,5 Milliarden US-Dollar in die privaten Taschen ihrer Besitzer und beschert auch den Aktionären einen beachtlichen Geldsegen. Die Bevölkerung von Yanacocha muss hingegen die Last der sozialen und ökologischen Folgen des Goldabbaus tragen. So etwas nennt man eine äußerst erfolgreiche Privatisierung der Gewinne und Externalisierung der Kosten.

(vergleiche hierzu auch den Audiobeitrag der Autorin im Rahmen der Kampagne “Knappe Ressourcen? – Gemeinsame Verantwortung!”, der unter der URL http://www.npla.de/onda/content.php?id=1015 kostenlos angehört oder heruntergeladen werden kann)

CC BY-SA 4.0 Der Reichtum geht, die Zerstörung bleibt. Ein peruanischer Priester im Kampf gegen die größte Goldmine Lateinamerikas von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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