Der „Ortegator“ kann durchregieren

von Markus Plate

(San José, 08. November 2011, voces nuestras).- Daniel Ortega bleibt Präsident von Nicaragua. Bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag erzielte der Sandinist nach vorläufigen Ergebnissen einen Erdrutschsieg. Mit 63 Prozent gewann er klar vor dem liberal-konservativen Fabio Gadea, der nur auf gut 30 Prozent der Stimmen kam. Während die Sandinist*innen jubeln, beschuldigen Opposition und lokale Wahlbeobachter*innen die Sandinist*innen der Wahlfälschung. Internationale Beobachter*innen von EU und der Organisation Amerikanischer Staaten OAS sprechen dagegen bislang nur von Intransparenzen.

Erdrutschsieg der SandinistInnen

Bereits Stunden vor der Veröffentlichung der ersten Resultate waren Tausende, vor allem junge Menschen auf die Plaza de la Victoria in Managua geströmt. Nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse feierten sie das, was nach einem Erdrutschsieg der Sandinist*innen aussieht. Dabei hatten Meinungsumfragen ihnen noch vor wenigen Tagen nur einen Wahlsieg zweiter Klasse vorhergesagt. Unter 50 Prozent der Stimmen prognostizierten die Institute für Ortega, das hätte zwar nach nicaraguanischem Wahlrecht für einen Sieg im ersten Wahlgang gereicht, unumstritten wäre der alte und neue Präsident damit allerdings nicht gewesen. Nun deutet alles auf einen haushohen Sieg hin ‒ wenn denn alles mit rechten Dingen zugegangen ist.

Die internationalen Wahlbeobachter*innen der EU und der OAS sprachen von einer Wahl, die weitgehend ohne Zwischenfälle verlief. Laut Luis Yañez, Chef der EU-Mission, zeichnete sich die Wahl durch Ruhe und eine sehr hohe Wahlbeteiligung aus. Doch sei der Wahlprozess durch „Intransparenzen und Fallstricke“ geprägt gewesen. Kritik äußerte auch der OAS-Missionsleiter, der Argentinier Dante Caputo. In einem Fünftel der aufgesuchten Wahllokale sei der Mission der Zugang verwehrt worden, diese Situation sei besorgniserregend. Die OAS habe zwar keine Unregelmäßigkeiten feststellen können, die Arbeit der OAS sei jedoch in erheblichem Umfang behindert worden.

Zuspruch bei der Jugend

Lokale Organisationen wie Etica y Transparencia (Ethik und Transparenz) und dem Institut für Demokratie IPADE (Instituto para la Democracia) charakterisierten die Wahlen dagegen als „weder fair, noch glaubwürdig“. In einem Fünftel der kontrollierten Wahllokale seien keine Mitglieder der oppositionellen Unabhängigen Liberalen Partei PLI (Partido Liberal Independiente) des Kandidaten Fabio Gadea im Wahlvorstand vertreten gewesen. Diese Beobachtung bestätigte die OAS-Mission am Sonntagabend. Auf ganz Nicaragua hochgerechnet, stünden so eine halbe Million Stimmen unter Manipulationsverdacht, erklärte Roberto A. Courtney, Vorsitzender von der Organisation Etica y Transparencia, die wie IPADE vom Obersten Wahlrat nicht als offizielle Wahlbeobachter zugelassen worden war.

Die Opposition hatte Ortega im Vorfeld der Wahlen als populistisch gegenüber den Armen und anbiedernd gegenüber dem Unternehmertum gebrandmarkt. Damit ist ein Grund für die Wahlniederlage der rechtsliberalen Oppositionsparteien bereits benannt: Sich ausschließlich dem Unternehmertum anzubiedern, reicht in Nicaragua eben nicht. Und weniger parteipolitisch gefärbt ist zu konstatieren, dass die Nationale Sandinistische Befreiungsfront FSLN (Frente Sandinista de Liberación Nacional) ihren Zuspruch in jüngeren und ärmeren Bevölkerungsteilen ausgebaut hat. Die Opposition mag schnauben, dass dieser Zuspruch von venezolanischer Entwicklungshilfe erkauft worden sei. Doch für Familien in den Armenvierteln zählt, dass endlich mal jemand in sie investiert.

Wahlergebnisse möglicherweise „optimiert“

Dass dazu die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre mit einem Wirtschaftswachstum um die 4 Prozent günstig verlief und die FSLN in der abgelaufenen Legislaturperiode keinesfalls wirtschaftsfeindlich regiert hat, mag ihr auch außerhalb der Armenviertel mehr Zuspruch beschert haben, als manche wahrhaben wollen. Dagegen hatten die liberalen Oppositionsparteien offenbar wenig Überzeugendes zu bieten. Dennoch scheinen die über 60 Prozent, die sowohl Ortega bei den Präsidentschaftswahlen, als wohl auch die FSLN bei den Parlamentswahlen erzielen konnten, überraschend, wenn nicht verdächtig hoch. Beim Projekt „Wahlsieg“ haben die Sandinist*innen wenig dem Zufall überlassen. Lange vor den Wahlen häuften sich Meldungen, die FSLN habe bei der eigenen Basis Wahlausweise eingesammelt und Nicht-Anhänger*innen sei deren Ausstellung verweigert worden.

Die Beobachtungen am Wahltag, die Wahllokale ohne Oppositionsvertretung und die Behinderung der Arbeit der internationalen Beobachter*innen lassen zumindest befürchten, dass Wahlergebnisse „optimiert“ wurden. Dagegen wirkt der Vorwurf, die Sandinist*innen hätten die staatlichen Fernsehkanäle für Wahlpropaganda genutzt, geradezu scheinheilig: In anderen Ländern des Kontinents regen sich internationale Analyst*innen kaum darüber auf, dass die dortigen Medienunternehmen offen rechte Parteien unterstützen.

“Volksabstimmung” über Ortegas Kandidatur

Nach der nicaraguanischen Verfassung hätte Ortega als amtierender Präsident gar nicht zu den Wahlen antreten dürfen. Das von den Sandinist*innen kontrollierte Verfassungsgericht hatte ihm aber die Kandidatur erlaubt. Sollten sich diese Ergebnisse bestätigen und die internationalen Wahlbeobachter*innen in ihrem Abschlussbericht keine massiven Unregelmäßigkeiten konstatieren, dürfte Daniel Ortega dieses überwältigende Wahlergebnis als Volksabstimmung auch über die Rechtmäßigkeit seiner Kandidatur empfinden.

Mit einer deutlichen Parlamentsmehrheit im Rücken dürften die Macht oder der Gestaltungsspielraum Ortegas und der FSLN so groß sein wie nie seit dem Ende der sandinistischen Ära im Jahr 1990. Das Ergebnis der Sandinist*innen, er ist so überwältigend, dass es wohl auch ohne Intransparenzen zu einem lockeren Sieg gereicht hätte.

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