Der König des Kokains

von Lydia Cacho*

(Mexiko-Stadt, 02. Januar 2013, cimac).- Noch vor El Chapo Gúzman, vor Pablo Escobar und den bekannten Kartellen, brachte Lateinamerika den Vater seiner Narcopolitik zur Welt: Roberto Suárez Gómez.

 

 

Vom Unternehmererbe zum führenden Drogenexporteur

Der Bolivianer Roberto Suárez Gómez, millionenschwerer Erbe am Handelsplatz der Kautschuk-Exporteure, passt nicht in das heutige Bild eines Drogenhändlers. Was ihn zum Monopolträger und Exporteur von täglich mehr als zwei Tonnen puren Kokains in die USA machten, waren seine Besessenheit, den Weltmarkt dominieren zu wollen und die Entdeckung, dass er Richter*innen, Regierende und Präsidenten*innen verschiedener Länder kontrollieren konnte. Suárez war so mächtig, dass er die Auslandsverschuldung Boliviens mit Geld aus dem Drogengeschäft begleichen wollte.

Seine Witwe Ayda Levy veröffentliche Ende 2012 das biographische Werk „El rey de la cocaína. Mi vida con Roberto Suarez Gómez y el nacimiento del primer narco-Estado” („Der König des Kokains. Mein Leben mit Roberto Suarez Gómez und die Geburt des ersten Drogenstaates“), herausgegeben von Random House in der Reihe „Debate“.

Das Buch ist nicht nur aufgrund des guten Erzählstils eine Pflichtlektüre, obwohl die Autorin, Tochter einer privilegierten und gebildeten Familie aus Cochabamba, wiederholt versucht, den Namen ihrer Familie rein zu waschen. Sondern auch, da wir, auf jeder Seite, ihre eigene Doppelmoral, die ihrer Kinder, und von Suárez selbst, sowie von Persönlichkeiten der internationalen Politik entdecken.

Enthüllungen über die internationale Narcopolitik

Mit ihren 78 Jahren verfügt Ayda über ein außergewöhnliches Erinnerungsvermögen und besonders scharfen Intellekt. Sowohl sie selbst als auch ihre Kinder und Suárez selbst, haben Kassenbücher, Daten, Ziffern, Videos, Fotographien und endlose Beweisstücke aufbewahrt, an Hand derer sie genauestens wiedergibt, an welchen Tagen sich der „König des Kokains“ mit seinen Geschäftspartner*innen und Kontaktpersonen traf. In allen Einzelheiten beschreibt sie den Plan, den ihr Mann mit seinen Kolleg*innen (deren echte Namen sie nennt) ausheckte, um in Bolivien einen Staatsputsch zu finanzieren, durch den General Luis García Meza an die Macht gelangen sollte. García Meza [von Drogenkartellen finanziert und in Drogengeschäfte verstrickt] war der erste Narco-Präsident der Geschichte Lateinamerikas.

Die Autorin ließ ihre mexikanischen Herausgeber erschauern, als sie versicherte, Beweise für so heikle Angelegenheiten zu haben, wie das Abkommen von Suárez und Pablo Escobar mit Fidel Castro, im Zuge dessen dem kubanischen Diktator täglich eine Millionen Dollar zukommen sollten, damit die Kokainladungen durch Kuba geschleust werden konnten. Außerdem sollte der kubanische Staat die Geheimdienste sowie die Luftraum- und Schifffahrtssicherung in den Dienst des Kartells von Medellín stellen, das zwar von Pablo Escobar geführt wurde, als dessen wichtigster Partner und Rohstofflieferant jedoch Suárez galt. Die Drogen gelangten somit direkt nach Florida.

Die Enthüllungen von Suárez‘ Witwe sind unentbehrlich, um die Narcopolitik, das heißt: die Verstrickungen zwischen Drogenhandel und Politik, sowie die Narco-Wirtschaft zu verstehen, aber auch um die Heuchlerei des globalen Krieges gegen den Drogenhandel zu enttarnen.

Normalisierung krimineller Aktivitäten

Bisher gab niemand mit solch Ehrlichkeit preis, die Abkommen zwischen Drogenhändler*innen und der US-amerikanischen Regierung über die CIA und Oliver North, dem bekannten und korrupten Oberstleutnant der Iran-Kontra-Affaire, aus erster Hand bezeugen zu können.

Die Autorin zeichnet nach, wie die kriminellen Aktivitäten einer Unternehmerfamilie, die in die internationale Narcopolitik und den Kauf der lokalen und internationalen Justiz, der Polizei und des Militärs, sowie in die direkte Finanzierung von Kampagnen verwickelt ist, zur Normalität werden.

Auch der Bankier des Vatikans, der sich der Geldwäsche widmet und die Präsidenten von Bolivien, Costa Rica, Panama, Kuba und Kolumbien tauchen in Levys Enthüllungen auf. Diese zeigen sehr deutlich, wie wir in diesen schizophrenen ‚Krieg‘ gegen den Drogenhandel geraten sind und welch perverse Rolle die US-amerikanische Regierung bei der Förderung der Drogenabhängigkeit in ihrem eigenen Land spielte.

Das Buch ist von großem Wert, da es Levy trotz der fehlenden Moral der Figuren schafft, den Vorstellungen über Frauen im Drogengeschäft den Mythos zu nehmen. Hier geht es nicht um triviale, sondern komplexe emotionale Beziehungen, durchtränkt vom Genuss des Status, der Macht und der überwältigenden Straflosigkeit derer, die Gewalt verursachen, sich aber weigern diese einzugestehen. Sie argumentieren damit, nur Politik und Geschäfte zu machen oder, wie Suárez erklärte, Kokain aus Liebe zum Vaterland zu verkaufen, um die nationale Wirtschaft anzukurbeln. Nicht umsonst wurde „der König“ zu einer Figur des Films „Scarface“.

Levy bleibt mexikanischen Leser*innen etwas schuldig

Dieses Buch muss man einfach lesen. Auch wenn Levy den mexikanischen Leser*innen etwas schuldig bleibt, denn in der Originalfassung befanden sich die genauen Daten darüber, wie Suárez nach Cozumel im Bundesstaat Quintana Roo gelangte, um während der Amtszeit des Gouverneurs Pedro Joaquín Coldwell den Transport der Drogen durch diesen Staat zu verhandeln.

Wenngleich die Festlegung der Route deutlich gemacht wird, gibt Levy die Namen der Personen, mit denen sich Suárez und Escobar in Quintana Roo trafen, nicht bekannt. Dies ist zu bedauern und macht uns nachdenklich. Sie fürchten also weder die USA noch das kubanische Militär, jedoch die jetzige Regierung der PRI.

Wie dem auch sei, die Geschichte wird weiter geschrieben werden, um eines Tages die Realität besser zu verstehen.

 

* Plan b ist eine Kolumne, die montags und donnerstags in CIMAC, El Universal und verschiedenen Tageszeitungen Mexikos veröffentlicht wird. Ihren Name verdankt sie dem Glauben daran, dass es immer auch eine andere Art und Weise gibt, die Dinge zu betrachten und viele Themen existieren, die sehr wahrscheinlich vom traditionellen Diskurs, dem Plan A, unbeachtet bleiben.

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