Den Papst erwarten in Brasilien neue Proteste

von Andreas Behn

(Berlin, 22. Juli 2013, npl).- Der Papst kommt nach Brasilien. Der Weltjugendtag (23. bis 28. Juli) in Rio de Janeiro ist Anlass der ersten großen Auslandsreise von Franziskus. Das Spektakel im Nachbarland des gebürtigen Argentiniers soll die katholische Kirche für ihre Anhänger*innen wieder attraktiv machen, in keinem Land leben so viele Katholik*innen wie in Brasilien.

Während sich die Stadt auf den Besuch von zwei Millionen Pilger*innen vorbereitet, planen die Einheimischen neue Proteste. Für sie handelt es sich um ein weiteres Megaevent, in einer Reihe mit der Fußball-WM im kommenden Jahr und den Olympischen Spielen 2016. Der Auftakt war der Confed-Cup in vergangenen Juni, ein willkommener Anlass, der Wut über gestiegene Lebenshaltungskosten, Immobilienspekulation und Arroganz der Herrschenden Luft zu machen. Hunderttausende gingen landesweit auf die Straßen, um für bessere öffentliche Dienstleistungen, gegen miserable Verkehrsmittel und Korruption sowie brutale Polizeieinsätze zu demonstrieren.

Proteste gegen Pomp und Geldverschwendung

Immer wieder legten Zusammenstöße mit der Polizei ganze Stadtteile lahm, mit brennenden Barrikaden und Verwüstungen. Zuletzt traf es das Nobelviertel Leblon, wo Hunderte Demonstrant*innen die Wohnung des Gouverneurs von Rio de Janeiro, Sergio Cabral, belagerten. Er ist Symbol für die Verschwendung öffentlicher Gelder für Studienbauten und schlecht durchdachte Millioneninvestitionen in Verkehrsprojekte für die Großveranstaltungen.

Auch die hohen Ausgaben der öffentlichen Hand für das katholische Woodstock werden kritisiert. Mindestens 80 Millionen Euro wird es den Staat kosten, wahrscheinlich liegen die realen Kosten weit darüber. Erfolglos versuchte die Staatsanwalt, eine zwielichtige Ausschreibung für die Übernahme der Gesundheitsversorgung in Millionenhöhe während des Weltjugendtages zu stoppen. So bleibt es der Straße überlassen, die Ausgaben für eine Privatveranstaltung der nicht gerade armen katholischen Kirche zu hinterfragen.

„Der Ruf nach einer gerechteren Welt steht im Einklang mit dem Gedanken des Weltjugendtages,“ kommentierte Orani Tempesta, Erzbischof von Rio de Janeiro, die befürchteten neuen Proteste. Auch Rios Bürgermeister Eduardo Paes, selbst Adressat heftiger Proteste im vergangenen Juni, glaubt, der Papst sei nicht Objekt des Unmuts der Bevölkerung: „Franziskus ist nicht für die Sünden der brasilianischen Politiker verantwortlich. Aber wenn Korrupte beichten sollten, wird der Papst ihnen vergeben.“

Kritiker*innen der Dominanz religiöser Wertemuster in Brasilien wird diese Ironie nicht besänftigen. Feministinnen kündigten einen Slutwalk an, die Schwulenbewegung wird für die Homoehe und gegen das Rollback im Bereich der sexuellen Rechte demonstrieren. Die Cyber-Aktivist*innen von Anonymous kündigten schon zum Empfang des Papstes durch Präsidentin Dilma Rousseff am Montag (22.) Nachmittag Proteste an. Der Geheimdienst warnte bereits vor spontanen Protestaktionen, die über die sozialen Netzwerke organisiert werden. Und die Armee stockte die Zahl der Soldaten auf 10.000 Mann auf, um die örtliche Polizei in Verlauf der Woche zu unterstützen.

Protestantische Pfingstkirchen bedrohen die Vormachtstellung der KatholikInnen

Die katholische Kirche in Brasilien erhofft sich von Papstbesuch neuen Schwung. 65 Prozent der Menschen im größten Land Lateinamerikas sind katholisch, doch zehn Jahre zuvor waren es noch 74 Prozent. Der Mitgliederschwund liegt vor allem an den evangelikalen Pfingstkirchen, die insbesondere in den Armenviertel enormen Zulauf haben. Jeder fünfte Brasilianer geht mittlerweile in protestantische Kirchen, deren Gottesdienste mit viel Musik und populären Predigten die Menschen mehr anziehen als die eher strengeren katholischen Riten. Zudem schätzen Expert*innen, dass gerade mal jeder zehnte Katholik in einer Gemeinde aktiv ist.

„Unsere größte Herausforderung ist, auf die Jugend zuzugehen. Die jungen Leute sollen sich in der Kirche zuhause fühlen,“ so der Erzbischof von São Paulo, Odilo Scherer. Das Image des neuen Kirchenoberhauptes soll Wunder bewirken: Franziskus ist volksnah, gesprächig und bescheiden, ganz so wie es sich die Brasilianer*innen wünschen. Trotz der angespannten Sicherheitslage wird er für das Bad in der Menge auf das gepanzerte Papamobil verzichten.

Der 76-jährige Papst hat sich ein Marathonprogramm vorgenommen. Er wird Favelas, Krankenhäuser und Gefängnisse besuchen. Zwischen Gottesdiensten und Treffen mit Politiker*innen sind Gesprächsrunden mit Jugendlichen sowie Kirchenvertretern geplant. Per Hubschrauber geht es zum 250 Kilometer entfernten Aparecida im Bundesstaat São Paulo, dem wichtigsten Wallfahrtsort Brasiliens.

Zurück in Rio de Janeiro, wird Franziskus im Rahmen des Weltjugendtags am berühmten Strand von Copacabana der Kreuzweg-Inszenierung beiwohnen. Am anderen Ende Rio de Janeiros, im 50 Kilometer entfernten Stadtteil Guaratiba, wird er danach prominentester Teilnehmer des weltweit größten Katholikentreffens sein und die mit Spannung erwartete Abschlusspredigt halten. „Seine Botschaft wird von den Problemen der Menschen handeln, er wird zu den Herausforderungen der Gesellschaft und der Kirche in Lateinamerika Stellung nehmen,“ sagt der brasilianischen Kardinal Raymundo Damasceno voraus. Vier von zehn Katholik*innen leben auf dem Subkontinent, hier soll ihre Kirche zeigen, dass sie der aggressiven Missionierung seitens wortgewaltiger evangelikaler Pfarrer Paroli bieten kann.

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