Dem Präsidenten Barack Obama zur Verleihung des Friedensnobelpreises

von Adolfo Pérez Esquivel

(Quito, 11. Oktober 2009, alai).- Anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises 2009 möchte ich Ihnen zunächst von Herzen gratulieren. Ich hoffe, dass die Auszeichnung dazu beiträgt, den Frieden in Ihrem Land und auf der Welt zu stärken, angesichts der Konflikte und Probleme, in die Ihr Land verwickelt ist. Möge sie den Weg bereiten für eine bessere Verständigung und tiefere Solidarität zwischen den Völkern.

Ich muss jedoch gestehen, dass mich die Vergabe des Preises an Sie überrascht hat. Ich weiß um Ihre politischen und ethischen Ideale und um Ihren Wunsch, die schwerwiegenden Probleme Ihres Landes und der Welt zu überwinden. Sie möchten den Traum Martin Luther Kings Wirklichkeit werden lassen, dieses großartigen Kämpfers, der in Ihrem Land für die Bürgerrechte stritt, der die Ungerechtigkeit überwinden und erreichen wollte, dass alle Menschen wie Brüder und Schwestern in Gleichheit an einem Tisch sitzen und das Brot miteinander teilen – das Brot, das den Körper stärkt und das Brot, von dem der Geist sich nährt – und gemeinsam den Weg der Freiheit beschreiten. Der Friede ist das Band, das Menschen und Völker dauerhaft verbindet und Einigkeit innerhalb der Vielfalt ermöglicht.

Herr Präsident, die Vereinigten Staaten haben mit erheblichen Herausforderungen zu kämpfen, sowohl innenpolitisch als auch auf internationaler Ebene. Es sind politische Entscheidungen notwendig, um die bewaffneten Konflikte beizulegen, an denen Ihr Land beteiligt ist und die die Menschheit bedrohen. Weder ist die Folter abgeschafft worden, noch sind die Gefängnisse der USA in Guantánamo auf Kuba und in Abu Graib im Irak geschlossen worden. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben Sie Ihre mehrfach ausgesprochene Entscheidung, die kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak und in Afghanistan zu beenden, nicht umgesetzt. Die bisher in diese Richtung unternommenen Schritte sind zudem nur zögerlich.

Nach fast 50 Jahren ist die Aufhebung des völkerrechtswidrigen Embargos der Vereinigten Staaten gegen Kuba mehr als überfällig, ebenso wie die Freilassung der fünf in den USA inhaftierten Kubaner. Ihnen wird außerdem seit 10 Jahren der Besuch ihrer Angehörigen verweigert. Dies stellt einen Verstoß gegen das Humanitäre Recht dar.

Mit Ihren Reden wecken Sie große Hoffnungen in uns allen, doch müssen Ihren Worten auch Taten folgen. Neuartige gesellschaftliche, kulturelle und politische Wege, die einen Wandel in den – häufig konfliktreichen und jenseits von Integration, Respekt, Vielfalt und Souveränität liegenden – Beziehungen zwischen den USA und den Völkern erlauben, müssen beschritten werden.

Die Errichtung von sieben US–Militärstützpunkten in Kolumbien ist kein Beitrag zum Frieden. Ganz im Gegenteil, führt dies zur Verschärfung der Konflikte und gefährdet die Demokratien Lateinamerikas. Ein Beispiel ist der Staatsstreich in Honduras, der ohne US–amerikanische Beteiligung gar nicht hätte durchgeführt werden können.

Herr Präsident, Sie stehen großen Herausforderungen gegenüber und wissen, dass ihnen ein Einzelner allein nicht gewachsen ist. Der soziale Paradigmenwechsel kann nur unter Beteiligung und Federführung der Völker erfolgen. Nur mit ihrer Hilfe ist der Aufbau einer gerechten und solidarischen Gesellschaft möglich.

Hören Sie auf die Stimme der Völker. Ignorieren Sie die Einflüsterungen derer, denen allein das Wohl des Finanzkapitals am Herzen liegt und denen ihre eigenen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen mehr bedeuten als das Wohl der Menschheit. Denn das sind genau diejenigen, die unsere Umwelt zerstören, die Bürgerrechte mit Füßen treten, Ausgrenzung vorantreiben und Hunger und Armut sähen.

Die Welternährungsorganisation spricht von 35.000 Kindern, die jeden Tag an Unterernährung sterben. Sie als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und Träger des Friedensnobelpreises müssen bestimmen, welcher Weg zukünftig beschritten wird: Werden Sie weiterhin die Militärausgaben erhöhen, Gefangene foltern und in andere Länder einmarschieren? Oder sind Sie entschlossen, dem Frieden eine Chance zu lassen, den Hunger, den Analphabetismus und die soziale Ungerechtigkeit zu überwinden und einen „neuen Gesellschaftsvertrag“ zu erarbeiten, dem das Verständnis des gegenseitigen Respekts und der Gleichheit aller Menschen zugrunde liegt?

Herr Präsident, ich wünsche Ihnen viel Kraft und Zuversicht, und ich hoffe, dass mit dem Friedensnobelpreis die Regierbarkeit Ihres Landes gestärkt wird, um, das möchte ich noch einmal betonen, dem Wohle der Völker und der Welt zu dienen. Wer diese hohe Auszeichnung bisher erhalten hat, hofft stets, mit den anderen Trägern dieses Preises ein Stück des Weges gemeinsam zum selben Ziel gehen zu können.

Mögen Sie mit Ihren künftigen Entscheidungen den richtigen Weg einschlagen!

Mit brüderlichen und wohlmeinenden Friedensgrüßen

– Adolfo Pérez Esquivel Nobelpreisträger 1980

Buenos Aires, 9. Oktober 2009

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