„Das wichtigste ist, die Diktatur loszuwerden“

(Berlin, 4. Dezember 2018, npl).- Zwar ist es in den vergangenen Monaten in Nicaragua etwas ruhiger geworden. Doch nur mit Mühe kann die Regierung unter Präsident Daniel Ortega die Fassade eines Normalzustandes aufrecht erhalten. Wie geht es nun weiter nach den landesweiten Protesten? Bislang hat haben staatliche Sicherheitskräfte rund 500 Tote zu verantworten. Im Oktober 2018 kamen drei führende Oppositionelle und ehemalige Weggefährt*innen Ortegas nach Berlin, um zu berichten, was sich aus ihrer Sicht in Nicaragua zugetragen hat und wie Auswege aus der Situation aussehen könnten.

Amaru Ruíz Alemán ist Vorsitzender der Umwelt-NGO Fundación del Río, die unter anderem gegen ein Kanalbauprojekt mit gigantischen Ausmaßen im Süden Nicaraguas kämpft. Seine Organisation unterstützt die dort lebenden Indigenen und setzt sich für das Biosphärenreservat Indio Maíz ein – oder das, was nach dem Brand am 3 April noch davon übrig geblieben ist. Ruíz Alemán erzählt: „Der Brand wurde von einem der Siedler verursacht, die zu der Zeit im Schutzgebiet waren. Wir haben sofort die Öffentlichkeit über das Feuer alarmiert und davor gewarnt, dass sich das Feuer bis ins Innere des Naturschutzgebietes ausbreiten könnte, wenn es nicht schnell gelöscht wird.“

Doch die Appelle haben nichts gebracht: Erst viel zu spät schickte die Regierung Soldaten, die es aber nicht schafften, das Feuer zu löschen. Trotzdem lehnte Nicaragua angebotene Hilfe aus Mexiko und Costa Rica ab. Der Grund dafür liegt daran, dass der politische Wille dazu fehlt, vermutet Ruíz: „Es gibt wirtschaftliche Interessen in dem Gebiet: Holz, Palmöl, Bergbau. Und genau diesen wirtschaftlichen Interessen stehen die natürlichen Ressourcen im Weg, die es hier im Südosten noch gibt“.

Nach dem Feuer

Die mangelhafte Unterstützung der Regierung sorgte für die ersten Proteste in Managua, 500 bis 600 Leute gingen auf die Straße. Schon diese Versammlungen wurden gewaltsam unterdrückt. Doch mit dem Versuch der Regierung, die Sozialversicherungs- und Arbeitnehmerbeiträge zu erhöhen und das Renten zu kürzen, eskalierte am 18. April 2018 die Situation. Tausende von Menschen gingen auf die Straße und es kam zu tagelangen Auseinandersetzungen mit Dutzenden Toten. Die Menschen protestierten nun nicht mehr nur gegen die Sozialreform, sondern forderten den Rücktritt der Regierung.

Mónica Baltodano ist wohl eine der bekanntesten linken Kritikerinnen der Regierung von Daniel Ortega und seiner Frau, der Vizepräsidentin Rosario Murillo. Baltodano war Kommandantin der Revolution von 1979 und langjähriges Führungsmitglied des Frente Sandinista, FSLN. 2005 hat sie mit Daniel Ortega gebrochen und ihre eigene Oppositionsgruppe Rescate del Sandinismo (den Sandinismus retten) gegründet. Für Mónica Baltodano kamen die Ereignisse ab dem 18. April unerwartet: „Es herrschte eine absolute Kontrolle, fast wie in einer Monarchie. Die Versammlungsfreiheit wurde eingeschränkt. Wenn die Opposition oder andere Protestgruppen auf die Straße gingen, kam nicht nur die Polizei, sondern dann kamen Schlägertrupps. Die Angst und Repression, das war wie ein Kessel unter Druck, der auf einmal explodiert ist.“ Landesweit stieg die Zahl der Toten, aber die Proteste nahmen trotzdem weiter zu, die Demonstrationen wurden immer massiver. Am 30. Mai wurde eine Demonstration mit bis zu einer halben Million Menschen beschossen, 18 Menschen starben. Daraufhin wurden im ganzen Land, auch in abgelegenen Gemeinden, Barrikaden und Straßensperren errichtet.

Kampfgefährten aus Zeiten der Revolution

Der Politikwissenschaftler Julio López Campos ist eine der historischen Führungspersonen der FSLN und war 30 Jahre mit Ortega befreundet. Er beschreibt die Lage so: „Als die Demonstrationen begannen, war die Regierung total isoliert; sie stand kurz vor dem Zusammenbruch.“ Doch dann, so López, habe die Regierung ihre Taktik geändert. Sie habe gezielt falsche Nachrichten verbreitet, konnte so eine eigene Version der Ereignisse in der Öffentlichkeit verbreiten, ihre Anhänger*innen mobilisieren und zu einer Gegenoffensive aufrufen.

López fällt es spürbar schwer zu begreifen, dass der alte Kampfgefährte nun von der Mehrheit der Bevölkerung als blutrünstiger Diktator gesehen wird. „In den Sechzigern war ich Schulsprecher an der größten Oberschule in Nicaragua und Daniel war Sprecher an einer anderen Schule. Wir arbeiten zusammen und organisierten Protestveranstaltungen gegen Somoza, 1959 waren vier Studenten von den Schergen Somozas ermordet worden und wir haben uns koordiniert, um an dieses Massaker an den Studenten zu gedenken. Und heute ist Daniel selbst verantwortlich für den Mord an über 400 Studenten.“

Die politischen Gefangenen müssen raus

Inzwischen sind die Proteste in Nicaragua abgeflaut, viele Oppositionelle sitzen im Gefängnis oder sind geflohen. López meint, der nächste Schritt sei, Daniel Ortega und seine Frau und Vizepräsidentin Rosario Murillo aus der Regierung kriegen, damit zuerst die Repression aufhöre. Die vielen politischen Gefangenen müssten raus, die fast 20.000 ins Exil geflüchteten Nicaraguaner*innen müssten zurückkehren könnenn. Danach könne man darüber reden, wie das Land zu demokratisieren sei. Für Mónica Baltodano ist es eine große Herausforderung, dass die meisten Demonstrierenden den Sandinismus nur als Regierungspropaganda kennen würden. „Wir sind gegen diese Regierung, aber wir sind Sandinisten. Ortega führt einen sandinistischen, linken Diskurs, aber in der Praxis sind seine großen Verbündeten die Banken, internationale Unternehmen, die Millionäre. Keine der rechten Regierungen von 1990 bis 2007 war so repressiv und kriminell wie die Regierung Ortega.“ Und auch Baltodano schließt mit den Worten: „Das wichtigste für die Nicaraguaner*innen ist, die Diktatur loszuwerden. Dann können wir weiterreden.“

Eine Katastrophe für eins der wichtigsten Biotope Mittelamerikas

Unabhängig von den Protesten gegen Ortega liegt das ehrgeizige Kanalprojekt, das ganz Nicaragua durchschneiden soll, erst einmal auf Eis. Das könnte aber nur eine Frage der Zeit sein; zu viele weitere Megaprojekte hängen an dem Kanal, wie der Bau eines Tiefwasserhafens, einer Pipeline und Hotels. Saúl Obregon, ebenfalls Sprecher der Fundación del Río, ist sicher: „Dieses Projekt ist nicht für die lokale Bevölkerung gedacht, sondern für Unternehmen und einen Wirtschaftssektor, der sich in ganz Nicaragua ausbreitet. Es sind multinationale Unternehmen, deren Interesse es vor allem ist, Kosten zu senken. Aber die Umwelt und wir Menschen, die in den Gebieten leben, interessieren sie nicht.“

In der Tat: Der Kanal führt durch den größten Süßwasserspeicher Mittelamerikas, die Vermischung des Süß- und Salzwassers hätte nicht nur für die unmittelbar auf dem Land lebenden Menschen fatale Folgen. Experten rechnen mit irreparablen Schäden für dieses wichtige Biotop. Selbst wenn das chinesische Unternehmen HKND seine Anteile wirklich verkauft, so bleibt doch die Konzession für den Kanal noch 50 Jahre gültig. Für die Fundación del Río und die Gegner*innen des Projekts geht es also auch darum, dass die Konzession widerrufen wird. Darum werden sie weiter kämpfen.

Egal, wie lange sich Daniel Ortega und Rosario Murillo noch an der Macht halten können: Man muss davon ausgehen, das es linke Positionen in Zukunft in Nicaragua sehr schwer haben werden und dass mächtige Gruppen wie der Unternehmerverband, die Kirchen und die Armee alles daran setzen werden, ihren Einfluss zu behalten – ob mit oder ohne Ortega.

Zu diesem Artikel gibt es auch einen Audiobeitrag bei Radio onda, den ihr hier hören könnt.

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