Das Risiko der Gewöhnung

von Giorgio Trucchi

(Quito, 13. Juli 2009, alai).- Gut zwei Wochen nach dem Staatsstreich in dem lateinamerikanischen Land ist Honduras wieder aus den Schlagzeilen der internationalen Presse verschwunden. Die permanente Mobilisierung durch zivilgesellschaftliche Organisationen, soziale Einrichtungen und Gewerkschaftsverbände ist nicht mehr Thema. Die Medienpolitik der De-facto-Regierung ist seit dem ersten Tag des zivil-militärischen Umsturzes darauf ausgerichtet, ein Bild der Ruhe und Ordnung zu vermitteln. In den Augen der neuen Regierung beschränkt sich der Protest auf „ein paar Verrückte“, die sich nicht mit der Realität abfinden wollen.

Nach den Verurteilungen durch die internationale Weltöffentlichkeit, den großen Erwartungen, die in die Rückkehr des Präsidenten José Manuel Zelaya gelegt wurden, und dem gescheiterten Mediationsprozess in Costa Rica haben sich nun auch die internationalen Medien größtenteils aus dem Land zurückgezogen. Während zuvor die Ereignisse in Honduras in den Presseagenturen die Drähte glühen ließen, reduziert sich die Berichterstattung inzwischen auf wenige Zeilen. Mittlerweise scheint es in allgemeinem Interesse, die Wogen so schnell wie möglich zu glätten. Das gilt anscheinend auch für den in Costa Rica unter US-amerikanischer Schirmherrschaft geführten Mediationsprozess.

Mit dem Rückzug der Medien könnte jedoch eine enorme Welle der Repression über die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die die Wiederherstellung der Demokratie fordern hereinbrechen. Doch auch für die im Land verbliebenen internationalen Medien wird die Lage immer gefährlicher. Bereits Mitte Juli wurden die Presseteams von TeleSur und dem venezolanischen Fernsehsender VTV im Morgengrauen verhaftet, danach in ihren Hotels unter Hausarrest gestellt, und es wurde ihnen ausdrücklich untersagt, über die täglichen Ereignisse zu berichten. Die Polizisten versuchten außerdem, die Journalist*innen einzuschüchtern und erklärten, sie sollten am besten direkt nach Hause fliegen, denn „hier gibt es jetzt nichts mehr zu berichten“.

Doch immer noch finden Massenproteste statt. Am Trauermarsch anlässlich der Ermordung des jungen Isis Obed Murillo nahmen etliche Menschen teil, und auch zur Protestkundgebung im Zentralpark von Tegucigalpa kamen viele Honduraner*innen zusammen. Da das Medieninteresse jedoch so stark abgenommen hat, könnte es zu einer Repressionswelle kommen, befürchten die Köpfe der Nationalen Front gegen den Staatsstreich (Frente Nacional Contra el Golpe de Estado).

So wurde am 11. Juli Roger Bados, ein ehemaliger Gewerkschaftsführer und aktiver Putschgegner, vor seinem Haus in San Pedro Sula im Norden des Landes von Unbekannten getötet. Dieser Mord könnte der Beginn einer Serie von Angriffen auf die Aktivistengruppe sein, so wird befürchtet, um in der Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten.

Trotz dieser Situation sieht es nicht so aus, als wolle die internationale Staatengemeinschaft ihren Reden konkrete Taten folgen lassen. Stattdessen hält sie weiter an einer wenig aussichtsreichen Mediationsidee fest, die zudem stark von den ambivalenten Interessen der USA beeinflusst zu sein scheint. Wir sprachen mit Carlos H. Reyes, Generalsekretär der Gewerkschaft der Arbeiter*innen der Getränkeindustrie STIBYS (Sindicato de Trabajadores de la Industria de la Bebida y Similares) und Mitglied des Exekutivkomitees der internationalen LandarbeiterInnengewerkschaft UITA (Unión Internacional de Trabajadores Agrícolas).

– Zwei Wochen Widerstand und Kampf liegen hinter euch. Einige schwierige Zeit, doch es scheint, als habe die honduranische Bevölkerung gut gegen den Staatsstreich gekontert. Wie beurteilst du die Aktivitäten?

– Der Kampf der Volksbewegung hat sich qualitativ sehr verändert. Hätte es keine nationale Koordination des Volkswiderstands gegeben, wären dieser Widerstand und diese Aktionsbereitschaft nicht möglich gewesen. Tatsächlich fungierte die CNRP (Coordinadora Nacional de Resistencia Popular) als Rückgrat der gesamten Protestbewegung. Es ist uns gelungen, unsere Überraschung angesichts des Staatsstreichs und die Angst vor der Repression, die von der De-facto-Regierung ausging, zu überwinden und die größte Demonstration zu organisieren, die dieses Land je erlebt hat. Darüber hinaus gab es zahlreiche Landstraßen- und Platzbesetzungen und andere Mobilisierungen sowie jede Menge politische und kulturelle Veranstaltungen.

– Denkt ihr, dass sich eine Zunahme der Repression abzeichnet?

– Die Putschisten haben gemerkt, dass sie unseren Widerstand nicht so leicht brechen können. Es deutet einiges darauf hin, dass die Repression im Land künftig zunehmen wird. Am Sonntag dem 5. Juli wurde ein junger Mann, Isis Obed Murillo, in der Nähe des Flughafens ermordet, und nicht mal 10 Tage später ist der Bloque Popular-Aktivist und ehemalige FUTH-Funktionär Roger Bados vor seinem Haus in San Pedro Sula erschossen worden. Wir haben auch erfahren, dass die Presseteams von TeleSur und das Kamerateam des VTV aufgefordert wurden, Honduras zu verlassen. Wir denken, dass diese Aggressionen der staatlichen Repression zuzurechnen sind und dazu dienen sollen, uns einzuschüchtern, damit wir unseren Widerstand aufgeben.

-Was habt ihr für diese Woche geplant?

Wir werden mit der Mobilisierung weitermachen. Wir haben eine schwierige Woche vor uns. Der Mediationsprozess in Costa Rica ist gescheitert. Wir hatten von Anfang an gesagt, dass der zu nichts führen würde. Bei dieser Krise gibt es einen nicht zu unterschätzenden Haken, und das ist die Doppelgesichtigkeit der USA. Einerseits verurteilen sie den Staatsstreich und schließen sich der Resolution der OAS an, und andererseits unterstützen sie die Putschisten. Um das zu ändern, ist eine Delegation der Nationalen Front gegen den Staatsstreich in die USA gereist und trifft sich dort mit einigen Senator*innen.

– Die De-facto-Regierung möchte die Welt gern glauben machen, in Honduras sei alles in Butter und es herrsche überall Ordnung. Trägt die abnehmende Präsenz der internationalen Medien dazu bei, dass sie mit dieser Strategie durchkommen?

– Viele Presseleute werden unter Druck gesetzt, damit sie das Land verlassen. Das zeigt, dass es hier sehr wohl was zu verstecken gibt und dass hier sehr wohl ein Staatsstreich stattgefunden hat. Der Fall TeleSur ist beispielhaft. So ein Vorgehen muss auf internationaler Bühne angezeigt werden, und dann müssen auch die Medien zurückkommen, denn sowas zeigt deutlich, dass die Repression im Land schlimmer wird.

– Wie soll es mit den Mobilisierungen auf der Straße weitergehen?

– Wir bleiben dabei, die Wiederherstellung des Rechtsstaates in Honduras und die Rückkehr des Präsidenten José Manuel Zelaya zu fordern. Zelaya bemüht sich, andere Regierungen zu überzeugen, dass sie Druck auf die De-facto-Regierung ausüben. Darüber hinaus brauchen wir die Unterstützung unserer mittelamerikanischen Genossinnen und Genossen. Sie sollen Aktionen an den Grenzen organisieren. Die lateinamerikanischen Organisationen sollen ihre Botschafter dazu drängen, sich mit dem Kampf des honduranischen Volks zu solidarisieren. Hier vor Ort geht der Kampf unaufhörlich weiter.

– Für die UITA haben die Ereignisse in Honduras absolute Priorität. Sie hat sich mit dem Widerstand der kämpfenden Gewerkschaften und Volksorganisationen solidarisch erklärt. Was genau bringt das?

– Durch die Präsenz der UITA in der gesamten letzten Zeit konnten Gewerkschaftsverbände weltweit über die Ereignisse informiert und in einer objektiveren Art und Weise auf dem Laufenden gehalten werden. Hier gibt es ein schwerwiegendes Problem: Hier in Honduras ist es ein Verbrechen, für die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter einzutreten; es ist verboten, für soziale Errungenschaften zu kämpfen. Deshalb unterstützen wir in vielen Punkten die Regierung Zelaya, denn sie hat sich für diese Ziele eingesetzt. In einem von Ultrarechten dominierten Land wie Honduras ist das ein Verbrechen, und wir sind die Kriminellen. Trotzdem kämpfen wir weiter, und wir hoffen, dass unsere Botschaft durch die UITA in die ganze Welt gelangt. Wir stehen vor einer schlimmen Diktatur, und es wird wieder Repression von den Militärs ausgehen, denselben, die in den 80er Jahren vor den abscheulichsten Verbrechen nicht zurückgeschreckt haben. – Giorgio Trucchi – Rel-UITA http://web.archive.org/web/20090719074451/http://www.rel-uita.org:80/internacional/honduras/con_carlos_reyes-3.htm

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