Das Leid der Mütter in Honduras

von Hedme Fátima Castro*

(Fortaleza, 30. April 2012, adital-poonal).- Seit mehreren Monaten schon verfolge ich die Berichterstattungen verschiedener Zeitungen unseres Landes, die unaufhörlich über neue Todesfälle von Jugendlichen berichten. Ihre Überreste werden in verschiedenen Teilen des Landes aufgefunden und weisen Anzeichen dafür auf, dass sie auf die grausamste, makaberste und unmenschlichste Art und Weise gefoltert wurden, die sich eine Mutter nur vorstellen kann.

Dreißig ermordete Jugendliche binnen 20 Stunden

Am Dienstag, dem 25. April diesen Jahres, wurden in weniger als 30 Stunden mehr als 20 Morde verübt. Das Alter der Ermordeten lag zwischen 17 und 25 Jahren. Die Journalist*innen zeigten verstümmelte, verbrannte und kopflose Leichen, junge Körper in Leichensäcken, blutverschmiert… etc. Diese Bilder erweckten den Eindruck, als handele es sich um eine Ausstellung von Menschen, die mit den fortschrittlichsten Techniken der Bosheit, mit Hilfe der absurdesten und sorgfältigsten Grausamkeit und auf eine Art und Weise, die jeglicher Menschlichkeit entbehrt, hingerichtet worden sind.

Bis heute hat es weder sorgfältige Ermittlungen gegeben, durch die jene ihre gerechte Strafe hätten erhalten können, welche die Verantwortung für diese Taten tragen, noch gab es eine eindeutige Stellungnahme seitens der Regierung. Die meisten lesen diese Artikel und kommentieren sie und zu Beginn waren sie entsetzt – später waren sie überrascht und danach ergriff die Teilnahmslosigkeit Besitz von den Honduraner*innen. Schließlich verschwimmen die Meldungen, obgleich brandaktuell, zu vagen Erinnerungen.

Mit Gewalt in den Streifenwagen gezwängt

Am Montag, dem 23. April verließ ich gerade das Einkaufszentrum Metro Mall, als zwei Polizisten einen Jugendlichen mit Gewalt in einen Streifenwagen zwängten. Ich näherte mich, da ich sah, dass sie auf ihn einschlugen, ihm das Handy abnahmen, es auf den Boden warfen und zerstörten. Ich sagte ihnen, dass der Jugendliche das Recht auf einen Anruf hätte, um seine Angehörigen darüber zu informieren, dass er festgehalten werde, vor allem, wenn sie gar keinen Haftbefehl gegen ihn hätten. Auf respektlose und überhebliche Art und Weise sagte mir einer der Polizisten, dass sie ihn nicht anrufen lassen würden, also fragte ich den jungen Mann, wen er anrufen wollte. Mit einem ängstlichen Blick sagte er mir: „meine Mutter, meine Mutter.“ Ich bat ihn, mir die Nummer zu geben und rief an.

Es antwortete die müde Stimme einer Frau im fortgeschrittenen Alter, der die Worte im Hals stecken blieben. Wegen ihrer Stimme sagte ich: „Ihr Sohn wurde gerade an der Metro Mall festgenommen.“ Mit unglaublicher Beklemmung hörte ich die folgenden Worte: „Blut Christi“ und kurz darauf einen Aufschlag, wie von einem Körper, der zu Boden fällt. Ich versuchte wieder anzurufen, doch da ging schon niemand mehr ans Telefon.

Bilder kamen mir wieder zu Sinnen. Scharf und frisch spielten sie sich vor meinem geistigen Auge wie ein neues Video ab: Anfang September 2009 wurde mein Sohn, der nach dem Begräbnis eines Familienangehörigen zusammen mit seinem gerade einmal fünfjährigen Sohn und seiner Frau auf dem Weg nach Hause war, von der Polizei abgefangen. Es waren acht Motorräder und zwei Mannschaftswagen, insgesamt also zweiundzwanzig Sicherheitskräfte, die meinen Sohn festnahmen und alles, auch sein Auto und seine Familie, mitnahmen. Er schaffte es gerade noch meine Nummer zu wählen, so dass ich mithören konnte, was vor sich ging.

Sobald meine Nerven es mir erlaubten, eilte ich zum Ort des Geschehens und mein schnelles Handeln verhinderten, dass sie ihn illegal verhafteten. In diesem jungen Mann erkannte ich die Augen meines Sohnes wieder, machtlos und schmerzerfüllt.

Unverschämte Straflosigkeit

Warum nutzen sie diesen Machtmissbrauch und diese Arroganz nicht dazu, die unzähligen Morde an Jugendlichen aufzuklären, die sich tagtäglich in unserem Land abspielen? Und warum bringen sie, die doch bereits im Besitz der notwendigen Beweismittel zum Nachweis der Schuld sind, die tatsächlichen Verbrecher*innen nicht vor die zuständigen RichterInnen?

Angesichts dieser Situation ist es der mütterliche Schmerz, der mich zum Schreiben zwingt, denn ich schäme mich meiner selbst für mein Schweigen und dafür, dass ich Angst habe Anzeige zu erstatten, mich gegen einen Staat zu äußern, der gescheitert ist, der nicht funktioniert, in dem die Mächtigen des Staates sich zusammengetan haben, um das eigene Land zerstören. In Honduras herrscht eine schändliche und unverschämte Straflosigkeit. Die Korruption zerfrisst hier, vor dem Gleichmut und den Augen aller, das Fundament der meisten öffentlichen Einrichtungen. Es ist ein Land, wo Sicherheitskräfte nicht nur den Aufgaben nicht nachkommen, für die sie überhaupt erschaffen wurden, sondern wo sie sogar Teil und Handlanger für Kriminalität, Drogenhandel und Verbrechen jeglicher Art sind.

Terror soll zum Schweigen bringen

Ich kann nicht ausblenden, dass man eine Epoche des Terrors begonnen hat um zu verhindern, dass die Bevölkerung sich zur Wehr setzt. Eine Epoche des Terrors, die wir überwinden müssen. Dieser Terror hat dazu geführt, dass die Mehrheit jener Mütter, die ihre Töchter und Söhne verloren haben, den Schmerz stoisch ertragen, ohne zu wissen, warum ihre Kinder ermordet wurden. Mütter, Freundinnen, Gefährtinnen, Bekannte und Unbekannte, glaubt ihre nicht, dass wir durch unser Schweigen zu Komplizinnen der aktuellen Misere werden?

Eine Zeitung, die von den Leichen dreier junger Männer aus San Pedro Sula berichtete, die totgeschlagen aufgefunden worden waren, schrieb, dass einer von ihnen ein Tattoo hatte. Es schien, als ob diese Tatsache dazu dienen sollte, den niederträchtigen und grausamen Mord zu rechtfertigen, der das Leben dieser Jugendlichen beendete und Schmerz und Trauer in die honduranischen Familien brachte. Dieselbe Zeitung berichtete am Folgetag, dass es sich um junge Menschen handelte, die studierten und arbeiteten und, dass einer von ihnen der Sohn eines evangelischen Pastors war.

Zusammentun – statt vor Angst zu sterben

Heute fordere ich die Mütter dazu auf, dass wir uns zusammentun. Nicht nur diejenigen, die ein Kind verloren haben, sondern auch wir, die – Gott sei Dank – unsere Kinder noch haben. Es ist nicht möglich mit dieser Angst zu leben, mit dieser Qual, nicht zu wissen, ob unsere Kinder von der Schule oder von der Universität nach Hause kommen werden. Immer wenn sie Mal etwas länger brauchen, verlieren wir vor Angst den Verstand und fangen an, sie anzurufen und zu suchen. Auf dieses Weise haben sie ihre Privatsphäre verloren und die Möglichkeit, mit ihren Kommiliton*innen und Arbeitskolleg*innen Dinge zu teilen und sich in die Gesellschaft einzugliedern. Diese Situation ist auch für sie eine psychische Belastung.

Es ist notwendig, dass wir uns nicht daran gewöhnen, jeden Tag mehr und mehr junge Menschen zu begraben. Heute ist es die Tochter oder der Sohn von Bekannten, morgen der Nachbarn, später kann es unser eigenes Kind treffen. Organisieren wir uns in Vierteln, Siedlungen und Gemeinden lasst uns demonstrieren und den Stopp der illegalen Verhaftungen und der Morde an Jugendlichen fordern!

Respekt für das Leben der Töchter und Söhne

Lasst uns darüber hinaus den Schutz unserer Kinder fordern, denn sonst wird Honduras zu einem Land, dass nur von Erwachsenen und Alten bewohnt wird. Vergesst nicht, wir Mütter können etwas bewegen! Respekt für das Leben unserer Söhne und Töchter!

*Hedme Fátima Castro ist Menschenrechtsbeauftragte des Komitees der Familienangehörigen Verhaftet-Verschwundener in Honduras COFADEH (Comité de Familiares de Detenidos Desaparecidos de Honduras COFADEH)

 

Dieser Beitrag ist Teil unseres Themenschwerpunkts:

CC BY-SA 4.0 Das Leid der Mütter in Honduras von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert