Das Grenzgebiet ist Kriegsgebiet

von Luis Ángel Saavedra

(Lima, 07. November 2008, noticias aliadas).- „Dies war das letzte Mal, dass ich mich irgendwo niedergelassen habe, und von diesem Land wird mich niemand vertreiben. Hier werde ich sterben“, erklärt Eusebio Lucitante, Angehöriger der indigenen Volksgruppe Confán aus der ecuadorianischen Gemeinde Zuquié, die am Ufer des Flusses San Miguel an der Grenze zu Kolumbien liegt. Lucitante ist es leid, unter dem Druck der Paramilitärs und der kolumbianischen Armee in den ecuadorianischen Grenzgebieten ständig von einer Region in die nächste ziehen zu müssen.

Indigene und bäuerliche Gemeinden in Ecuador sind schon seit längerer Zeit der permanenten Bedrohung durch kolumbianische Paramilitärs und Armeeangehörige ausgesetzt. Diese begründen ihre häufigen Überfälle mit der Behauptung, die Bewohner*innen steckten mit der kolumbianischen FARC-Guerilla unter einer Decke bzw. die gesamte Ansiedlung sei in Wirklichkeit ein Guerillalager.

In den letzten drei Jahren wurden insgesamt 17 Angriffe kolumbianischer Militärs auf ecuadorianisches Gebiet registriert, der schwerwiegendste unter ihnen, die Bombardierung Angosturas am 1. März dieses Jahres, hatte zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Ecuador und Kolumbien geführt (siehe Poonal Nr. 795).

Trotz der politischen Spannungen hat das kolumbianische Militär seine Operationen auf ecuadorianischem Gebiet unbeirrt fortgesetzt: So wurden im April in der Ortschaft Barranca Bermeja und im Oktober in General Farfán Personen verhaftet, die das kolumbianische Militär als Komplizen der Guerilla ausmachte. Ob die Verdächtigten die kolumbianische oder die ecuadorianische Staatsbürgerschaft besaßen, spielte für die Armeeangehörigen keine Rolle.

Einige Gemeinden haben sich aufgrund der wiederholten Überfälle komplett aufgelöst, andere sind tiefer in den ecuadorianischen Urwald gezogen.

„Wir müssen weiter in den Urwald gehen, um unsere Familien zu schützen”, erklärt Neptalí Lucitante, ein Bruder Eusebios und Schamane der Ethnie Zuquié. Neptalís Vorschlag stürzt die Familien der Zuquié in erneute Verzweiflung: Allen ist klar, dass der nächste Umzug unmittelbar bevorsteht, denn wieder ist der Krieg bis an ihre Schwelle vorgedrungen.

Für die Bewohner*innen der Uferregionen entlang der Flüsse San Miguel und Putumayo, die im Amazonasgebiet die Grenze zum Nachbarland Kolumbien markieren, brach im Jahr 2000 der Krieg aus. Damals hatten Paramilitärs begonnen, die Guerilla zu vertreiben, die zu diesem Zeitpunkt das gesamte Gebiet der kolumbianischen Region Putumayo unter ihrer Kontrolle hatte. Wie im übrigen Kolumbien setzten die Paramilitärs auch in diesem Gebiet darauf, die Gemeinden, die sie als „soziale Basis der Guerilla“ betrachteten, einzuschüchtern. Dabei richteten sie verheerende Massaker an und verfolgten Verdächtige bis weit in ecuadorianisches Gebiet hinein.

Die an den Ufern des Flusses San Miguel gelegene Shuar-Gemeinde Charip mußte dem Druck der Paramilitärs weichen und spaltete sich beim Versuch, sich tiefer im Urwald neu zu konstituieren, in zwei Teile: Nakays und Charip Nueva. Die Shuar betrachten sich als kriegerisches Volk, das von den Nachbargemeinden gefürchtet wird, dennoch konnten sie den neuen Kriegstechniken einer ihnen fremden Zivilisation nicht standhalten.

Augenfällig ist für Miguel Wambutza, ehemaliger Lehrer der ebenfalls ausgelöschten Shuar-Gemeinde Santa Carolina, die Parallele zwischen den kriegerischen Entwicklungen entlang der Flüsse Putumayo und San Miguel und der Umsetzung des Plan Colombia, eine von den Vereinigten Staaten in Gang gebrachte Initiative zur Bekämpfung des Drogenhandels. Die zu Beginn des Jahres 2000 begonnene Initiative folgt dem Prinzip der subversiven Kriegsführung und hat seither bereits etliche Millionen US-Dollar verschlungen.

„Mit der Umsetzung des Plan Colombia waren wir gezwungen, unser Land zu verlassen. Zu bleiben hätte unseren Tod bedeutet“, erklärt Wamutza, der nun in Lago Agrio, der Hauptstadt der Amazonasprovinz Sucumbíos, lebt und sich mit gelegentlichen Maurerarbeiten über Wasser hält.

Wie Charip und Santa Carolina wurden auch die Kichwa-Gemeinden Kuriyaku, Betano und Shiguango Tarupa und die Cofán-Gemeinde Avié vertrieben.

Auch die chemische Pflanzenvertilgung zur Ausrottung der Koca-Pflanzungen gehört zu den strategischen Maßnahmen des Plan Colombia. Der Einsatz der Chemikalien scheiterte im kolumbianischen Putumayo und führte zur Einrichtung neuer Anpflanzungen auf kolumbianischem Boden, wie zum Beispiel im Süden der Region Nariño.

Was durch die Besprühung ganzer Landstriche mit Pflanzengift vielmehr erreicht wurde, war die Vertreibung etlicher kolumbianischer Gemeinden. So lies sich zum Beispiel eine afrokolumbianische Gemeinde auf der Flucht vor den verheerenden Folgen des Chemikalieneinsatzes am kolumbianischen Flussufer des San Miguel nieder, um genau gegenüber der afroecuadorianischen Ortschaft La Providencia eine neue Gemeinde mit dem Namen San José zu gründen.

„Wir haben mit diesen Menschen nichts zu schaffen, außerdem fügen sie uns erheblichen Schaden zu“, so Felipe Noteno, Bewohner von La Providencia. Vor allem sind es die Fischfangmethoden der Neuankömmlinge, durch die sich die Bewohner*innen von La Providencia gestört fühlen. In San José setzen die Menschen Dynamit zum Fischfang ein, was den Fischbestand erheblich dezimiert, da auch alle kleinen Fische durch die Explosionen sterben. Auch stört, dass die Bewohnerinnen von San José zum Jagen in das Gebiet der ecuadorianischen Ortschaft einfallen, da auf der kolumbianischen Seite des Flusses bereits kein Urwald mehr vorhanden ist.

So initiierte La Providencia ein Treffen mit Vertreter*innen beider Gemeinden, um hinsichtlich der Probleme zu einer Einigung zu kommen. „Sie erschienen daraufhin mit Macheten und Gewehren und erklärten uns, ihnen sei klar, dass die eine Seite zu Kolumbien gehört und die andere zu Ecuador, aber dass auch sie ihre Familien irgendwie ernähren müssten. Uns blieb nur die Möglichkeit, uns schön still zu verhalten“, so Noteno.

Ähnliches erleben auch die Kichwa-Gemeinden am Fluß Putumayo. Auf der Flucht vor den Pflanzenbesprühungen lassen sich nun auch kolumbianische Nicht-Indígena-Gemeinden in Gebieten nieder, die bisher traditionell nur von Indígenas bewohnt wurden.

„Natürlich dulden wir es, dass sie sich hier ansiedeln, schon als Geste der Solidarität, allerdings verstehen diese Menschen nicht, dass dieses Land nicht ihnen gehört, und jetzt wollen sie es sogar verkaufen, um sich woanders niederzulassen“, erzählt Paco Chuji, Präsident des Verbandes der Kichwa-Organisationen in Sucumbíos FONAKISE (Federación de Organizaciones de la Nacionalidad Kichwa de Sucumbíos, Ecuador).

Nach der Bombardierung von Angostura hat das ecuadorianische Heer seine Truppen verstärkt. Für die Gemeinden in den Grenzregionen ist die Anwesenheit des Militärs jedoch alles andere als ein Garant für mehr Sicherheit, denn wie ihre kolumbianischen Kollegen betrachten auch die ecuadorianischen Soldaten die Ortschaften als potentielle Verbündete der Guerilla.

„Das Militär ist nicht in der Lage, zwischen dem normalen Alltag im Grenzgebiet und wirklicher ideologischer Verbundenheit mit der Guerilla zu unterscheiden, deshalb verwechseln sie ständig die erzwungene Zusammenarbeit mit wahrer Komplizenschaft“, erklärt Laura González, Kommissarin des Grenze-Teams der Örtlichen Beratungsstelle Menschenrechte INREDH (Fundación Regional de Asesoría en Derechos Humanos).

Die Lebensbedingungen der Gemeinden haben sich unter dem Druck des ecuadorianischen Militärs sogar noch verschlechtert: Jedes Mal, wenn auf ecuadorianischem Boden ein vorübergehender Lagerplatz der Guerilla entdeckt wird, werden die angrenzenden Gemeinden mit geheimdienstlichen oder militärischen Aktionen überzogen. Selbiges geschah auch in der Kichwa-Gemeinde Santa Rosa in Yanamaru: Zunächst wurde die Gemeinde vom kolumbianischen Militärs angegriffen, die aus Hubschraubern auf die Bewohner*innen schossen, anschließend marschierten ecuadorianische Soldaten in die Ortschaft ein.

Auch das ecuadorianische Heer ist für die Vertreibung von indigenen Ortschaften verantwortlich. „Sie haben uns nicht geholfen, nein, sie haben uns gesagt, wir sollen verschwinden“, erzählt der Lehrer Wambutza, der die Auslöschung der Ortschaft Santa Carolina miterlebte.

Um den Ereignissen in der Grenzregion entgegenzuwirken, hat die ecuadorianische Regierung den so genannten Plan Ecuador entworfen, der sich als umfassendes Maßnahmenpaket zur Intervention und Förderung der Entwicklung in den Grenzregionen versteht. Bisher blieb es jedoch weitgehend bei der reinen Analyse der Lage sowie einigen theoretischen Vorschlägen zur Konfliktlösung.

Selbst Präsident Rafael Correa blieb nichts anderes übrig als einzugestehen: „Der Plan Ecuador hat bisher keine Entwicklung vorangetrieben, sondern verbleibt als reine Empfehlung.“

Mit den militärischen Streitkräften beider Länder gegen sich und unter dem Verdacht stehend, Verbündete der Paramilitärs zu sein, die wiederum bei völliger Straffreiheit in den Grenzregionen agieren, dabei ohne jeden Schutz durch die Regierung, blicken die indigenen Gemeinden an den Uferregionen der Flüsse San Miguel und Putumayo ohne große Hoffnung in die Zukunft. Immer mehr Siedlungen sehen sich gezwungen, sich aufzulösen. Den Bewohner*innen bleibt nur der immer tiefere Rückzug in den Amazonas-Urwald.

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