Das Erdöl bleibt im Boden – ein innovativer Vorschlag für den Klimagipfel in Kopenhagen

von Wolf-Dieter Vogel und Kristin Gebhardt

(Berlin, 08. November 2009, npl).- „Sumak kawsay“ sagen Quechua-Indigenas aus Ecuador, wenn sie von einem guten Leben sprechen. Das Konzept „gut leben“ wurde im Jahr 2008 in die Verfassung des Andenstaates aufgenommen. Der Ökonom Alberto Acosta war damals Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung, also dem Organ, von dem das neue Regelwerk ausgearbeitet wurde. „Wir haben dafür die Erfahrungen und das Wissen der indigenen Völker aufgegriffen und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir einen neuen Lebensstil brauchen. Grundlegendes Element ist die Harmonie des Menschen mit sich selbst und seinen Mitmenschen, im Stadtteil, seinem Land, der Welt und mit der Natur”, erklärt der Mann, der im Jahr 2007 auch Energieminister unter Präsident Rafael Correa war. Gut zu leben bedeute nicht, einen Lebensstil aufrecht zu erhalten, in dem es einigen Wenigen sehr gut gehe und der Rest sehr schlecht lebe. Alle müssten gut leben, meint Acosta.

Innerhalb dieses Konzeptes spielt auch der Kampf gegen die Zerstörung der Natur eine große Rolle. Deshalb macht sich Acosta noch heute für eine innovative umweltpolitische Initiative stark, die im Dezember auf dem UN-Klimagipfel in Kopenhagen für neuen Wind sorgen könnte. Die Idee ist einfach: Entgegen der kapitalistischen Logik schlägt Ecuador vor, einen Teil seines Erdöls nicht zu fördern. Das braune Gold bleibt also im Boden und der Amazonas wird geschont. Im Gegenzug zahlt die internationale Gemeinschaft die Hälfte des Geldes, das dem Staat dadurch an Einnahmen verloren geht.

Acosta meint dazu: „Das ist gut für Ecuador und es ist gut für die Welt. Man schützt die Vielfalt von Pflanzen und Tieren, das Leben einiger dort angesiedelter indigener Völker und man erspart der Menschheit die Kosten für die Reduzierung des Kohlendioxids, das durch die Verbrennung des Erdöls entstehen würde.“ Das Öl, von dem die Rede ist, lagert in einer kleinen Region im Amazonas-Nationalpark Yasuni, nahe der peruanischen Grenze, im so genannten Korridor Isphingo-Tambococha-Tiputini, kurz ITT. Rund 850 Millionen Barrel Schweröl liegen dort unter der Erde, fast ein Viertel der bestätigten Vorkommen des Landes.

Wird das braune Gold abgebaut, setzt sich eine verheerende Kette der Umweltzerstörung fort, die bereits vor über 40 Jahren begonnen hat. Damals bohrte der Texaco-Konzern das erste Loch im Dschungel. Seither ist die Waldfläche Ecuadors auf ein knappes Drittel geschrumpft. Auch Mobil, Elf Aquitaine, Petrobras und andere internationale Erdölunternehmen schlugen Schneisen in den Regenwald. Lecks in den Pipelines verunreinigten Boden und Wasser. Die Lebensgrundlage zahlreicher Indigener wurde zerstört. Nicht zuletzt, weil viele Pflanzen und Tiere einfach verschwanden.

Ähnlich würde es auch den Menschen in der ITT-Region ergehen. Dort leben die letzten indigenen Völker, die den Kontakt zur Zivilisation meiden: Tagaeri, Taromenani, Oñamenane. Es existiert eine Artenvielfalt, wie es sie sonst nirgends auf der Welt gibt. Sollte das Erdöl im Yasuni-Nationalpark gefördert werden, bliebe davon nur noch wenig, die Menschen müssten flüchten.

Alberto Acosta verweist auch auf die Konsequenzen, die der Abbau des Öls für den Klimawandel hat: „Wenn wir das Erdöl fördern, wird dessen Verbrennung einen CO2-Ausstoß von 400 Millionen Tonnen verursachen.“ Die Zerstörung der Wälder werde zudem größere Emissionen hervorrufen. Die Vorteile einer Nichtförderung seien also für die Menschheit enorm. „Es wäre zugleich ein deutliches Signal, dass wir uns auf den Weg zu einer Wirtschaft aufmachen müssen, die unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen überwindet. Dieses globale Problem müssen wir alle auf diesem Planeten lösen,“ sagt der Wirtschaftswissenschaftler.

Bereits im Jahr 2007 überraschte das ecuadorianische Energie- und Bergbauministerium die Welt mit ihrem Vorschlag. 350 Millionen US-Dollar müsse die internationale Gemeinschaft jährlich aufbringen. So könne der Verlust für die Staatskasse Ecuadors kompensiert werden. Im vergangenen Jahr brachte die grüne Bundestagsabgeordnete Ute Kozcy den Vorschlag im deutschen Parlament ein – und hatte Erfolg. „Der gesamte deutsche Bundestag hat diesen Vorschlag Ecuadors unterstützt und ist bereit bei der Planung und Umsetzung des Vorschlags organisatorische und technische Hilfe zu leisten“, so Kozcy. Zwischen 30 und 50 Millionen Euro jährlich werde die deutsche Regierung in den nächsten 13 Jahren zur Verfügung stellen. Das zuständige Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit will dagegen keine konkreten Zahlen nennen, bestätigt aber eine grundsätzliche Zusage.

Die Verantwortlichen in Ecuador kündigten jüngst an, dass die UN-Entwicklungsagentur UNDP Anfang November einen Treuhandfonds ins Leben rufen werde, der das Geld verwalten soll. „UNDP hat diesem Projekt eine Priorität eingeräumt, so dass dieser Treuhandfonds in den nächsten Wochen abgestimmt sein kann“, erklärt Kozcy. Das lässt die Grünenpolitikerin hoffen, dass die Initiative als „Side Event“ auf dem Klimagipfel in Kopenhagen zum Erfolg geführt werden könne. „Bislang hat neben Deutschland auch Spanien seine Unterstützung erklärt, in Kopenhagen wollen wir dafür sorgen, dass auch andere Staaten die Initiative unterstützen,“ so die Parlamentarierin. Es handle sich um ein „revolutionäres Projekt“, weil es von einem Entwicklungsland selbst organisiert werde.

Auch der ITT-Projekt-Gründer Acosta spricht von einer grundlegend neuen Idee, von einer post-materiellen Entwicklungsstrategie. Mit Blick auf den Klimagipfel erklärt er: „Ein kleines Land hat einen revolutionären Vorschlag unterbreitet. Jetzt hat die Welt das Wort.“

(vgl. auch den gleichnamigen Audiobeitrag im Rahmen der Kampagne “Knappe Ressourcen? Gemeinsame Verantwortung” des NPLA: http://www.npla.de/onda/content.php?id=975)

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