Cristina Fernández in Bedrängnis

von Pablo Jofré Leal, Chile

(Fortaleza, 27. November 2012, adital-poonal).- Schwierige Zeiten für den „Cristinismo“: Massenproteste bringen das Unbehagen unterschiedlichster Teile der argentinischen Bevölkerung an der Regierung von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner zum Ausdruck.

Die argentinische Regierung sah sich in den vergangenen beiden Wochen mit Demonstrationen und massiven Streiks konfrontiert. Das politische Projekt, das Präsidentin Cristina Fernández nach ihrer Wiederwahl im Oktober 2011 durchziehen wollte, stößt auf starken Widerstand.

Gewerkschaften gehen auf Distanz zu Regierung

Analysiert man Handeln und politische Ideen des “Cristinismo” im ersten Jahr des zweiten Mandats, so fällt auf, dass eine Reihe von Entscheidungen getroffen wurden, die mit einem hohen politischen Risiko behaftet sind. Sie haben den Spielraum praktisch zunichte gemacht, den der Wahlsieg mit 54 Prozent der Stimmen verschafft hatte. Umso mehr, als die argentinische Opposition zerstritten war. Der Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes CGT (Confederación General del Trabajo), Hugo Moyano, einst ein Verbündeter, ist auf Distanz gegangen – ein Beleg dafür, dass innerhalb des Peronismus ein politischer Kampf abläuft.

Die CGT organisiert unter anderem die argentinischen Lastwagenfahrer*innen und kontrolliert indirekt auch Teile des gewerkschaftlich organisierten Eisenbahnsektors. Dies verleiht der CGT eine große Macht: sie kontrolliert im Grunde den gesamten Transport und die gesamte Logistik, kann also das Land jederzeit lahmlegen. Außerdem verfügt die Gewerkschaft über die Fähigkeit, “die Straße” zu kontrollieren – ein entscheidender Faktor im Peronismus. Deutlich wurde dies am 20. November, als Cristina Fernández den größten Streik erlebte, den es während iherer Amtszeit und der ihres verstorbenen Ehemannes Néstor Carlos Kirchner (2003 bis 2010) gegeben hatte.

Teure Energie-Importe

Da ist die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Argentinien: nicht offizielle Quellen sprechen von einer voraussichtlichen jährlichen Inflation von 25 Prozent. Das Land muss für sehr viel Geld große Mengen an Öl und Gas einführen – 2012 dürften es rund 7 Milliarden US-Dollar sein, was das argentinische Defizit noch erhöht. Investitionen in den Energiesektor sind Mangelware: Folgewirkung der Enteignung des mehrheitlich spanischen Unternehmens YPF. Argentinien hat seither auf internationaler Ebene ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Der politische Analyst Ezequiel Meler erklärt, das argentinische Wachstum habe 2012 eine drastische Entschleunigung erlebt. Die industrielle Produktion gehe zurück, trotz der erfreulichen Agrarexporte, was die gesamte Volkswirtschaft mit nach unten reiße. Dies bleibe natürlich nicht ohne Folgen für den Aufbau von Beschäftigung. Nicht zuletzt die hohen Inflationsraten hätten für die massive Unterstützung gesorgt, die der Streik fand. Trotz der Spaltung der argentinischen Arbeiterbewegung in Gewerkschaften, die für oder gegen die Regierung Fernández sind, habe die Unzufriedenheit politische Trennlinien überwunden, so Ezequiel Meler.

Marode Eisenbahn, keine Bildungserfolge

Fehler hat die Regierung auch in der Bildungspolitik gemacht. Sie gibt zwar fast 6 Prozent des argentinischen Bruttoinlandsprodukts für Bildung aus, aber mehreren Untersuchungen, darunter auch internationale, zufolge hat sich die Qualität der öffentlichen Bildung nicht verbessert. Der argentinische Transportsektor lässt ebenfalls stark zu wünschen übrig: es wird zu wenig in die Modernisierung von Eisenbahn und U-Bahn investiert.

Der Generalstreik vom 20. November hat ein Argentinien gezeigt, das in Aufruhr ist. Der politische Analyst Guillermo Almeyra spricht von einem Fanal für weitere Generalstreiks. Vor allem für den Fall, dass die Regierung sich weiterhin blind zeigen sollte für die sozialen und politischen Auswirkungen der Krise, die Argentinien durchmache. Diese sei nicht nur Folge der weltweiten Krise, sondern auch der Fehler der Regierung Fernández. Gegen diese baue sich eine weitere Front auf, aus ultrakonservativen Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen, die eine mögliche Kandidatur von Daniel Scioli, des ehemaligen Vizepräsidenten (2003 bis 2007 unter Kirchner) und derzeitigen Gouverneurs der Provinz Buenos Aires, unterstützen würden.

Noch ist Verlass auf die Schwäche der Opposition

Der Hochmut der Regierung und ihrer Vertreter*innen haben die Zustimmung zur Politik von Cristina Fernández deutlich sinken lassen. Hinzu kommt der Dauerkonflikt mit der Presse, mit jenen Zeitungen, die die argentinische Mittelklasse liest. Cristina steht also unter Druck, auch wenn die Opposition ein schwaches Bild abgibt, und sich dort bisher keine personelle Alternative für die Führung des Landes abzeichnet.

Es besteht aber eine große Unzufriedenheit bei all jenen, die unter der geringen Qualität der Dienstleistungen am meisten zu leiden haben, ebenso wie unter der grassierenden Inflation. Die Mittel- und Oberschicht wiederum verlangt mehr Sicherheit, mehr Meinungsfreiheit und einen weniger beschränkten Zugang zu Dollars. Der “Cristinismo” steht also von vielen Seiten unter Beschuss.

 

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