Community Radios sind keine Gewinnquelle

von Nils Brock, Rio de Janeiro

(Berlin, 09. Januar 2013, npl).- Angesichts des zunehmenden Drucks, mit dem die brasilianische Verwertungsgesellschaft Ecad (Escritório Central de Arrecadação e Distribuição) die Zahlung für urheberrechtlich geschützte Werke auch in Community Radios durchsetzen will, haben die Menschenrechtsorganisation Article19 und die nationale Vertretung des Weltverbands der Community Radios in Brasilien (Amarc Brasil) rechtliche Schritte eingeleitet, um alle nicht-kommerziellen Radiosender besser vor diesen Forderungen zu schützen.

Ein amicus curiae genanntes Verfahren, ermöglicht es in Brasilien, interessierten Dritten zugunsten Betroffener vor dem Obersten Gerichtshof (STF) zu intervenieren. In Verteidigung der Community Radios, argumentieren Article19 und Amarc Brasil dabei, der Versuch von ECAD, bei gemeinnützigen Sendern auf die gleiche Weise Urheberrechte einzutreiben zu wollen wie bei kommerziellen Radios, stelle ein „offenkundig diskriminierendes und restriktives Vorgehen“ dar, das „zur Kriminalisierung der Community Radios beiträgt“ und „ihr Menschenrecht auf Meinungsfreiheit“ verletze.

Unbezahlbare Rechnungen

Die Dringlichkeit, mittels eines amicus curiae die Richter des STF zum Handeln aufzufordern, beruht nicht auf einer hypothetischen Bedrohung der Meinungsfreiheit. Viele brasilianische Community Radios kritisieren, dass ECAD bereits seit Jahren Rechnungen an sie verschicke, in denen für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Musik eine monatliche Pauschale einfordert wird. Diese, von ECAD als „allgemeine Verpflichtung aller Medien“ dargestellten Zahlungen würden jedoch den nicht-kommerziellen Charakter der Community Radios übersehen, sagt Paula Martins, Leiterin von Article19 in Südamerika, denn „Urheberrechte dürfen nur dann eingetrieben werden, wenn der Gebrauch oder die öffentliche Darstellung der Werke darauf ausgelegt sind, Gewinn zu machen.“

Zugleich könnten Community Radios den finanziellen Forderungen selbst wenn sie wollten nicht nachkommen, da sie entsprechend des Gesetzes keinerlei Förderung aus öffentlichen Mitteln erhalten und auch keine Werbung senden dürfen, sagt Arthur William, Vorsitzender von Amarc Brasil. „ECAD hat einzelnen Sendern monatlich bis zu 500 Reales (ca. 190 Euro) in Rechnung gestellt. Zum Vergleich: der aktuelle Mindestlohn in Brasilien liegt bei 678 Reales (ca. 255 Euro), eine Summe die viele der ehrenamtlichen Radiomacher*innen selbst nicht zum Leben haben“, meint William.

Bedarfsorientierung statt Gleichmacherei

Auch wenn es in Brasilien hunderte betroffene Community Radios gibt, beziehen sich Article19 und Amarc Brasil in ihren juristischen Anstrengungen vor allem auf den konkreten Fall des Ökologischen Community Radios in Rio Camboriú, im Bundesstaat Santa Catarina, von dessen Trägerverein Zahlungen für die „öffentliche Ausstrahlung von Musikkompositionen ohne vorherige Genehmigung der Rechteinhaber“ verlangt werden.

Nachdem ein Gericht in Santa Catarina diese Zahlungsaufforderung für „haltlos“ erklärt hatte, legte ECAD Einspruch ein und beharrt nun weiter darauf, das unterschiedslos alle Medien zu zahlen hätten. Der amicus curiae hält dieser gleichmacherischen Auffassung den möglichen „natürlichen und unprätentiösen Gebrauch“ eines Musikstücks „durch Dritte“ entgegen, der nur „den eigenen oder einen nicht-kommerziellen Bedarf“ deckt. Und in eben diesem Fall könnten weder ECAD noch die Rechteinhaber*innen Ansprüche anmelden. Außerdem, ergänzt Arthur William, sei der Anteil urheberrechtlich geschützter Musik in Community Radios ohnehin geringer als bei den kommerziellen Chart-Sendern. „Unsere Radios fördern sehr stark lokale und unabhängige Musiker und verbinden damit keinerlei Gewinnabsichten.“

Kulturförderung und Medienvielfalt

Der nicht-kommerzielle Charakter der Community Radios ist jedoch nur ein Argument, dass eine Befreiung von Zahlungen rechtfertigt und sich dabei vor allem auf etwas beruft, was diese Stationen nicht tun, nämlich gewinnorientiert arbeiten. Darüber hinaus rekonstruieren Article19 und Amarc Brasil in ihrem Antrag jedoch auch spezifische gemeinnützigen Aktivitäten. “Community Radios, sind ein Mittel der Demokratisierung und erfüllen eine Rolle, die von öffentlichem Interesse ist, denn in ihren Sendungen legen sie besonderen Wert auf künstlerische, kulturelle, informative und Bildungsbeiträge und fördern damit die lokale Kultur, die Verbreitung von Ideen, Traditionen und Gewohnheiten der einzelnen Communities, resümiert Paula Martins.

Aus Sicht der Menschenrechte, argumentiert der Text des amicus curiae weiter, seien es vor allem die Nationalstaaten und ihre Institutionen, die die Meinungsfreiheit in Community Radios garantieren müssen und zwar ausgehend von den Prinzipien der Vielfalt, Pluralität und der Gleichheit aller Medien. Letztere ist dabei im Gegensatz zur “gleichen Besteuerung aller” als einen bewusste “Eingriff des Staates” zu verstehen “um Ungleichheit der Community Radios bei der freien Ausübung ihres Rechts auf Meinungsfreiheit zu verhindern.”

Internationale Standards und systematischer Schutz der Meinungsfreiheit

„Ziel der juristischen Intervention in Brasilien ist es zunächst einmal die internationalen Menschenrechts-Standards bezüglich der Meinungsfreiheit darzulegen“, sagt Paula Martins. Falls nötig, werde man während des laufenden amicus curiae-Verfahrens weitere Beweise präsentieren.

Gleichzeitig fordern Article19 und Amarc Brasil, wie dafür im Gesetz vorgesehen, öffentliche Anhörungen vor dem Obersten Gerichtshof abzuhalten. „Falls es dazu nicht kommt und wir sehen, dass die demokratischen Instanzen unseres Landes sich dem Recht auf Kommunikation nicht annehmen, dann werden wir den Fall der Interamerikanischen Menschenrechtskommission vorlegen”, sagt Arthur William. „Die missbräuchlichen Forderungen von ECAD müssen aufhören, denn sie behindern die freie Meinungsäußerung der Community Radios.”

Auch der Interamerikanische Menschenrechtshof Corte IDH (Corte Interamericana de Derechos Humanos) hat die einzelnen Staaten der Amerikas unlängst auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht die juristischen Rahmenbedingungen, die die Meinungsfreiheit schützen und regulieren, stärker zu systematisieren.

Für weitere Informationen (in Portugiesisch) vgl. den kompletten Text des amicus curiae als PDF-Datei

 

Weiterlesen:

Infoblatt Community Radio: Brasilien   

Kreative Radiolandschaft im Schatten des Medienmonopols

von Nils Brock und Andreas Behn | November 2012

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