Buen Vivir: Nachhaltigkeit als Lebensform

von Louisa Reynolds

(Lima, 07. Februar 2013, noticias aliadas-poonal).- Für die Maya bedeutet das “Buen Vivir” – das „Erfüllte Leben“ – die natürlichen Ressourcen zu schonen. Dies ist für die Einwohner*innen von Totonicapán Programm – für sie haben der Wald, seine Tierwelt, Bäume und Flüsse einen heiligen Wert. Sie gehören zu den K’iché (spanisch: Quiché), der größten indigenen Volksgruppe des Landes und sind Teil der Maya-Ethnie.

Nachhaltiges Wirtschaften im Sinne der Gemeinschaft

In ihrer Gemeinschaft ist der Holzeinschlag in einem Umkreis von zwei Kilometern zu den Wasserquellen streng verboten. Wenn eine Familie einen Baum fällen muss, weil sie Feuerholz benötigt, muss sie vorher das Einverständnis der Dorfvorsteher*innen der indigenen Gemeinschaft einholen und darf nur die ältesten Bäume abholzen. Wenn jemand gegen diese Regel verstößt, wird er oder sie je nach Größe des unrechtmäßig gefällten Baumes bestraft – dies reicht von der Pflicht, fünf neue Bäume an zu pflanzen, bis hin zu einem Bußgeld von 500 bis 800 Quetzales, umgerechnet etwa 64 bis 102 US-Dollar. Um die Erholung des Waldes zu gewährleisten, verteilen die lokalen Dorfvorsteher*innen jedes Jahr im Mai Baumsetzlinge aus einer kommunalen Baumschule, damit jedes Mitglied der Gemeinschaft fünf Bäume an einem gewünschten Ort pflanzen kann.

Die Gemeinschaft überwacht zudem, dass die Regeln für den Wasserverbrauch von sechs Quellen mitten im Wald eingehalten werden, die die beiden Flüsse Motagua und Salamá versorgen. Wenn eine Familie ein Haus bauen möchte, muss sie zunächst die Erlaubnis des lokalen Wasserkomitees einholen. Zudem ist es verboten, Wasser zu vergeuden. Das beinhaltet zum Beispiel, Autos und Motorräder zu waschen. Darüber hinaus muss eine der sechs Wasserquellen immer zugänglich bleiben, um zu gewährleisten, dass die Wildtiere genug zu trinken haben.

Keine Abholzung

Unter diesen Umständen überrascht es wenig, dass Totonicapán die geringste Abholzungsrate im ganzen Land hat. Laut einer Studie des Umweltministeriums lag die durchschnittliche Abholzungsrate in Guatemala zwischen 2006 und 2010 bei einem Prozent, während sie im Departement Totonicapán nur 0,04 Prozent betrug. „Die Bewohner von Totonicapán beuten den Wald nicht aus, sondern schützen ihn. Das ist das Erbe unserer Vorfahren“, erklärte José Santos, Präsident der 48 Regierungsbezirke von Totonicapán.

Diese bemerkenswerte Form der gemeinschaftlichen Organisation reicht bis ins Jahr 1820 zurück, als das Mayaoberhaupt Atanasio Tzul einen Aufstand gegen die exzessiven Steuerabgaben der Kolonialherren anführte. Er kaufte der spanischen Krone den Wald von Totonicapán ab und erlangte die Eigentumstitel des gemeinschaftlichen Grundes. Bis heute werden die historischen Eigentumsurkunden in einer Truhe im Gemeindehaus von Totonicapán aufbewahrt und durch zwei indigene Wächter*innen geschützt.

Widerstand und Selbstverwaltung

Seit den Aufständen von Tzul wurde Totonicapán in 48 Kantone, das heißt, in selbstverwaltete Bezirke, aufgeteilt. Die Einwohner*innen jedes Kantons wählen Komitees, die verschiedene Aufgaben übernehmen, wie zum Beispiel Wasser, Forstwirtschaft, öffentliche Sicherheit, Instandhaltung des Friedhofes oder Familienangelegenheiten.

Ein Vorstand mit einem Präsidenten oder einer Präsidentin koordiniert die Kantone untereinander; er wird jährlich durch die kantonalen Bürgermeister*innen gewählt. Der Präsident oder die Präsidentin vermittelt bei Konflikten aller Art, seien es häusliche Streitigkeiten, Straftaten oder Auseinandersetzungen zwischen indigenen Volksgruppen und den öffentlichen Versorgungsbetrieben.

Dieser Dienst am Gemeinwohl wird nicht vergütet und ist für die Mitglieder der Gemeinschaft verpflichtend; jeder muss mindestens dreimal in seinem Leben in einem Komitee mitarbeiten. Diese Form der Selbstverwaltung existiert Seite an Seite mit dem offiziellen politischen System, auch wenn es manchmal zu Spannungen kommt, beispielsweise wenn die durch das Parteiensystem gewählten Bürgermeister*innen die Legitimität der indigenen Sprecher*innen in Frage stellen.

Das Maya-Volk und das „Buen Vivir“

Der Wissenschaftler Pascual Pérez vom Forschungszentrum Maya Kayb’alan beschreibt das Selbstverwaltungsmodell von Totonicapán, das den Umweltschutz betont, als ein Beispiel dafür, wie die indigenen Volksgruppen Guatemalas das „Buen Vivir“ verstehen – nämlich als Leben in Harmonie mit sich selbst, den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft, der Natur und der Umwelt.

Pérez betont zudem, ein weiteres Beispiel für das Buen Vivir sei es, dass die traditionelle Maya-Landwirtschaft zu 100 Prozent ökologisch sei. „Vor 60 Jahren wurden Düngemittel und Chemikalien zur Schädlingsbekämpfung eingeführt, aber wir haben festgestellt, dass diese unsere Böden auslaugen, dass deren Fruchtbarkeit abnimmt und die Ernten leiden, so dass immer mehr Chemikalien benötigt werden“, erklärt er.

Ökoanbau und solidarische Ökonomie

Laut Pérez nutzen die Maya in der Landwirtschaft Kompost und selbsthergestellte Düngemittel aus organischem Material, zum Beispiel aus Strohverschnitt. Die Pflanzen werden so gesetzt, dass sie sich gegenseitig optimal mit Nährstoffen versorgen.

Beispielsweise werden Bohnen und eine Kürbissorte, die man „Ayote“ nennt, um den Mais herum in Mischkultur, der so genannten „Milpa“ angepflanzt. So spenden die Kürbispflanzen Schatten und Feuchtigkeit und die Hülsenfrüchte speichern das Nitrat im Boden. Die indigenen Bäuerinnen und Bauern lehnen auch Monokultur und genetisch verändertes Saatgut ab.

Viele Produzent*innen, so Pérez, haben die Subsistenzwirtschaft hinter sich gelassen und exportieren nun Kaffee und andere Produkte. Sie sind nicht gegen neue Technologien oder Exporte per se, solange die Landwirtschaft nachhaltig und biologisch bleibt. „Grundsätzlich für eine solidarische Ökonomie ist einen hoher Grad an gemeinschaftlicher Produktion, ökologische Landwirtschaft sowie als oberstes Ziel das Wohl und das Fortbestehen der ländlichen Gemeinschaft“, so Pérez.

Gesetzentwurf seit 2009 vom Parlament blockiert

Der Glaube der Maya an Nachhaltigkeit und Umwelt ist die Basis des Gesetzes zur ganzheitlichen ländlichen Entwicklung. Ziel des Getzes ist es, die Nahrungssicherheit durch den demokratischen Zugang zu Land zu gewährleisten. Es wurde 2009 vorgestellt, aber vom Kongress zurückgehalten. Die Großgrundbesitzer*innen, denen 70 Prozent aller Anbauflächen gehören, befürchten, dass durch das Gesetz das semi-feudale Besitzmodell ins Wanken geraten könnte.

“Es gibt viele vereinzelte Beispiele für das Buen Vivir, aber Strategien oder Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung wurden nie formuliert.” Das Problem sei, so Pérez, dass in den Ministerien Interessenvertreter*innen der großen, traditionsreichen Unternehmen arbeiteten.

 

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