Biolandwirtschaft als Alternative zum Agrobusiness

Von Andreas Behn, Rio de Janeiro

(Rio de Janeiro/Berlin, 06. November 2016, npl).- Mit kräftigen Macheten-Hieben trennt Maycon Reck die Bananenbüschel von den Stauden. Dann zerhackt er die Stämme und die großen Blätter. Die Pflanzenreste verteilt der junge Landwirt auf dem Feld. Die Ernte ist nicht üppig, vor kurzem hat es nachts gefroren, was im südbrasilianischen Bundesstaat Paraná sehr ungewöhnlich ist. Maycon und seine Familie nehmen es gelassen. Sie setzen auf biologische Landwirtschaft und auf eine große Vielfalt an Nutzpflanzen. „Verschiedene Blattsalate, Rucola, Chicorée, Brokkoli und Blumenkohl“, zählt Maycon Reck auf. „Und natürlich Bananen. Gleich daneben stehen einige Guavenbäume, die von alleine keimen. Darum geht es uns: Die Pflanzen bewahren, die hier schon heimisch sind“, sagt Maycon.

Es funktioniert wie ein Kreislauf

Der junge Landwirt ist begeistert bei der Sache. Gemeinsam mit seinen Brüdern will er den Bio-Anbau des Familienbetriebs weiterentwickeln. Sie setzen auf Agrarökologie. Maycon zeigt auf das Wasser, das aus den geschlagenen Bananenstauden trieft und die kleinen Melonen-Pflanzen darunter befeuchtet. Es funktioniert wie ein Kreislauf, erklärt der 19-Jährige: „Agrarökologie bedeutet, dass verschiedene Pflanzenarten nebeneinander wachsen, die biologische Vielfalt bewahrt bleibt und das ganze System selbstversorgend ist. Nichts wird von außen eingebracht. Ein Insekt frisst das andere, alles ist im Gleichgewicht.“

Dass Maycon sich für den heimischen Bauernhof seiner Eltern interessiert, ist in Brasilien eher die Ausnahme. Das Arbeiten auf dem Land gilt als Plackerei, die kaum Einkommen bringt und weniger Perspektiven bietet als das Leben in der Stadt – gerade für junge Menschen.

Bei Recks ist das anders, seitdem Maycons Vater Waldir den Familienbetrieb zu einem Biohof machte. Er hatte gute Gründe: „Ich selbst habe mich früher einmal vergiftet, durch ein Pestizid. Ein Arzt stellte Gift in meinem Blut fest. Dabei hatte ich nur eine kurze Zeit Pestizide versprüht.“ Damals war Waldir Reck noch keine 20 Jahre alt. Seitdem benutzt er keinerlei Pflanzengifte mehr.

Genveränderte Monokulturen sind Alltag – Bio die Ausnahme

Waldir weiß, dass Biolandwirtschaft kein Weg zu schnellem Reichtum ist. Ein Teil der Ernte wird zuhause konsumiert, der Rest verkauft. Doch Bioprodukte sind in Brasilien nicht in Mode. Meist sind sie teurer als

chemisch behandelte Lebensmittel und haben nur einen kleinen Markt. Der entscheidende Mehrwert ist für Waldir und seine Familie das gesunde Essen: „Also wenn ich das Geld in meiner Tasche zähle, muss ich sagen, dass wir noch nicht in die Mittelklasse aufgestiegen sind. Aber das, was wir heute essen… dazu hat die Mittelklasse keinen Zugang. Nicht einmal die ganz Reichen. Das meiste, was wir essen, stellen wir selbst her, und es sind gesunde Produkte“, sagt Waldir überzeugt.

Jenseits des kleinen Idylls der deutschstämmigen Familie Reck ist die Landwirtschaft in Brasilien von Monokultur und genetisch verändertem Saatgut geprägt. Das Agrobusiness ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes und wird mit Milliardenbeträgen vom Staat gefördert. Soja, Mais und Getreide gibt es fast nur noch genetisch verändert. Ein Großteil davon wird exportiert und in Europa oder den USA zu Tierfutter verarbeitet.

Landflucht durch Großgrundbesitz und Agrobusiness

Neben dem zweifelhaften Einsatz von immer mehr Pflanzengift tragen Großgrundbesitz und Agrobusiness auch zur Landflucht bei. Soziale Bewegungen wie die der Landlosen (MST) und Nichtregierungsorganisationen (NRO) unterstützen die familiäre Landwirtschaft, um eine Abwanderung in die Armenviertel der Städte zu verhindern. Es geht um das Recht auf Land und auf gesunde Ernährung. Unterstützung und Beratung der Familien auf dem Land ist für Ingrid Giesel von der NRO Capa der erste Schritt für ein Umdenken in Richtung ökologische Landwirtschaft: „Die Familien, die an unseren Treffen und Workshops teilnehmen, ändern peu à peu ihre Essgewohnheiten. Und sie wenden im Anbau weniger Pestizide an.“ Oft geschehe dies gegen den Willen der Männer in den Familien, berichtet Ingrid. Es sei leichter, über die Frauen und Jugendlichen Zugang zu den Familien zu bekommen.

Die Organisation Capa entstand in den 1970er Jahren und richtete sich ursprünglich vor allem an die Nachfahren deutscher Siedler*innen, die vor und nach dem Ersten Weltkrieg nach Südbrasilien kamen. Inzwischen hat die NRO Hunderte Bauern und Bäuerinnen in Kooperativen organisiert, leistet technische Hilfe und fördert den Aufbau von Vertriebsstrukturen für Bioprodukte.

Auch Familie Reck profitiert von der Arbeit von Capa und anderen Organisationen, die sich für eine nachhaltige Agrarreform einsetzen. Doch der jüngste Regierungswechsel ist für viele ein Dämpfer. Capa-Aktivist Jhony Luchmann befürchtet, dass nach der Absetzung von Präsidentin Dilma Rousseff ein Rollback in der Landwirtschaft stattfinden wird. „Die neue Regierung interessiert sich nicht für die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Sonst hätte sie nicht gleich das Ministerium für Agrarentwicklung abgeschafft“, kritisiert Jhony. Er geht davon aus, dass es mit dieser Regierung gewaltige Rückschritte für die familiäre und die ökologische Landwirtschaft geben wird.

Gutes Geld – im Teufelskreis von Gensaatgut, Chemiekeule und Knebelverträgen

Szenenwechsel. Roberto Carlos Polidor schreitet über sein gerade geerntetes Maisfeld. Er bewirtschaftet hunderte Hektar Land im Bundesstaat Paraná: Soja, Mais und Bohnen, ausschließlich aus genverändertem Saatgut. Er ist zufrieden, hat ein gutes Einkommen und muss nicht schuften. Bio und Chemieverzicht ist für ihn keine Alternative. „In meinem Fall macht die Größe der Felder den Unterschied. Bei diesem Umfang ist es nicht möglich, auf Pestizide zu verzichten“, sagt Roberto. Ihm ist bewusst, dass die großen Agrarkonzerne das Sagen haben: „Du musst alles von ihnen kaufen, vom Anfang bis zum Ende. Auch die Samen kommen vom gleichen Unternehmen wie das Gift. Entweder Syngenta oder Monsanto. Denen gehört alles, und ganz Brasilien ist von ihnen abhängig“, kritisiert Roberto.

Da bei Roberto die Kasse stimmt, stört es ihn nicht, im Teufelskreis von Gensaatgut, Chemiekeule und Knebelverträgen zu produzieren. Er ist sich durchaus bewusst, dass seine Produkte für den menschlichen Verzehr eigentlich nicht geeignet sind: „Meine Frau und ich, wir essen ausschließlich Bio-Produkte, obwohl ich selbst mit Gensaatgut anbaue. Irgendjemandem werden diese Lebensmittel schaden, mit Sicherheit“, sinniert Roberto und schmunzelt. „Vielleicht trifft es ja euch in Europa, wenn ihr mein Soja importiert.“

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