Bajo Aguán – Militarisierung, Angst und Tod

von Carlos Iaquinandi*

(La Paz, 23. August 2011, bolpress).- Die Regierung von Porfirio Lobo unterstützt die Interessen des agroindustriellen Sektors, den ein paar honduranische Familien kontrollieren. Dies ist gewissermaßen als Fortsetzung des Militärputsches vom Juni 2009 zu sehen, bei dem der gewählte Präsident Manuel Zelaya aus dem Amt gejagt wurde. Unter dem Vorwand, das Gebiet “befrieden” zu wollen, wurden Polizeikräfte und Militär in die Region Bajo Aguán entsendet.

Dies hat jedoch zur Militarisierung der Provinzen Colón und Zacate Grande geführt. Die dortigen Bauernfamilien dort werden vermehrt bedroht und verunsichert. Mit seiner Entscheidung unterstützt Lobo faktisch die Großgrundbesitzer*innen, die in dieser Gegend große Ländereien besitzen auf denen Ölpalmen angebaut werden. Angeführt werden die Landbesitzer*innen vom wohlhabenden und einflussreichen Unternehmer Miguel Facussé Barjum.

Historischer Abriss: Die verkorkste Landreform

Der Konflikt ist alles andere als neu und hat seinen Ursprung in der Forderung von Bauernfamilien nach Zugang zu nutzbarem Land. Die Landreform von 1974 hat eine Obergrenze von 300 Hektar festgelegt, doch in der Praxis wurde die Reform so zaghaft angewendet, dass sie weder die Existenz von Latifundien (Großgrundbesitz), noch von Minifundien (kleine Landparzellen) beenden konnte. Immerhin hat die Regierung Gelder investiert, um die ökonomische Infrastruktur im Tal von Bajo Aguán zu verbessern; Straßen und ein Abwassersystem wurden errichtet.

Mit der Landreform sollten zwei Ressourcen gefördert werden, die in Honduras reichlich vorhanden sind: Land und Arbeitskraft. Ziel der Reform war es, die ländlichen Strukturen in Honduras so zu verändern, dass die Landbevölkerung an der Entwicklung des Staates partizipiert. Mit dem Anbau von Zitrusfrüchten, Ölpalmen und deren industrieller Weiterverarbeitung wurden Arbeitsplätze in ländlichen und urbanen Gebieten geschaffen – die Region mit Tocoa als Hauptstadt entwickelte sich.

Rafael Callejas: Kommando zurück

Im März 1992 verabschiedete die Regierung von Rafael Callejas das “Gesetz zur Modernisierung und Entwicklung des landwirtschaftlichen Sektors” (Ley para la Modernización y Desarrollo del Sector Agrícola). Dieses Gesetz bedeutete einen Strategiewechsel und förderte die Konzentration von Eigentum in großen Landgütern; zudem wurden Landnahme und Enteignung seitens der Behörden untersagt.

Die neue Regelung steigerte das Interesse der Großunternehmen, die schließlich Landgüter mit tausenden von Hektar erwarben. Diese neoliberalen Praktiken förderten Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung der Landbevölkerung, da die Landbesitzer*innen Arbeitsplätze abbauten und die Löhne kürzten. Im Zusammenspiel mit dem Bevölkerungswachstum schufen diese Maßnahmen ein Szenario, das die Auseinandersetzungen zwischen landlosen und lohnabhängigen Bauern und Bäuerinnen sowie den Großgrundbesitzer*innen begünstigte.

Einige von ihnen, wie der mächtigste Palmölunternehmer Miguel Facussé, wurden beschuldigt, sich tausende Hektar Land mit betrügerischen Mitteln angeeignet und nur zehn Prozent des tatsächlichen Wertes dafür bezahlt zu haben. Und in den letzen Jahren machte die lokale Bauernorganisation Vereinigte Bauernbewegung von Aguán MUCA (Movimiento Unificado Campesino del Aguán) eben jene Gruppe von Großgrundbesitzer*innen für Morde und andere Angriffe verantwortlich, die deren bewaffneten Wachschützer*innen unter der Bevölkerung begangen haben sollen.

Großgrundbesitzer Miguel Facussé

Miguel Facussé ist Eigentümer von Unternehmen wie Químicas Dinant, Mejores Alimentos, Exportadora del Atlántico sowie von Palmölfabriken in der Region Bajo Aguán, die von internationalen Kreditinstituten wie etwa der Weltbank finanziert wurden. Facussé war einer der Hintermänner des Putsches gegen Manuel Zelaya, der ein Feind der Interessen des Großgrundbesitzers war, da Zelaya den Beschwerden der Bauern und Bäuerinnen Gehör geschenkt und einen Mindestlohn für Arbeiter*innen festgelegt hatte.

Die Regierung von Porfirio Lobo ‒ die aus Wahlen der De-facto-Diktatur von Roberto Micheletti hervorgegangen und daher illegitim ist ‒ hat nie einen wirklichen Dialog mit den Bauernorganisationen gesucht und auch keine Maßnahmen ergriffen, um eine friedliche Lösung für den Landkonflikt zu suchen. Sie hat weder versucht, die Einhaltung der Menschenrechte politisch durchzusetzen, noch öffentliche Sicherheit herzustellen oder die Straflosigkeit zu bekämpfen. Während der Amtszeit von Präsident Lobo wurden zahlreiche Morde angezeigt, die sich vor allem in den beiden Großstädten San Pedro Sula und Tegucigalpa ereigneten. Unter den Opfern sind auch 14 JournalistInnen.

Anstatt Wege zu finden, eine nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft zu fördern, hat Lobo weiterhin das Modell des Handels mit und der Anhäufung von Ländereien unterstützt. Deshalb fordern MUCA und die Bauernfamilien nach wie vor vom Staat einen besseren Zugang zu kultivierbarem Land. Die Regierung scheint sich hingegen nur Sorgen um die Oligarchie der Landbesitzer*innen und die nordamerikanischen Multis zu machen, die in dieser Region aktiv sind.

Lobos gebrochene Versprechen

Im April 2010 hat MUCA ein Abkommen mit der Regierung geschlossen. Dort wurde festgelegt, dass den Bauernfamilien 3.000 Hektar Land mit Ölpalmen und weitere 3.000 Hektar unbestelltes Land übergeben werden sollten. Lobo versprach damals, dass weitere 5.000 Hektar in einem Jahr überreicht werden würden. Dieses Versprechen sei nicht erfüllt worden, beklagen die Bäuerinnen und Bauern. Ein aktueller Bericht der Internationalen Kontrollmission (Misión de Verificación Internacional) bestätigt, dass die Regierung ihre Versprechen nicht erfüllt hat.

Zudem stellt der Bericht fest, dass nach dem Militärputsch von 2009 in Honduras die Zahl der Morde, Drohungen und Einschüchterungen gegen Bauern in Bajo Aguán angestiegen ist. Weiter heißt es dort: “Die Kriminalisierung des sozialen Protestes, vor allem der LandarbeiterInnenbewegung, hat dazu geführt, dass den Anführer*innen dieser Gemeinden alles Mögliche zur Last gelegt wird. Im Zusammenspiel mit der fragwürdigen Unparteilichkeit bestimmter Medien hat dies zu einer Stigmatisierung und Kriminalisierung der Bäuerinnen und Bauern in Bajo Aguán geführt.”

Militarisierung, Angst und Tod

In Bajo Aguán gibt es bereits einen Marinestützpunkt, ein Armeebataillon, Polizei und hunderte private Sicherheitskräfte. Diese bereits bestehende Militarisierung wurde vor kurzem noch verstärkt, als die Regierung die Operation “Xatruch II” startete. Nach Angaben des Sicherheitsministers Oscar Alvarez setzt diese Operation 1.000 Polizisten und Soldaten in dieser Region in Bewegung.

Bauernorganisationen beklagen aufgehaltene oder umgeleitete Fahrzeuge, Willkür und gewaltsame Angriffe auf Bewohner*innen der Gemeinden. Im letzten Quartal des Jahres 2010 wurden in dieser Region 16 Menschen ermordet. Diese Zahl hat sich in diesem Jahr verdoppelt. Und in den letzen Wochen wurden gezielt Straftaten gegen Anführer*innen oder Angehörige der Bauernorganisationen verübt. Kein einziger dieser Angriffe ist bisher aufgeklärt worden.

Gewehrkugeln für MenschenrechtlerInnen

Am 23. Juli wurde Julián Alvarenga ermordet. Er war ein beliebter Funktionär von MUCA und leitete das landwirtschaftliche Unternehmen Isla Uno am linken Ufer des Flusses Aguán. Ein weiterer Bauer, Santos Dubón, wurde schwer verletzt. Die Tat ereignete sich in der Nähe des Marktes von Tocoa, wo beide Lebensmittel kauften. Am 14. und 15. August gab es mehrere bewaffnete Auseinandersetzungen in Colón, die elf Tote und 15 Verletzte forderten.

Um den 20. August wurden die Obstpflücker José Concepción Guevara, Ever Laín Hernández und Nelson David Hernández in der Farm El Camarón in Bonito Oriental angeschossen und zu einer Notaufnahme in Tocoa gebracht. Wenige Tage darauf wurde der Koordinator der Bauernbewegung für die Landrückforderung in Aguán MARCA (Movimiento Auténtico Reivindicador Campesino del Aguán), Secundino Ruiz Vallecillo erschossen. Bei diesem Angriff wurde zudem Eliseo Pavón Avila verletzt. Und am Sonntag, 21. August, wurden der stellvertretende Vorsitzende der MUCA, Pedro Salgado und seine Frau Reina Mejía in ihrem Haus durch Schüsse und Machetehiebe von Unbekannten getötet.

“Wir wissen, dass alle, die in diesem Land für ihre Rechte kämpfen, mit Kugeln gejagt werden; und das passiert auch in dieser Gegend”, kommentierte Johnny Rivas, Generalsekretär der MUCA. Es sei doch seltsam: Wenn das Aguán-Tal unter militärischer Kontrolle stehe, wie könne es dann sein, dass es Verbrecher*innen möglich ist, völlig straffrei zu agieren? Die Morde an den Funktionären, ist sich Rivas sicher, “wurden von den Großgrundbesitzern geplant, um uns einzuschüchtern, den Prozess, in dem wir uns befinden, zu stoppen und die Region mit Terror zu überziehen.”

Der schöne Schein

Die Regierung von Porfirio Lobo hat einen demokratischen Anstrich, doch mit ihren Taten verfolgt sie die wichtigsten Ziele der Regierung des Putschisten und Diktators Micheletti.

Die vereinbarte Rückkehr des Ex-Präsidenten Zelaya und die relativ zahmen Aktionen der Widerstandsfront haben Lobo dabei geholfen, eine gewisse “Rechtmäßigkeit” zu erhalten, zunächst von den lateinamerikanischen Regierungen und später vom Rest der Welt. Dabei kann er auf die ständige Rückendeckung der Medien zählen, deren Besitzer*innen fast alle jenen “Familien” angehören, die unrechtmäßig die wirtschaftliche und politische Kontrolle des Landes innehaben. Kurz zur Erinnerung: Die Tageszeitungen “La Prensa” aus San Pedro Sula und “El Heraldo” aus Tegucigalpa gehören Jaime Larach Canahuati, der zu diesen “Familien” zählt und dieselben Interessen verfolgt. Hauptaktionär von “La Tribuna” aus San Pedro Sula ist Ex-Präsident Carlos Roberto Flores Facussé, der natürlich ein Verwandter des gleichnamigen Großgrundbesitzers ist.

Mediale Gleichschaltung

Der Unternehmer und Banker Jaime Rosenthal Oliva ist Besitzer der Zeitung “Tiempo” aus Tegucigalpa. Das honduranische Fernsehen kennt praktisch nur einen Chef: José Rafael Ferrari, Besitzer eines landesweiten Sendernetzes, zu dem unter anderem die Sender Canal 5, 7 und 13 gehören. Obendrein gehören ihm auch mehrere Ketten von Radiosendern.

Das Ganze ist ein medialer Chor, in dem dieselben “Nachrichten” erklingen, in denen mit Manipulationen und Lügen versucht wird, das zu verschleiern, was wirklich passiert. Die Verbindung zwischen Medien und Macht ist so stark, dass die Medien während der Diktatur von Micheletti erklären konnten, dass “die Presse ohne Einschränkungen arbeiten” könne – denn die Einzigen, die verfolgt, zensiert und beschossen wurden, waren die kleinen und alternativen unabhängigen Medien, die weiterhin ihre unabhängigen Informationen verbreiten wollten.

Volk im Widerstand

Die Nordküste und die Grenze zu Guatemala sind hochgefährliche Gebiete voller Drogenhändler*innen. Das Ersetzen der Polizei durch private Sicherheitskräfte hat das Konzept der öffentlichen Sicherheit völlig auf den Kopf gestellt. Der Bericht der “Wahrheits- und Versöhnungskommission”, die von der Regierung Lobo ernannt worden ist und angeblich die Verantwortung für den Putsch 2009 aufklären sollte, hat die Verantwortung hierfür salomonisch zwischen Manuel Zelaya und denen, die ihn stürzten, verteilt.

Zwar stellte die Kommission fest, dass es ein Putsch war und keine “verfassungsgemäße Ablösung”, wie der Interimspräsident Roberto Micheletti behauptet hatte. Doch das Urteil der Kommission hatte keinerlei praktische Auswirkungen. Militärführer, die sich dafür hergaben, die Verfassung und Gesetze zu verletzen, wurden mit hohen Posten „belohnt“, mit deren Pfründen sie getrost ins Privatleben abtreten können. Die Straflosigkeit schließt auch den Ex-Diktator Roberto Micheletti mit ein, der “Galionsfigur” des Putsches, der die Regierung Zelaya gestürzt hat.

Verarmtes Land voller Reichtümer

Der Konflikt in Bajo Aguán ist nur eines von vielen Symptomen der Kontinuität eines Machtgefüges, das auf der politischen, ökonomischen und sozialen Kontrolle von einigen Minderheiten zum Nachteil des Großteils der honduranischen Bevölkerung beruht. Erinnern wir uns, Honduras ist eines der ärmsten in Lateinamerika: über 60 Prozent der Menschen in diesem zentralamerikanischen Land sind arm und das jährliche pro-Kopf-Einkommen (das natürlich absolut ungleich verteilt ist) liegt bei 2.600 Euro. San Pedro Sula, wichtigste Industriestadt und drittgrößte Stadt des Landes, ist eine der gefährlichsten der Welt.

In einer kürzlich von der Widerstandsfront herausgebrachten Analyse zur Lage der Nation wird betont, es gäbe “in Honduras keine Armen, sondern nur Verarmte. Das Land verfügt über bedeutende Reichtümer wie Wasser, fruchtbare Täler, Mineralien und Wälder; aber die Oligarchie als Verwalterin der Macht hat sich all dieser Ressourcen bemächtigt und beutet sie ausschließlich zum eigenen Nutzen aus. Der Rest der Bevölkerung wird so zu unmenschlichen Lebensbedingungen verdammt. Das sind die wichtigsten Merkmale dieser Staatsform; Ausbeutung, Ausgrenzung, Korruption und Repression.” Die Aktivist*innen der Widerstandsfront fordern eine Veränderung dieser Staatsform, “eine Veränderung, welche die volle Beteiligung der Bevölkerung bei Angelegenheiten von nationalem Interesse gewährleistet, als Ausdruck des freien Willens. Das heißt, wir fordern mehr Demokratie. Eine neue Verfassung.”

Jetzt, da sich der ehemalige Präsident Zelaya wieder im Land befindet, führt er Demonstrationen und Aktivitäten der Nationalen Widerstandsfront FNRP (Frente Nacional de Resistencia Popular) an. Er hofft, mit ihr bei den Wahlen 2013 antreten zu können. Das ist eine schwierige, mit viel Organisation und Kampf verbundene Aufgabe für das honduranische Volk, das von Armut, hoher Jugendarbeitslosigkeit und ständigem Verfolgungsdruck gequält wird. Doch dieses Brudervolk – das den Spruch “Was heißt hier Angst?” (¿Quien dijo miedo?) geprägt hat – hat oft genug bewiesen, dass es fähig ist zu kämpfen und Widerstand zu leisten.

 

(* Der Autor ist Redakteur des lateinamerikanischen Radioportals Serpal)

 

 

 

 

 

Hier noch der Trailer eines Films zum Thema:

„¿Quien dijo miedo? – Was heißt hier Angst?“ (Spanisch)

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http://quiendijomiedofilm.blogspot.com/

 

 

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