Bachelet bei den Mapuche – Ein unerledigtes Kapitel

(Montevideo, 31. Dezember 2015, la diaria).- Zum ersten Mal in ihrer zweiten Amtszeit reiste die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet in die südchilenische Region La Araucanía. Dort traf sie sich mit Vertreter*innen der Menschen, die im Zuge des Mapuchekonflikts Opfer von Gewalt geworden waren und verpflichtete sich, eine Arbeitsgruppe zur Entwicklungshilfe in dieser Region einzurichten, die zu den ärmsten Teilen des Landes zählt. Bachelet war bereits dafür gerügt worden, dass sie der seit über hundert Jahren von dem Konflikt gezeichneten Region bisher keinen Besuch abgestattet hatte. Sie hat sich verpflichtet, den Mapuche-Konflikt auf ihre Agenda zu setzen.

Bei ihrer Reise durch verschiedene Gebiete erklärte die Präsidentin, die Umsetzung „kurz-, mittel- und langfristiger“ Maßnahmen zur umfassenden Belebung der Entwicklung in der „ärmsten Region Chiles“ sei die „Verantwortung“ des chilenischen Staates. Ein großer Teil der Opfer der „Gewalt auf dem Land“ gehört der Ethnie der Mapuche an. „Der Konflikt, den wir heute erleben, ist nicht erst gestern entstanden, sondern vor geraumer Zeit. Aber die Regierungen und der chilenische Staat haben ihre Verpflichtung im Laufe der Geschichte weiter verschleppt, statt sich ihr zu stellen“, erklärte die Präsidentin beim Verlassen des Rathauses von Temuco, der Hauptstadt der Region, wo sie sich mit den Opfern von Gewalt getroffen hatte. Hier waren in den letzten Jahren mehrere Bauern und Polizisten bei Brandanschlägen getötet worden.

Bachelet will Arbeitsgruppe einsetzen

Die Präsidentin erläuterte ihr Vorhaben, ein Arbeitsgremium einzusetzen, das „eine breite Mitarbeit und die Entwicklung spezifischer Vorschläge“ auch aus der Bevölkerung und nicht nur seitens der Regierung ermöglichen solle. „Man kennt die Situation, man liest darüber in der Zeitung, aber es ist doch etwas ganz anderes, wenn man sich persönlich mit den Opfern zusammensetzt“, so Bachelet.

Der Konflikt hatte sich an der Forderung der Mapuche entzündet, man möge ihnen das Land, das sie seit Urzeiten als das Ihre betrachten, zur Verfügung stellen; die Flächen werden jedoch mittlerweile von Agrar- und Forstbetrieben genutzt. Im Zuge der Streitigkeiten kam und kommt es seither immer wieder zu gewalttätigen Aktionen, für die bereits Dutzende von Mapuches strafrechtlich zu Verantwortung gezogen wurden. Während die Unternehmer*innen die Regierung auffordern, mit „harter Hand“ für ihre Interessen einzutreten, riskieren die radikalsten Gruppen der Mapuche alles, um eine eigene Nation zu gründen. Beide Seiten sind mit dem Verhalten der Regierung nicht zufrieden, und eine dauerhafte Lösung des Konflikts scheint nicht denkbar.

Kritik von Mapuche-Verbänden

Während Bachelet im Rathaus von Temuco ihre Ansprache hielt, drückte Francisca Linconao Huircapan, die Heilerin der Mapuche der Region, ihren Unmut über den überraschenden Besuch der Amtsinhaberin aus. „Wir sind empört darüber, dass sie ihren Besuch nicht angekündigt und sich keine Zeit für ein Treffen mit uns genommen hat“, ließ die Sprecherin der Landforderungs-Bewegung die argentinische Tageszeitung Página 12 wissen. Die Präsidentin reagierte auf den Vorwurf und erklärte, sie habe ihren Besuch nicht angekündigt, weil sie sich nur vier Tage vor der Abreise dazu entscheiden habe. „Ein Treffen mit allen Opfern war zu keiner Zeit geplant, das wäre auch gar nicht möglich. Ich hätte viele, viele Tage einplanen müssen, wollte ich mir alle Erfahrungsberichte anhören. Linconao Huicapan entgegnete darauf: “Wir haben Ihre Kandidatur unterstützt, nun erwarten wir von Ihnen, dass Sie Ihre Versprechen halten.“

Auch die Asociación de Municipalidades con Alcaldes Mapuches Amcam (Verband der Kommunen mit Mapuche-Bürgermeister*innen) reagierte überrascht auf den unerwarteten Besuch der Präsidentin. „Der ungeheure Sicherheitsaufwand und die Geheimniskrämerei sind für den Dialog kein bisschen förderlich, außerdem treten die eigentlich dringenden Themen hier in der Region dadurch in den Hintergrund.“ Die Lösung des Konflikts könne nur durch eine „politische Entscheidung des Staates“ gefunden werden; in einem „offenen Prozess, der alle beteiligten Parteien und insbesondere das Volk der Mapuche einbezieht“. „Wir können dieses Problem nicht länger unter den Teppich kehren, mit schwammigen Äußerungen und Euphemismen, die zu politischer Unbeweglichkeit führen“, heißt es in einer Erklärung des Verbands.

Aucan Huilcaman, Sprecher der Mapuche-Organisation Consejo de Todas las Tierras (Rat aller Länder) die seit den 1990er Jahren die Rückgabe der Mapuche-Länder fordert, erklärte gegenüber der chilenischen Tageszeitung La Nación: „Die Präsidentin hat überhaupt gar nichts von Bedeutung gesagt, im Gegenteil: Mit ihrem Verhalten täuscht sie das gesamte Land und facht den Konflikt in La Araucanía weiter an.“ Dass sie sich nur mit den Opfern der Brandanschläge getroffen habe, sei nichts weiter als ein „Versuch, die historische Wahrheit zu verschleiern und eine einseitige Sicht auf das, was in La Araucanía geschieht, zu verbreiten. Die wirklichen Opfer des Konflikts, der gewaltsamen Landnahme und der Angriffe des chilenischen Staates auf die Mapuche hat sie ignoriert.”

Huilcamans Stellungnahme endete mit der Forderung, die Präsidentin solle eine Aufklärungskommission in La Araucanía einbestellen, um „für Wahrheit und Gerechtigkeit“ zu sorgen.

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