Attentat auf die Demokratie statt Medienreform

von Nils Brock, Rio de Janeiro

(Berlin, 11. September 2014, npl).- Es ist wieder kein Wahlkampfthema daraus geworden. Dabei hätte Brasilien eine Medienreform dringend nötig. Vor allem die Rundfunkfrequenzen befinden sich auch nach dem Ende der militärisch-zivilen Dikatur (1964-1985) weiterhin in den Händen einiger weniger kommerzieller Akteure – doch anlegen will sich mit den “elektronischen Gutsherren” keineR der Kandidatinnen und Kandidaten, die derzeit um das höchste Amt im Staat wetteifern.

Eine aktuelle Studie der Arbeitsgruppe „Donos da Midia“ belegt, dass die zehn größten brasilianischen Medienunternehmen fast 60 Prozent aller landesweit empfangbaren Sender besitzen, sowie über Kooperationsverträge auch ein Drittel aller regionalen kommerziellen Anbieter kontrollieren.

„Attentat auf die Demokratie“

Und auch wenn numerisch bertrachtet, die mehr als 4.500 genehmigten Community-Radios staatliche und kommerzielle Stationen überflügeln, zeigt ein Blick auf die Sendestärke, dass von Pluralität im Äther keine Rede sein kann – gebündelt erreichen alle rádios comunitárias zusammen gerade mal die 100.000 Watt einer grossen kommerziellen UKW- oder Mittelwellestation. Als „Attentat auf die Demokratie“ bezeichnet der ehemalige Sonderbeauftragte der UNO in Sachen Meinungsfreiheit, Frank la Rue, diese Medienkonzentration made in Brazil.

Auch die seit 2003 regierende Arbeiterpartei PT (Partido de los Trabajadores) hat daran wenig geändert und musste sich dafür bereits Ende vergangenen Jahres vor der Interamerikanischen Menschenrechtskomission CIDH (Comisión Interamericana de Derechos Humanos) rechtfertigen. In ihrer Anwort wies die brasilianische Regierung darauf hin, es gäbe sowohl Gesetze als auch Programme, die die Meinungsfreiheit im Rundfunk schützen und verbessern würden.

Community-Radios werden an nachhaltiger Medienarbeit gehindert

Die Realität ist ein andere. Gemeinsam mit der Menschrenrechtsorganisation Artikel 19 nutzte die brasilianische Sektion des Weltverbands der Community Radios (Amarc Brasil) im August den Besuch einer CIDH-Delagation, um das repressive Vorgehen der Regierungsbehörde ANATEL (Agência Nacional de Telecomunicações) und der Bundespolizei gegen nichtgenehmigte Community Radios zu schildern.

Auch die Einstellung des Nationalen Genehmigunsplans (PNO), der eigentlich die Legalisierung von Sendern erleichtern sollte, kam zur Sprache. „Strafrechtlichge Verfolgung statt neuer Frequenzen, damit leistet der Staat einer weiteren Kriminalisierung Vorschub“, sagt Pedro Martins, von Amarc Brasil.

Doch auch genehmigte Community Radios werden, entgegen aller Empfehlungen internationaler Menschenrechtsorganisationen, an einer nachhaltigen Medienarbeit gehindert. Besonders deutlich wird dies im Fall des von der CIDH kritisierten „willkürlichen oder diskriminierenden Einsatzes öffentlicher Werbemittel“. Der dafür in Brasilien aufgewandte Etat ist gewaltig und bescherte kommerziellen Medien beispielsweise im Jahr 2012 Einnahmen von einer halben Milliarde Euro, wovon allein 63 Prozent in die Kassen von TV-Sendern flossen.

Petition für neues Mediengesetzt „von unten“

Community-Radios gehen dagegen weiterhin leer aus, denn trotz einer gesetzlichen Neureglung (Portaria n° 197/13) kann diese nicht angewandt werden – per einsweiliger Verfügung blockiert die Lobbyorganisation der Medienunternehmen, Abert, seit Januar eine Umverteilung. Gutes Timing, denn damit bleiben in jedem Fall die 300 Millionen Euro, die der Staat für bezahlte Wahlwerbung ausgeben wird, vor dem Zugriff der nicht-kommerziellen Konkurrenz geschützt.

Vor diesem Hintergrund fordern Medienorganisationen und soziale Bewegungen ein weiterführendes Engagement des CIDH und internationaler Menschenrechtsorganisationen. Gleichzeittig setzt sich Amarc Brasil verstärkt für die Ausschreibung neuer Community-Radio-Genehmigungen in Rio de Janeiro ein und beteiligt sich an einem breiten Bündnis, dass eine Petition für ein neues Mediengesetzt „von unten“ organisiert. Doch dieses wird frühestens nach der Präsidentschaftswahl im Oktober Chancen auf eine parlamentarische Debatte haben – wieder einmal.

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