Asyl für Assange und die Nord-Süd Diplomatie

von Sally Burch*

(Quito, 16. August 2012, alai).- Als Ecuadors Außenminister Ricardo Paitiño am Donnerstag dieser Woche die Entscheidung seiner Regierung bekannt gab, dem Wikileaks-Gründer Julian Assange politisches Asyl zu gewähren, hat er damit eine außergewöhnliche Situation geschaffen. Diese Lage spiegelt ohne Zweifel die sich wandelnden Realitäten wider, welche die Welt zurzeit erlebt. Der Anspruch der Länder des Nordens, ein Hort der Menschenrechte zu sein, erweist sich als immer fragiler.

Es ist allgemein bekannt, dass der durch die US-Regierung von George W. Bush lancierte “Krieg gegen den Terrorismus” in den USA zu einer fortschreitenden Zersetzung der Bürgerrechte geführt hat, die großenteils von der Obama-Regierung weitergeführt wird. Schon deswegen ist es mehr als glaubhaft, dass Assange dem Risiko der Wehrlosigkeit und des Angriffes auf seine Rechte ausgesetzt sein könnte, würde er an die USA ausgeliefert.

Nach seinen Ausführungen bereitet dort insgeheim bereits eine Jury ein Verfahren gegen ihn wegen der Veröffentlichung tausender interner Dokumente diplomatischer Vertretungen vor. Zugleich ist es recht außergewöhnlich, dass die britische Regierung, gestützt auf ein nationales Gesetz (welches die Verletzung internationaler Rechte bedeuten würde), damit droht, gegen die diplomatische Immunität der ecuadorianischen Botschaft in London zu verstoßen, um Assange festzunehmen; wenn auch der britische Außenminister William Hague diese Vorgehensweise wegen der zu erwartenden Reaktionen ausschloss.

Eine Zuflucht im Süden

In seiner umfassenden offiziellen Stellungsnahme, die auf der Basis internationaler Vereinbarungen das Asyl für Assange anerkannte, verdeutlicht Ecuador die gesetzlichen und ethischen Argumente, die seine Entscheidung rechtfertigen. Dabei heißt es unter anderem:

“Julian Assange ist ein Experte in Sachen Kommunikation, international ausgezeichnet für seinen Kampf um die Rede- und Pressefreiheit und die Menschenrechte im Allgemeinen.“

“Es gibt ernstzunehmende Indizien für eine Vergeltung der Länder, aus denen die Informationen stammen, welche Herr Assange verbreitet hat.“

“Die rechtliche Beweislage zeigt eindeutig, dass Assange im Falle einer Auslieferung an die USA kein gerechtes Gerichtsverfahren erwarten wird, sondern Sonder- oder Militärtribunale über ihn richten würden. Ebenso ist es nicht unwahrscheinlich, dass er grausam und herabwürdigend behandelt wird und man ihn mit lebenslangem Freiheitsentzug oder gar der Todesstrafe bestrafen würde und damit seine Menschenrechte außer Kraft setzt.”

Ecuador weist des Weiteren darauf hin, dass es die schwedische Justiz nicht behindern will, die eine Auslieferung zur Klärung von Vorwürfen wegen angeblichem sexuellem Missbrauch nicht ausschließen will, wenngleich es im Moment keine konkreten Anschuldigungen gegen ihn gibt. Jedoch “bedient sich die schwedische Staatsanwaltschaft einer widersprüchlichen Vorgehensweise”, welche die Prozessrechte Assanges in Mitleidenschaft ziehe. Unter anderem hatte Schweden abgelehnt, ihn in der Botschaft in London zu befragen.

Lob der UNO für Ecuadors Asylpolitik

Die Mitteilung argumentiert andererseits unter Bezugnahme auf die Tatsache, dass Ecuador eine hohe Anzahl von Flüchtlingen des kolumbianischen Bürgerkrieges aufgenommen hat:

“Der Hohe Flüchtlingskommissar der UNO hat die Flüchtlingspolitik Ecuadors gelobt und die wichtige Tatsache hervorgehoben, dass das Land die Flüchtlinge nicht in Lager verbannt, sondern sie unter vollständiger Garantie ihrer Menschenrechte in die Gesellschaft integriert hat.” Diese Bemerkung scheint auf Großbritannien anzuspielen, wo mehrere tausend Asylsuchende in Gefängnissen festgehalten werden. Dort verbleiben sie auf unbestimmte Zeit mit dem Risiko in ihre Heimatländer zurückgeschickt zu werden, falls ihr Antrag abgelehnt wird.

Vor zwei Monaten begab sich Assange in die ecuadorianische Botschaft, um Asyl zu beantragen. Die Mutter von Julian, Christiane Assange, die Anfang August Ecuador besuchte, antwortete auf eine Anfrage von ALAI, dass ihrem Sohn nicht klar war, dass er eines Tages politisches Asyl zu benötigen könnte, als ein Funktionär des Außenministeriums vor zwei Jahren beiläufig erwähnte, Assange würde in Ecuador willkommen sein. Sie bekräftigt: „Julian hat keine Erfahrung in solchen Angelegenheiten wie der eines Schutzgesuches gegenüber den USA. In Lateinamerika sind diese natürlich bekannt. Er erkennt natürlich an, dass die Justiz ihren nötigen Rechtsweg verfolgen muss.“

Auf die Frage, warum er gerade Ecuador als Zufluchtsort ausgewählt habe, hob Frau Assange die Errungenschaften des Landes hinsichtlich der Menschenrechte in den letzten fünf Jahren hervor. „Diese sind grundlegend in der Verfassung und jeder Politik festegelegt, inklusive der Pressefreiheit in jeglicher Form, des Schutzes von Journalisten und ihrer Quellen.“ Sie erklärte: „Im Unterschied zu anderen Ländern nimmt Ecuador die Vorschriften der Menschenrechte und Pressefreiheit ernst.“ Sie verwies auch auf das starke, souveräne Mandat des Landes, dessen erster Verteidiger Präsident Correa selbst sei, “der sich nicht davor fürchtet, dem Druck der USA zu widerstehen.” Sie verwies ebenso auf die Unterstützung dieser Politik durch das Volk, die sie bei einem Treffen mit Jugendlichen verschiedener politischer Orientierungen festgestellt habe. Sie seien sich darüber einig gewesen, das Asyl ihres Sohnes zu unterstützen.

In der selben Presserunde argumentierte der spanische Anwalt Baltasar Garzón, der die Verteidigung Assanges gegenüber mehreren, in den Fall verwickelten Länder übernommen hat, dass Großbritannien, jetzt wo dem Asylantrag stattgegeben wurde, keine gesetzliche Rechtfertigung besitze, Assange das freie Geleit zu verweigern. „Rein rechtlich kann Großbritannien dies nicht tun, da Ecuador ein souveräner, freier und demokratischer Staat ist, genauso wie die Vereinigten Staaten von Amerika, nicht mehr und nicht weniger. Sicher ist es richtig, dass die hegemoniale Position nicht die gleiche ist und das einzige Element, das die Gestattung des Geleitbriefes beeinflussen könnte, ist das der Stärke“, so Garzón. Jedoch sollte dieses zwischen demokratischen Staaten mit einem Rechtssystem nie benutzt werden.

Nächste Schritte

Die Zukunft von Assange ist unsicher, wenngleich Ecuador darauf verwiesen hat, dass er unbefristet in der Botschaft bleiben könne, falls ihm kein freies Geleit gestattet wird.

Ohne Zweifel würde dies aber Repressalien für das gastgebende Land mit sich bringen. Wegen des bedrohlichen Verhaltens des Vereinigten Königreiches hat Ecuadors Außenminister Patiño die verschiedenen regionalen politischen Foren Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerika ALBA (Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América), Union Südamerikanischer Nationen UNASUR (Unión de Naciones Suramericanas), Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten CELAC (Comunidad de Estados Latinoamericanos y Caribeños ) und die Organisation Amerikanischer Staaten OAS aufgerufen, eiligst zusammenzutreten und sich angesichts der Bedrohung der Souveränität Ecuadors zu erklären.

ALBA hat bereits eine Erklärung herausgegeben, in dem die Bedrohung der Integrität der ecuadorianischen Botschaft und des Rechtes auf eine souveräne Asylpolitik zurückgewiesen wird. In einem Interview in Quito präzisierte Rodolfo Sanz, Generalsekretär der Organisation: „Ecuador gesteht Assange politisches Asyl zu, weil es den Fall als politisch einschätzt. Es handelt sich eben nicht um einfaches Strafrecht. England muss nun entscheiden, ob es freies Geleit zugesteht. Politisches Asyl ist eine Figur des internationalen Rechts, dem Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zugestimmt haben.“

USA weisen Einmischungsvorwürfe zurück

Er erinnerte daran, dass viele Länder Lateinamerikas Geleitbriefe auch für Personen ausgestellt haben, die wesentlich schwerwiegendere Verbrechen begangen haben. Zum Beispiel den flüchtigen Bankern, die sich jetzt in den USA aufhalten, oder mehrere Komplizen der Morde während eines Putschversuches am 11. April 2002 in Venezuela.

Die ALBA kündigte ein Außenministertreffen für Sonnabend, den 18. August, in Guayaquil an, während UNASUR dieses am darauf folgenden Sonntag am gleichen Ort abhalten wird. Die OEA ihrerseits wollte am 17. August über eine mögliche Einberufung der Außenminister für den 23. August entschieden. Die USA und Kanada zeigten kein Interesse an der Diskussion und unterstützen die Einberufung einer Versammlung nicht. Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, wies ihrerseits die Beschuldigung zurück, die USA würden das Vereinigte Königreich unter Druck setzen, mit Gewalt in den diplomatischen Sitz Ecuadors in London einzudringen und Assange festzusetzen. „Dies ist eine Angelegenheit der darin verwickelten Nationen und wir planen nicht, uns einzumischen“, so Nuland.

Soziale Organisationen in Lateinamerika haben indes bekannt gegeben, dass sie sich beraten, um eine internationale Kampagne zur Unterstützung Ecuadors zu starten und Druck auf das europäische Land auszuüben, das zugestimmt hatte, Assange an die schwedische Justiz auszuliefern.

Zweifellos muss es für einen Staat wie das Vereinigte Königreich als Affront erscheinen, dass ein kleines und unbedeutendes Land aus dem Süden, wie Ecuador, ihm Lektionen beim Thema Menschenrechte geben kann.

*Sally Burch ist eine britische Journalistin. Sie lebt in Ecuador und leitet die alternative Nachrichtenagentur ALAI.

 

Übersetzung: amerika21 (Benjamin Grasse)/poonal

CC BY-SA 4.0 Asyl für Assange und die Nord-Süd Diplomatie von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert