Amazonasgebiet: Selbstbedienungsladen für die ganze Welt?

von Egydio Schwade*

(Fortaleza, 30. April 2015, adital).- Spanier, Portugiesen, Holländer, Engländer – die Invasoren des Amazonasgebietes von 1540 bis zum Ende der Kolonialzeit Brasiliens, ebenso wie die ihnen folgenden Machthaber*innen in der Region hatten, bis zum heutigen Tag, nichts anderes im Sinn als einzufallen, zu verwüsten, die Reichtümer aufzuspüren und zu plündern. Die Menschen, die im Amazonasgebiet leben, sind nur nützlich, wenn sie akzeptieren, dass sie Sklav*innen der Invasor*innen sind, ihnen Nahrungsmittel und ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Die in Brasilien unter dem Namen PEC 215 diskutierte Verfassungsänderung zielt darauf ab, den indigenen Völkern die Herrschaft über ihr angestammtes Land zu entreißen, um sie an die zahlreichen gierigen Interessenten zu übergeben.

Rohstoffe für Autoindustrie und Rüstung

Gegen Ende des brasilianischen Kaiserreiches, Ende des 19. Jahrhunderts, stieg die Nachfrage nach Rohstoffen aus dem Amazonasgebiet für den internationalen Markt, vor allem nach Kautschuk. Nordamerikaner und Europäer finanzierten die Invasion, die Automobilproduktion war im Entstehen. Respekt für die Besitzer*innen des Amazonasgebietes: Fehlanzeige. Mit dem Zweiten Weltkrieg begann das Durchstöbern des Amazonasgebietes auf der Suche nach strategisch wichtigen Erzen. Bereits vor Ende des Krieges fielen nordamerikanische Militärs, mit Unterstützung der brasilianischen Regierung, in indigene Gebiete ein, um Luftaufnahmen zwecks Lokalisierung der Erzvorkommen zu machen.

Brasília – die neue Hauptstadt als Einfallstor

Die Verlegung der Hauptstadt ins aus dem Nichts gebaute Brasília unter der Regierung von Präsident Juscelino Kubitschek hatte auch den Hintergrund, dass der Einfall ins Amazonasgebiet und in den Cerrado erleichtert werden sollte. Der Bau der Fernstraße Brasília-Belém war mit dem Einfall in das Land mehrerer indigener Völker verbunden. Der Bau der Fernstraße Brasília-Rio Branco , von dem zehn indigene Völker betroffen waren, führte zum Tod von mehr als 80 Prozent der Menschen, die entlang der Strecke lebten.

Genozide beim Bau der Fernstraßen

Unter der Militärdiktatur, die 1964 die Macht an sich riss, wurden weitere Fernstraßen durchs Amazonasgebiet gebaut. Stets wurde dabei indigenes Gebiet verletzt, ganz so, als ob hier niemand lebte. Die Bewohner*innen wurden abgeschlachtet, beim Bau all dieser Straßen wurden Genozide verübt. Unter dem Namen „Projeto Calha Norte” (“Projekt Nordschiene”) besetzte das Militär indigene Gebiete entlang der nördlichen Grenze Brasiliens und plünderte sie aus. Die Indigenen hatten bis dahin die Rolle einer Art Grenzwächter spielen dürfen – nun galten sie als Hindernis auf dem Weg zur Entwicklung Brasiliens. Der Gouverneur des Bundesstaates Amazonas, Danilo Areosa, etwa beschwerte sich darüber, dass die Indigenen die reichsten Gegenden besetzten, und so die Ausbeutung von Rohstoffen verhinderten. Den Einnahmen ganz Brasiliens entstehe somit ein unermesslicher Schaden. Dies gehe zu Lasten öffentlicher Dienstleistungen.

Strom aus dem Amazonasgebiet für Brasiliens Metropolen

Die Fernstraßen sorgten dafür, dass die Invasoren noch aggressiver und habgieriger wurden. Es entstanden Fazendas, Bergbauunternehmen und die Agroindustrie hielten Einzug. Die Flüsse werden gestaut. Wasserkraftwerke nehmen indigenes Land in Beschlag, um Brasiliens Metropolen mit Strom zu versorgen, ebenso wie brasilianische und ausländische Großunternehmen wie Alcoa oder Vale.

Brasiliens größte Goldmine befindet sich 20 Kilometer entfernt vom umstrittenen künftigen Wasserkraftwerk Belo Monte im Bundesstaat Pará, auf Gebiet des Volkes der Kaiapó. Diese Mine ist bereits einem multinationalen kanadischen Unternehmen übergeben worden. Gestern waren die Indigenen die Helden, die die Reichtümer Brasiliens schützten. Heute dulden die Behörden die Plünderungen nicht nur, sondern finanzieren sie selbst. Aus den Indigenen sind Schurk*innen und ein Hindernis geworden, das es aus dem Weg zu räumen gilt.

*Der deutschstämmige Padre engagiert sich seit den 1970er Jahren für die im Amazonasgebiet lebenden indigenen Völker.

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