Alberto Patishtán begnadigt und freigelassen

von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt

(Berlin, 04. November 2013, npl).- Dreizehn Jahre lang saß Alberto Patishtán aufgrund eines offenkundigen Unrechtsurteils im Gefängnis. Am vergangenen Donnerstag wurde der inzwischen über 40-jährige Lehrer und Angehörige der Ethnie der Tzotziles vom mexikanischen Präsidenten Peña Nieto begnadigt und kam umgehend frei. Patishtán selbst hatte ein Gnadengesuch beim Präsidenten stets abgelehnt. Für ihn wäre das einem Schuldeingeständnis und einer Demütigung gleichgekommen.

Begnadigung ist Schuldeingeständnis des mexikanischen Staates

Eine vor allem angesichts seines konkreten Falles innerhalb weniger Tage von beiden Kammern des mexikanischen Kongresses verabschiedete Reform eines Strafrechtsparagraphen schuf die Möglichkeit, den Präsidenten aus Eigeninitiative eine Begnadigung aussprechen zu lassen, wenn die Rechte von Verurteilten während ihres Gerichtsprozesses verletzt wurden. Insofern handelt es sich bei der präsidentialen Entscheidung letztendlich um ein Schuldeingeständnis des mexikanischen Staates.

Dieses Eingeständnis kam nicht ganz freiwillig zustande. Aufgrund nationaler und internationaler Solidaritätskampagnen war Alberto Patishtán zuletzt einer der bekanntesten Häftlinge Mexikos. Nachdem am 12. September 2013 ein Gericht in der chiapanekischen Hauptstadt Tuxtla Gutiérrez in letzter Instanz den Antrag Patishtáns auf Unschuldsvermutung zurückgewiesen und die 60-jährige Haftstrafe bestätigt hatte, wuchs die nationale und internationale Empörung weiter an. Patishtán wurde die Beteiligung an der Ermordung von sieben Polizisten im Juli 2000 vorgeworfen.

Konstruierte Anklage gegen unbequemen Lehrer

Der Prozess in den Jahren 2000 bis 2002 war von Anfang von zahlreichen Unregelmäßigkeiten begleitet. Im Verlauf des Verfahrens wurden Entlastungszeugen vom Gericht ebenso ignoriert wie die Widersprüchlichkeit offensichtlich konstruierter Aussagen zweier Überlebender des Überfalls. Zum Zeitpunkt der Tat befand sich Patishtán viele Kilometer entfernt an einem anderen Ort, bei einem Arbeitstreffen mit anderen Lehrern. Sein Vergehen bestand eher in seinem politischen Engagement in seinem Landkreis El Bosque. Kurz vor seiner Verhaftung hatte er eine Kampagne gegen den damaligen Bürgermeister von El Bosque wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder begonnen.

Patishtán war in den vergangenen Jahren in verschiedenen Haftanstalten untergebracht worden, teilweise in Hochsicherheitsgefängnissen und zeitweise verfassungswidrig weit weg von seinem Heimatbundesstaat Chiapas. Das Hochsicherheitsgefängnis beschrieb er einmal als einen „Friedhof der Lebendigen”. „Hochgefährlich“ war und ist Patishtán, weil er im Gefängnis anderen indigenen Häftlingen das Lesen und Schreiben beibrachte, sie beim Erlernen des Spanischen unterstützte, mit ihnen politisch diskutierte und sich an Hungerstreiks beteiligte, bei denen seine Mitstreiter und er sich ausdrücklich als politische Gefangene bezeichneten.

Ebenso nahm Alberto Patishtán aus dem Gefängnis heraus an der “Anderen Kampagne” teil, dem von den Zapatist*innen gegründeten landesweiten Netzwerk sozialer Bewegungen. Als gläubiger Mensch hielt er Messen für andere Gefangene ab.

Während der Haft war Alberto Patishtán an einem Hirntumor erkrankt, der erst falsch diagnostiziert wurde und unter anderem zu schleichender Erblindung führte. Erst nach vielen nationalen und internationalen Protesten bekam er 2012 eine angemessene medizinische Behandlung in Mexiko-Stadt. Dort konnte ein Teil des Tumors entfernt werden, die Sehkraft kehrte zurück. Inzwischen wächst der Tumor allerdings wieder.

Mexiko gerät bei Anhörung vor UN-Menschenrechtsrat unter Druck

Die Begnadigung von Patishtán erfolgte wenige Tage nachdem Nicht-Regierungsorganisationen die mexikanische Regierung bei Anhörungen vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf wegen ihrer Menschenrechtspolitik anklagten und von einer Simulation sprachen. Mit seinem Handeln verschafft sich Präsident Peña Nieto etwas Luft gegenüber dieser Kritik.

Gleichwohl wies Amnesty International in einer Erklärung darauf hin, dass die Begnadigung eine „Erleichterung“ für Patisthán und seine Familie sei, aber weder für „Wahrheit, Gerechtigkeit noch Wiedergutmachung“ sorge. Dafür müssten diejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die für seine 13-jährige Inhaftierung verantwortlich seien. Zudem stünde nun eine komplette Revision von Fällen an, die auf unregelmäßige Gerichtsverfahren hindeuteten. Patishtán sei nur ein Beispiel für ein fortbestehendes Muster.

Auslöser für erneute Untersuchung anderer Fälle

Ricardo Sepúlveda, verantwortlich für das Thema staatliche Menschenrechtspolitik im mexikanischen Innenministerium, nannte den Fall Patishtáns „paradigmatisch“ und einen „Auslöser“, andere Fälle zu untersuchen. In der Tat dürfte es in Mexiko tausende von Verurteilten geben, deren Gerichtsverfahren mit den Prinzipien eines Rechtsstaates nichts gemein hatten.

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