Abgewickelt – Regierung macht „La Nación“ dicht

von Andrea Martínez

(Montevideo, 25. September 2012, la diaria-poonal).- Die chilenische Regierung machte auf einer Aktionärsversammlung von ihrer Mehrheit Gebrauch und entschied eine Schließung des staatlichen Mediums „La Nación“.

Die Regierung von Sebastián Piñera schloss „La Nación“, die, – nachdem sie zunächst auf Papier herausgekommen war, zuletzt als Online-Medium existierte, – nun endgültig. Sie sprach sich zudem gegen jegliche staatliche Medien aus, da „es ist nicht nötig ist, dass die Regierung ein Kommunikationsmedium besitzt (…), eine Regierungszeitung“, so Regierungssprecher Andrés Chadwick.

Zick-Zack-Kurs von Piñera

„Die Zeitung im Besitz aller Chilenen, La Nación, ist nicht länger eine Zeitung, die lediglich der jeweiligen Regierung als Instrument der Regierungspropaganda dient, sondern sie hat sich zu einer Zeitung entwickelt, die allen Chilenen dient“, hatte der chilenische Präsident Sebastián Piñera vor gerade einmal drei Monaten noch gesagt. Diese bei einem Dinner mit der Nachrichtenagentur Asociación Nacional de la Prensa geäußerten Worte überraschten selbst die glühendsten Verteidiger*innen der Zeitung, da der Präsident als ausgemachter Kritiker von La Nación galt, die 1917 auf Privatinitiative gegründet und nach einer Enteignung seines Gründers, Eliodoro Yáñez, durch die Regierung im Jahr 1927 verstaatlicht wurde.

Der jüngste Vorfall der Beziehung zwischen Piñera und dem Blatt hatte sich vor einiger Zeit während einer Wahlveranstaltung zur Präsidentschaftswahl ereignet. Dort zeigte sich Piñera verärgert über die bevorzugte Behandlung, die die Zeitung seinem Widersacher Eduardo Frei Ruiz geben würde. Bei dieser Gelegenheit äußerte er denn auch, dass er „der festen Überzeugung“ sei, dass es „das Beste für Chile“ sei, „die Zeitung La Nación zu schließen“. Wenig später zog er diese Aussage zurück und gab bekannt, dass die Zeitung während seiner Regierungszeit „pluralistisch“ und „respektvoll“ sein werde und ein Statut verabschiedet werden würde, das sicherstellen solle, dass die Zeitung von der jeweiligen Regierung unabhängig sei. Dieses Vorhaben wurde jedoch nie umgesetzt.

Schließungsabsichten kurz nach der Wahl

Seine damalige Sprecherin, Ena Bon Vaer, äußerte sich ähnlich, doch nur drei Monate nach der Amtsübernahme häuften sich die Berichte, wonach die neue Regierung bestrebt sei, die Zeitung zu verkaufen. Piñera bestätigte, dass die Regierung diese Möglichkeit erwäge und fügte hinzu: „Das steht in keinerlei Widerspruch zu den Aussagen während unserer Wahlkampagne, wonach wir die Zeitung La Nación entweder auflösen oder ihr eine neue Form geben würden, die allen Chilenen gewährleisten kann, dass sie sie nicht zu einem Schutzmantel für manche und einem Feind für andere werden könne, finanziert durch das Geld aller Chilenen.“

La Nación und der offizielle Staatsanzeiger Diario Oficial gehören beide der Gesellschaft Empresa Periodística La Nación SA, die zu 69,26 Prozent dem chilenischen Fiskus gehört. Der Rest der Aktien gehört mit 29,5 Prozent der Investitionsgesellschaft Sociedad de Inversiones Colliguay sowie Minderheitsaktionär*innen.

„La Nación Domingo“ – unbliebsame Konkurrenz 

Im Juni 2010 beschloss die Rechtsregierung eine Reform, die eine entscheidende Weichenstellung für die Zeitung bedeuten würde: Der Großteil des Contents aus dem Diario Oficial wurde fortan lediglich online bereitgestellt. Darüber hinaus wurden der Kaufpreis sowie die Anzeigenpreise gesenkt. Die Einnahmen aus dem Diario Oficial, die den Großteil der Einnahmen der Gesellschaft ausmachten, wurden in die Druckausgabe von La Nación gesteckt, während ein kleiner Teil in den Händen der privaten Aktionär*innen verblieb.

Von diesem Zeitpunkt an galt die Wirtschaftlichkeit der Zeitung als Bedingung für ihr Weiterbestehen. Diese wurde dank dem Anzeigenverkauf sichergestellt, insbesondere durch die Veröffentlichung von Rechtstexten, für die ein geeigneter Tarif bestand, sowie durch staatliche Anzeigen. Letztere hielten das Blatt über Wasser und befanden sich im besonderen Maße im Visier traditioneller Zeitungen, wie „El Mercurio“ oder „La Tercera“, die erleben mussten, wie das sonntägliche Wochenblatt „La Nación Domingo“ ihnen den ersten Rang bei der Auflage ablief. Um die Wirtschaftlichkeit sicherzustellen, ordnete die Regierung im Dezember 2010 an, dass La Nación nicht länger eine Publikation auf Papier sein sollte, sondern ein Online-Medium.

 


Ein anderer Blickwinkel

Kommentare rund um die Schließung von La Nación zeigen, dass die Regierung die Zeitung als Regierungsorgan betrachtete und nicht als öffentlich-rechtliches Medium, wie es im Gesetz niedergelegt war. „Es ist nicht erforderlich, dass die Regierung ein Kommunikationsmedium besitzt“, ließ der Regierungssprecher Andrés Chadwick öffentlich verlauten.

Seltsame Argumente

Dabei ging er nicht auf die Ziele öffentlich-rechtlicher Medien ein, denen für gewöhnlich die Aufgabe zukommt, sozialen Schichten Raum zu geben, die aus der kommerziellen Presse ausgeschlossen sind.

Chadwick betonte, dass die Regierung „keine Regierungsorgan“ wie La Nación brauche. Auf die Nachfrage, wie es dann um die Notwendigkeit eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders wie TVN (Televisión Nacional de Chile) stehe, erklärte der Regierungssprecher, dass dies ein anders liegender Fall sei. Dabei unterließ Chadwick es jedoch, konkret zu erläutern inwiefern der Fall anders gelagert sei.

Unbequeme Stimme verstummt

Unter Verweis auf die unterschiedlichen Konzeptionen, die dahinter stehen, erklärte die Vorsitzende der Gewerkschaft von La Nación, Nancy Arancibia, dass es heutzutage „einen größeren Aktivismus gibt, ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass die Kommunikationsmedien ein Recht darstellen und nicht allein das Eigentum jener sein können, die die wirtschaftliche Macht innehaben (…). La Nación ist immer mehr eine Referenzmedium für das geworden, was in anderen Kommunikationsmedien nicht auftaucht“.

In ähnlicher Weise sprach auch Marcelo Schilling, Vorsitzender der sozialistische Fraktion über La Nación, die „notwendig ist, um vom Staat aus das Recht auf pluralistische und unabhängige Informationen zu gewährleisten, da sie aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters nicht vom wirtschaftlichem Druck der Eigentümer oder Anzeigenanbieter abhängig ist“.


 

Aufgebracht – Aktionär*innen und Angestellte

Auf einer außerordentlichen, von der Regierung einberufenen Aktionärsversammlung wurde am Morgen des 24. September die „Abwicklung“ der Gesellschaft Empresa Periodística La Nación SA beschlossen. Konkret bedeutete dies die Schließung des Online-Mediums, an dem 117 Personen arbeiteten, sowie die Übernahme des Diario Oficial durch das Innenministerium.

Die Entscheidung wurde mit dem Stimmen des Fiskus durchgesetzt – gegen den Widerstand der privaten Aktionär*innen. Die Sociedad de Inversiones Colliguay bekräftigte ihren Willen, den Fiskus vor Gericht zu bringen, da es keinerlei wirtschaftliche Gründe für diese Entscheidung gäbe, die mit nachteiligen finanziellen Auswirkungen auf sie verbunden sei – da sie nicht mehr Teile des Gewinns mitnehmen könnte – und die zudem einem Abkommen mit der Investitionsgesellschaft widerspreche, das bis zum Jahr 2042 Gültigkeit habe.

Angestellte legten Einspruch ein

Die Angestellten legten bereits Einspruch gegen die Entscheidung ein, um eine Schließung des Mediums zu verhindern. Oppositionelle Parlamentarier*innen, wie etwa der kommunistische Abgeordnete Hugo Gutiérrez, sagten, dass sie eine Sondersitzung des Parlaments einberufen würden, um von der Regierung eine Erklärung zu ihren Motiven zu verlangen.

Die Angestellten wussten seit Monatsbeginn, dass über eine Schließung des Unternehmens gesprochen wurde. Für die Nacht auf den 24. September wurde daher ein Kulturfestival organisiert, um der drohenden Entscheidung der Aktionärsversammlung etwas entgegenzusetzen. Am Fest nahmen Abgeordnete der Concertación sowie Gewerkschaftsvertreter*innen und Mitglieder anderer sozialer Organisationen teil.

Der Senator Carlos Larraín, Vorsitzender der rechtsgerichteten Regierungspartei Nationale Erneuerung RN (Renovación Nacional), stimmte der Entscheidung der Regierung zu und sagte, dass dies eine „politische Entscheidung“ sei, da sie mit der „Verwendung staatlicher Gelder“ zu tun habe.

 

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