30.000 Euro als Entschädigung für eine Vergewaltigung

von Patricia Chandomí

(Mexiko-Stadt, 21. Oktober 2010, cimac).- Vor 16 Jahren wurden die drei Schwestern González, Angehörige des Volkes der Tzeltales, von Militärangehörigen vergewaltigt. Nach jahrelangem Schweigen meldete sich nun der Gouverneur von Chiapas, Juan Sabines Guerrero zu Wort: Jedes der Opfer solle 500.000 mexikanische Pesos, umgerechnet knapp 30.000 Euro, als Entschädigung erhalten.

Die Frauen hielten in Ocosingo eine Pressekonferenz ab, zu der auch ein Übersetzer bestellt wurde, da alle drei ausschließlich ihre Muttersprache Tzeltal sprechen. Bei der Konferenz erklärten sie, der Gouverneur habe ihnen vergangenen August seinen Vorschlag zur Wiedergutmachung der Verbrechen schriftlich zukommen lassen und ihnen zwei Monate Bedenkzeit für ihre Entscheidung eingeräumt. Neben der Entschädigung in Höhe von 500.000 Pesos sollten die drei durchgehend medizinische Versorgung erhalten; ihre Kinder sollten durch Stipendien und Entwicklungsprojekte gefördert werden.

„Kein Geld der Welt kann diesen Schmerz lindern“

Die drei Schwestern erklärten, der Vorschlag sei nur dann akzeptabel, wenn auch ihre Mutter durch den Wiedergutmachungsversuch berücksichtigt werde, denn auch sie habe unter der Vergewaltigung ihrer Töchter gelitten. Durch den Übersetzer ließen sie mitteilen: „In den 16 Jahren, die dieser Prozess nun schon dauert, haben wir das Leid und den Schmerz nicht vergessen können, und das wird uns auch niemals gelingen. Wir werden auch diese Wut niemals loswerden, und wir werden niemals verzeihen können, was sie uns angetan haben. Wir hatten uns eigentlich auch nie öffentlich zu den Verbrechen äußern wollen. Dass wir nun doch an die Öffentlichkeit gehen, hat damit zu tun, dass die Behörden uns dieses Angebot machen. Wir möchten verhindern, dass sie einen Vorteil aus unserer Antwort ziehen“, unterstrichen die Schwestern González.

Dieser Vorschlag sei „das einzige öffentliche Bekenntnis der mexikanischen Regierung zu ihrer Verantwortung für die sexuelle Gewalt gegen unsere Körper, für die Verletzung unserer Rechte und unserer Würde. Darüber hinaus fordern wir jedoch, dass sie auch Verantwortung übernehmen für das Leid, das unserer Mutter zugefügt wurde.“ Auch die Mutter der drei Frauen, die zum Zeitpunkt des Verbrechens noch minderjährig waren, wurde von den Militärs gefoltert. Man zwang sie zuzusehen, wie ihre Kinder vergewaltigt wurden. Nach den Misshandlungen musste sie ihr Dorf verlassen, weil man ihr die Schuld an den Verbrechen gab.

„Die Regierung kann uns noch so viel Geld anbieten. Es wird niemals genug sein, um uns von diesem Schmerz und dieser Wut zu befreien. Wir erkennen ihren Entschädigungsvorschlag als Schuldspruch gegen die Militärs an, aber wir fordern, dass sie die Summe verdoppeln, damit wir unseren Lebensunterhalt sichern und dringende finanzielle Probleme lösen können.“ Die Schwestern erklärten, sie würden weiter dafür kämpfen, dass die Soldaten bestraft und vor einem Zivilgericht verurteilt würden. Dem Gouverneur ließen sie mitteilen, dass sie für öffentliche Veranstaltungen nicht zur Verfügung stünden. Die von der Regierung angebotenen Programme seien überdies keine konstruktive Hilfe, denn „sie lösen nicht die wirklichen Probleme unseres Volkes“.

Die Vorgeschichte

Am 4. Juni 1994 waren die Schwestern Ana, Beatriz und Celia González Pérez (Namen geändert), damals 12, 13 und 14 Jahre alt, mit ihrer Mutter Delia Pérez de González in der Nähe eines militärischen Stützpunkts in der Region um Altamirano in der mexikanischen Provinz Chiapas unterwegs. Die vier hatten Gemüse verkauft und befanden sich auf dem Heimweg, als sich ihnen, wie schon so oft, eine Gruppe von Soldaten in den Weg stellte und sie zu verhören begann. Dieses Mal allerdings sollte die Freiheitsberaubung zwei Stunden dauern. Man beschuldigte sie, den Zapatisten anzugehören. Im Zuge des Verhörs wurden die drei Kinder von der Mutter getrennt, geschlagen und mehrmals von den Soldaten vergewaltigt.

Am 30. Juni 1994 zeigten die drei Schwestern das Verbrechen beim Bundesministerium an, woraufhin sie einer gynäkologischen Untersuchung unterzogen wurden. Laut Bericht Nummer 129/99 der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte CIDH wurde der Eingang der Strafanzeige am 30. August bestätigt. Nachdem das Bundesministerium erklärt hatte, es sei nicht in der Lage, in diesem Fall zu ermitteln, wurde die Akte im September 1994 an die Staatsanwaltschaft der Militärgerichtsbarkeit PGJM (Procuraduría General de Justicia Militar) weitergeleitet.

Verteidigungsministerium: Anschuldigungen “komplett falsch”

Am 2. Juli 1994 ließ das Sekretariat für nationale Verteidigung in einer Presseerklärung mitteilen, die Auswertung der Ermittlungen laut Akte A5FTA/03/94-E habe ergeben, dass die Anschuldigungen gegen die Soldaten „komplett falsch“ seien. Die Angehörigen des Militärs hätten zu keinem Zeitpunkt ihre Befugnisse überschritten.

Zwei Jahre später wurde der Fall vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission CIDH neu aufgerollt. Dies geschah nicht zuletzt auf Betreiben der Mexikanischen Kommission für die Verteidigung und Verbreitung der Menschenrechte und des Zentrums für Gerechtigkeit und Völkerrecht (Cejil). Im Zuge des Verfahrens wurde Vergewaltigung als Folter anerkannt und damit die Voraussetzung dafür geschaffen, dass das von Militärs begangene Verbrechen vor einem Zivilgericht verhandelt werden konnte – ein Präzedenzfall in der Geschichte der interamerikanischen Rechtsprechung.

Am 19. November 1999 nahm die CIDH den Fall auf. Im April 2001 machte sie den mexikanischen Staat verantwortlich für den Verstoß gegen verschiedene in der Amerikanischen Menschenrechtskonvention verankerte Rechte. Die CIDH empfahl eine umfangreiche, unparteiische und effektive Untersuchung der Verbrechen durch ein ordentliches mexikanisches Strafgericht. Dadurch sollte die Verantwortlichkeit der Soldaten für die Vorkommnisse durch ein Zivilgericht festgestellt, sowie eine angemessene Entschädigung für die Opfer erzielt werden.

Doch auch nach neun Jahren sind die mexikanischen Behörden dieser Empfehlung nicht nachgekommen. Seit 1996 befindet sich der Fall in den Archiven der Militärjustiz unter dem Vorwand, die Opfer hätten sich in der Ermittlungsarbeit nicht kooperativ gezeigt und das Interesse ihrer Unterstützer vor der Interamerikanischen Kommission sei abgeflaut. Der Staat rechtfertigte seine Entscheidung mit der Begründung, eine sorgfältige Ermittlung sei unter diesen Umständen nicht möglich gewesen, daher sei der Fall geschlossen worden.

Nach Meinung der Schwestern González könne der Vorschlag des Gouverneurs nicht als eine verspätete Umsetzung der Empfehlungen der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte gewertet werden, da er lediglich den Aspekt der Wiedergutmachung berücksichtige. Was fehlt, seien die strafrechtliche Verfolgung der Schuldigen und ihre Verurteilung durch ein Zivilgericht.

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