2.077 Tote – Die kolumbianische Armee oder: Glanz und Glorie des Terrors

von José Hilario López Rincón

(Quito, 27. Oktober 2009, alai).- Es ist immer wichtig, die Sachen beim Namen zu nennen. Was läuft wie eine Ente, schnattert und fliegt wie eine Ente, einen Schnabel hat wie eine Ente, schwimmt und kackt wie eine Ente, ist eine Ente. Kein Zweifel. Was hingegen große Ohren hat wie ein Esel, läuft wie ein Esel, eine Mähne hat wie ein Esel, Eselshufe hat und iaht wie ein Esel, ist ganz eindeutig ein… na? Ein Esel, richtig. So einfach ist das.

Die Sprache ist Teil der menschlichen Entwicklung, und sie ist für uns ein unentbehrliches Mittel zur Verständigung mit Unseresgleichen. Wenn wir die Bedeutung eines Worts nicht anerkennen, wenn wir die Beziehung ignorieren, die zwischen der Bedeutung eines Worts und seiner Aussage über die Wirklichkeit besteht, laufen wir Gefahr, die Ente zum Esel zu machen oder den Bock zum Gärtner.

Eine Nachricht ging vor einem Jahr durch die gesamte Medienlandschaft; genügend aufrüttelndes Potential, um die kolumbianische Gesellschaft aus ihrer Apathie zu reißen, besaß sie jedoch nicht: 1.666 unschuldige, unbewaffnete kolumbianische Zivilist*innen wurden seinerzeit vom kolumbianischen Militär niedergemetzelt. Die makabren Umstände, unter denen die Morde verübt wurden, und das grausame Komplott, das die Mörder ersonnen hatten, um die Verbrechen zu planen und auszuführen, erreichten kaum den Status einer Schlagzeile oder einer Reportage in Fernsehen oder Radio. Allzu schnell ging man wieder zur Tagesordnung über. Auf dem Höhepunkt der medialen Euphorie wurden die Morde als „falsche Treffer“ (span.: falsos positivos) und „Einzelfälle“ bezeichnet; die Verbrecher, die im Namen der kolumbianischen Armee operiert hatten, seien eben ein „paar wenige faule Äpfel“ unter den guten.

Das kolumbianische Heer verfuhr nach einem ausgeklügelten Plan. Gezielt wurden junge Arbeitslose, Drogenabhängige, minderjährige Straftäter und Behinderte angesprochen, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in andere Teile des Landes verbracht, dort kaltblütig ermordet, posthum als Guerilla-Kämpfer verkleidet, um anschließend zu behaupten, es handle sich um im Gefecht zu Tode gekommene Staatsfeinde. Mit dieser Lüge wurde die Prämie abkassiert, die der kolumbianische Staat im Namen der inneren demokratischen Sicherheit für jeden getöteten Guerillero aussetzt.

Mit dem Fall der „Jugendlichen von Soacha” hat die Brutalität der kolumbianischen Armee definitiv einen neuen, grauenhaften Höhepunkt erreicht. Es sei jedoch gerade im Kontext der unlängst verübten Verbrechen daran erinnert, dass die Armee bereits seit den 90er Jahren gezielt und geplant Zivilisten verschwinden lässt und anschließend ermordet.

Ein volles Jahr dauerten die Untersuchungen der Generalstaatsanwaltschaft der Nation. Nachdem die vom Militärischen Strafgericht unternommenen Vereitelungsversuche der Ermittlungen zum größten Teil überwunden wurden, weiß man inzwischen, dass zahlreiche Militäreinheiten gezielt und systematisch an den schwersten Kapitalverbrechen beteiligt waren, darunter die Einheiten La Popa de Valledupar, Santander, Rifles, Calibío und Fuerza de Tarea Conjunta de Sucre, etwa 35 Brigaden, el Gaula de Córdoba, el Gaula de Casanare und insbesondere die Divisionen 2, 5 und 7 der alles andere als verdienstvollen kolumbianischen Armee. In insgesamt 22 der 32 Provinzen des Landes wurden die kaltblütigen Morde verübt.

Die Abteilung für Menschenrechte der Generalstaatsanwaltschaft führt um die 1.300 Untersuchungen durch, deren momentaner Stand darauf schließen lässt, dass die Zahl der Menschen, die auf solch bestialische Weise vom kolumbianischen Heer getötet wurden, weit über die offiziellen 1.666 hinausgeht: Tatsächlich handelt es sich um insgesamt 2.077 Opfer, darunter Minderjährige, Frauen und sogar zwei Soldaten, die sich zur Tatzeit nicht im Dienst befanden.

Die Bundesdisziplinarbehörde strengte nun ihrerseits etwa 3.000 Verfahren gegen Militärangehörige an, um herauszufinden, in wieweit sie in den letzten sieben Jahren in Machenschaften dieser Art verstrickt sind. Interessanterweise deckt sich dieser Zeitraum exakt mit der Amtszeit Uribes.

Im Kontext der kolumbianischen Geschichte und der Kriminalität im Land verbinden sich mit der Ermordung der 2.077 Opfer drei Episoden: Zum einen der Bericht des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen, Professor Alston. Zum anderen die Wahl des Generalstaatsanwalts. Drittens, die Entscheidung der Strafgerichtskammer des Obersten Gerichtshofs im Zusammenhang mit außergerichtlichen Hinrichtungen in Arauca im Jahr 1995.

Einige werden sich erinnern, dass der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen Alston zwischen dem 8. und dem 18. Juni 2009 eine Mission zur Untersuchung der außergerichtlichen Hinrichtungen in Kolumbien lancierte. Im Anschluss erstellte er einen vorläufigen Berichtsentwurf und versprach, der vollständige Bericht werde in etwa vier bis fünf Monaten veröffentlicht. Das heißt, wir können in den folgenden Wochen mit Alstons endgültiger Auswertung der Lage rechnen.

In seinem vorläufigen Bericht machte der Sonderberichterstatter deutlich, welche Frage bei der Untersuchung entscheidend im Vordergrund steht, nämlich: Wer ist für der Ermordung dieser Menschen verantwortlich?

Anscheinend ist der Strafkammer des Obersten Gerichtshofs die Schwere der Tragödie bewusst geworden, und sie beginnt nun, diese Frage in ihren Einzelheiten zu beantworten. Sie analysierte also den Fall von mehreren Bauern, die 1995 in der Region Arauca von Militärs ermordet wurden und kam zu dem Schluss, es seien die Befehlshaber der Einheiten, die an der Ermordung der Bauern beteiligt waren, die sich für die von ihrer Truppe verübten Verbrechen verantworten müssen. So und nicht anders. Die Generäle und der Oberste Befehlshaber der Militärischen Streitkräfte selbst hetzen ihre Truppen auf, um zu den gewünschten Ergebnissen zu kommen, sie sind des Lobes voll für ihre zu Helden stilisierten Nichtsnutze, welche sich mit stolzgeschwellter Brust an die Durchführung der wenig ergiebigen Militäroperationen machen. Also müssen sie auch für die im Namen der kriminellen Politik der „demokratischen Sicherheit“ begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung gezogen werden. Der Gerichtshof erklärte, die Befehlshaber seien in dem Maße verantwortlich, in dem Operationen auf ihr Geheiß ausgeführt wurden.

Erinnern wir uns an die Resolution 29 vom 17. November 2005, mit der das fatale Entlohnungssystem für Erfolge in der Aufstandsbekämpfung eingeführt wurde. Den Vorschlag machte seinerzeit der damalige Verteidigungsminister Camilo Ospina Bernal. Und, welche Überraschung, genau diesen will der inquisitorische kolumbianische Diktator zum Generalstaatsanwalt ernennen, sobald sich die Gelegenheit bietet.

Zurück zum vorläufigen Bericht von Professor Alston. Am 18. Juni 2009, also lange bevor der Oberste Befehlshaber der kolumbianischen Streitkräfte den Kandidaten für die Besetzung des Amts des Generalstaatsanwalts durch den Obersten Gerichtshof genannt hatte, erklärte Alston prophetisch: „Die Staatsanwaltschaft hat innerhalb der komplexen und ausgeklügelten Struktur der kolumbianischen Gerichtsbarkeit fundamentale Bedeutung. Der Generalstaatsanwalt wird vom Obersten Gerichtshof anhand der Vorschläge des Präsidenten ernannt. Angesichts der zentralen und entscheidenden Funktion der Staatsanwaltschaft ist es wichtig, dass das Amt des Generalstaatsanwalts von einer unabhängigen Person besetzt wird, die über die ausreichende Stärke verfügt und einen tadellosen Ruf hat.“

Hier wird unter anderem deutlich, warum die Regierung darauf beharrt, den Kandidaten für die Besetzung des Postens des Generalstaatsanwalts zu nennen. Was den Präsidenten Uribe in seiner Tücke zur Ernennung Camilo Ospinas zum Generalstaatsanwalt veranlasst, ist nichts anderes als der Wunsch, den Bock zum Gärtner machen zu wollen.

Alles deutet darauf hin, dass der furchtbare Plan des kolumbianischen Heers, 2.077 Kolumbianer*innen straffrei umzubringen, erst noch vollendet werden muss und der letzte Schritt noch aussteht: nämlich seinen eigenen Ermittler auswählen.

Der ehemaliger Verteidigungsminister ist der geistige Vater der Resolution 29 von 2005, der rechtlichen und ideologischen Legitimierung eines Massenmords. Sollte Camilo Ospina Bernal nun wirklich mit der Ernennung zum Generalstaatsanwalt die Leitung der Untersuchung gegen seine ehemaligen Gefolgsmänner übertragen werden, werden die Worte Alstons, der Posten müsse „von einer unabhängigen Person“ besetzt werden, die „über ausreichende Stärke verfügt und einen tadellosen Ruf hat“, ad absurdum geführt.

Während der Oberste Befehlshaber der Armee, der sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hat, weiter einen Kunstgriff nach dem nächsten macht, um demnächst auch den Staatsanwalt in der Tasche zu haben, leiden die Angehörigen der Opfer unter permanenter „systematischer Einschüchterung und Anfeindung“ durch die Täter.

Und was tut die kolumbianische Gesellschaft in der Zwischenzeit? Sie weigert sich weiterhin hartnäckig, die Dinge beim Namen zu nennen.

-José Hilario López Rincón ist Anwalt des Anwaltsverbands Menschenwürde.

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