Erinnerung an das Massaker von Juliaca

Juliaca
Regierungskritische Proteste einen Tag nach den tödlichen Zusammenstößen in Juliaca am 9.1.23
Foto: Mayimbú via wikimedia
CC BY-SA 4.0 Deed

(Lima, 15. Januar 2024, servindi).- Am 9. Januar jährten sich die tragischen Ereignisse in der Stadt Juliaca in der südlichen Andenregion Puno: Während der Proteste gegen die Regierung Dina Boluarte Anfang 2023 starben 18 Menschen, darunter drei Jugendliche. Der Vorfall ereignete sich in der Nähe des Flughafens der Stadt Juliaca. Zuvor war es zu mehreren Protesten mit Toten und Verletzten gekommen. Diese hatten in der Region Apurímac begonnen und sich in den Regionen Ayacucho, Cusco, Arequipa, Cajamarca, La Libertad, Ica und Lima fortgesetzt und dann auf andere Regionen des Landes ausgeweitet. Am 9. Januar kam es zu heftigen Protesten, die eine gewaltsame Reaktion der Ordnungskräfte nach sich zogen und 18 Tote und Hunderte von Verletzten zur Folge hatten. Die Ereignisse sind beispielhaft für die politische Gewalt, an der die amtierende Regierung beteiligt ist und die in einigen Berichten nur als Massaker oder Massenmord bezeichnet wird. Das Ausmaß der Gewalt belegen die mehr als 60 Todesopfer, die vor und nach dem 9. Januar 2023 bei den landesweiten Protesten zu beklagen waren.  In diesem Artikel beschreiben wir die sozialen Akteur*innen und die Folgen ihres Handelns, wobei wir uns auf die Ereignisse in Juliaca konzentrieren.

Die sozialen Akteur*innen

Protagonist*innen des Massakers von Juliaca waren im Wesentlichen: 1. die Tausenden von Aymara-, Quechua- und Mestizen-Bürger*innen der Region Puno, die gegen die gerade eingesetzte Regierung protestierten; 2. die Ordnungskräfte (Nationalpolizei und Streitkräfte), die für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zuständig waren, insbesondere am internationalen Flughafen von Juliaca als strategischem Ort für die Erfüllung dieses Zwecks; 3. Hunderttausende von Menschen, die nicht direkt an den Protesten beteiligt waren, diese aber unterstützten, weil sie in der Nähe wohnten, sich in der Gegend bewegten oder mit den Protestierenden verwandt waren; und 4. Dina Boluarte, nach der Amtsenthebung von Pedro Castillo zur neuen Präsidentin von Peru, mit ihren Minister*innen sowie Kongressabgeordnete und Politiker*innen, die ihre Maßnahmen unterstützten.

Die protestierenden Bürger*innen

Bei den Tausenden von Bürger*innen, die sich seit Tagen auf den Straßen wichtiger Städte wie Puno und Juliaca versammelt hatten, handelte es sich nicht um Terrorist*innen oder politische Opportunist*innen, die den Staat oder die neu eingesetzte Regierung schwächen wollten. Es handelte sich vielmehr um Angehörige der Aymara und Quechua und Mestiz*innen, die die Region Puno ausmachen, mit einer anderen Kultur und einem anderen Verständnis von Staat und Regierung. Sie mobilisierten von ihren Organisationen oder ländlichen Gemeinden aus auf die Straßen und den Flughafen der Stadt Juliaca, um sich angesichts eines Regierungswechsels, der sie nicht überzeugte, Gehör zu verschaffen. Sie verstanden nicht, warum Pedro Castillo nicht mehr Präsident war und warum er nach einem angeblichen Staatsstreich gleichzeitig seines Amtes enthoben und verhaftet wurde. Sie verstanden nicht, warum Dina Boluarte das Präsidentenamt übernommen hatte und damit die Amtsenthebung und die Verhaftung von Pedro Castillo anerkannte.

Die Ordnungskräfte

Zu den Ordnungskräften gehörten an diesem Tag Angestellte der peruanischen Nationalpolizei und der Streitkräfte (Heer, Luftwaffe und Marine), die in der Region Puno stationiert oder im Einsatz waren und sich in und um den Flughafen von Juliaca befanden. Eine Gruppe dieser Beamten ging mit Repressalien, Schlägen und Schüssen gegen die Protestierenden vor. 18 Menschen starben; Hunderte wurden verletzt. Den Bildern und Nachrichten in den regionalen und nationalen Medien, den Berichten internationaler Organisationen (einschließlich der Interamerikanischen Menschenrechtskommission) und den von staatlichen Institutionen wie der Staatsanwaltschaft durchgeführten Ermittlungen zufolge erscheint die Gruppe der Ordnungskräfte als die unmittelbaren Täter, die wesentlichen Verursacher oder Vollstrecker dieser Ereignisse. Die mittelbaren Täter waren jedoch andere.

Die Bürger*innen, die die Proteste unterstützt haben

Die Hunderttausenden von Bürger*innen, die nicht an den Protesten teilnahmen, sie aber unterstützten, weil sie in der Nähe wohnen, in der Gegend unterwegs oder Verwandte der Protestierenden waren, kamen aus der Bevölkerung der Region Puno. Diese Menschen, die auf unterschiedliche Weise zu den Protesten beigetragen haben, machen etwa 90 Prozent der Bevölkerung der Region aus. So gehörten Ladenbesitzer, Lehrerinnen, Künstler, Studierende, Geschäftsleute, Gesundheitspersonal, Arbeiterinnen, technisches Personal und Fachleute im Allgemeinen aus der Stadt sowie aus den ländlichen und halbländlichen Gemeinden von Puno zu diesen Hunderttausenden von Menschen, die mit dem neuen Regime von Dina Boluarte nicht einverstanden waren und die Todesfälle verurteilten, die es zuvor in anderen Regionen gegeben hatte. Diese Gruppe sozialer Akteur*innen ist es, die den langen Protest finanziert und unterstützt hat, der nach den Ereignissen vom 9. Januar 2023 monatelang in der Region andauerte.

Die Präsidentin und ihre Minister

Dina Boluarte, die nach der Amtsenthebung von Pedro Castillo zur Präsidentin ernannt wurde, bildet vermutlich mit ihren Ministern und den Politikern, die sie an diesem Tag berieten und unterstützten, die Gruppe der indirekten oder mittelbaren Täter*innen des Massakers in Juliaca. Die Exekutivgewalt lag bei den Ministern, insbesondere im Innen- und Verteidigungsressort. Die endgültige Entscheidung traf jedoch die Präsidentin. In Anbetracht der in der peruanischen Verfassung geregelten Staatsstruktur koordinierten sich diese staatlichen Akteure über einen Ministerrat unter der Führung der Präsidentin, um Ordnungsmaßnahmen zu ergreifen (Artikel 121, 122 und 125 der Verfassung). Darüber hinaus ist in der Verfassung geregelt, dass die Präsidentin das nationale Verteidigungssystem leitet (Artikel 164).

Offensichtlich waren bei dem Massaker in Juliaca (direkte und indirekte) Täter*innen am Werk. Aber warum gibt es nach einem Jahr immer noch keine Sanktionen oder eine Antwort des Staates? Diese Frage bleibt unbeantwortet.

CC BY-SA 4.0 Erinnerung an das Massaker von Juliaca von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert