Wohnkooperativen in Uruguay – 40 Jahre Erfahrung mit kollektivem Aufbau und Widerstand

von Flor Goche – Desinformémonos

(Montevideo, 27. Oktober 2015, comcosur).- In Uruguay gibt es 15.000 Familien, die in gemeinsam aufgebauten und selbstverwalteten Wohnprojekten leben. Die Häuser werden in Gemeinschaft errichtet, danach werden sie unter denjenigen ausgelost, die bei den Bauarbeiten mit angepackt hatten. Die als Kooperativen organisierten Wohnprojekte haben ihren Ursprung in den 1970er Jahren zu Zeiten der Diktatur. Wer damals begann, sich in einer der Wohnkooperativen zusammenzuschließen, bildete gleichzeitig einen wichtigen Block des Widerstands gegen die Militärregierung.

Eine große und heterogene Bewegung

Mariana Menéndez, Dozentin an der Universität der Republik in Uruguay, hat diese Prozesse begleitet. Ihre Masterarbeit widmet sich dem Thema: „Bildung in Bewegung: die Erfahrung der Uruguayischen Vereinigung von Wohnkooperativen zur gegenseitigen Selbsthilfe FUCVAM (Federación Uruguaya de Cooperativas de Vivienda por Ayuda Mutua)“. Es handle sich dabei um eine sehr große Bewegung mit vielen Jahren an Erfahrung, die sehr heterogen in ihrer Zusammensetzung sei, erläutert Mariana Menéndez in einem Interview. Die Bewegung systematisiere im großen Maßstab die alltäglichen Praktiken der unteren Bevölkerungsschichten in Uruguay, die auf Autonomie durch kollektive Selbsthilfe beruhen. Und obwohl die ökonomischen Ressourcen vom Staat kommen, seien die Projekte dennoch Früchte der Selbstverwaltung.

Als ersten Schritt, so Mariana, strebt das Kollektiv die juristische Anerkennung an und gründet eine Kooperative. Danach besteht das Ziel darin, ein Grundstück zu erlangen, entweder durch eine Besetzung oder die Regierung selbst weist ihnen eins zu. Als letztes muss das Gebäude selbst von den Mitgliedern der Kooperative mit ihrer Arbeitskraft aufgebaut werden. Jedes Mitglied sollte mindestens ein Arbeitspensum von 21 Stunden pro Woche erfüllen.

Selbstgebaute Häuser als kollektives Eigentum

„Wir alle bauen die Häuser von allen auf und am Ende wird ausgelost. Die Häuser sind kollektives Eigentum.“ Das ist das Fundament der Wohnkooperativen in Uruguay. Die Sozialpsychologin betont, dass der fruchtbarste Moment des Projekts die Bauarbeiten selbst seien, da sich hierbei die Selbstverwaltung und das Kollektive materialisieren. Es sei genau in diesem Moment, da wichtige Prozesse der Politisierung einsetzen, die den Mitgliedern der Kooperative weitere Impulse geben, um mit der gemeinschaftlichen Arbeit voranzuschreiten, auch noch nach der Fertigstellung ihrer Wohnungen.

“Es bildet sich eine gemeinsame Struktur heraus, die gelernt hat, dass sie im Kollektiv die Wohnfrage lösen kann.“ Diese Lektion sei auch später nützlich, um andere Bedürfnisse zu lösen oder um andere Projekte und Kooperativen zu unterstützen, kommentiert Mariana. „Das Empowerment, das sich entwickelt, wenn du zum Protagonist bei der Lösung eines Problems wirst, ist nicht zu vergleichen mit dem Sozialen Wohnungsbau, bei dem dir lediglich die Schlüssel für die Wohnung überreicht werden.“

Wichtiger Teil der Basisbewegungen

Im Bereich der Basisbewegungen bildet die Bewegung der Wohnkooperativen einen wichtigen sozialpolitischen Akteur, zusammen mit den Gewerkschafts- und Studierendenbewegungen, fügt Mariana hinzu. Es handele sich dabei um ein kontrahegemoniales Projekt, das in den 1980er Jahren, nach dem Ende der Diktatur, eine Schlüsselrolle eingenommen hat, um die Bevölkerung wieder von unten zu organisieren. Auch wenn immer wieder eigene Widersprüche auszutarieren sind, verortet sie sich heutzutage im Widerstand gegen den Neoliberalismus.

Für die Bewegung FUCVAM, die Häuser von besserer Qualität als jedwede staatlich geplanten errichtet hat, bestehe heute die größte Herausforderung darin, sich der latenten Versuchung der Institutionalisierung zu widersetzen. Ein weiteres Risiko ist, sich an dem Thema des Zugangs zu Wohnraum – „ein elementares Bedürfnis, dass dich überhaupt dazu bringt, dich selbst zu organisieren“ – festzubeißen. Dies limitiere somit die Möglichkeiten zum Aufbau einer soziopolitischen Bewegung, die sich nicht nur mit konkreten Ressourcen auseinandersetzt, sondern auch mit anderen Formen des Zusammenlebens.

Auf Basis der ideologischen Prinzipien der Selbstverwaltung, des kollektiven Eigentums, der gegenseitigen Selbsthilfe und der direkten Demokratie haben die Wohnkooperativen in Uruguay mit einigen Höhen und Tiefen bereits mehr als vier Jahrzehnte überdauert. Das Modell wurde zur Inspiration für viele andere Prozesse in Zentralamerika.

 

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