Unüberbrückbarer Graben zwischen Agrarexport und kleinbäuerlicher Landwirtschaft

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 15. Mai 2016, npl).- Es war eine Meldung, die aufhorchen ließ. Ende März verkündete Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto, die Nahrungsmittelexporte des Landes hätten sich zur zweitwichtigsten Devisenquelle hinter dem Industrieexport entwickelt. Damit bringen die Agrarausfuhren Mexiko mehr US-Dollar ein als Erdölexporte, der Tourismus und die Zahlungen der Mexikaner*innen in den USA an ihre zurückgebliebenen Familien. Im Januar 2016 überstieg der monatliche Wert der mexikanischen Agrarexporte mit mehr als zwei Milliarden US-Dollar sogar erstmals seit gut zwei Jahrzehnten die Nahrungsmittelimporte. Für Peña Nieto ein Beleg für die „positive Transformation Mexikos“. Der Agrarsektor insgesamt wuchs 2015 mit 4,3 Prozent deutlich stärker den 2,9 Prozent der Gesamtwirtschaft.

Eigenbedarf an Reis und Getreide kann nicht mehr gedeckt werden

Doch diese Erfolgsmeldung hat ihre Tücken. Statistiken der mexikanischen Zentralbank weisen aus, dass der Exportüberschuss stark auf den Ausfuhren von Früchten und Gemüse beruht. Während Brombeeren, Erdbeeren und Broccoli in riesigen Mengen in die USA verkauft werden, kann Mexiko inzwischen bei vielen Grundnahrungsmitteln den Inlandsbedarf nicht mehr mit der eigenen Produktion decken.

Reis und Getreide sind ein Beispiel dafür. Es gibt weitere „Kollateralschäden“ der Exportorientierung: Im teilweise sehr arbeitsintensiven Obst- und Gemüseanbau arbeiten hunderttausende Tagelöhner*innen unter halbsklavenähnlichen Bedingungen. Vor gut einem Jahr machte der Landarbeiterstreik in San Quintín im Bundesstaat Baja California auf diese Situation aufmerksam. Die dort vielfach in Galeeren genannten Baracken zusammengepferchten Landarbeiter müssen für jede Flasche Trinkwasser teuer bezahlen. Unterdessen werden enorme Mengen Grundwasser in Baja California für die Bewässerung der ausgedehnten Felder benutzt. Im Bundesstaat Michoacán mussten nach Untersuchungen der Nationaluniversität UNAM in anderthalb Jahrzehnten 65.000 Hektar Wald dem Avocado-Anbau weichen. Ausländische Hauptabnehmer des „grünen Goldes“ – gemeint ist damit wohlgemerkt die Avocado, nicht der Wald – sind einmal mehr die USA.

Subventionen gehen an Großbetriebe

Wie im Grunde in der gesamten mexikanischen Wirtschaft besteht auch in der mexikanischen Landwirtschaft eine Polarisierung zwischen den wenigen exportorientierten, international wettbewerbsfähigen und hochmodernisierten Betrieben sowie der überwältigenden Mehrheit der Kleinbetriebe. Viele kleinbäuerliche und indigene Gemeinden produzieren vor allem für den Eigenverbrauch. Überweisungen von Familienmitgliedern in den USA oder zeitweise Lohnarbeit ermöglichen es ihnen zusammen mit der Subsistenzwirtschaft, auf dem Land zu bleiben. Aber für diejenigen Kleinbauern und mittelständischen Agrarproduzent*innen, die für den Markt anbauen, sieht die Lage düster aus. Die staatlichen Subventionen gehen vor allem in die Großbetriebe und den Bewässerungsfeldbau.

In den vergangenen Wochen gab es wiederholt Demonstrationen, Platz- und Straßenblockaden sowie Eingaben an die Regierungsinstanzen der Bundesstaaten und der Zentralregierung von verschiedensten Bauernorganisationen aus dem ganzen Land. Außer Versprechungen und kleinen Zugeständnissen für die Landwirt*innen kam dabei bisher nicht viel herum. Egal, ob sie beim Agrar-, Finanz- oder Innenminister anfragten: Fast immer wurden ihre Vertreter*innen, wenn überhaupt, nur von untergeordneten Funktionär*innen empfangen. Letztendlich erhandelten einige Organisationen am 10. Mai Unterstützung für „produktive Projekte“ beim Ministerium für soziale Entwicklung. Peanuts mehr oder weniger.

Kleinbauern bleiben außen vor

Als Präsident Peña Nieto von Mexikos Agrarexporten schwärmte, tat er dies bei der Einweihung eines riesigen Rindermastbetriebes mit angeschlossener Fleischfabrik im Bundesstaat Sinaloa. Der Betrieb umfasst 474 Hektar Land. Eigentümer ist Fleischzar Jesús Vizcarra, dessen Unternehmensgruppe SuKarne den mexikanischen Rindfleischexport zu 75 Prozent kontrolliert. Neben der Leitung zahlreicher Gremien der Privatindustrie war Vizcarra unter anderem Bürgermeister der Landeshauptstadt Culiacán und ehemaliger Gouverneurskandidat der Mexiko regierenden PRI. Vor dem Unternehmer und Parteifreund dozierte Präsident Peña Nieto: „Es gibt zwei Haltungen, die man einnehmen kann: sitzen bleiben und darauf warten, dass jemand vorbeikommt und etwas für einen tut oder aufstehen, aufrecht bleiben und ein fundamentaler Faktor sein, der Teil der Transformation unserer Gemeinschaft, unserer Gesellschaft, unseres Landes ist.“ Nicht immer so ganz einfach, für einen mexikanischen Kleinbauern.

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