Unser geliebter Alter: Nachruf auf Osvaldo Bayer

(Buenos Aires, 26. Dezember 2018, página 12).- Der anarchistische argentinische Autor, Historiker und Journalist Osvaldo Bayer ist am 24. Dezember 2018 im Alter von 91 Jahren gestorben. Sein Sohn Esteban Bayer hat einen Brief nach dem Tod seines Vaters veröffentlicht, den wir in Auszügen übersetzt haben.

Seit einigen Wochen bereits hatte Osvaldo das Bedürfnis aufzubrechen, er hielt es nicht mehr aus, in seinem Häuschen zu sitzen und nichts tun zu können. Er wollte seine Koffer packen. Er wachte morgens in dem Glauben auf, zu einem Menschenrechtskongress reisen zu müssen, oder mit der Vorstellung, dass man ihn in einem ganz entlegenen Dorf in der Pampa erwartete, um über eine Namensänderung einer Straße zu diskutieren, die nach einem Völkermörder an unaussprechlichen Indigenen benannt war. Oder dass er zu einer kleinen Schule in der weit entfernten Hochebene von Jujuy gerufen worden sei, wohin sich nie jemand verirrte – aber er durfte nicht fehlen, um über die Rechte der indigenen Bevölkerung zu sprechen. Gleichzeitig wurde er an der Berliner Universität erwartet und auf einer Gewerkschaftssitzung in Patagonien. Er musste einfach da sein.

Er fragte nach seinem Koffer, ob sein Reisepass und die Flugtickets bereit lägen. Mit Claudia, der großartigen Compañera, die ihn die letzten Jahre pflegte, hatten wir Codes entwickelt, um ihn davon zu überzeugen, die Reise aufzuschieben. Jetzt akzeptierte er keinen Aufschub mehr. Er hatte sich entschieden, abzureisen. Als guter alter Anarchist, und um uns allen, die wir die Kerzen an einem grünen Baum anzünden wollten, noch mal auf die Nerven zu gehen, suchte er sich das passende Datum aus: den 24. Dezember 2018. Seine Enkeltöchter in Hamburg stellten unter Tränen fest: Der Opa ging nicht, ohne der Kirche auf seine Art noch mal eins auszuwischen.

Ich bin davon überzeugt, dass der Grund für seine Eile in der aktuellen Realität dieses Landes liegt. Eigentlich hatte er vor, allen auf die Nerven zu gehen, wie er es nannte, bis er 100 Jahre alt würde. Ein Jahr weniger als seine geliebte Tante Griselda aus Santa Fe. Aber die Realität hat ihn eingeholt. Er hatte keine Erklärung mehr für das, was er in den Zeitungen las und auf der Straße hörte.

Jetzt drängte es ihn, andere Wahrheiten kennen zu lernen. Er ging, um seine alten Weggefährten und historischen Vorbilder zu treffen, mit denen er immer sprechen und debattieren wollte, aber nie die Gelegenheit dazu hatte: Als Pazifist wollte Osvaldo mit Severino über Gewalt diskutieren; mit dem Anführer der Patagonía Rebelde Antonio Soto oder dem indigenen Kämpfer Arbolito. Aber vor allem ging er, um all die anonymen Helden zu treffen, die für eine gerechtere Welt kämpften, jene die sich nicht brechen ließen und all die Namenlosen, die auch heute täglich kämpfen, ohne in der Zeitung aufzutauchen. Ihnen hörte Osvaldo immer zu und gab ihnen eine Stimme.

Geliebter Alter, Danke für all das, was Du uns beigebracht hast, als Deinen Kindern, als Kämpfenden, als Mitbürgern, als Menschen.

Lass dich noch einmal umarmen, so wie wir das zuletzt vor kaum einer Woche getan haben.

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