Sterben für versprochenes Land

von Susan Abad

(Lima, 02. Mai 2011, noticias aliadas/poonal).- Zynisch scheint der Ausspruch eines führenden Paramilitärs, der die Gewaltdynamik der Landkonflikte in Kolumbien folgendermaßen beschreibt: „Während die Einen töten, kommen Andere und kaufen und Dritte legalisieren dann.“ Dieser Satz kann jedoch augenscheinlich um den Zusatz “und wieder andere töten weiterhin diejenigen, die ihr Land zurückfordern”, erweitert werden.

Angriffe auf organisierte Bauern und Bäuerinnen, welche die Rückgabe ihres Landes fordern, nehmen zu. Mit den Morden an drei weiteren Leiter*innen von Bauernorganisationen im vergangenen April steigt die Zahl der ermordeten Bauern und Bäuerinnen, die seit dem Jahr 2002 für die Rückgabe der Länder kämpften von denen sie vertrieben worden waren, auf 50 Personen an.

Präsident Santos Ankündigung der Landrückgabe

Am 29. März 2011 sind 23 soziale Organisationen aus Kolumbien vor die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte CIDH (Comisión Interamericana de Derechos Humanos) getreten und Dokumente präsentiert, die beweisen, dass zwischen 2002 und 2009 über 1.000 Menschenrechtsverteidiger*innen Opfer von Aggressionen geworden sind. Dabei handelt es sich um Mordanschläge, Einschüchterungen, willkürliche Verhaftungen und Folter. Unter den Opfern sind auch die organisierten Kleinbauern und –bäuerinnen, die im Kampf um ihr Land gestorben sind.

Im August 2010 veröffentlichte Präsident Juan Manuel Santos die Ankündigung, dass er im Verlauf seiner vierjährigen, bis 2014 währenden Amtsperiode mindestens zwei der fünf Millionen Hektar Land, von dem Bauern und Bäuerinnen durch paramilitärische Gruppierungen, durch die Guerilla, durch Drogenhändler*innen oder korrupte Politiker*innen vertrieben wurden, wieder zurückgeben werde.

Zunahme von Gewalt gegen potentielle RückkehrerInnen

Diese Ankündigung hat, zusammen mit der Eile gewisser skrupelloser Personen, Ländereien mittels gefälschter Titel oder durch Korruption in den Regionalverwaltungen zu legalisieren, zu einem Anstieg der Angriffe auf die Opfer von Landvertreibung und zu weiteren Mordanschlägen gegen diesen Personenkreis geführt.

Die Absicht der Regierung trat einen Monat später mit der Vorstellung des so genannten „Opfergesetzes“ (Ley de Víctimas) im Kongress zutage. Das Gesetz soll zehn Jahre gültig sein und alle Menschen einbeziehen, die seit dem 1. Januar 1985 geschädigt wurden. Nach drei Debatten stimmte die Erste Senatskommission dem Gesetz schließlich Anfang April zu. Die Bewilligung durch das Parlament stand im Mai an.

“Das Land steht im Kreuzfeuer des bewaffneten kolumbianischen Konflikts. Viele Jahre lang sind Menschen zu unterschiedlichen Zwecken vertrieben worden: zur Ausbeutung der Böden, der Erdöl- und Erdgasvorkommen, der Bodenschätze, zur territorialen Kontrolle für Kriegszwecke sowie zur Bereicherung. Wenn man die Statistiken betrachtet, ist der Zusammenhang mit dem Konflikt offensichtlich. Zwischen drei und sechs Millionen Hektar Land sind geraubt und etwa drei bis vier Millionen Menschen gewaltsam vertrieben worden“, kommentiert Ana Teresa Bernal, Vertreterin der Zivilgesellschaft in der Nationalen Kommission zur Reparation und Versöhnung CNRR (Comisión Nacional de Reparación y Reconciliación). Diese Kommission wurde 2005 mit dem Ziel geschaffen, den Opfern der bewaffneten Gruppen Zugang zur Justiz und zu einer integralen Wiedergutmachung zu gewährleisten, damit sich solche Fälle nicht wiederholen.

Trügerischer Prozess

Der Senator Iván Cepeda, Vertreter der linken Partei Alternativer Demokratischer Pol (Polo Democrático Alternativo) und Sprecher der Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen (Movimiento de Víctimas de Crímenes de Estado), erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Noticias Aliadas, dass “wir uns in einer Situation befinden, in der die Leiter*innen von Bauerngemeinden oder von Zusammenschlüssen der Opfer zu einem ,Hindernis‘ werden, um einerseits die Legalisierung der Ländereien zu beenden, und andererseits einen tatsächlichen Impuls geben zu können, um das Versprechen der Regierung Santos auf Rückgabe des Landes umzusetzen.“

“Man versucht, diejenigen zum Schweigen zu bringen, die den betrügerischen Charakter des Legalisierungsverfahrens bezüglich der Territorien anprangern. Aber es werden auch jene Personen umgebracht, die von der Regierung angebotene Landtitel erhalten. Aus diesen Gründen gibt es eher noch eine Zunahme von Gewalt. Es wird schlichtweg versucht, diejenigen auszuschalten, die in den Institutionen, vor der internationalen Gemeinschaft, bei Richter*innen und Menschenrechtsorganisationen Anklage erheben“, fügt er hinzu.

“Schikanen sind wie das tägliche Brot“

Carmen Palencia ist Leiterin der Opfervereinigung für die Wiedergabe und den Zugang zu Land (Asociación de Víctimas por la Restitución y el Acesso a las Tierras). Die Vereinigung hat erreicht, dass bereits 4.000 Hektar Land in Urabá, einer Region an der Karibikküste im äußersten Nordwesten Kolumbiens an der Grenze zu Panama, zurückgegeben wurden. Palencia ist der Ansicht, dass den Menschen in Bogotá das volle Ausmaß der Schwierigkeiten, mit denen vertriebene Bauern und Bäuerinnen kämpfen, gänzlich unbekannt ist.

“In diesen Regionen sind Bedrohungen, Einschüchterungen und wiederkehrende Schikanen wie das tägliche Brot“, versichert sie. Angesichts dieser Situation kündigte die Regierung Mitte März die Einrichtung eines Integrierten Intelligenzzentrums für die Landrückgabe (Centro Integrado de Inteligencia para la Restitución de Tierras) an, das sich aus den Verteidigungs- und Innenministerien, sowie der Staatsanwaltschaft zusammensetzen solle. Ziel des Zentrums sei es, Sicherheit zu gewährleisten, Schutzpläne zu entwerfen und Zonen auszumachen, in denen das Risiko für die Empfänger*innen des zurückgegebenen Landes besonders groß ist.

“Man kam darin überein, die individuellen Sicherheitsvorkehrungen für Mitglieder der Opfervereinigungen von Vertriebenen zu überprüfen. Außerdem sollte die Militär- und Polizeipräsenz in den für diese Menschen gefährlichen Zonen erhöht werden“, versicherte Innen- und Justizminister Germán Vargas Lleras.

Die Mächtigen antasten

Die betroffenen Bevölkerungsgruppen und ihre Verteidiger*innen halten diese Maßnahmen der Regierung jedoch für unzureichend und misstrauen den guten Absichten der Regierung.

“Es reicht nicht aus, eine Ankündigung zu machen. Man muss damit anfangen, die Interessen der Mächtigen anzutasten. Bei diesen Leuten handelt es sich einerseits um große nationale Unternehmen, die daran interessiert sind, Landwirtschaft im großen Stil zu betreiben, etwa mit Palmölplantagen für die so genannten Agrokraftstoffe“, erläutert Ivan Cepeda. „Auf der anderen Seite gibt es Bergbau-Unternehmen und transnationale Konzerne, die ebenfalls ihre Interessen in Kolumbien verfolgen. Aber das sind auch noch die Rinderzüchter*innen sowie die Angehörigen der so genannten ‚Para-Ökonomie‘ – damit sind all die Wirtschaftskreisläufe gemeint, die aus der paramilitärischen Gewalt hervorgegangen sind.“

Problem der „guten Absichten“?

„Diese mächtigen Gruppen werden folglich nicht mit verschränkten Armen bei der Landrückgabe zuschauen. Sie verfügen über gewaltbereite Einsatzgruppen, paramilitärische Banden, Menschen im Staatsdienst, Angehörige in den öffentlichen Sicherheitsorganen, bei der Polizei, beim Militär – Leute, die für sie gezwungenermaßen die Drecksarbeit machen. Daher denke ich, dass es vielmehr ein politisches Problem ist, und nicht lediglich ein Problem der guten Absichten“, unterstreicht Cepeda.

Es wurden weitere Empfehlungen für einen verbesserten Opferschutz eingebracht. So schlug Rafael Pardo, Chef der Liberalen Partei, vor, eine Nationalgarde aufzustellen, die bedrohte Bauern und Bäuerinnen schützen solle. Gleichzeitig stellte er jedoch klar, dass diese Garde „nicht bedeuten würde, Zivilist*innen zu bewaffnen, sondern eine Spezialeinheit der öffentlichen Sicherheitskräfte für ländliche Gebiete zu schaffen.“

Die Möglichkeit, eine Kommission gegen Kriminalität zu gründen, in der Gremien und große Großunternehmer*innen aus dem ländlichen Raum zusammen mit der Regierung teilnehmen sollen, schlug hingegen Francisco Gutiérrez, Professor an der Nationalen Universität, vor.

Der Faktor Angst

Währenddessen bleibt die Angst weiterhin bestehen. Viele ziehen es vor, nicht ihr Leben durch eine Rückkehr zu riskieren. Edwin Tapia, Mitarbeiter bei der Beratungsstelle für Menschenrechte und Vertreibungen CODHES (Consultoría para los Derechos Humanos y el Desplazamiento), erklärte gegenüber Noticias Aliadas, dass 79 Prozent der vertriebenen Bevölkerung lieber an dem Ort bleibt, wo sie angekommen ist, als zurückzukehren.

Zumindest würden sie solange nicht zurückkehren, bis sich die Sicherheitsvoraussetzungen gebessert haben und die Möglichkeit einer erneuten Niederlassung an ihrem Herkunftsort gewährleistet werden könne. Dabei bezog sich Tapia auf den letzten Bericht der Kommission zur Überprüfung der staatlichen Politik angesichts der gewaltsamen Vertreibung (Informe de la Comisión de Seguimiento a la Política Pública sobre el Desplazamiento Forzado) vom Oktober 2008.

„Bis zum letzten Hektar“

Palencia weigert sich, sich von der Angst besiegen zu lassen. „Unser Leitspruch war immer: ’insistir, persistir resistir y nunca desistir‘ (auf Deutsch: insistieren, standhalten, wiederstehen und niemals aufgeben). Obwohl die Mordanschläge für viele ein Grund sind, zur Seite zu weichen, sind sie für uns eine Verpflichtung, weiterzumachen. Für uns ist klar, wer stirbt, der stirbt, aber diejenigen, die überleben, haben die Pflicht, weiterzumachen. Die Morde bringen uns nicht dazu, zurückzuweichen; im Gegenteil, sie geben uns den Impuls, solange vorwärts zu schreiten, bis sie uns den letzten Hektar zurückgegeben haben.“

 

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