Poonal Nr. 444

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 444 vom 18. August 2000

Inhalt


DOMINIKANISCHE REPUBLIK

HONDURAS

EL SALVADOR

MITTELAMERIKA

MEXIKO

PERU

PARAGUAY

BRASILIEN/BRD

URUGUAY


DOMINIKANISCHE REPUBLIK

Hoffnung für die Ärmsten oder Fortführung des neoliberalen Kurses? In der Dominikanischen Republik tritt ein neuer Präsident sein Amt an

Von Gerardo Herrero

(Mexiko-Stadt, 16. August 2000, Poonal).- Versprochen hat Hipolito Mejia im Wahlkampf viel. Seit Mittwoch muss der 59-jährige Politiker der sozialdemokratischen Revolutionären Dominikanischen Partei (PRD) beweisen müssen, ob er es ernst gemeint hat. Dann tritt er sein Amt als Präsident in dem Karibikstaat an, der sich die Insel Hispaniola mit Haiti teilt. Mejia war im Mai beim ersten Urnengang gewählt worden, nachdem sein Kontrahent von der bisher regierenden Dominikanischen Partei der Nationalen Befreiung (PLD) angesichts der 49,87 Prozent für den PRD-Kandidaten auf eine Stichwahl verzichtete.

Mejia, ein Agrarökonom, der Ende der 70er Jahren schon einmal als Landwirtschaftsminister in der Regierung saß, hat keine leichte Aufgabe vor sich. Von den acht Millionen Bewohnern der Dominikanischen Republik lebt die Mehrheit in Armut, die beeindruckenden makro-ökonomische Zahlen der letzten Jahre brachte diesen Menschen wenig. Die Kaufkraft der einheimischen Währung sinkt beständig, die permanente Energiekrise führt nach wie vor zu zahlreichen Stromausfällen. Steigende Einnahmen durch den Tourismus und die Überweisungen der überwiegend in den USA lebenden dominikanischen Migranten verzerren die Wirtschaftsbilanz ebenso, wie die in Freihandelszonen investierenden ausländischen Unternehmen, die mit wenig einheimischem Input arbeiten und ihre Gewinne größtenteils nicht im Land lassen.

Die PLD hatte als Rezept für Verbesserungen eine neoliberale Wirtschaftspolitik anzubieten, die hauptsächlich auf der Privatisierung staatlicher Betriebe basierte. Im Wesentlichen will auch Mejia an diesem Kurs festhalten. Deshalb ist es schwer einzuschätzen, wie die „Korrekturen“ aussehen werden, die er angekündigt hat. Angesichts seiner Absichtserklärung, 50 Prozent des Staatsbudgets für soziale Ausgaben zu verwenden, wird zudem interessant sein, was er als Sozialhaushalt interpretiert. Für die „Ärmsten der Armen“ will er regieren, hat Mejia versprochen.

Zu den Ärmsten gehören im Land besonders die Schwarzen. Oft genug haben die Parteien mit rassistischen Parolen ihren Wahlkampf betrieben. 1996 scheiterte der inzwischen verstorbene PRD-Parteiführer Franciso Peña Gomez knapp im zweiten Wahlgang an einer Allianz aus PLD und PRSC. Als einen Grund machten Beobachter damals seine dunkle Hautfarbe aus, auf die seine politischen Gegner immer wieder mit negativen Bemerkungen anspielten. Dazu kamen die Ränkespiele des greisen PRSC-Patriarchen Joaquin Balaguer. Der heute 94-jährige, siebenmal Präsident seines Landes, schlug sich vor drei Monaten als Drittplazierter auf die Seite von Mejia und machte ihm damit den Weg ins höchste Staatsamt frei. Ob die von Mejia verkündete „Regierung der nationalen Einheit“ alte Wunden heilen und die Rassendiskriminierung abbauen kann, ist mehr als ungewiss.

Außenpolitisch wird der Präsident vor allem daran gemessen werden, wie er das Verhältnis zum noch wesentlich ärmeren Nachbarland Haiti gestaltet. Die zunehmenden Fälle von Ausbeutung, Misshandlung und Deportation der haitianischen Wanderarbeiter durch die dominikanische Seite sind immer wieder ein Reizthema zwischen beiden Ländern und nicht selten zeigten sich die Regierungen der Dominikanischen Republik in der Vergangenheit arrogant gegenüber den Klagen aus Haiti.

Zumindest bis zu den Kommunal- und Parlamentswahlen im Jahr 2002 kann Mejia mit einer gefestigten Position rechnen. Im Senat verfügt die PRD über die absolute Mehrheit, im Abgeordnetenhaus ist sie die stärkste Fraktion. Auch in den meisten Rathäusern sitzen Mitglieder der Partei. Die PRD stellte – von einer siebenmonatigen Regierungszeit Anfang der 60er Jahre, die durch einen Militärputsch beendet wurde, abgesehen – in ihrer gut 60- jährigen Parteigeschichte bisher erst zweimal das Staatsoberhaupt. Dabei hinterließen ihre der Korruption beschuldigten Regierungen (1978/82 und 1982/86) ein wirtschaftliches Chaos. 1984 kam es sogar zu Hungerrevolten in der Hauptstadt Santo Domingo. Die Partei brauchte lange, sich von diesem Negativ-Image zu erholen. Der neue Präsident wird nun zeigen müssen, ob er aus den Fehlern der Vergangenheit, an denen er einst als Minister beteiligt war, gelernt hat.

 

HONDURAS

Bischöfe klagen korruptes Justizwesen an

(Tegucigalpa, 15. August 2000, pulsar-Poonal).- Die honduransichen Bischöfe halten nicht viel vom bestehenden Justizsystem ihres Landes. Die Gerichtsbarkeit sei politisiert und gebe Richter, die „böswillig die Verfahren verzögern“. In einer Erklärung erheben die kirchlichen Würdenträger den Vorwurf, dass die Mehrheit der 500 Richter im Land ihre Arbeit in einem Klima von Korruption und Erpressung ausübt. Nach Ansicht der Bischofskonferenz wird die Justiz nur gegen die Ärmsten angewandt, das sei eines der Hauptprobleme in Honduras. Entgegen der Verfassung seien die Personen nicht alle gleich vor dem Gesetz, „denn das Geld entscheidet die Prozesse“.

Die Bischöfe fordern das Recht der Verhafteten auf ein Gerichtsurteil über ihren Fall ein. In den vergangenen zehn Jahren war das nur bei 8,2 Prozent der mehr als 11.500 Gefängnisinsassen in Honduras so. Zwar erkennen die Kirchenvertreter Anstrengungen von Funktionären im Justizwesen an, die auf Reformen setzten. Doch habe sich das System bisher weder verbessert und die Kriminalitätsrate nehme stark zu statt ab.

 

EL SALVADOR

Marsch gegen Giftmüll

(San Salvador, 14. August 2000, pulsar-Poonal).- Etwa hundert Angehörige von Bauernfamilien des Ortes Cuisnahuat zogen durch die Straßen der Hauptstadt San Salvador. Ihr Protest hat ein ganz konkretes Ziel: Die Rücknahme von 42 Giftfässern, die seit 1997 am Rande der Gemeinde abgelagert sind. Die Fässer enthalten eine unter Dimetoato bekannte Chemikalie, die Bestandteil von mehreren Pestiziden ist. Das Haltbarkeitsdatum ist abgelaufen ist und entweichende Stoffe verursachen vor allen Dingen bei den Kindern und den älteren Menschen Hautausschlag, Kopfschmerzen und Übelkeit. Die für die Lagerung der Fässer verantwortliche Firma ist bankrott gegangen. Weder Regierung noch Gesundheits- und Umweltbehörden haben bisher auf die wiederholten Proteste der Bewohner von Cuisnahuat reagiert. Der kleine Ort liegt etwa 70 Kilometer westlich von San Salvador entfernt.

 

MITTELAMERIKA

Gemeinsame Manöver

(14. August 2000, pulsar-Poonal).- Auf Bitten und unter offizieller Kontrolle der UNO führen die Armeen Mittelamerikas und der USA eine Reihe von Militärmanövern durch. Sie haben den Namen „Friedenserhaltende Übung Norden 2000“ und dienen laut Vereinten Nationen dazu, die Streitkräfte an die Unterordnung unter die Zivilgewalt zu gewöhnen. Bei den Operationen lautet das Planspiel, dass eine demokratische Regierung in einem fiktiven Land der zentralamerikanischen Region verteidigt wird, die von Unabhängigkeitskräften gestürzt wurde. Bei der Verteidigung helfen die Armeen der Nachbarländer. Nach den Angaben des honduranischen Oberst Andino Almendárez besteht die Aufgabe darin, am Ende eine gewählte Regierung, eine professionelle Polizei und parteiungebundene Streitkräfte installiert zu haben. Das Manöver ist das erste seiner Art, in einer Region, die sich in vergangenen Jahrzehnten durch ständige Diktaturen auszeichnete. Unabhängig von den offiziellen Verlautbarungen gibt es Einschätzungen, die hinter den Übungen die Absicht vermuten, die militärischen Aspekte des Plan Colombia (vgl. dazu die Poonalausgaben der vergangenen Wochen) abzustimmen. Kolumbien ist der Nachbarstaat Mittelamerikas.

 

MEXIKO

Unternehmen entlässt nach Arbeitsunfall vergiftete Beschäftigte fristlos

(Mexiko-Stadt, 15. August 2000, pulsar-Poonal).- Drei Landarbeiter, die sich in der vergangenen Woche wegen fehlenden Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz mit agrochemischen Mitteln vergifteten, sind von der taiwanesischen Unternehmensentführung fristlos und ohne jegliches Abfindungsangebot entlassen worden. Der Fall wurde durch das Huichol-Zentrum in der Stadt Tepic im nördlichen Bundesstaat Nayarit bekannt gemacht. Die drei Tagelöhner waren auf den Gemüsefeldern der Firma „Triple Ocho“ beschäftigt und verbrachten ungeschützt das hochgiftige Mittel Lanate auf die Böden. Die Folge waren Ohnmachtsanfälle und Krämpfe. Ohne die medizinische Hilfe in einer Gesundheitsstation wären sie möglicherweise gestorben. Als sie sich erneut zur Arbeit präsentierten, wurden sie nicht nur entlassen, sondern das Unternehmen verweigerte auch den Monatslohn für die bereits geleistete Arbeit. Nach Angaben des Huicho-Zentrums handelt es sich bei dem Vorkommnis um keinen Einzelfall.

 

Breiter Protest gegen ultrakonservative Einstellungen Bundesstaat Guanajuato bestraft Abtreibung nach Vergewaltigung

Von Martha Villavicencio

(Mexiko-Stadt, 17. August 2000, npl).- Anfang dieses Monats verabschiedete die Abgeordnetenmehrheit der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) im mexikanischen Bundesstaat Guanajuato eine Reform des Strafgesetzbuches. Unter anderem werden Frauen, die infolge einer Vergewaltigung schwanger werden und sich für die Abtreibung entscheiden, mit bis zu drei Jahren Haft bedroht. Nicht-Regierungsorganisationen und Bewegungen, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen, reagieren erzürnt und empört.

Organisationen wie „Katholikinnen für das Recht, zu entscheiden“, „Milenio Feminista“ oder die „Informationsgruppe für eine selbstbestimmte Reproduktion“ (GIRE) sowie viele spontan engagierte Menschen protestieren seitdem in ganzen Land gegen die Paragrafen, die sie als machistisch und frauenverachtend bezeichnen. Die Ständige Kommission des mexikanischen Bundesparlaments hat sich ebenfalls gegen die Reform ausgesprochen, die Oppositionsparteien in Guanajuato sprechen von einem Akt der Barbarei. Einer neuen Umfrage zufolge sind über 60 Prozent der Mexikaner der Meinung, dass Abtreibungen unter bestimmten Bedingungen erlaubt sein sollten.

Während einzelne katholische Bischöfe die Verschärfung des Abtreibungsrechtes ganz offen begrüßen, drückt sich mexikanische Bischofskonferenz etwas vorsichtiger aus. Sie sei damit einverstanden, dass Abtreibung bestraft werde. Die ultrakonservative Organisation „Provida“ fordert dagegen, die Reformen aus Guanajuato im ganzen Land durchzusetzen. Bisher ist Guanajuato der einzige Bundesstaat der mexikanischen Republik, der vergewaltigten Frauen nicht erlaubt, abzutreiben.

Vicente Fox, der im Juli als PAN-Kandidat zum mexikanischen Präsidenten gewählt wurde und pikanterweise bis Mitte vergangenen Jahres Gouverneur in Guanajuato war, hat sich inzwischen mehrmals in knappen Worten von den Reformen distanziert – genauso wie die Parteiführung auf Bundesebene, die die Kriminalisierung von Abtreibungen „nicht opportun“ findet. Nach Zeitungsberichten soll Guanajuatos Interimsgouverneur Ramon Martin Huerta aus der Zentrale Mexiko-Stadt die Weisung bekommen haben, wegen des „Lärms um die Sache“ sein Veto gegen die Gesetzesverschärfung einzulegen. Schließlich tritt Fox sein Amt erst am 1. Dezember an und ist über Negativzeilen in der Übergangsperiode nicht begeistert.

Den bemerkenswerten Anstieg von ultrakonservativen Einstellungen in Verbindung mit lokalen PAN-Regierungen werten Beobachtern als neuen Frühling der Rechten in Mexiko. Die Zensur mehrerer Ausstellungen, die als pornografisch eingestuft wurden, weil sie unter anderem Nacktdarstellungen zeigten, geht auf deren Wirken zurück. Und der Erzbischof von Mexiko -Stadt setzt noch eins drauf: Er drohte all jenen mit Exkommunikation, die abtreiben lassen oder sich für Abtreibung einsetzen.

Besonders Aufsehen erregte bereits im vergangenen Jahr der Fall von Paulina, einem damals 13-jährigen Mädchen indigener Herkunft, die von einem drogenabhängigen Einbrecher vergewaltigt und geschwängert wurde. Die PAN-Behörden im Bundesstaat Baja California verhinderten unter Mithilfe von „Provida“ die von Paulina gewünschte Abtreibung. Dabei nahmen sie bewusst in Kauf, gegen bestehendes Gesetz zu verstoßen.

Die mexikanische Schriftstellerin Elena Poniatowska kommentiert die jüngsten Vorkommnisse als die ersten Kosten der „nützlichen Stimmabgabe“. Mit diesem Argument zogen Fox und die PAN unter anderem zahlreiche Stimmen der Linken zu sich herüber, die darin die einzige Chance sahen, die seit 71 ununterbrochen regierende Revolutionäre Institutionelle Partei (PRI) von der Macht zu verdrängen.

 

Gouverneurswahlen im Bundesstaat Chiapas Eine Wegbestimmung für das ganze Land

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 16. August 2000, Poonal).- Am kommenden Sonntag (20.8.) wird in dem südöstlichen mexikanischen Bundesstaat Chiapas ein neuer Gouverneur gewählt. Nach den jüngsten Umfragen sprechen die Anzeichen für einen relativ deutlichen Sieg von Pablo Salazar Mendiguchia, dessen politisch sehr heterogene Allianz für Chiapas praktisch die gesamte Bandbreite der Opposition von links bis rechts umfasst. Gut 2 Millionen Wähler sind aufgerufen, ihr Stimmrecht wahrzunehmen. Bisher war der Bundesstaat eine der sichersten Bastionen in ganz Mexiko für die noch regierende Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI), und befand sich nie in den Händen der Opposition. Doch nach Meinung vieler Experten kann nur ein Wahlbetrug den offiziellen Kandidaten Sami David David retten.

Mehr als viertausend in- und ausländische Wahlbeobachter werden für den 20. August in dem Bundesstaat erwartet. Das Interesse am Ausgang der Wahlen ist immens groß. Das hat mehrere Gründe. Zum einen könnte sich am Sonntag ein Kreis schließen. Vor sechseinhalb Jahren sorgte der Aufstand der Indigenas und ihres charismatischen Sprechers Subcomandante Marcos in Chiapas für Aufsehen. Ihre sozialen und wirtschaftlichen Forderungen fanden sogar über die Grenzen Mexikos hinaus großes Echo. Für viele war die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) ein wesentlicher Faktor für einen demokratischen Aufbruch im ganzen Land und die Schwächung der seit 1929 ununterbrochenen regierenden PRI. Nachdem die Regierungspartei bereits die Präsidentschaftswahlen am 2. Juli verlor, könnte eine Niederlage in Chiapas das Ende der PRI in ihrer alten Struktur endgültig besiegeln.

Auch die Aussichten auf eine friedlichere Entwicklung in dem Bundesstaat könnten steigen. In ihrem Bestreben, den Einfluss der EZLN zurückzudrängen, wurde Chiapas von der Regierung zunehmend massiv militarisiert. Spätestens, seit die im Februar 1996 zwischen Regierung und Aufständischen vereinbarten Abkommen von San Andres nicht in die Praxis umgesetzt wurden und keine weiteren Friedensverhandlungen mehr zustande kamen, sprechen Beobachter von einem Krieg niedriger Intensität in dem Bundesstaat. Paramilitärische Gruppen gehen mit Duldung oder Unterstützung der öffentlichen Sicherheitskräfte gegen Sympathisanten der Zapatisten vor, religiöse Differenzen werden ausgenutzt und angeheizt, um Gemeinden zu spalten. Die lokale Machtelite, einschließlich des noch amtierenden Gouverneurs Roberto Albores regierte in den zurückliegenden Jahren nach dem Grundsatz „Teile und Herrsche“. Solange die arme Bevölkerungsmehrheit sich befehdete, konnte sie sich ihrer Privilegien sicher sein.

Der am 2. Juli gewählte konservative Präsident Vicente Fox, der ab dem 1. Dezember regieren wird, könnte, wenn er ein wirkliches Interesse daran hätte, mit einem Gouverneur Pablo Salazar wesentlich einfacher entspannende Maßnahmen durchführen als mit einem Gouverneur, der Sami David heißt. Salazar war – noch als Senator der PRI – jahrelang Mitglied der Cocopa, der parteiübergreifenden Parlamentskommission zu Chiapas. Dabei zeigte er sich im Gegensatz zur Mehrheit seiner Parteikollegen aufgeschlossen gegenüber den Vorschlägen und Forderungen der EZLN. Dies brachte ihn mehr und mehr auf Distanz zur PRI, die in Chiapas sogar ein Ausschlussverfahren gegen ihn in Gang setzte. Im Mai 1999 kehrte Salazar der Partei den Rücken und kam bald als Einheitskandidat der Opposition ins Gespräch. Ob auch die Zapatisten mit ihm leben könnten und zu Gesprächen bereit wären, ist jedoch unklar. Bisher hat die EZLN sich zu den Wahlen überhaupt nicht geäußert.

Während die Opposition der jahrzehntelangen Vorherrschaft der PRI einen weiteren Stoß versetzen will, hoffen große Teile der PRI ihrerseits, vom mexikanischen Südosten aus einen Neuaufbau zu beginnen. Denn Chiapas gehörte zu den wenigen Bundesstaaten, in denen die PRI bei den Präsidentschaftswahlen vor der konservativen Allianz für Vicente Fox lag – jedoch deutlich unter 50 Prozent. Insgesamt schnitt die PRI in den südöstlichen Bundesstaaten wesentlich besser ab als im Landesdurchschnitt. Der umstrittene Gouverneur von Chiapas Nachbarbundesstaat Tabasco, Roberto Madrazo, versucht derzeit, sich als neue Führungsfigur der PRI zu präsentieren. Verliert die Partei in Chiapas, muss sie im Oktober bei den Wahlen in Tabasco auch dort mit dem Verlust der Mehrheit rechnen und Madrazo verlöre seine Hausmacht.

Wegen der überregionalen und geradezu lebenswichtigen Bedeutung der Wahl für die PRI sind Befürchtungen von Nicht- Regierungsorganisationen laut geworden, es könne zu Manipulationen kommen. Diese haben besonders in Chiapas eine lange Tradition und der Einsatz übereifriger Wahlhelfer bescherte der PRI vor nicht allzu langer Zeit in Einzelfällen noch Ergebnisse von über 100 Prozent. Angesichts der veränderten Kräfteverhältnisse im Land sind solche Vorgänge aber kaum zu erwarten.

 

Wahlen in Chiapas unter schlechten Vorzeichen – Interview mit Yolanda Castro Apreza

Von Miriam Lang und Stefanie Kron

(Berlin, 16. August 2000, npl). – Am kommenden Sonntag (20.08.) wird in Chiapas ein neuer Gouverneur gewählt. Der seit dem Aufstand der EZLN 1994 hochmilitarisierte Bundesstaat im Süden Mexikos wird seit langem von der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) regiert, die bei den Präsidentschaftswahlen am zweiten Juli nach Über 70 Jahren das höchste Amt im Staate an Vicente Fox von der rechtskonservativen Partei des nationalen Fortschritts, PAN, abgeben musste. Nun scheint die Macht der PRI auch in Chiapas gefährdet. Umfragen zufolge liegt Pablo Salazar Mendiguchia, Kandidat des breiten oppositionellen Wahlbündnisses „Allianz für Chiapas“ mit 55 Prozent klar vor dem Kandidaten der PRI, Sami David David, für den nur rund 38 Prozent der Befragten stimmen würden. Der Allianz für Chiapas gehören neben fünf Kleinstparteien auch die linke PRD, die PAN und die grüne, ökologische Partei Mexikos an. Kleinster gemeinsamer Nenner ist es, einen Wahlsieg der PRI in Chiapas zu verhindern. Yolanda Castro Apreza ist Koordinatorin von Kinal Antzetik, einer der wenigen nicht- institutionellen Organisationen indigener Frauen in Mexiko, die auch in Basisgemeinden im Einflussgebiet der EZLN tätig ist.

Wie kam es zur Bildung der politisch doch sehr heterogenen Allianz für Chiapas und wie ist diese programmatisch einzuschätzen?

Yolanda Castro Apreza: Es existiert zwar traditionell eine wahrnehmbare Präsenz und Akzeptanz linker Parteien in Chiapas. Aber vor allem in den Regionen mit einem hohen Anteil kleinbäuerlicher Bevölkerung gibt es kaum aktive Mitglieder der PRD. In den letzten Jahren hat sie erheblich an Einfluss verloren, weil die PRD-Kader sich zu politischen Funktionären entwickelt und von ihrer Basis entfernt haben. Die PRD weiß also, dass sie mit einer eigenen Kandidatur keine Chancen hat, die Wahlen in Chiapas zu gewinnen. Die grüne, ökologische Partei wird in Chiapas kaum wahrgenommen, aber auch zwischen Bevölkerung und PAN gibt es keine wirkliche Nähe.

Der gemeinsame Kandidat der Allianz, Pablo Salazar Mendiguchia, war bis vor etwa einem Jahr Mitglied der PRI und Senator für Chiapas im Bundesparlament. Auch beim Dialog zwischen Regierung und EZLN um die Verträge von San Andres hat er als Mitglied der Cocopa auf Regierungsseite eine wichtige Rolle gespielt. Dieser Mann ist politisch sehr geschickt: Er hat es sogar zustandegebracht, die PAN und die PRD zu einem Bündnis zu bewegen.

Darüber hinaus gelang es ihm, auch andere Sektoren der Gesellschaft um sich zu scharen: Viehzüchter, Unternehmer etc. Mendiguchia verfolgt diesbezüglich eine ähnliche Strategie wie Vicente Fox, nämlich allen Seiten alles zu versprechen.

Gibt es sichtbare Unterschiede zwischen dem politischen Programm des PRI-Kandidaten und dem der Allianz?

Ich sehe nicht viele Unterschiede. Beide bedienen jeweils ihre Klientel. Salazar Mendiguchia zeigt vielleicht etwas mehr Bereitschaft, den Konflikt in Chiapas zu lösen, aber das sind bisher nur Worte. Er spricht zwar viel von Demokratie und Bürgermacht, aber sein Verständnis von Demokratie beschränkt sich auf Wahlen, er beteiligt sich nicht an den Versuchen der chiapanekischen Zivilgesellschaft, im Geist der Zapatisten langfristig funktionierende, basisdemokratische Strukturen aufzubauen.

Inwiefern hat der Wahlsieg des konservativen Oppositionskandidaten Vicente Fox bei den Präsidentschaftswahlen am vergangenen 2. Juli für Chiapas neue Weichen gestellt?

Vicente Fox hat einen schweren politischen Fehler begangen, als er behauptete, er werde den Konflikt in Chiapas im Gespräch mit Marcos in 15 Minuten lösen. Mit dieser Aussage hat er gezeigt, dass er die Aufständischen und die soziale Bewegung nicht respektiert und ein sehr fragwürdiges Demokratieverständnis hat. Der Aufstand, das ist nicht Marcos, das sind wir alle, die zapatistische Bewegung und die sozialen Bewegungen in ganz Mexiko. Wenn er Frieden schaffen will, muss er nicht mit Marco

verhandeln, sondern mit der ausgegrenzten Bevölkerung. Dafür gibt es bisher keinerlei Anzeichen.

Außerdem war Chiapas bei den Präsidentschaftswahlen das einzige Bundesland, in dem wie immer die PRI die meisten Stimmen hatte. Dies war einerseits auf Wahlbetrug und Zwangsmaßnahmen gegenüber den Wählerinnen zurückzuführen, aber auch darauf, dass sich einige Regionen komplett der Stimmabgabe enthalten hatten. So gab es in Chiapas auch bundesweit die meisten Nichtwähler*innen. Insgesamt sehen die Bedingungen für Wahlen derzeit in Chiapas sehr traurig aus. Ich glaube nicht, dass die PRI – wenn sie die Wahlen verliert – so einfach die Macht abgibt. In den letzten Tagen häufen sich erneut bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen PRIisten und Zapatisten, und in den letzten Wochen haben auch die paramilitärischen Organisationen wie „Paz y Justicia“ ihre Aktivitäten gegen die indigenen Gemeinschaften wieder verstärkt.

Warum, glauben Sie, schweigt die EZLN seit den Präsidentschaftswahlen?

Wie sie in ihrer Erklärung zu den Wahlen bereits gesagt haben, ist die EZLN der Meinung, dass die Zeit in Chiapas nicht reif ist für Wahlen. Die Ausgangsbedingungen dafür sind nicht gegeben. Die Zeit der Wahlen ist nicht die Zeit der EZLN.

 

Die Konturen der neuen Regierung sind noch ungewiss Rechte Kräfte versuchen, an Boden zu gewinnen*

Von Gerold Schmidt

(Mexiko-Stadt, 18. August 2000). Niemand konnte sich in Mexiko so recht eine Regierung ohne die Revolutionäre Institutionelle Partei (PRI) vorstellen. Keine zwei Monate, nachdem das Ende der 71-jährigen Herrschaft der faktischen Staatspartei durch den Sieg von Vicente Fox und der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen besiegelt wurde, scheint dies das normalste der Welt zu sein. Die PRI hat sich weitgehend ohne Widerstand in ihr Schicksal gefügt. Befürchtete gewalttäige Auseinandersetzungen sind ausgeblieben, Machtkämpfe gibt es derzeit nur parteiintern. Was den noch bis zum 1. Dezember amtierenden Präsidenten Ernesto Zedillo angeht, so entsteht der Eindruck, er wolle Vicente Fox den Übergang so leicht wie möglich machen. Letzterer wiederum bedankt sich einerseits artig beim "Staatsmann Zedillo" und andererseits regiert im Grunde schon er.

"Von der Ablehnung zur Liebe" titelte die mexikanische Wochenzeitschrift "Proceso" das Verhältnis der beiden süffisant. Die Flitterwochen von Fox und Zedillo sind durchaus verständlich. In Wirtschaftsfragen sind sich die zwei weitgehend einig. Im Gegensatz zu Teilen der PRI war Zedillo – wenn seine Partei die Macht schon abgeben musste – mit Sicherheit ein Sieg der Rechten lieber als ein Wahltriumph von Cuauhtemoc Cardenas, dem Kanditaten der linksgemäßigten Partei der Demokratischen Revolution (PRD).

Was ist von der neuen Regierung zu erwarten? Bisher gehen die Ansichten noch weit auseinander. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass das zukünftige Kabinett noch keine Konturen hat. Im engeren und weiteren Umfeld hat Fox sowohl rechte Persönlichkeiten wie auch – ehemalige – Linke um sich gescharrt. Er selbst macht zumindest nach außen hin glauben, rechts und links in seiner Regierung vereinen zu können. Santiago Creel, einer der engsten Mitarbeiter von Fox und in der Hauptstadt nur überraschend knapp gegen den Bürgermeisterkandidaten der PRD unterlegen, drückt es sinngemäß so aus: Ideologie ist out, die neue Ideologie ist die Demokratie. Pragmatismus und Aktion soll die Ideologie ersetzen. Das passt fein in das Weltbild des Unternehmers Fox.

Wie vor Jahren Coca Cola Mexiko will er nun das ganze Land als große Firma führen. Bereits als Gouverneur des nördlichen Bundesstaates Guanajuato führte er das aus der Wirtschaft übernommene Konzept der „totalen Qualität“ ein, in dem die Bürger zu „Kunden“ werden, denen eine möglichst gute „Dienstleistung“ angeboten wird. Die Effizienz der „Mexiko Company“ soll mit Hilfe von sogenannten „Kopfjägern“, headhunters, gesteigert werden, die nach fähigen Talenten Ausschau halten, ganz wie bei den Konzernen.

„Die Ausschreibung für die Bewerbungen, um Kabinettsmitglied zu werden, ist eröffnet.“ So fängt der kurze Text an, in dem der zukünftige mexikanische Präsident die verschiedenen Organisationen der Gesellschaft auffordert, ihm Vorschläge für sein Regierungsteam zu unterbreiten. Damit will Vicente Fox Quesada sein Wahlkampfversprechen untermauern, ein plurales und nicht parteigebundenes Kabinett „mit den besten Frauen und Männern des Landes“ zusammen zu stellen.

Wie weit sich der bekennende Katholik Fox allerdings wirklich von den konservativen Kräften der PAN, die ihn zugegebenermaßen mit gewissem Unbehagen aufstellte, absetzen will, wird sich zeigen müssen. Es ist jetzt schon sehr deutlich geworden, dass sich reaktionäre Kirchenkreise und rechte Gruppen mit der Wahl von Fox im Aufwind fühlen. In dem Bundesstaat, in dem der gewählte Präsident bis Mitte 1999 noch als Gouverneur regierte, verschärfte die PAN-Fraktion vor wenigen Wochen das Abtreibungsrecht. Danach müssen selbst durch eine Vergewaltigung geschwängerte Frauen, die abtreiben, in Guanajuato mit Haftstrafen rechnen. Der Aufschrei innerhalb der mexikanischen Frauenbewegung und bei PRI und PRD war riesengroß. Fox und die PAN-Führung auf Bundesebene beeilten sich, sich gegen die Entscheidung auszusprechen, wahrscheinlich wird das Gesetz wieder zurückgezogen oder der neue PAN-Gouverneur wird sein Veto einlegen – ob aufgrund des allgemeinen Drucks oder aus Überzeugung bleibt dahin gestellt. Gleichzeitig machen aber die radikalen Abtreibungsgegner in Mexiko mobil, mit offener Unterstützung eines Teiles der Bischöfe.

Ein weiteres Beispiel, das wenig Gutes ahnen lässt, ist die Zerstörung einer in Guadalajara im Rahmen einer Ausstellung gezeigten Bildes durch zwei junge religiöse Eiferer am 12. August. Sie sahen in der freizügigen Darstellung "La Patrona" einen Angriff aus die mexikanische Nationalheilige, die Jungfrau von Guadalupe. Auch in diesem Fall rechtfertigten mehrere Bischöfe öffentlich die Attacke. In der aggressiven Form, wie sie das taten, wäre das noch vor kurzem nicht denkbar gewesen. Gerade zur Trennung von Staat und Kirche, in Mexiko bisher ein – wenn auch scheinheiliges – Dogma, hat sich Vicente Fox sehr widersprüchlich geäußert.

Fox hat erklärt, nicht gegen die Mehrheit der Bevölkerung regieren zu wollen. Doch zu den ersten konkreten Vorhaben auf wirtschaftlichem Gebiet, die durchsickerten, gehörte die Einführung der Mehrwertsteuer auch für Medikamente und Lebensmittel. Das würde die 40 bis 60 Millionen der knapp 100 Millionen Mexikaner, die als arm oder extrem arm gelten, besonders hart treffen. Nach lauten Protesten verschwand der Vorschlag weitgehend aus der öffentlichen Diskussion, er wurde aber nicht zurückgezogen.

Makro-ökonomisch macht Mexiko derzeit eine Boomphase durch. Mitverantwortlich sind dafür die hohen Ölpreise und das anhaltende Wachstum in den USA, mit dem das Land über 80 Prozent seines Außenhandels abwickelt. Das gibt Fox gewissen Spielraum, zeigt aber gleichzeitig die hohen Risiken für die mexikanische Wirtschaft auf, wenn diese beiden erwähnten Faktoren sich negativ für das Land entwickeln.

Ein weiterer Punkt, in dem Fox Farbe bekennen muss, ich die Situation im südöstlichen Bundesstaat Chiapas. Falls bei den dortigen Gouverneurswahlen am 20. August tatsächlich wie vorausgesagt der Einheitskandidat (fast) der gesamten Opposition gegen den PRI-Anwärter gewinnen würde (bzw. bei Veröffentlichung dieses Artikels gewonnen hat), steigen die Chancen auf eine neuen Dialog mit den aufständischen Zapatisten weiter. Fox selbst sucht derzeit angeblich direkte Kontakte zur Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) und will auch über einen Rückzug der Bundesstreitkräfte aus den Konfliktgebieten mit sich reden lassen. Innerhalb von 15 Minuten habe er das Problem in Chiapas friedlich gelöst, ließ Fox im Wahlkampf mehrmals verlauten. Von den Absichtserklärungen bis zu den Tatsachen ist es manchmal ein weiter Weg. Viele würden es Fox hoch anrechnen, wenn er erste konkrete Schritte unternähme, den Krieg niedriger Intensität in Chiapas zu stoppen.

Derzeit wird dem kommenden Präsidenten viel Sympathie aus der Bevölkerung entgegen gebracht. Das mexikanische Präsidialsystem gibt ihm weitere Macht. Aber weder im Senat noch im Abgeordnetenhaus kann Fox auf eine sichere Mehrheit bauen. Wenn die Macht- und Richtungskämpfe bei den großen Verlierern PRI und PRD geklärt sind und auch die PAN weiß, ob sie einen gemäßigten oder stark rechtskonservativen Kurs fahren will, sind die verschiedenartigesten Mehrheitsverhältnisse denkbar.

*Bei diesem Artikel handelt es sich um eine aktualisierte Fassung des Beitrags, der in Poonal 439 erschienen ist.

 

PERU

Kinderarbeit ab Zwölf erlaubt

(Lima, 8. August 2000, alc-Poonal).- In offenem Widerspruch zu einer Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hat die peruanische Regierung am 7. August ein Gesetz herausgegeben, das die Kinderarbeit ab einem Alter von zwölf Jahren autorisiert. Die ILO-Konvention 138 schreibt ein Mindestalter von 14 Jahren vor, was auch in den anderen lateinamerikanischen Ländern als Norm eingehalten wird. Das neue peruanische Kinder- und Jugendlichengesetz behält zwar eine Altergrenze zwischen 15 und 17 Jahre für die Bereiche Landwirtschaft, Industrie, Handel, Minenwesen und Fischerei vor, öffnet aber dennoch eine weitere Bresche für frühzeitige Kinderarbeit, die sowieso schon gang und gebe ist. Nach Schätzungen arbeiten in Peru etwa zwei Millionen Kinder und Jugendliche, davon hat eine halbe Million ein Alter zwischen fünf und zwölf Jahren.

 

Sparmaßnahmen nach freizügigen Wahlkampfausgaben

(Lima, 15. August 2000, pulsar-Poonal).- Präsident Alberto Fujimori hat ein Sparpaket verkündet, das die öffentlichen Ausgaben reduziert und weitere Austeritätsmaßnahmen verfügt. Offiziell soll dies der Weg sein, die peruanische Wirtschaft zu reaktivieren und ein Wirtschaftswachstum von jährlich fünf Prozent zu erreichen. Das hatte Fujimori bei seinem Amtsantritt am 28. Juli nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen versprochen. Für viele Ökonomen ist das Regierungsvorgehen voreilig. Als eigentliches Motiv wird die Lücke im Staatshaushalt vermutet. Diese wiederum ist zumindest teilweise auf die Ausgaben im Rahmen der Kampagne für die erneute Wiederwahl Fujimoris zurück zu führen. Die Sparaktion wird auch mit dem orthodoxen Neoliberalen Carlos Boloña in Verbindung gebracht, der zu Anfang der Fujimori-Zeit bereits einmal Wirtschaftsminister war. Damals „vereinfachte“ er die Wirtschaft auf der Basis einer Schockpolitik. Damit machte Boloña sich zum Mitverantwortlichen für 12 Millionen arme und extrem arme Peruaner*innen.

 

PARAGUAY

Vizepräsident wahrscheinlich von der Opposition

(Asuncion, 15. August 2000, pulsar-Poonal).- Bei den Wahlen zum in Paraguay nicht unwichtigen Vizepräsidentenamt hat sich nach den vorliegenden Informationen der Oppositionskandidat Julio Cesar Franco von der Liberalen Radikal Authentischen Partei (PLRA) knapp durchgesetzt. Allerdings beträgt sein Vorsprung auf den Regierungsanwärter Felix Argaña von den Colorados nur 0,8 Prozent. Dessen Anhänger sprechen von Betrug und verlangen eine strikte Überprüfung der abgegebenen Stimmen. Der Wahlrat will das Endergebnis erst am 28. August offiziell verkünden.

 

BRASILIEN/BRD

Kampf gegen das Elend? Die Debatte über Armut auf der Expo2000 – aus Sicht eines Teilnehmers aus Brasilien

Von Orlando Junior Alves dos Santos

(Hannover/Rio de Janeiro, 11. August 2000, npl).- Die Attraktionen, die ausgefallene Architektur und die gute Stimmung auf der Weltausstellung in Hannover, da dürften sich die meisten Besucher einig sein, ist beeindruckend. Denjenigen, die an der einen oder anderen Veranstaltung teilnahmen, stellt sich zugleich die Frage, welche Botschaft die Expo2000 vermitteln will. Ein Verkaufsbasar für typische Produkte des jeweiligen Landes? Ein Kulturhappening, das die Vielfalt der einen Welt präsentiert? Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Expo zwischen Spitzentechnologie, Konsumanreizen, der Darstellung von Exotischem und der Schönheit so vieler Menschen und Kulturen ein großes Vakuum zurücklassen wird – eine Leere bezüglich der Zukunft.

Dabei war und ist just die Zukunft ein zentrales Thema dieser Weltausstellung. „Globaler Dialog“ heißen die Foren, in denen die Probleme der Menschheit diskutiert werden. Zum Thema „Kampf der Armut“ kamen rund 200 Vertreter von Basisorganisationen, Lokalregierungen und Unternehmen in Hannover zusammen, um neue soziale Ansätze und Ideen auszutauschen, wie dem Elend in den jeweiligen Ländern beizukommen ist. Trotz oder gerade wegen der positiven, fast optimistischen Bilanz, die die Organisatoren dieses „4. Globalen Dialogs“ gezogen haben, wollen wir – die Mehrheit der Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NRO) aus der „Dritten Welt“ – aus unserer Sicht die Erfolge und Grenzen dieser Debatte vertiefen.

Als Vertreter der brasilianischen NRO „FASE“ (Solidarität und Erziehung) waren wir Teil der Delegation Brasiliens, die zum „Globalen Dialog“ eingeladen war. Seit nunmehr 30 Jahren betreut „FASE“ in Rio de Janeiro und anderen Bundesstaaten soziale Projekte mit dem Ziel, verarmten Bevölkerungsgruppen einen Zugang zu Bildung, Gesundheit und Wohnraum zu ermöglichen. Neben der Stadtteilarbeit fördert die „FASE“ besonders die Selbstorganisation der Menschen und streitet für eine Demokratisierung der lokalen Regierungen. Die Erfahrungen aus dieser praktischen Arbeit veranlasst uns, den „Globalen Dialog“ auf der Expo2000 zu hinterfragen mit dem Ziel, neue, realistische Perspektiven für zukünftige Debatten aufzuzeigen.

Schon die Organisation des Forums hinterlässt Fragezeichen. Im Kontrast zur hervorragenden Infrastruktur, was die Unterbringung und den Transport der Teilnehmer aus so vielen Ländern betrifft, war die Übersetzung derart mangelhaft organisiert, dass sich einige in Hannover derart ausgeschlossen fühlten wie die Menschen, über die geredet wurde – die Mittellosen und Marginalisierten in armen Ländern. Nur ein Beispiel: Bei der Großveranstaltung, auf der die meisten Erfahrungen aus Brasilien vorgestellt wurden, gab es weder Übersetzung ins Portugiesische noch ins Spanische. Dies setzte sich auch in der entsprechenden Arbeitsgruppe fort, so dass wir selbst die Übersetzung improvisieren mussten, damit Lateinamerikaner, Afrikaner und Europäer miteinander reden konnten.

Doch das eigentliche Problem war leider nicht die Übersetzung. Nicht im Traum hätten wir gedacht, in Hannover erneut die konservativen Thesen des 19. Jahrhunderts zu diskutieren. Aber eines nach dem anderen: Einige vertraten die Ansicht, Armut sein ein Phänomen, dass auf das individuelles Handeln und Verhalten Einzelner zurückzuführen sei. Eine Position, die nur aufgrund von wiederholtem Protest der brasilianischen Delegation nicht in die Abschlusserklärung aufgenommen wurde. Andere meinten, dass dem Problem nur durch eine Steigerung der Produktivität der Armen begegnet werden könne, diese also selbst für die Überwindung ihres Elends verantwortlich seien, sofern ihnen entsprechende Bildung zuteil werde. Auch jene fehlten nicht, die für eine gezielte Förderung kleiner und kleinster Projekte und Betriebe eintraten, und damit ein für allemal dem Anspruch entsagten, durch gemeinsames, globaleres Handeln dieses gesellschaftliche Problem zu lösen.

Auch ein Dokumentarfilm, der uns gezeigt wurde, konnte diese Argumentation nicht untermauern: Er handelte von einer Jugendlichen aus irgendeinem Elendsviertel in Lateinamerika, die am Wochenende hart arbeitet, um sich ihr Studium zu finanzieren. Gemeint als Beispiel für erfolgreichen Kampf gegen Armut, hinterließ der Film mehr Fragen als Antworten und das Gefühl, das solche Einzelbeispiele keinerlei Perspektive beinhalten.

Schlussendlich kamen auch solche Idealisten zu Wort, die meinten, die Armen und Ausgeschlossenen selbst müssten an der Diskussion beteiligt werden. Ein Vorschlag, der – ernstgenommen – den gesamten „Globalen Dialog“ ab absurdum führen würde, denn die Armen waren weder dabei noch eingeladen. Ist dies nicht ein recht naiver Vorschlag, wo doch schon die Definition von „Ausgeschlossenen“ die Unmöglichkeit einer Selbstorganisation und somit einer Teilnahme an internationalen Foren beinhaltet? Ist „ausgeschlossen sein“ nicht immer zugleich sozial, politisch und wirtschaftlich gemeint, also das Ergebnis eines Entwicklungsmodells, das immer aufs neue Ungleichheit hervorruft? Genau über diese Modell wurde in Hannover allerdings kaum gesprochen.

Es ist offensichtlich, dass hinter dem Konsens, dass die Armut weltweit bekämpft werden muss, sehr widerstreitende Visionen über die Gesellschaft standen. Die entscheidende Frage ist, ob es überhaupt möglich ist, über Armut zu diskutieren, ohne das wirtschaftliche und politische Modell selbst in Frage zu stellen, das soziale Ungleichheiten und politische Machtverhältnisse schafft, die für die Armut verantwortlich sind. Doch nur wenige Teilnehmer sprachen über diesen Zusammenhang.

In diesem Kontext war der Beitrag der deutschen Entwicklungshilfe- Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul von Bedeutung, die dafür plädierte, das globale Wirtschaftmodell, die internationalen Handelsbeziehungen und die Menschenrechte in die Debatte einzubeziehen. Konkreter noch sprach die Kenianerin Wangari Maathai, die im Namen der „Founder Greenbelt Bewegung“ betonte, dass Armut in erster Linie als Ergebnis von Machtbeziehungen verstanden werden müsse, sprich dass Armut durch die Durchsetzung von wirtschaftlichen und politischen Interessen hervorgerufen wird.

Kommen wir zum Schluss und zu den Ergebnissen. Ergebnisse? Die Abschlusserklärung kam über Allgemeinplätze nicht hinaus: Den Armen soll geholfen werden, Regierungen und Unternehmer sollen sensibilisiert werden, etc. Nichts neues also, dies wissen wir alle schon und sind uns darin auch einig. Von einer Wortmeldung abgesehen, waren Themen wie Auslandsverschuldung oder Neoliberalismus bei der Abschlussveranstaltung nicht präsent.

Was aber können Nichtregierungs-Organisationen hieraus lernen? Zum Beispiel müssen sie sich fragen, ob sie den Platz einnehmen wollen, den ihnen das neoliberale Denken zuweist: Als menschenfreundliche Institutionen zu wirken, die sich der Armen und Ausgeschlossenen annehmen, wenn möglich in Zusammenarbeit mit den „sensibilisierten“ Unternehmen. Auch das Elend kann ein gutes Geschäft sein… Eine Alternative ist, die Herausforderung anzunehmen, Armut als Ergebnis dieses absurden Entwicklungsmodell in Frage zu stellen, das enorme Ungleichheit und undemokratische Machtstrukturen schafft.

 

URUGUAY

Rekordauswanderungen

(Montevideo, 15. August 2000, comcosur-Poonal).- Zwischen dem 1. Januar 1995 und dem 25. Juli diesen Jahres verließen fast 261.000 Uruguayer*innen ihr Land, ohne zurückzukommen. Dabei handelt es sich nicht etwa um begeisterte Touristen sondern Personen, die im Ausland ein besseres Leben und vor allen Dingen eine Arbeit suchen. Die Zahlen sind rekordverdächtig. Allein in den ersten sieben Monaten dieses Jahres kehrten 43.300 Menschen ihrem Land den Rücken, mehr als im Vorjahr zusammen. Vergleichbar ist dieser Aderlass nur mit dem Zeitraum zwischen 1963 und 1975, als es 218.000 Uruguayer*innen waren, die auswanderten. In diese Periode fällt aber das Jahr 1974, in dem bereits diktatorische Zustände herrschten und fast 65.000 Personen ihr Heil im Exil suchten.

Nach einer Untersuchung der in Montevideo erscheinenden Wochenzeitschrift „Crónicas“ sind Spanien, Australien, Argentininien und Italien die bevorzugten Zielländer der Migrant*innen. Dazu sind die USA gekommen, für die seit einem Jahr aufgrund eines bilateralen Abkommens keine Visumpflicht mehr besteht. Obwohl jedes Jahr auch wieder zahlreiche ehemalige Einwohner nach Uruguay zurückkehren, ist Differenz zwischen Auswanderern und Rückkehrern in den vergangenen Jahren fast stetig größer geworden.

 

Ex-Folterer Neira ohne Unterstützung

(Montevideo, 14. August 2000, comcosur-Poonal).- Die Kandidatur des Oberst im Ruhestand Angel Neira für einen Platz im Obersten Gerichtshof scheint chancenlos zu sein. Im uruguayischen Senat sind nicht einmal die Vertreter der Regierungsparteien, aus deren Reihen der Ernennungsvorschlag kam, bereit, für den überführten Folterer zu stimmen (vgl. früheren Poonaldienst). Präsident Battle hatte am 27. Juli zur allgemeinen Überraschung und Empörung die Kandidatur für den Gerichthof als Vertreter der Militärs an das Parlament weitergeleitet.

 

 

   

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