Poonal Nr. 420

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 420 vom 18. Februar 2000

Inhalt


MEXIKO

GUATEMALA

EL SALVADOR

HONDURAS/NICARAGUA

NICARAGUA

COSTA RICA

HAITI

KUBA

USA/KUBA

URUGUAY

KOMMENTAR – Von Eduardo Galeano

URUGUAY

ECUADOR

CONAIE-Vertreter Daniel Tigre wies Kritik einiger politischer

VENEZUELA

PERU

BRASILIEN

LATEINAMERIKA


MEXIKO

Lehrbetrieb der UNAM inmitten von Tumulten wieder aufgenommen –

Inhaftierte Studierende von Polizei gefoltert

Von Boris Kanzleiter

(Berlin/Mexiko-Stadt, 15. Februar 2000, Poonal).- In Mitten von Tumulten wurde am Montag nach zehn Monaten Streik der Lehrbetrieb an der Nationalen Universität (UNAM) in Mexiko-Stadt wieder aufgenommen. Während viele Studierende dem Aufruf des Uni-Direktor Juan Ramón de la Fuente zur Rückkehr in die Klassen folgten, zogen mehrere tausend Jugendliche auf das Unigelände und besetzten nach einer Versammlung erneut das Institut für Naturwissenschaften. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen.

Die mit 270.000 Studierenden größte Universität Lateinamerikas war am 20. April letzten Jahres von Studenten besetzt worden. Die längste Besetzung einer mexikanischen Universität wurde am 6. Februar niedergeschlagen, als über 2.000 Spezialpolizisten in den Campus eindrangen und dabei 700 der Mitglieder des Zentralen Streikrates (CGH) verhafteten. 262 von ihnen sitzen nach wie vor im Gefängnis. Die Anklagepunkte gegen sie lauten von „Plünderung“ bis „Terrorismus“. Mehrere hundert Jugendliche werden noch mit Haftbefehlen gesucht, während andere auf Kaution freigelassen wurden.

Erst die polizeiliche Räumung des Campus und äußerst brutale Übergriffe auf Streikende Anfang Februar lösten wieder eine breite Solidaritätsbewegung mit den zeitweise 998 inhaftierten Mitgliedern des CGH aus. Über 100.000 Menschen zogen drei Tage nach der Räumung in einer der größten und militantesten Protestzüge der vergangenen Jahre durch das Zentrum der mexikanischen Hauptstadt. An anderen Universitäten fanden eintägige Solidaritätsstreiks statt.

Nicht nur die Zahl der Demonstranten stellte eine unerwartete Unterstützung für die Streikenden dar, sondern auch die Allianz, welche zum Protest gegen die Repression aufruft. Zahlreiche Intellektuelle und die linke Partei der Demokratischen Revolution (PRD), die sich in den letzten Wochen immer vehementer gegen eine Weiterführung des Streiks ausgesprochen hatten, protestierten gemeinsam mit den von ihnen zuvor für ihren Radikalismus kritisierten „Ultras“ des CGH. Die alle vereinende Forderung lautet nun: „Freiheit für die politischen Gefangenen!“, wie es der Schriftsteller Carlos Monsiváis in einem Kommentar für die links- liberale Tageszeitung La Jornada ausdrückte.

Während die Räumung des UNAM-Geländes die Fortführung des Streiks in der bisherigen Form unmöglich macht, versuchen sich die mehreren tausend Jugendlichen, die den CGH nach wie vor unterstützen, zu reorganisieren. Das Plenum des Zentralen Streikrates traf sich nach der Räumung auf dem Gelände der zweiten großen staatlichen Universität in Mexiko-Stadt, der UAM- Xochimilco. Nach der erneuten Besetzung des Instituts für Naturwissenschaften sollen die Versammlungen des CGH nun wieder an der UNAM stattfinden. Wie die Regierung auf die Aktion reagieren wird, ließ Innenminister Diódoro Carrasco am Montag im Unklaren: „Wir müssen in diesen Tagen sehr aufmerksam sein“, sagte er gegenüber Journalisten.

Der CGH gibt sich dagegen entschlossen: „Solange auch nur ein Mitglied unserer Bewegung inhaftiert bleibt, gibt es keine Möglichkeit, den Lehrbetrieb wieder aufzunehmen. Solange der Dialog nicht wieder aufgenommen wird und auf diesem Weg alle unsere Forderungen erfüllt werden, gibt es keine Rückkehr in die Klassen“, erklärte Alfredo Montera die Position der weiter Streikenden, die aber angesichts der Rückkehr einer großen Anzahl von Studierenden in die Klassen immer unrealistischer wird. Für den 19. Februar kündigte der CGH allerdings ein Treffen von Delegierten aus ganz Mexiko an, auf dem über einen landesweiten Streik im Erziehungswesen diskutiert werden soll.

Untderdessen werden Berichte über Misshandlungen der inhaftierten Streikenden durch Polizeikräfte bekannt. Das Wochenmagazin Proceso veröffentlichte Zeugenaussagen von Eltern, die ihre Kinder im Gefängnis besuchen durften: Leticia Espinosa berichtet über ihren 18-jährigen Sohn Lev: „Sie haben versucht, ihm einen Fingernagel mit einer Pinzette aus dem Finger zu ziehen. Sie haben ihn nackt ausgezogen und an den Handgelenken aufgehängt. Er hat mir erzählt, dass sie ihm auf die Hoden schlugen und damit gedroht haben, ihn zu vergewaltigen.“

Die Mutter erzählt, dass sie den Fall der staatlichen Menschenrechtskommission des Hauptstadtdistrikts (CDHDF) vortrug, die darauf aber nicht reagierte. Deshalb hat sie sich an Reporter von Proceso gewandt, die den Fall veröffentlichten. Eine Gruppe von Eltern, die aus Furcht vor Verfolgung anonym bleiben möchte, erzählte den Reportern über ihre verhafteten Kinder: „Bevor sie zum Gefängnis Nord und der Jugendhaftanstalt kamen, haben sie ihnen, nachdem sie geschlagen wurden, Drogen in das Essen gemischt, damit sie einschliefen. Die Mädchen wurden gezwungen sich nackt auszuziehen, dann wurde ihr After untersucht. Sie wurden in eiskaltem Wasser gebadet und als sie schliefen gewalttätig wieder aufgeweckt. Ihnen wurde außerdem gedroht, dass sie in die Haftanstalt Almoyola und in die Militärkaserne Nummer 1 gebracht würden, dass sie vergewaltigt und sogar getötet würden.“

Carlos Fuentes fordert Freilassung der Studenten

(Mexiko-Stadt, 12. Februar 2000, pulsar-Poonal).- Der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes hat die sofortige Freilassung der Studenten der Autonomen Nationaluniversität Mexikos (UNAM) gefordert. Er wandte sich entschieden gegen den Vorwurf, sie seien Terroristen. Die Anklagen wegen Aufstand und Terrorismus „sind ein Überbleibsel aus einer anderen Epoche, aus dem Kalten Krieg und auf keinen einzigen Studenten anwendbar“, so Fuentes. Er begrüßte den Abzug der Sicherheitskräfte vom Campus. Nun sei dringend ein Kongress vonnöten, der die Basis dafür lege, dass die Universität ihr institutionelles Leben mit größerer Intensität wieder aufnehmen könne.

GUATEMALA

Widersprüchliche Akzentsetzung des neuen Präsidenten – ein rechter

Linker oder ein linker Rechter?

Von Gerardo Herrero

(Mexiko-Stadt, 16. Februar 2000, Poonal).- Gerade einen Monat im Amt, hat Präsident Alfonso Portillo von der ultrarechten Republikanischen Front (FRG) mit seinen bisherigen Entscheidungen für Aufsehen gesorgt. Die politische Botschaft ist dabei nicht eindeutig. Vor allem Menschenrechtsgruppen trauen den Zusagen Portillos nicht, er wolle die Vereinbarungen des Friedensabkommens zwischen Regierung und Guerilla vom Dezember 1996 genauestens einhalten. Andererseits haben sich die schlimmsten Befürchtungen, mit der Machtübernahme der FRG sowohl an der Regierung wie mit absoluter Mehrheit im Parlament, drohe ein Rückfall in die Zeiten der Diktatur, bisher in keiner Weise bewahrheitet.

Den spektakulärsten Schritt machte der neue Präsident, als er, wenige Tage im Amt, einen Oberst zum Verteidigungsminister ernannte. Damit überging er alle 20 Generäle der guatemaltekischen Streitkräfte. Diese treten nach den internen Regeln des Militärs nun automatisch in den Ruhestand. An eine solche Radikalkur hat sich bisher noch kein ziviler Präsident in Guatemala gewagt. Der Schritt soll auch den Weg für einen Zilivisten an der Spitze des Verteidigungsministeriums eröffnen. Derzeit wird die dafür notwendige Gesetzesreform vorbereitet. Unklar bleibt aber, ob Portillo sich mit Neubesetzungen eine eigene Hausmacht in den Streitkräften schaffen oder deren Rolle in der Gesellschaft grundsätzlich verändern will. Für viele Beobachter verwunderlich ist der geringe Widerstand, der aus den Reihen der Armee kam.

Überraschend hat sich auch in dem Mordfall Juan Gerardi etwas getan. So wurden drei Militärs verhaftet, die verdächtigt werden, an der Ermordung des Bischofs im April 1998 beteiligt gewesen zu sein. In seiner Antrittsrede am 14. Januar war Portillo explizit auf das Verbrechen eingegangen und hatte Aufklärung versprochen. Eine Präsidentensprecherin erklärte nach den Verhaftungen, die Regierung sehe die Festnahmen „zustimmend“. Noch am 19. Januar hatte das erzbischöfliche Menschenrechtsbüro (ODHA) der Regierung eine Frist von 180 Tagen gesetzt, den Mord zu klären. Ohne Rückendeckung für die Strafverfolgungsbehörden durch Portillo wäre es wohl kaum zu den Verhaftungen kommen.

Die katholische Kirche ist immer von einem politischen Hintergrund der Tat ausgegangen und hat von Anfang an die Militärs als Drahtzieher beschuldigt. Unter der Vorgängerregierung der konservativen PAN kam die Aufklärung kaum voran. Ungereimtheiten sind allerdings nach wie vor ein Kennzeichen der Ermittlungen. Als Portillo von einer Regierungsabteilung die Akte zu dem Mordfall erbat, stellte der neue Abteilungsleiter fest, dass nur noch der Aktendeckel übrig geblieben war. Der Inhalt ist ebenso verschwunden wie die Informationen über den Mord an der Anthropologin Myrna Mack Anfang der 90er Jahre.

Mit seiner Personalpolitik wirft Portillo nicht nur in Bezug auf das Militär Fragen auf. Mit Otilia Lux machte er eine Indigena zur Kultur- und Sportministerin. Lux besetzt sicher nicht den wichtigsten Kabinettsposten, doch die Ernennung ist eine Geste. Im Regierungsumfeld kommen auf Funktionärsposten auch Personen zum Zuge, die eher der politischen Linken zugerechnet werden. Tritt der Präsident mit Überzeugung für eine pluralistische Regierung ein oder will er nur die Opposition kooptieren, fragen sich Beobachter. Viel Kritik von Menschenrechtsorganisationen gibt es an der Ernennung von Gabriel Orellana zum Außenminister. Dieser verteidigte früher vier Militärs, die für Massaker an der indigenen Zivilbevölkerung verantwortlich gewesen sind. Einer der Militärs ist Ex-Diktator General Efrain Rios Montt, heute Parlamentsvorsitzender und für viele als Generalsekretär der FRG immer noch der eigentlich starke Mann in der Partei.

Portillo sagt dagegen, „der General ist ein Mythos. Ein Mythos, der in einer anderen Epoche unserer Geschichte geschaffen wurde, aber die Zeiten haben sich in Guatemala geändert.“ Früher oder später, so scheint es, muss es zum Machtkampf zwischen den beiden Figuren kommen. Gegen Montt laufen in Spanien erste Vorbereitungen für einen Prozess wegen Menschenrechtsverbrechen. Die guatemaltekische Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu hat dort eine Klage gegen mehrere Militärs angestrengt, weil sie ein vernünftiges Verfahren im eigenen Land nicht für möglich hält. Wahrscheinlich wird es die Beziehung zu Montt sein, bei der sich Portillo irgendwann wirklich outen muss.

Der politische Lebenslauf des Präsidenten vom bekennenden Marxisten über die christdemokratische Partei bis hin zur rechtsradikal eingestuften FRG macht es schwer, ihn korrekt einzuschätzen. Ein rechter Linker oder ein linker Rechter, die Frage bleibt ungeklärt. Fest steht, dass er in den ersten Amtswochen der Opposition insgesamt wenig Angriffsflächen für Kritik bot, das Misstrauen aber tief sitzt. „Guatemala bleibt ein interessantes politisches und gesellschaftliches Experimentierfeld“, drückt es der einheimische Journalist Jorge Diaz lakonisch aus.

GAM präsentiert Menschenrechtsbilanz 1999

(Guatemala-Stadt, 8. Februar 2000, cerigua-Poonal).- Die Menschenrechtsorganisation Gruppe für gegenseitige Hilfe (GAM) hat für das vergangene Jahr 1.243 Menschenrechtsverletzungen in Guatemala aufgelistet. Dazu gehören 579 Morde, 35 außergerichtliche Hinrichtungen und 32 Fälle des Verschwindenlassens von Personen, darunter 22 Kinder. Das verstärkt die Annahme des florierenden Kinderhandels im Land.

Die GAM weist auch auf die sich dramatisch mehrenden Fälle von Lynchjustiz hin. So registrierte sie 60 versuchte und 40 Fälle vollzogene Fälle von Lynchjustir. Dabei wurden 58 Personen zu Tode geprügelt und fünf weitere zu Tode gesteinigt. Die Organisation erklärt zu ihrer Auflistung aus, dass nur Aggressionen gegen das Leben, die Freiheit und die körperliche Integrität aufgenommen wurden. Nicht registriert sind Rechtsverletzungen durch die Justizbehörden oder andere Institutionen des Staates.

EL SALVADOR

Linke sieht sich vor Parlaments- und Kommunalwahlen im Aufwind

Von Ivan Castro

(San Salvador, 16. Februar 2000, Poonal).- Die salvadorianische Linke könnte bei den Parlaments- und Kommunalwahlen am 12. März der regierenden Rechtspartei ARENA eine empfindliche Niederlage beifügen. Noch vor einem Jahr war sie nach internen Querelen selber deutlich bei den Präsidentschaftswahlen ins Hintertreffen geraten und hatte einen großen Anteil daran, den Rechtskandidaten Francisco Flores ins Amt des Staatschefes zu hieven.

Jetzt bewerben sich Kandidat*innen von neun politischen Parteien um 84 Parlamentsmandate und 262 Rathäuser im Land. Umfragen zufolge läuft jedoch alles auf einen Zweikampf zwischen der ehemaligen linken Guerilla Frente Farabundo Marti (FMLN) und der ARENA hinaus. Bei den Parlamentswahlen 1997 erreichte die ARENA 28 Sitze im Abegeordnetenhaus, die FMLN 27. Von den anderen Parteien spielten nur noch die konservative Partei der Versöhnung (11 Mandate) und die christdemokratische Partei (9) Mandate eine Rolle.

Diesmal scheint sich die FMLN mit einem Vorsprung zwischen drei und sechs Prozent von der ARENA absetzen zu können. Ihr werden 36 bis 38 Prozent der Stimmen prognostiziert. Dabei schneidet sie auf kommunaler Ebene noch besser ab, als bei den Umfragen für das Parlament. Besonders die sehr wahrscheinliche Wiederwahl von FMLN- Kandidat Héctor Silva in der Hauptstadt San Salvador errregt Aufsehen. Der gemäßigte Silva, der auch von der kleinen sozialchristlichen Partei unterstützt wird, könnte mit über 50 Prozent den Unternehmer und ARENA-Kandidaten Luis Cardenal (29 Prozent) um Längen hinter sich lassen. Beim ersten Einzug ins Rathaus war sein Wahlsieg wesentlich knapper ausgefallen.

Der Vorsprung der FMLN erstaunt, da die internen Meinungsverschiedenheiten der Ex-Guerilla fortbestehen: die sogenannten Reformisten und die sogenannten Orthodoxen kämpfen nach wie vor um die Kontrolle über die Partei. Was nach guter Ausgangsposition vor Jahresfrist zur Niederlage von FMLN- Präsidentschaftskandidat Facundo Guardado führte, ist jetzt nicht mehr so wichtig. Inzwischen hat der regierende Präsident Francisco Flores so viel Vertrauen bei der Bevölkerung verloren, dass der Zwist in der FMLN in den Hintergrund tritt. Nach Umfragen und Einschätzungen verschiedener Beobachter wird sich zudem nur gut die Hälfte der 3,2 Millionen wahlberechtigten Salvadorianer an den Wahlen beteiligen.

Die Wahlkampagnen werden knapp einen Monat vor dem Stichtag offensiver. Veranstaltungen, Internetseiten, Beschimpfung des politischen Gegners, alle Register werden gezogen. Die Regierung muss sich gegen Vorwürfe wehren, staatliche Gelder für ihren Wahlkampf zu missbrauchen. Auch gewalttätige Zwischenfälle hat es gegeben. Zwei Mitglieder der erst Ende 1999 gegründeten Partei der Nationalen Aktion (PAN) wurden Anfang Februar in der Stadt Metapán im Westen des Landes ermordet.

Die Polizei vermutet persönlichen Streit als Hintergrund der Tat. Doch die Ermittlungen führten zur Verhaftung eines Verdächtigen, der Verbindungen zu den Gemeindeautoritäten und lokalen Parteigrößen der ARENA hatte. In der PAN haben sich mehrere tausend ehemalige Paramilitärs zusammengeschlossen, die während des Bürgerkrieges (1980-1992) das Militär unterstützten. Sie fühlen sich von ARENA verlassen, da zugesagte Entschädigungen und Pensionen für die im Krieg gegen die Guerilla geleisteten Dienste nie ausgezahlt wurden.

Mahnwoche für die Menschenrechtsbehörde

(San Salvador, 15. Februar 2000, alc-Poonal).- Die lutheranischen Kirchen, die Bischofskonferenz des Landes und die Nationale Vereinigung Amerikanischer Salvadorianer (SANA) veranstalteten gemeinsam eine Mahnwoche für die Menschenrechtsbehörde, die Gefahr läuft, nach sieben Jahren aufgelöst zu werden. Die Behörde entstand als Folge der 1992 unterschriebenen Friedensabkommen, die zwölf Jahre Bürgerkrieg in dem mittelamerikanischen Land beendeten. Ihre Aufgabe bestand darin, die Einhaltung der Menschenrechte zu beobachten und zu überprüfen, die Demokratie zu fördern und die Transparenz des Justizwesens zu unterstützen.

Doch mit dem amtierenden Menschenrechtsbeauftragten Eduardo Pete Polanco ist das Ansehen der Behörde rapide gesunken. Polanco wird vorgeworfen, seiner Arbeit nur untzureichend nachzukommen, Gelder zu veruntreuen, unrechtmäßige Entlassungen zu verfügen und an einer Zusammenarbeit mit Menschenrechtsorganisationen nicht interessiert zu sein. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (PNUD), das schwedische Entwicklungsministerium sowie andere internationale Institutionen haben deswegen ihre finanzielle und technische Unterstützung bereits gekürzt.

HONDURAS/NICARAGUA

Krieg ausgeschlossen

(San Salvador, 8. Februar 2000, pulsar-Poonal).- Die Außenminister von Honduras und Nicaragua unterschrieben in der Hauptstadt des Nachbarlandes El Salvador eine Vereinbarung, in der eine bewaffneten Lösung des Streits um die Meeresgrenzen ausgeschlossen wird. Damit soll das gespannte Verhältnis zwischen den beiden Ländern verbessert werden. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) fungierte bei der Übereinkunft als Vermittler. Nicaragua und Honduras verpflichten sich, nur die Militär- und Polizeiposten an der Grenze aufrecht zu erhalten, die schon vor dem 1. September 1999 bestanden. Eine Entscheidung über den Grenzkonflikt ist derzeit vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anhängig.

NICARAGUA

NGOs fordern Respekt von Präsident Aleman

(Managua, 9. Februar 2000, alc-Poonal).- Die Nationale Koordination für den Notstand und den Wiederaufbau (CCER) hat von Staatschef Arnoldo Aleman Achtung gegenüber ihrer Arbeit verlangt. Die CCER ist verärgert über den Präsidenten, der die Nicht- Regierungsorganisationen als „tadelsüchtige Genies“ verspottete. Damit reagierte Aleman auf Kritik der Koordination zu seiner Regierungspolitik und der Art und Weise, wie er mit internationalen Hilfsgeldern umgeht. Der NGO-Zusammenschluss unterstreicht in einer Erklärung, die Organisationen wollten nur ihren Platz, den sie sich mit ihrer Arbeit verdient hätten. Bei Entscheidungen, die die Bevölkerung beträfen, müssten sie angehört werden.

COSTA RICA

Kein Interesse an Zusammenarbeit mit Österreich

(San Jose, 8. Februar 2000, pulsar-Poonal).- Auch Costa Rica will mit der neuen österreichischen Regierung so wenig wie möglich zu tun haben. Der Ministerrat beschloss, die diplomatischen Beziehungen zu dem Alpenland mit sofortiger Wirkung einzufrieren. Außenminister Roberto Rojas informierte auch über die Rückberufung von Stella Aviram nach Costa Rica, die die Interessen des mittelamerikanischen Landes vor der österreichischen Regierung vertritt.

HAITI

Nachsichtige Regierungskommissarin abgesetzt

(Port-au-Prince, 14. Februar 2000, sicrad-Poonal).- Justizminister Camille Leblanc hat am 10. Februar die Regierungskommissarin für die Hauptstadt Port-au-Prince, Florence Mathieu, wegen „schwerer beruflicher Fehler“ abgesetzt. Ihr wird vorgeworfen, die Freilassung von drei mutmaßlichen Kokainhändlern veranlasst zu haben. Der Minister beschrieb dieses Vorgehen als „neuen Verstoß gegen das Recht“, der nicht toleriert werden könne. Mathieu dagegen beruft sich darauf, nur einer richterlichen Anordnung gefolgt zu sein. Nach der us-amerikanischen Tageszeitung „Miami Herad“ entwickelt sich Haiti mehr und mehr zum Umschlagplatz für Kokain. Die Einfuhr nach Florida werde von einem „reichen und einflussreichen“ haitianischen Kartell kontrolliert.

Feste US-Militärbasis?

(Port-au-Prince, 7. Februar 2000, sicrad-Poonal).- Die us- amerikanische Marine soll beabsichtigen, ihre Basis von der puertorikanischen Insel Vieques nach Haiti zu verlegen. Entsprechende Informationen veröffentlichte zuerst die in Puerto Rico erscheinende Tageszeitung „El Pais“. Die haitianische Zeitung „Le Nouvelliste“ nahm den Artikel auf. Als Alternative zu Vieques soll auch ein Standort in Nicaragua im Gespräch sein. Daniel Withman, Sprecher der US-Botschaft in Port-au-Prince erklärte gegenüber einer privaten Radiostation, nichts von „dieser Geschichte, die wahrscheinlich kein Fundament hat“, zu wissen.

Neuorientierung für Diplomaten

(Port-au-Prince, 31. Januar 2000, sicrad-Poonal).- Das haitianische diplomatische Korps, das aus etwa 40 Botschaftern und Missionschefs besteht, traf sich vom 24. bis 26. Januar in der Hauptstadt Port-au-Prince. Dieses Ereignis ist in der diplomatischen Geschichte des Landes beispiellos. Präsident René Préval begründete den Schritt nach dem Treffen damit, der internationale Kontext verlange eine Umorientierung der haitianischen Diplomatie und Auslandspolitik. Die Diplomaten sollen künftig stärker an der Entwicklung von Handelsbeziehungen zwischen Haiti und dem Ausland mitarbeiten, um so die internen ökonomischen Strukturen zu festigen.

KUBA

Indigenas aus den USA rauchen in Havanna die Friedenspfeife

(Havanna, 11. Februar 2000, comcosur-Poonal).- Vertreter mehrerer indianischer Bevölkerungen aus den USA, die erstmals nach Kuba reisten, präsentierten sich in Havanna mit der Absicht, die Friedenspfeife mit dem kubanischen Volk zu rauchen. „Wir sind in friedlicher Absicht gekommen und um zu lernen“, so Dennis Banks, einer der Gründer der nordamerikanischen Indigena-Bewegung. Er bedauerte, dass das US-Embargo der Insel „so viele Probleme beschert“. Der Indigena-Führer aus dem Bundesstaat Minnesota dankte außerdem Kubas Staatschef Fidel Castro, die Bevölkerung der Karibikinsel „so wundervoll“ zur Souveränität geführt zu haben. Laut Albert A. Hale, ehemaliger Vorsitzender der Navajo Nation in New Mexico, sind die Indigena-Nationen Inseln der Souveränität ähnlich wie Kuba.

USA/KUBA

Nationaler Kirchenrat der USA für Rückkehr von Elian

(New York, 14. Februar 2000, alc-Poonal).- Der Nationale Kirchenrat der USA, in dem die wichtigsten protestantischen Kirchen zusammengeschlossen sind, hat sein Eintreten für die Rückkehr des kubanischen Flüchtlingskindes Elian Gonzalez zu seinem Vater bekräftigt. Der Rat kümmert sich seit Anfang Dezember 1999 auf Bitten der kubanischen Schwesterorganisation um den Fall. Eine Delegation besuchte die Karibikinsel, um festzustellen, ob Elians Vater und weitere Familienmitglieder dem sechsjährigen Jungen angemessene Lebens- und Bildungsbedingungen auf Kuba bieten könnten.

Die Kirchen vertreten zudem die Ansicht, mit dem Verbleib des Jungen in den USA werde die Konvention von Den Haag verletzt. Ein ähnliches Schicksal könnten auch nordamerikanische Kinder erleiden. Der Kirchenrat unterstützt die Position der US- Einwanderungsbehörde, die Elian Gonzalez gegen den Widerstand seiner Verwandten in Miami zu seinem Vater nach Havanna zurückschicken will. Die deutliche Stellungnahme des Rates ist außergewöhnlich. Normalerweise mischt er sich in Auseiandersetzungen über Vormundschaften nicht ein. Dagegen ist er im Bereich der Familienzusammenführung sehr aktiv. So beteiligt er sich am Empfang von durchschnittlich 2.000 Kubanern jährlich. Darunter befinden sich mit Sicherheit zahlreiche, heute in Miami ansässige Flüchtlinge, die gegen die Rücksendung von Elian Gonzalez zu seinem Vater sind.

URUGUAY

„Verschwundene“ Akten über „verschwundene“ Personen

Von Samuel Blixen

(Montevideo, 14. Februar 2000, na-Poonal).- Der lange Kampf des argentinischen Dichters Juan Gelman, sein während der argentinischen Militärdiktatur (1976-83) in Gefangenschaft geborenes Enkelkind zu finden, legt die enge Beziehung der zwei Linien des Staatsterrorismus offen: die Entführung von Kindern und die Koordination der Unterdrückung. Eine dieser Linien zu untersuchen, impliziert notwendigerweise, sich auch mit der anderen zu beschäftigen.

Der überwiegend in Mexiko wohnende Gelman führte jahrelang geduldig eine Untersuchung auf eigene Faust durch, um Informationen über den Verbleib seines Enkels bzw. seiner Enkelin zu bekommen. Er fand bestätigt, dass sein Sohn in Buenos Aires ermordet wurde, während seine Schwiegertochter Claudia – bei ihrer Verhaftung im achten Monat schwanger – in das als Autowerkstatt getarnte Haftzentrum „Automotores Orletti“ in der argentinischen Hauptstadt gebracht wurde.

Seine Nachforschungen ergaben weiterhin den geheimen Transport von Claudia nach Uruguay im September 1976, zusammen mit weiteren 20 Häftlingen. Gelman nahm sich vor, alle Militärs zu identifizieren, die ihre Arbeit in „Automotores Orletti“ verrichteten. Das Haftzentrum diente zugleich als Operationsbasis der Militärkommandos der verschiedenen Diktaturen im Südkegel des Subkontinentes. Dort koordinierten sie in den 70er und 80er Jahren die Verfolgung der Opposition, bekannt geworden als Operation Condor.

Dem Dichter gelang es, den General Eduardo Cabanillas zu entlarven. Der Chef eines Heereskorps in Argentinien sah sich jüngst zum Abgang in den Ruhestand gezwungen, nachdem seine Verantwortung bei zahlreichen Verbrechen offenkundig wurde. Gelman bekam ebenso die Namen der 23 uruguayischen Offiziere heraus, die in Orletti agierten. Nach vielen Reisen und Dutzenden Interviews mit uruguayischen Überlebenden, die in dem Haftzentrum inhaftiert waren, kam er zu dem Schluss, dass dort seine Schwiegertochter Claudia bis zur Geburt ihres Kindes in der (uruguayischen; die Red.) Kaserne festgehalten wurde, in der der militärische Geheimdienst SID funktionierte.

Nach der Geburt kam die Mutter niemals mehr dorthin zurück, aber das Baby blieb einige Tage in der Militäreinheit. Was Gelman jedoch nicht in Erfahrung bringen konnte, ist das Geschlecht des Kindes. Das hat sich bis heute nicht geändert, aber der Dichter ist der Überzeugung, dass sein Enkel oder seine Enkelin in Uruguay lebt.

Mit einer beeindruckenden Summe von Indizien bat Gelman im Juni 1999 den uruguayischen Präsidenten Julio María Sanguinetti (1995- 2000) um ein Gespräch. Er wurde vom Präsidentensekretär Elías Bluth empfangen, dem er ein Dossier mit allen Details seiner Nachforschungen übergab. Bluth seinerseits übermittelte das Versprechen von Sanguinetti, alles Mögliche zu unternehmen, um Gelman zu helfen. Vier Monate später schrieb Gelman einen offenen Brief an Präsident Sanguinetti. Der Brief legte gegenüber den Uruguayern die Geschichte der Schwiegertochter und des Enkelkindes des argentinischen Dichters offen. Ebenso die Passivität des Präsidenten angesichts der Bitte: „Helfen Sie mir, mein Enkelkind zu finden.“

Die Regierung optierte für das Schweigen. Sanguinetti und sein Sekretär Bluth enthielten sich jeglicher Kommentare. Doch sie hatten nicht mit der Solidarität gerechnet, die sich in der Welt unter den Intellektuellen entwickelte, nachdem der portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago mit einem Brief an den Präsidenten den Anfang machte: „Helfen Sie Juan Gelman, helfen Sie der Gerechtigkeit, helfen Sie den Toten, den Gefolterten und den Entführten, indem Sie den Lebenden helfen, die sie beweinen und sie suchen. Helfen Sie sich selbst, helfen Sie Ihrem Gewissen, helfen Sie dem verschwundenen Enkelkind, das Sie nicht haben, aber hätten haben können“, mahnte der Schriftsteller unerbittlich den Präsidenten.

Als Sanguinetti sich zu einer Äußerung zum Fall Gelman entschied, hatte er bereits mehr als 2.000 Briefe von anderen Nobelpreisträgern – darunter Günter Grass -, Historikern, Literaten, Journalisten und Liedermachern erhalten. Ganz unterschiedlich in Stil und Ton warfen diese ihm seine ignorante Haltung vor und forderten, den Verbleib des Enkelkindes des argentinischen Dichters aufzuklären.

In seiner Antwort führte Sanguinetti an, eine „diskrete Ermittlung“ vorgenommen zu haben, die ihm „prinzipiell“ die Überzeugung verschaffe, dass die Schwiegertochter Gelmans „nicht nach Uruguay gebracht wurde“. Doch er beging einige Fehltritte: so unterstellte er Gelman die unterschwellige Absicht, auf die Wahlkampagne für das Präsidentschaftsamt einwirken zu wollen und begründete das Scheitern seiner Nachforschungen damit, dass „diejenigen, die eventuell irgendeine glaubwürdige Angabe machen könnten, in vielen Fällen starben oder alt sind“.

Der Dichter korrigierte den Präsidenten in einer Folgebotschaft: „Ich finde in ihrem Brief keinerlei Eingehen auf die 23 uruguayischen Militärs, die in die Vorkommnisse verwickelt sind.“ Gelman erwähnte auch acht Namen einschließlich Altersangaben der betreffenden Personen. „Die Genannten starben weder noch sind sie alt“, versicherte er bissig. Und auf die unterschwelligen Wahlabsichten eingehend: „Dieses Ziel hat mich nie bewegt. Falls Sie Großvater sind, werden Sie sehr gut wissen, wie intensiv die Zuneigung für die Enkelkinder ist. Sie leben uns über die Kinder hinaus weiter. In meinem Fall handelt es sich darum, einer Enkelin oder einem Enkel deren Geschichte zu übermitteln und dieser Wille unterliegt keinem Wahlkalender.“

Ende Dezember ordnete der damalige Streitkräftekommandant General Fernán Amado an, die Militärjustiz solle Geburt und Verbleib des Kindes untersuchen. Wie durchsickerte, könnten insgesamt sechs der 23 von Gelman erwähnten Offiziere angehört werden. Uruguayische Menschenrechtsorganisationen wiederholten ihr geringes Vertrauen in die Militärjustiz. Während seiner ersten Präsidentschaftsperiode (1985-90) beauftragte Sanguinetti einen Militärstaatsanwalt mit der Nachforschung über alle Fälle von Verschwundenen. Die Militärjustiz kam zu dem Schluss, kein Mitglied der Streitkräfte sei darin verwickelt.

Was jedoch die Aufmerksamkeit der Vereinigung der Mütter und Familienangehörigen Verschwundener am meisten erregte, war die Versicherung Sanguinettis, er habe im Rahmen seiner „diskreten Ermittlung“ die entsprechende Dokumentation der Untersuchungskommissionen von Parlament und normaler Justiz durchgesehen. „Wir haben alle diese zahlreichen Akten untersucht, ohne dass ein zusätzlicher Hinweis über ihre Schwiegertochter auftaucht“, formulierte der Präsident in seinem Brief.

Eine dieser Akten und zwar genau die, die sich auf den heimlichen Transport der Gefangenen in Automotores Orletti bezog, war vor einiger Zeit von Anwälten der Familienangehörigen Verschwundener zur Einsicht verlangt worden. Sie soll Zeugenaussagen von Soldaten über ein neugeborenes Kind in den Installationen des Geheimdienstes SID enthalten. Doch seit Mitte 1999 ist diese Akte beim zuständigen Gericht nicht mehr auffindbar. Menschenrechtsorganisationen wiesen in einer Pressekonferenz darauf hin, dass der Präsident oder seine Untergebenen die Akte schwerlich konsultieren konnten. Rein zufällig verschwand zur gleichen Zeit an einem Bundesgericht in Buenos Aires die Akte „Zwillinge“, wo es ebenfalls um Orletti ging.

Dieser Fall einer verschwundenen Akte verhindert Fortschritte in einem von der Liga für Menschenrechte angestrengten Prozess, in dem die Verbrechen im Rahmen der Operation Condor untersucht werden sollen. Auch der Fall des Enkelkindes von Gelman und andere Fälle, in denen es um Kindesentführung geht, sind davon betroffen. Die Gerichtsverfahren werden verlangsamt, indirekt begünstigt durch die uruguayische Regierung. Diese muss mit Auslieferungsanträgen und internationalen Haftbefehlen gegen ehemalige oder noch aktive Militärs ihres Landes rechnen.

Militärjustiz: Im Fall Gelman nichts zu ermitteln

(Montevideo, 17. Februar 2000, comcosur-Poonal).- Wie vorauszusehen, entschied die uruguayische Militärjustiz mit dem Hinweis auf Artikel 4 des 1986 verabschiedeten Gesetzes zur Straffreiheit, „keine gerichtlichen Ermittlungen“ im Fall des Verschwindens der Schwiegertochter und des Enkelkindes des argentinischen Dichters Juan Gelman aufzunehmen.

KOMMENTAR – Von Eduardo Galeano

Das militärische Erbe

(Montevideo, Februar 2000, Poonal).- Der Präsident Uruguays, Julio María Sanguinetti, hat jemand, der ihm schreibt. Während seine zweite Präsidentschaft zu Ende geht, regnet es Briefe aus der ganzen Welt auf ihn nieder. Wo ist – fragen sie ihn – der Enkel oder die Enkelin des argentinischen Dichters Juan Gelman? Dieses Baby war von den Militärs in den siebziger Jahren entführt worden, als die südamerikanischen Diktatoren die Grenzen schliffen und den gemeinsamen Markt des Horrors in die Praxis umsetzten. Es gab verschwundene Uruguayer in Uruguay und auch in Argentinien, Chile und Paraguay (…).

Ende des vergangenen Jahres informierte die uruguayische Presse darüber, dass Präsident Sanguinetti, endlich, eine praktische Antwort auf so viel weltweite Forderung gegeben habe. Er übergab die Ermittlung des Falles der Militärjustiz. Aber es kündigte sich damit keine Uraufführung an. Dieses Theaterstück war bereits Jahre zurück gespielt worden. 1987, während seiner vorherigen Präsidentschaft, hatte Sanguinetti ebenfalls der Militärjustiz die Untersuchung über 140 uruguayische Verschwundene überlassen.

Jetzt, bei seinen öffentlichen Antworten auf die Sintflut internationaler Solidarität, sagt und wiederholt der Präsident, es „wäre ein Wunder“, das Geschehene zu ergründen. Und er hat Recht. Wie soll ein Verbrechen aufgeklärt werden, wenn es diejenigen untersuchen, die es begangen haben? Solch Wunder ist niemals geschehen, weder in der Geschichte der Kriminalforschung noch in der Geschichte der Kriminalromane.

Die uruguayische Militärdiktatur hatte sich in der Kunst der Folter spezialisiert. Ihre Henker kopierten nicht nur einige Methoden der Demütigung von der Heiligen Inquisition, sondern wussten außerdem die moderne Technologie anzuwenden. Uruguay wurde in diesen siebziger Jahren das Land mit der höchsten Zahl an Folteren, gemessen als Anteil an der Gesamtbevölkerung. Weltmeister der Folter: Du wirst gepeinigt, bis du verrätst oder stirbst, Du wirst schuldig sein, obwohl Du nicht weißt, warum. Wie eine Anerkennung gegenüber dieser nationalen Spezialität legte der zivile Präsident die Ermittlung über die Verschwundenen, die Toten ohne Leiche, in die Hände eines Militärfolterers: die Aufgabe wurde dem Oberst José Sambucetti übertragen. Das Wunder geschah nicht, nichts kam heraus.

Der Journalist Samuel Blixen enthüllte damals in der Wochenzeitschrift „Brecha“, dass Sambucetti persönlich zahlreiche der täglichen Foltersitzungen im 2. Infanteriebataillon leitete. Eines seiner Opfer, Sonia Mosquera, erzählte, wie dieser Experte in der Geisselung gefesselter Frauen ganz offen befahl: „Bei dieser da hat ist nicht eine Träne geflossen. Zurück an die Maschine.“

Jahre später hat Präsident Sanguinetti öffentlich den Schluss der Neuaufführung dieses Stücks mit dem Titel „Ermittle gegen Dich selbst“ vorweggenommen: „Auf uruguayischem Territorium ist kein Kind verschwunden“, versicherte der Präsident ohne sich die Mühe zu machen, zu erklären, woher er diese Sicherheit nimmt.

Unterdessen ruht sich der Oberstgeneral Fernán Amado, der noch vor drei Monate ein Genugtuungsfrühstück für die Menschenrechtsverletzter unter den Offizieren gab, von der Beschäftigung als Chefkommandant der Streitkräfte aus. In den Ruhestand gehend, spricht er den letzten Satz des Schlussaktes des Theaterstückes. Sich zu den Verschwundenen äußernd, sagt der Schauspieler: „Die Armee verfügt über keinerlei Information zum Thema.“ Die „omerta“, das Gesetz des Schweigens, gilt nicht nur für die sizilianische Mafia.

In den achtziger Jahren, mit der Wiederauferstehung der Demokratie in Südamerika, kamen die Straffreiheitsgesetze, damit auch die Erinnerung an die Verschwundenen verschwinde. Doch das Verschwinden von Personen und die Entwendung von Kindern sind „fortwährende Delikte“ – für die internationale Rechtsprechung und für das menschliche Gewissen der Menschen, die noch Gewissen haben: es gibt kein Gesetz, das zum Schweigen über Verbrechen zwingen kann, die weiter jeden Tag begangen werden, solange die Verschwundenen nicht auftauchen und die usurpierten Kinder nicht zurückgegeben werden.

In Uruguay arbeitet der Präsident Sanguinetti schon viele Jahre daran, dass alles beim Alten bleibt. Und schon viele Jahre beweist er, dass der französische Politiker Georges Clemenceau nicht irrte, als er vor mehr als einem Jahrhundert warnte: „Die Militärjustiz ähnelt der Justiz so wie die Militärmusik der Musik ähnelt.“

URUGUAY

Französisches Energieunternehmen macht Uruguay zur Zeitbombe

Von Eduardo Curuchet

(Monteviedeo, 14. Februar 2000, comcosur-Poonal).- Uruguays Hauptstadt liegt über einer Zeitbombe. Grund sind überalterte Gasleitungen, die rund 45.000 Menschen mit Erdgas versorgen. „Die Gasleitungen sind seit 70 Jahren nicht erneuert worden“, warnte die Gewerkschaft der Gasarbeiter bereits 1996 die Regierung der drei Millionen-Stadt. Diese leitete Untersuchungen ein und bestätigte die Behautptung der Gewerkschaft.

Verantwortlich für die lebensgefährlichen Sicherheitsmängel bei der Versorgung Montevideos mit Gas ist „Gaz de France“, das staatliche, französische Energieunternehmen, das seit 1995 die Aktienmehrheit der uruguayischen Staatsfirma GASEBA hält. „Aufgrund der Sicherheitsmängel sind in den vergangenen fünf Jahren fünf Menschen durch Gasvergiftungen gestorben, 16 weitere wurden schwer verletzt“, gibt auch der uruguayische Industrie- und Energieminister zu. Die Regierung jedoch zog keine Konsequenzen. Nur dank gewerkschaftlicher Proteste kamen diese „Unfälle“ überhaupt an das Licht der Öffentlichkeit.

Seit Mitte der 90er Jahre schwelt der Konflikt zwischen der uruguayischen Gasarbeitergewerkschaft und GASEBA/“Gaz de France“. Zum dritten mal sind die Arbeiter des Konzerns aus Protest gegen dessen illegale Beschäftigungs- und Umweltpraktiken Ende Dezember 1999 in den Hungerstreik getreten.

Als Anfang der 90er Jahre Uruguays rechte Regierung unter Luis Alberto Lacalle versuchte, alle staatlichen Unternehmen zu privatisieren widersetzte sich mehr als 70 Prozent der Bevölkerung dem Vorschlag der Regierung bei einem Referendum. Der Energie- und Telekommunikationssektorsektor blieben zunächst weiter in staatlicher Hand. 1994 traten die GASEBA-Arbeiter das erste mal in den Hungerstreik, um „unter der Hand laufende“ Übernahmeverhandlungen durch den französischen Energiekonzern öffentlich zu machen. Trotzdem unterschrieb „Gaz de France“ ein Jahr später mit GASEBA einen Pachtvertrag über dreißig Jahre Nutzungsrechte – allerdings mit der Verpflichtung, die überalteten Gasleitungen zu modernisieren.

Auslöser für den zweiten Hungerstreik 1996 war die Entlassung von vier Arbeitern, denen gekündigt worden war, weil sie graviernde Sicherheitmängel in der Infrastruktur der Firma bekannt gemacht hatten. Das Arbeitsgericht hatte ihnen zuvor Recht gegeben. Der Hungerstreik bewirkte die Wiedereinstellung der Gewerkschafter.

Mitte 1999 zeigte die Gasarbeitergewerkschaft GEASEBA/“Gaz de France“ bei der Staatsanwaltschaft an, da der Konzern noch immer nicht mit der dringend notwendigen Modernisierung der städtischen Gasleitungen begonnen hatte. Erneut wurden sieben Angestellte entlassen, unter ihnen die vier, die die Firma schon drei Jahre zuvor wegen der Sicherheitsmängel angeklagt hatten. Alle Entlassenen sind Gewerkschaftsführer oder -Aktivisten. Die Arbeitervertretung spricht von einer „klaren Verfolgung gewerkschaftlich aktiver Arbeiter“.

Dass die Gasleitungen Montevideos bisher, trotz kritischem Bericht der Stadtverwaltung und Urteil des Arbeitsgerichtes nicht erneuert wurden, rechtfertigt der Gas-Konzern mit „Geldmangel“ aufgrund der Verzögerung von Naturgaslieferungen nach Uruguay. Hintergrund dafür ist, dass Uruguay weder über eigene Erdöl- noch Naturgasvorkommen verfügt – Wasser ist die einzige eigene Energiequelle.

Seitdem jedoch die Weltbank vorschlug, ganz Lateinamerika mit Erdgas zu versorgen, ist der kleine Staat nicht nur dankbarer Konsument: Teil des Energieversorgungsplans für Lateinamerika ist die Verbindung der Transportwege des Erdgases zwischen Santa Cruz de Sierra (Bolivien) und der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Dabei muss das Gas durch die Pipelines auf uruguayischem Staatsgebiet geleitet werden. Der Grund für die interregionale Verbindung der Gasleitungen der Hauptstädte am Rio Plata ist, dass sich die Energiekosten um ein Fünftel verringern würden.

In der Nähe von Montevideo wurden deshalb Reservoris zur Speicherung von Erdgas angelegt. Damit soll die argentinische Hauptstadt Buenos Aires während des Winters, wenn der Energiebedarf steigt, versorgt werden. GASEBA/“Gaz de France“, die den knappen Energiemarkt Uruguays klar kontrollieren – würden als „Zwischenhändler“ mit dem Verkauf des begehrten Gases und der „Vermietung“ der uruguayischen Gasleitungen Milliarden mehr verdienen, als durch die Belieferung der wenigen zehntausend Einzelverbraucher Uruguays.

Ende Dezember 1999 begannen die Gasarbeiter erneut mit einem Hungerstreik und forderten „die Sicherheit der Dienstleistung Energie für die Bevölkerung und die Wiedereinstellung der sieben kurz zuvor entlassenen Gewerkschaftsmitglieder.“ Als die Ärzte nach 44 Tagen bleibende körperliche Schäden für die Fastenden nicht mehr ausschließen wollten, wurde der Streik am vergangenen Mittwoch (9. Februar) beendet. Doch Gewerkschaftsaktivist Garcia Angel kündigte bereits an: „Dies ist ist nur ein Waffenstillstand in unserem langen Krieg gegen die Privatisierung der Lebensgrundlage Energie“.

Heimkehr für Vaimaca Perú rückt näher

(Montevideo, 14. Februar 2000, comcosur-Poonal).- Die französische Regierung hat nach langem Aufschub bestätigt, dass im Pariser Volkskundemuseum die sterblichen Überreste des Indigena-Häuptlings Vaimaca Perú aufbewahrt werden. Die in der Organisation der Nachfahren der Eingeborenen Amerikaner (INDIA) zusammengeschlossenen Personen fordern seine Rückführung nach Uruguay. Das offizielle Eingeständnis aus Frankreich bringt sie ihrem Ziel ein kleines Stück näher.

In der uruguayischen Geschichtsschreibung sind die Ende des 19. Jahrhunderts nach Frankreich geschickten Indigenas als „die letzten Charrúas“ bekannt. In Paris wurden sie zu Ausstellungsobjekten degradiert. „Die menschlichen Überreste müssen als Rechtsobjekte und nicht als Museumsstücke behandelt werden“, argumentiert Rodolfo Martínez Barbosa, Vorsitzender von INDIA. Der Fall von Vaimaca wurden im vergangenen Jahr auf dem Vierten Weltkongress für Anthropologie präsentiert und stieß auf Verständnis.

Lange Zeit hatte Frankreich geleugnet, bei dem im Keller des Volkskundemuseums deponierten Skelett handele es sich um die Überreste Vaimacas. Martínez Barbosa weist allerdings selbst auf das wichtigste Hindernis hin, das dem ehemaligen Indigena- Häuptling die letzte Ruhestätte in Uruguay verschafft. Seine Rückkehr wäre ein Präzedenzfall und könnte am Ende ein leeres Pariser Museum bedeuten: „Sie wissen, dass die Forderungen nur so auf sie niederprasseln werden, denn in dem Museum gibt es nichts ranzösisches.“

ECUADOR

Indigenas organisieren Kampagne für Volksbefragung

(Quito, 14. Februar 2000, pulsar-Poonal).- In der kommenden Woche sollen im ganzen Land Unterschriften für ein Referendum gesammelt werden. Die Aktion wird im Wesentlichen vom Indigena-Dachverband CONAIE getragen. In den von den Indigenas gegründeten Provinzparlamenten, die am vergangenen Wochenende tagten, wurden die Fragen für das Plebiszit verabschiedet. Nach den Vorstellungen der CONAIE soll sich die Bevölkerung mit Ja oder Nein zur Auflösung des Kongresses, der Neustrukturierung des Obersten Gerichtshofes, der Privatisierungspolitik, der Dollarisierung der Wirtschaft sowie der US-Truppenpräsenz auf dem Territorium Ecuadors äußern. Als Termin ist der Mai vorgesehen. Das private Meinungsforschungs-Unternehmen „Cedatos“ hat unter den Ecuadorianern eine Zustimmung von 74 Prozent für ein Referendum ausgemacht. Etwa ebenso hoch soll der Prozentsatz der bevölkerung sein, die mit Ja für ein völlig neues Parlament stimmen würden.

CONAIE-Vertreter Daniel Tigre wies Kritik einiger politischer

Gruppen zurück, die Fragen seien nicht legal. Sie entsprächen

vielmehr der aktuellen politischen Situation des Landes und hätten

den Rückhalt der Bevölkerung, so Tigre. Das Oberste Wahlgericht hatte geäußert, die in einer Frage vorgeschlagene Auflösung des Parlaments verstoße gegen die Verfassung. Die Abgeordneten könnten nur individuell abgesetzt werden.

Tigre machte deutlich, die Volksbefragung sei die Fortführung des begonnenen Kampfes für den Respekt vor den Rechten der sozial Marginalisierten. Er schloss aus, bei einem vorgesehenen Treffen mit dem neuen Präsidenten Gustavo Noboa, der Aussetzung der Befragung zuzustimmen. Die Warnungen, das Referendum könne das Land weiter destabilisieren, seien ein Vorwand der Politiker, um die Korruption beizubehalten.

VENEZUELA

Streit unter Chavez Anhängern droht Regierung zu spalten

(Caracas, 13. Februar 2000, pulsar-Poonal).- Bundesstaatsanwalt Javier Elechiguerra will den Korruptionklagen gegen amtierende Regierungsfunktionäre und ehemalige Regierungsmitarbeiter auf den Grund gehen. In den vergangenen Tagen haben sich dem Präsident Hugo Chavez nahestehende Militärs und Zivilisten gegenseitig heftig verbal angegriffen. Betroffen sind unter anderen der Vorsitzende der derzeit das Parlament ersetzenden Legislativkommission, Luis Miquilena, sowie der Ex-Chef der Geheimpolizei, Jesus Urdaneta.

Elechiguerra sagt, im Land gäbe es niemanden, der unantastbar sei. Weder Parteizugehörigkeit noch hohe Regierungsränge würden Einfluss auf seine Arbeit haben. Auch Präsident Hugo Chavez hat eine gründliche Ermittlung versprochen. Bei den Anklagen handelt es sich vor allem um wirtschaftliche Vorteile, die sich die jeweilige Gegenseite durch politische Funktionen gesichert haben soll. Der eigentliche Hintergrund ist aber vermutlich ein anderer. Das breite Bündnis Patriotischer Pol, das Präsident Chavez an die Macht brachte, kann die unterschiedlichsten politischen Interessen seiner Mitglieder nicht mehr zusammen halten.

PERU

Internationale Beobachter sehen Wahlprozess pessimistisch

(Lima, 11. Februar 2000, pulsar-Poonal).- Eine Delegation vom Demokratischen Nationalinstitut und des Carter Zentrums beobachtete auf Einladung der peruanischen Regierung und der Behörden des Landes die Wahlkampagne im Land. Die Kritik fiel für die Regierung verheerend aus. In Peru existieren keine hinreichenden Bedingungen für freie und gerechte Wahlen, so die Schlussfolgerung der Delegation, der auch der frühere Präsident Costa Ricas, Rodrigo Carazo, und Guillermo Márquez, Ex- Vorsitzender des Wahlrates von Panama, angehörten. Seit dem ersten Besuch der Mission im November 1999 habe sich die Lage sogar noch verschlechtert.

Die internationalen Beobachter bemängeln die Punkte, die auch von der peruanischen Opposition angeführt werden: Manipulation der Medien, minimaler Zugang der Oppositionskandidaten zu den Kommunikationsmedien und Missbrauch staatlicher Gelder für die Wahlkampagne der Regierung. Es sei ein schwerwiegendes Problem, dass in diesem Klima bereits ein Drittel des offiziellen Wahlkampfes stattgefunden habe.

BRASILIEN

Indigenas halten nichts von 500-Jahrfeiern – Proteste geplant

(Brasilia, 11. Februar 2000, comcosur-Poonal).- Nach 500 Jahren, gekennzeichnet durch Massaker, Sklaverei und Zwangsarbeit gekennzeichnet, halten die überlebenden Indigena-Stämme Brasiliens wenig davon, ihre Entdeckung durch die Portugiesen am 22. April 1500 zu feiern. Sie bereiten sich im Gegenteil darauf vor, der Regierung bei ihren geplanten Jubelfeiern das Spiel zu verderben. Vom Amazonasurwald bis zur Küste Rio de Janeiros, sind tausende Indigenas dabei, den größten Protest ihrer Geschichte zu organisieren. Ihre Hoffnung ist es, die Aufmerksamkeit umzulenken und nicht den Präsidenten Brasiliens und Portugals zu überlassen.

„Unser Volk leidet, es wird ermordet. Die Frauen werden von der Armut in die Prostitution getrieben“, sagt José Silva vom Stamm der Makuxi. „Jetzt wollen sie all dieses Geld in einer Feier ausgeben. Was werden sie feiern?“ Die Organisationen der Indigenas rechnen bei ihren Protesten mit der solidarischen Unterstützung von mehr als 70.000 Nicht-Indigenas, insbesondere von der Landlosenbewegung MST. Im Zentrum der Forderungen soll das Recht auf geschützte Böden in den Indigena-Territorien stehen. Immer wieder müssen sich die Stämme gegen gewalttätige Invasionen von Großgrundbesitzern wehren.

LATEINAMERIKA

Schuldenkrise Teil V

Interview: Schuldenerlass nur durch Druck auf eigene Regierungen

(Quito, Februar 2000, pulsar-Poonal).- Damit den Ländern der Dritten Welt die Schulden erlassen werden, reicht nicht nur der Druck auf die Gläubiger. Es muss ebenso Druck auf die Regierungen der Schuldnerländer geben. Das ist einer der Vorschläge des Komitees für die Annullierung der Verschuldung der Dritten Welt. 1989 in Paris gegründet, zählt das Komitee heute auf Mitglieder in Lateinamerika, Asien und Afrika. Pulsar sprach mit dem Komitee- Vorsitzenden Eric Toussaint.

Hat der Schuldenerlass für die Dritte Welt wirklich Erfolgsaussichten?

Ihn zu erreichen heißt, eine Kräftekorrelation aufzubauen, bedeutet massive Kampagnen auf die Beine zu stellen, damit die Völker Lateinamerikas und der Dritten Welt diese Forderung aufnehmen. Ebenso ist ein Bündnis der Schuldnerländer notwendig, um die Einstellung der Schuldenzahlungen zu beschließen. Kein Land darf gegenüber den Gläubigern isoliert sein. Ein Bündnis im Süden wird durch viele Bewegungen im Norden unterstützt werden. Denn im Norden ist vielen das Problem bewusst. Die Zahlung der Auslandsschuld wird als ungerecht angesehen und als ein ungeheures Hindernis für jede Art menschlicher Entwicklung in den Ländern der Dritten Welt.

Wie können die Regierungen beim Thema Schulden integriert werden?

Dafür sind die Kampagnen wichtig. Denn auf diese Regierungen können wir nicht zählen. Auf sie müssen wir Druck ausüben und ihnen die Haltung der Bevölkerungsmehrheiten aufzwingen. Diese Regierungen haben ein Interesse, innerhalb des Systems der Schuldenrückzahlungen zu funktionieren. Denn als Gegenleistung erhalten sie neue Kredite. Und die Finanzorganisationen sowie die Geberländer lassen diesen Regierungen freie Hand bei der Verwendung der Kredite. Solange es keinen Druck der Basis auf die Regierungen gibt, ohne den Druck der sozialen Bewegungen wie Gewerkschaften, Frauengruppen, Nicht-Regierungsorganisationen, wird es keine Veränderung geben. Aber im Norden und im Süden gibt es ein Nachdenken und Erfahrungen, die auf einen Wechsel hindeuten.

Wer unterstützt die Bewegung im Norden?

Gewerkschaftszentralen, Kommunikationsmedien wie Le Monde Diplomatique mit einer international verbreiteten Auflage von insgesamt 800.000 Exemplaren, Bewegungen für unser Komitee, die Kampagne Erlassjahr 2000, Künstler, Intellektuelle.

Welche Druckmittel werden in diesem Jahr angewandt?

In Brasilien beispielsweise läuft eine Massenkampagne für eine Volksabstimmung über die Schulden. Es wird ein Tribunal gegen die Verantwortlichen der Schuld organisiert und wir haben mehrere weltweite Treffen für die kommenden Monate organisiert. So steigt der Druck. Während des Weltbanktreffens in Washington ist eine starke Mobilisierung vorgesehen. Seattle soll wiederholt werden, das heißt, eine ziemlich heftige Mobilisierung, die sich in die Tagesordnung einmischt und sie beeinflusst. Eine ebenso wichtige Bewegung wird es in Europa bei dem Treffen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in der Tschechischen Republik geben. Vorbereitungen für den G7-Gipfel in Japan sind ebenfalls im Gange.

Was bedeutet es für abhängige Ökonomien wie die der Dritten Welt, nicht mehr zu zahlen?

Die bisher für den Schuldendienst bestimmten Gelder sollten für Sozialprogramme ausgegeben werden. Stellen Sie sich etwa vor, dass in Ecuador 52 Prozent des Haushaltes für den Schuldendienst vorgesehen sind. Wenn dies anders wäre, was könnte dann alles mit diesen Mitteln gemacht werden. Wenn ein Land nicht zahlt, werden ihm die Kredithähne zugedreht.

Wie könnte das Kreditgeld, von dem die Länder der Dritten Welt abhängen, ersetzt werden?

Zuerst einmal wäre es ein Gewinn, nicht mehr zu zahlen. Das müsste mit Steuermaßnahmen kombiniert werden, um alternative Einnahmequellen zu erhalten. In den Ländern der Dritten Welt gibt es Reiche, ungeheuer Reiche, die keine Steuern zahlen. Sie müssten gezwungen werden, zu den Einkünften des Staates beizutragen. Und der Staat müsste diese Mittel für Sozialprogramme einsetzen.

Ist die Initiative der Gläubigerländer, den sogenannten hochverschuldeten Ländern die Schulden zu erlassen, eine alternative Maßnahme?

In Wahrheit handelt es sich um demagogische Diskurse. Die Regierungen des Nordens verkündeten einen Schuldenerlass. Aber das ist eine Lüge. Ihre Maßnahme stellt einen marginalen Schritt dar. Im Fall der USA handelt es sich um ein tausendstel Prozent des US- Militärbudget und im Fall Großbritannien sind es auch nur zwei tausendstel Prozent des Militärhaushaltes. Sie haben den Schuldenerlass verkündet, weil sie merkten, dass die öffentliche Meinung ihrer Länder dem Erlass günstig gesonnen ist. Aber es sind nur Reden und Ankündigungen, um diejenigen, die mobil machten, zu überzeugen, dass sie schon gewonnen haben und kein weiterer Druck mehr nötig ist. Die Gelder, die die USA und Großbritannien versprechen, sind symbolisch und unzureichend.

Wenn dies Demagogik ist, welche Maßnahme wäre real?

Sie müssten ihre Militärausgaben senken und einen Teil ihrer Ausgaben dafür vorsehen, die Annullierung der Schulden der Dritten Welt zu organisieren. Auch die internationalen Banken müssen eine Anstrengung unternehmen, ebenso multilaterale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds und die Weltbank.

Was ist Hauptursache der verarmung der Länder Lateinamerikas, die Schulden oder die Korruption ihrer Regierenden?

Ich glaube, die Schulden. Aber die Korruption ist direkt mit den Schulden verknüpft. Ein großer Teil der bewilligten Kredite an die lateinamerikanischen Regierungen wurde und wird von den Regierenden selbst auf Bankkonten in den Ländern des Nordens umgeleitet. Daher kann die Korruption nicht von den Schulden getrennt werden, beide sind Teil desselben Systems.

CC BY-SA 4.0 Poonal Nr. 420 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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