Poonal Nr. 180

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 180 vom 14.02.1995

Inhalt


MEXIKO

KUBA

  • USA treiben Rücktransport von Panama nach Guantánamo voran

COSTA RICA

HAITI

PANAMA

ARGENTINIEN

GUATEMALA/MEXIKO

GUATEMALA


MEXIKO

Haftbefehl gegen Subcomandante Marcos – Krieg in Chiapas

(Mexiko-Stadt, 13. Februar, POONAL).- Nach offiziellen Angaben hat die mexikanische Regierung das bislang von der Guerillabewegung Zapatistische Nationale Befreiungsarmee (EZLN) beherrschte Gebiet im Osten des Bundesstaates Chiapas wieder unter ihrer Kontrolle. Von dem mit Haftbefehl gesuchten Guerillaführer Subcomandante Marcos fehlte offenbar noch jede Spur. 2.500 Soldaten waren am Freitag in die „befreite Zone“ eingerückt. Die Zapatisten, die sich in unzugängliches Gebiet zurückgezogen haben, erklärten in ihrem ersten Kommunique seit Beginn der Offensive, die Armee habe Dörfer aus der Luft bombardiert. In dem handschriftlichen Schreiben, dessen Echtheit wegen der fehlenden Unterschrift von Marcos nicht feststeht, machten sie der Regierung ein Friedensangebot. Aus Angst vor den angreifenden Regierungstruppen sind Hunderte Indígenas in Chiapas aus ihren Häusern geflohen. Die mexikanische Menschenrechtsorganisation Conpaz fürchtet, daß es seitens der Bundesarmee zu einer Wiederholung von Folterungen und Hinrichtungen wie zu Beginn des Aufstands im Januar 1994 kommen könnte. Die Opposition spricht inzwischen von einem „parallelen Krieg“ in Chiapas. Neben der Armee machten die in der „Bürgerfront zur Selbstverteidigung« zusammengeschlossen Viehzüchter und Geschäftsleute mobil. Sie kündigten an, in den nächsten Tagen den Bischof Samuel Ruiz Garcia wegen seiner „Sympathie“ mit den Zapatisten aus San Cristobal de las Casas vertreiben zu wollen. Nach der Massendemonstration der verschiedenen Oppositionsgruppen am Samstag abend in Mexiko-Stadt gab es in zahlreichen Orten kleinere Protestveranstaltungen gegen das Regierungsvorgehen. In den USA schreiben Zeitungen wie die Washington Post und die New York Times von einem propagandistischen Erfolg des mexikanischen Präsidenten. Indem er die „wirkliche Indentität“ des Subcomandante Marcos enthüllte, sei ein Mythos zerstört worden. Dies helfe, „eine Rebellenbewegung zu zerbrechen, die militärisch niemals stark war“, meint die New York Times. Eine Umfrage der mexikanischen Tageszeitugn „Reforma“ läßt zumindest am ersten Teil dieser Aussagen zweifeln. 59 Prozent der Befragtren gaben an, ein positives Bild von Marcos zu haben. Sie sehen in ihm demnach einen „Führer“ und nicht den Kriminellen, als den ihn die Regierung jetzt hinstellt. Nur 22 Prozent zeigten sich mit dem Vorgehen der Regierung einverstanden. Angesichts der Ereignisse in Chiapas fanden die sonntäglichen Gouverneurswahlen im nördlichen Bundesstaat Jalisco wenig Beachtung. Es wird erwartet, daß die konservative PAN (Partido de Acción Nacional) die PRI besiegen wird. Ersten Ergebnissen zufolge erreichte ihr 36jähriger Kandidat Alberto Cardenas Jimenez 54 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die PRD spielt in Jalisco keine Rolle. Andere als in den Bundesstaaten Tabasco und Chiapas, in denen nach Überzeugung vieler die PRD die Gouverneurswahlen gewann, wird im Falle Jaliscos davon ausgegangen, daß die PRI einen Wahlsieg der PAN akzeptieren würde. Auswirkungen auf die Bundespolitik und die Situation in Chiapas sind jedoch unwahrscheinlich.

Am Nachmittag des 9.Februar mexikanischer Zeit gab Präsident Ernesto Zedillo in einer Fernsehrede den Haftbefehl gegen den Rebellenführer der Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) im Bundesstaat Chiapas, Subcomandante Marcos, bekannt. Er nannte Marcos und vier weitere EZLN-Mitglieder mit ihren bürgerlichen Namen. Die Verhaftungen sollen nach dem Willen des Präsidenten die Bundesstaatsanwaltschaft und das Militär durchführen. Unklar blieb jedoch bis zur Nacht, ob dies gleichzeitig die Anweisung an die memxikkanische Bundesarmee war, die Positionen der Guerilla zu attackieren. Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt schon erste Berichte über Truppenbewegungen am Rand des von der EZLN kontrollierten Gebietes. Zedillo nannte Waffen- und Sprengstoffunde im Bundesstaat Veracruz und in der Hauptstadt als unmittelbaren Anlaß für seine Entscheidung. In beiden Fällen handelte es sich nach den Angaben der Bundesstaatsanwaltschaft um Depots der EZLN.

Wenige Stunden nach der Präsidentenrede nannte der Bundesstaatsanwalt Antonio Lozano weitere Einzelheiten zur Identität des Subcomandante Marcos. Beim ihm soll es sich um den 30 bis 35jährigen Rafael Sebastian Guillén Vicente handeln, den Ermittlern auch unter dem Decknamen 'Zacharias' bekannt. Guillén Vicente stammt demnach aus dem Ort Tampico im nördlichen Bundesstaat Tamaulipas. Dort besuchte er eine von Nonnen geleitete Grundschule und ging danach auf ein Jesuitenkolleg. Offensichtlich studierte er hiernach Kommunikationswissenschaften in Mexiko- Stadt. Seit mehreren Jahren soll seine Familie keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt haben. Wenige Minuten nach der Konferenz der Bundesstaatsanwaltschaft kursierten jedoch bereits widersprüchliche Versionen zum Lebenslauf des identifizierten Marcos. Mitarbeiter der Behörde zeigten der Presse ein Foto von Guillén Vicente, auf das sie ein Foto der von den Zapatisten benutzten Masken montierten. Fragen der Journalisten nach der Herkunft des Fotomaterials blieben unbeantwortet.

Oppositionsparteien riefen zum Dialog auf

Angesichts der unklaren Situation letzte Woche waren die ersten Stellungnahmen wenig konkret. Die Nationale Vermittlungskommission (CONAI), die unter dem Vorsitz von Bischof Samuel Ruiz García zuletzt die Verbindung zwischen der Regierung und der Guerilla hergestellt hatte, forderte ein Überdenken der Maßnahmen. Die Abgeordneten der regierenden Partei der Institutionellen Revolution (PRI) stellten sich „voll“ hinter den Präsidenten. Sowohl die konservatie Partei der Nationalen Aktion (PAN) als auch die linke Partei der Demokratischen Revolution (PRD) riefen zum Dialog auf.

Befürchtungen über die Tendenz zur militärischen Option hatten sich in den letzten drei Wochen erneut verstärkt. Das direkte Treffen zwischen dem Innenminister Esteban Moctezuma und dem Subcomandante Marcos am 15. Januar hatte noch Hoffnung geweckt. Doch dann folgte eine anhaltende Funkstille zwischen den Konfliktparteien. Am 5. Februar rief der Präsident in der Stadt Queretaro anläßlich des 78. Geburtstages der Verfassung von 1917 die EZLN auf, ihre Anliegen auf politischen Weg zu vertreten. Ein Großteil der Rede, der der Guerilla gewidmet war, hatte einen drohenden Unterton und wurde von einigen Beobachter*innen als Ultimatum bewertet. Zur gleichen Zeit in derselben Stadt ging das dritte Treffen der von den Zapatisten ins Leben gerufenen 'Nationalen Demokratischen Konvention' zu Ende. Die etwa 4.000 Delegierten verabschiedeten den Vorschlag der Zapatisten vom Jahresende, eine breite Bewegung der Nationalen Befreiung zu gründen. Die Forderungen nach einer Übergangsregierung und der Abschaffung der herrschenden PRI als Staatspartei wurden noch einmal bekräftigt.

Die Sprengstoff- und Waffenfunde waren vielleicht nur die noch fehlende Initialzündung, ohne daß sie noch wirklichen Einfluß auf die präsidentielle Entscheidung gehabt hätten. Die Identität von Marcos und einigen der EZLN-Kämpfer wird den entsprechenden Regierungsstellen zudem schon länger bekannt gewesen sein. Die präsidentielle Entscheidung kann sich als fataler Schritt erweisen. Eine Verhaftung des Subcomandante Marcos konnte nur durch kriegerische Aktionen erreicht werden, alles andere ist Augenwischerei. Ein Rückzieher des Präsidenten, der wegen der Wirtschaftskrise im Land schon angeschlagen war, hätte diesen schlecht aussehen lassen.

Geständnisse der Zapatisten unter Folter erzwungen

Unterdessen mehrten sich am Samstag letzte Woche die Anzeichen, daß viele der von der Bundesstaatsanwaltschaft vorgetragenen Erklärungen über Waffenfunde und Verhaftungen von Zapatisten nicht der Wahrheit entsprechen. Beispielsweise erklärte die der Öffentlichkeit als Subcomandante Elisa präsentierte Maria Gloria Benavides inzwischen, sie sei unter Drohungen gezwungen worden, ein vorgefertigtes Geständnis zu unterschreiben. Auch andere als „Zapatisten“ verhaftete Personen aus verschiedenen Bundesstaaten widerriefen ihre Aussagen. In einigen Fällen berichteten sie, mit über den Kopf gestülpten Plastiktüten und Elektroschocks gefoltert worden zu sein.

Über die Bestimmung der gefundenen Waffen mehren sich die widersprüchlichen Aussagen. Einige der Versionen gehen davon aus, daß sie nicht für die Zapatisten vorgesehen waren, sondern vielmehr Drogenhändlern gehörten bzw. erst von der Polizei zum Fototermin herangeschafft wurden. Bundesstaatsanwalt Antonio Lozano Gracia wird sich den Fagen zu stellen haben. Nicht einmal die Identität des Subcomandante Marcos als Rafael Sebastian Guillén Vicente gilt als hundertprozentig gesichert, wenn auch als sehr wahrscheinlich. In Nicaragua stritten Armeechef Humberto Ortega und der ehemalige Innenminister Tomás Borge ab, Marcos sei in ihrem Land in den 80er Jahren ausgebildet worden. Die sandinistische Zeitung „Barricada“ berichtete, er habe eine Zeitlang in den nicaraguensischen Landwirtschaftskooperativen gearbeitet.

Zerstörung der EZLN Bedingung für Milliardenkredit der USA?

Regierungsnahe Zeitungen veröffentlichten persönliche Daten über angebliche Zapatisten oder EZLN-Sympathisanten, die in mehreren Fällen Adresse und Telefonnummer der Beschuldigten enthielten. Immer mehr Fragen beziehen sich auf die Rolle der USA. Der New York Times zufolge halfen sie bei der Identifizierung von Marcos. Gerüchte über US-Berater in Chiapas halten sich ebenso hartnäckig wie die schon vom Subcomandante Marcos geäußerte Mutmassung, daß die Vernichtung der Guerilla eine der Bedingungen für den Milliardenkredit der nordamerikanischen Regierung an Mexiko war. Ein entsprechendes Dementi von John Carol, dem offiziellen US- Abgesandten in Chiapas, klingt angesichts der Realitäten reichlich zynisch: „Nein, Mexiko ist ein souveränes Land, wie werden wir so etwas machen?“ beantwortete Herr Carol die Reporterfrage.

Noch wenige Stunden vor der durch Präsident Ernesto Zedillo offiziell verkündeten Jagd auf die Zapatistenführung kündigte der Subcomandante Marcos noch am Morgen des 9.Februar einen langen Guerillakampf als Antwort auf eine Militäroffensive an. Gleichzeitig drückte er noch einmal die Hoffnung auf eine Reaktion der Zivilgesellschaft aus. „Nur sie können stoppen, was sich ankündigt“, sagte er. An Sprüchen wie „das Vaterland lebt, der Kampf geht weiter“ und „Marcos halt aus, das Volk erhebt sich“ fehlte es nicht. Ob sich das in Zivilcourage umsetzt, ist noch nicht sicher. Mit einer schweigenden Mehrheit wird sich der bereits begonnene Krieg in Chiapas nicht verhindern lassen.

Vertraulicher Geheimbrief von Subkommandante Marcos an Innenminister

Den folgenden Brief schickte der Subcomandante Marcos Anfang Februar an Inneminister Esteban Moctezuma Barragán. Die Tageszeitung „La Jornada“ veröffentliche ihn am 11. Februar 1995. 2. Februar 1995. Vertraulich und geheim. An: Esteban Moctezuma Barragán. Innenminister. Mexiko. Von: Aufständischer Subcomandante Insurgente Marcos. Nationale Zapatistische Befreiungsarmee. Hauptquartier. Berge des mexikanischen Südostens, Chiapas, Mexiko.

Señor:

Vor einigen Stunden bekam ich das Kommuniqué des Innenministeriums, in dem es seine Dialogbereitschaft bekräftigt. In diesem Kommuniqué gibt es eine absurde Anspielung auf einen 'Un- Vorschlag', den der Usurpator (Thronräuber) Robledo Rincón gemacht hat. Ich weiß nicht, ob das Innenministerium jetzt zur Sprecherin der Un-Regierung des Bundesstaates Chiapas geworden ist, aber dieser Punkt wird nicht zufällig erwähnt und er erhöht unser Mißtrauen über Ihre wahren Absichten bei der Dialogsuche. Von anderer Seite wurde mir das Ultimatum mitgeteilt, das Sie an die EZLN bezüglich der angeblich „stark bewaffneten“ Kontrollsperren von Zapatisten in der Gemeinde San Andrés Samach stellen. „Wenn sie sich nicht zurückziehen, werden sie von der Armee geräumt“, sagt Ihre Drohung. Ich weiß auch die Kampagne in den Medien über einen angeblichen Vormarsch unserer Truppen in der Region Los Altos zu schätzen. Sie wissen sehr genau, daß die „stark bewaffneten“ Kontrollsperren und der „Vormarsch der zapatistischen Truppen“ eine Lüge sind. Das einzige, was es gab, war ein ziviler Wachposten, um die Einführung von Waffen und Alkohol sowie den Drogenhandel zu vermeiden. Dies ist eine Entscheidung der zivilen Autoritäten, nicht der EZLN. Dieselben Medien berichten, daß die Personen in diesen Posten KEINE WAFFEN TRUGEN. Dagegen wurden an einem zivilen Wachposten fünf Kilo Marihuana beschlagnahmt, die für die Bundestruppen der Militärsperre von Cathé bestimmt waren.

„…die Drohungen schüchtern uns nicht ein.. “

Es läßt aufhorchen, daß Ihr Ultimatum sich überhaupt nicht auf die Verletzungen des Abkommens vom 15. Januar 1995 bezieht, das von Ihnen und demjenigen, der diese Zeilen schreibt, vereinbart wurde. Diese Verletzungen wurden von Bundestruppen an der Grenze mit Guatemala begangen und sind ihnen im geeigneten Moment mitgeteilt worden. „Es handelt sich um Kleinigkeiten“ werden Sie sagen, aber sie tragen zum sich verschlechternden Klima bei der Entspannung bei. Falls Sie beraten werden, daß Sie den militärischen Druck erhöhen sollen, um ein neues Treffen zu erzwingen, dann werden Sie hereingelegt. Wir Zapatisten antworten auf militärischen Druck mit gleichen Maßnahmen, die Drohungen schüchtern uns nicht ein und wenn sie noch so viele Soldaten schicken sollten.

Auf diese Art wird es keine Lösung des Konfliktes geben und Sie haben die Sicherheit, daß er sich auf das ganze Land ausdehnen wird. Wir antworten auf Annäherungsaktionen mit dem Willen zu einem politischen Ausweg. So wurde das erste Treffen erreicht. Wenn Sie den militärischen Druck verstärken und denken, damit setzen wir uns an den Verhandlungstisch, dann irren Sie sich und diese Berater, die Sie haben, werden nichts anderes machen als Sie scheitern zu lassen. Erinnern Sie sich daran, daß Sie mir in dem Gespräch vom 15. Januar 1995 sagten, viele würden denken, wir würden mit dem Dialog nur Zeit gewinnen. Ich antwortete Ihnen, daß wir denken würden, daß Sie Zeit gewinnen würden, um die militärische Lösung vorzubereiten. Vielleicht ist das letztere die Wahrheit, vielleicht ist unter den geheimen Bedingungen, die der Señor Zedillo für den Kredit der USA vereinbarte, diejenige, uns auszulöschen. Wenn dies so ist, dann können Sie damit beginnen, wann es Ihnen gefällt. Wir werden bis zum letzten Mann kämpfen. Wir waren aufrichtig, als wir uns hinsetzten, um mit Ihnen zu sprechen. Wir glaubten, in Ihnen gäbe es dieselbe Besorgnis, die wir haben: den Konflikt ohne Menschenverluste und Zerstörung zu lösen. Vielleicht haben wir uns geirrt und Sie suchten nur nach dem geeigneten Zeitpunkt für den Militärschlag. Ich bedaure zutiefst, falls dies so sein sollte.

„… Es gibt keine einzige Militärsperre in den zapatistischen Gebieten…“

Es gab eine Friedensgelegenheit und sie wurde nur ausgenutzt, um den Krieg vorzubereiten. Die Geschichte wird die Rechnungen einfordern. Wir werden uns nicht an den Verhandlungstisch setzen, wenn der militärische Druck bestehen bleibt. Wir sagen es deutlich: Es gibt keine einzige bewaffnete Militärsperre in den zapatistischen Gebieten, die ein Ergebnis der Aktion vom Dezember 1994 ist. Sie können weiter Lügen erfinden und mit ihren Bajonetten weiter den Usurpator Robledo unterstützen. Wie Sie wollen, er wird stürzen und mit ihm alle, die darauf bestehen, ihn gegen jegliche politische und menschliche Logik zu halten. Wenn alles ein Vorwand für die militärische Aktion ist, bedaure ich, daß das Regime des Señor Zedillo sich entschieden hat, sich die Hände mit dem Blut der Indígenas zu beflecken und daß Sie der Komplize dieser Barbarei sind. Das ist alles. Aus den Bergen des mexikanischen Südostens. Aufständischer Subcomandante Marcos. Mexiko, Februar 1995.

Am Morgen des 9. Februar hatten ein Journalist und eine Journalistin der Tageszeitung „La Jornada“ die Gelegenheit, kurz mit dem Subcomandante Marcos zu sprechen. Aus ihrem am 11. Februar veröffentlichten Bericht sind die folgenden Marcos-Zitate entnommen:

„Sie haben uns hereingelegt. Sie haben auf Zeitgewinn gespielt, um uns in der Trockenzeit, der Hungerzeit anzugreifen. Was folgt, wenn es niemand stoppt, ist der Guerillakrieg… Sie versuchen, uns mit der Vernichtung zu drohen, aber ich habe ihnen bereits zukommen lassen, daß die Kapitulation bei uns nicht vorgesehen ist… Einmal losgeschickt, haben die Guerillagruppen Entscheidungsfreiheit und darauf bereiten wir uns vor, denn dies dauert eine lange Zeit. Sie treiben uns zu einem bewaffneten Widerstand, der langfristig und auf Abnutzung angelegt ist. Mal sehen, was passiert…

„Wir werden nicht angreifen, aber wenn sie es machen… adios…“

Die Rede von Zedillo in Querétaro hat Robledo und die Finqueros (Plantagenbesitzer und Viehzüchter; die Red.) kriegsmutig gemacht und erschwert ein nächstes Gespräch. Nicht mehr wegen der unerfüllten Versprechungen in Tabasco und Veracruz, sondern indirekt wegen der Situation in Chiapas. Ich glaube, sie denken bereits daran, den Dialog abzubrechen und sind für die Militäroperation vorbereitet… Wir werden nicht angreifen, aber wenn sie es machen… adios… Mit der Drohung werden wir uns nicht an den Tisch setzen. Die Regierung soll nicht denken, daß wir verhandeln, wenn sie uns bedroht. Sie glauben, daß wir verzweifelt sind und berücksichtigen nicht, daß wir uns auf so eine Situation vorbereitet haben… Falls sie uns hereingelegt haben und uns angreifen, dann glaube ich, daß die Leute uns verstehen werden und reagieren werden. Nur sie können stoppen, was sich ankündigt. Wie es auch sei, wir werden in den Bergen sein und Widerstand leisten… Nun gut, da Sie ihr Interview bekommen haben, werden Sie wenigstens schreiben, daß wir gewinnen werden, oder? Das sagen wir, einfach so: wir werden gewinnen.“

KUBA

USA treiben Rücktransport von Panama nach Guantánamo voran

Von Jesus Bermudez Cutino*

(Havanna, 7. Februar 1995, prensa latina-POONAL).- Am 1. Februar begann der Transport der kubanischen Schiffsflüchtlinge (Balseros) aus den Lagern in Panama zur US-Marinebasis Guantanamo auf Kuba. Bei der Aktion mit dem Namen „sichere Überfahrt“ sollen täglich 500 Balseros in Flugzeugen der nordamerikanischen Luftwaffe und ziviler Gesellschaften nach Guantanamo gebracht werden. Seitdem die Aktion bekannt wurde, macht sich unter den 7.500 Insassen der Lager in Panama Verzweiflung und Frustration breit. Träumten sie doch davon, die US-Staatsbürgerschaft zu erhalten. Die Nachricht von ihrem Rücktransport war für einzelne so schrecklich, daß bisher 50 Balseros versucht haben, sich das Leben zu nehmen.

Eine Meldung der französischen Presseagentur AFP vom 18. Januar gibt die Erfahrungen einiger dieser Auswander*innen wieder, die in Guantanamo interniert sind. Die Auswander*innen sprechen von Folter, Gewaltanwendungen und ständigem psychologischen Druck. Die spanische Agentur EFE schreibt am 31. Januar, daß „die Stimmung, die unter den ersten Kubaner*innen, die nach Guantanamo zurückgeschickt werden, herrscht, von Traurigkeit und Enttäuschung geprägt ist. Sie sind enttäuscht weil die Regierung der USA sie belogen habe….“ Die Behandlung in den Lagern in Panama war nicht besser als in Guantanamo. Nach den ständigen Mißhandlungen entschieden sich die Balseros, am 8. und 9. Dezember 1994 zu rebellieren. Obwohl die nordamerikanische Propaganda genau das Gegenteil behauptete, waren diese Männer und Frauen, die trotz allem noch Kubaner*innen sind, die Verletzung ihrer Menschenrechte nicht gewöhnt.

US-amerikanische Eliteeinheit kontrolliert Rücktransport

Die nordamerikanischen Militärs beugen jetzt einer Rebellion vor. Gewaltanwendung, um die von ihnen so genannten sicheren und würdigen Transport der Schiffsflüchtlinge in die Marinebasis Guantanamo zu garantieren, steht auf der Tagesordnung. Aussagen des Chefs des Südkommandos (Militärbase der USA in der Panama- Kanalzone; die Red.), General Mc Cafferey, zufolge, sind seine Soldaten „hunderte von Stunden trainiert worden, um jede mögliche Situation zu beherrschen“, die während der Aktion auftreten könnte. Die US-Militärchefs schickten zwei Bataillone (ungefähr 1.200 Soldaten) der 101. Luftdivision nach Panama. Damit beträgt die Truppenstärke für die sogenannte Gemeinschaftsaufgabe „sicheres Refugium“ 5.000 Soldaten. Die 101. Division ist vom Pentagon dazu vorgesehen, in die ersten Kämpfe einzugreifen, die die USA in einer Aktion gegen einen mächtigen Gegner einsetzen. Sollen das die Balseros sein?

Um die „sichere Überfahrt“ zu garantieren, werden auch Einheiten der Rangers eingesetzt. Sie sind mit Anti-Aufstandsmaterial ausgerüstet, mit „Sprays“, mit Tränengas, Nahkampfwaffen und Schlagstöcken. Die widerspenstigsten Flüchtlinge tragen nach den Erklärungen der US-Militärs Fesseln an Händen und Füssen. Die bisher ergriffenen Maßnahmen und die „exzessive Gewalt“ beim Transport nach Guantanamo machen, zusammen mit der Nervosität und der Anspannung, eine äußerst „unsichere Überfahrt“ aus der Aktion.

* Bermudez Cutino ist kubanischer Divisionsgeneral

COSTA RICA

Frauenanteil in Regierungsämtern rückläufig

(San José, Februar 1995, fempress-POONAL).- Die Diskriminierung der Frauen in der Politik besteht fort. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage einer Tageszeitung unter den weiblichen Abgeordneten des costarikensischen Parlamentes. Demnach sind es beispielsweise bei den entscheidenden politischen Debatten im Parlament immer die Männer, die die wichtigen Reden halten. Die Parlamentarier*innen geben außerdem an, daß es für sie unmöglich ist, entscheidende Posten, wie beispielsweise den Fraktionsvorsitz zu besetzen. Die Angaben passen ebenfalls zur Personalpolitik der aktuellen Regierung: Der Frauenanteil in den politischen Ämtern der Regierung ist gegenüber früheren Jahren rückläufig.

HAITI

Frauenministerium nimmt Arbeit auf

(Port-au-Prince, 25. Januar 1995, hib-POONAL).- Der Arbeitssitz hat Symbolkraft. Das neu geschaffene haitianische Frauenministerium bezog Ende Januar offiziell das ehemalige Hauptquartier der Armee. Die Kaserne war eines der Hauptzeichen für die staatliche Unterdrückungsmaschinerie. Sie wurde unter der ersten US-Besatzung Anfang dieses Jahrhunderts errichtet. In den vergangenen Jahrzehnten litten die Frauen besonders unter der Armee. Vergewaltigung, vielfache Vergewaltigung, Verstümmelung, Mord, Prügel und Erpressung – das war ebenso während der 27jährigen Duvalier-Diktatur und den folgenden Regimen verbreitet.

Die Ministerin Lise Marie Dejean nannte am 20. Januar bei einem feierlichen Akt die kommenden Aufgaben: „Unser Ministerium hat die Verantwortung, eine Politik zu machen, die die Lebensbedingungen der Frauen verbessert.“ Ziel müsse es sein, „die Diskriminierungen und Vorurteile zu korrigieren, denen sie (die Frauen) jahrhundertelang ausgesetzt waren und die sie daran hinderten, ihre Fähigkeiten voll auszuschöpfen“. Dejean hofft, daß in 135 Kommunen Büros eröffnet werden können. Die Arbeit an Gesetzen, die Frauen betreffen, hat bereits begonnen. Beispielsweise ist die Vergewaltigung vom haitianischen Gesetz bisher nicht als Verbrechen definiert.

Bisher kein Gesetz gegen Vergewaltigung

„Wir werden das Parlament drängen, die schlechten Gesetze neu zu formulieren und neue Gesetze zu verabschieden“, sagt Carole Jacob. Sie ist die Verwaltungsdirektorin des neuen Ministeriums und für die Pressearbeit verantwortlich. Jacob berichtete über die Vorbereitungen für ein Projekt, das den Frauen, die unter dem Putschregime Schaden erlitten, psychologische, rechtliche und soziale Hilfe anbieten soll. Im ganzen Land sollen „Animateurinnen“ mit den Opfern arbeiten. Andere Ziele beziehen sich auf günstige Kredite für Geschäftsfrauen und auf die Vorbereitung für die Weltfrauenkonferenz im September 1995 in Peking.

Das Armeehauptquartier wurde in einem total heruntergekommenen Zustand übergeben. Bis das Ministerium dort wirklich seine Türen öffnen kann, werden nach Carole Jacob noch einige Wochen vergehen. Das Ministerium hat ein Jahresbudget von 125 Millionen Gourdes (derzeit neun Millionen US-Dollar) gefordert, doch der Verwaltungsbeirat der Regierung hat nur 15 Millionen Gordes empfohlen. Es besteht die Hoffnung, daß das Parlament die Summe erhöht und daß noch andere Finanzierungsquellen aufgetan werden. Leider wird die Initiative von einer Regierung unternommen, die keine Schritte unternimmt, gegen die wesentlichen strukturellen Probleme anzugehen. Daher ist die Gefahr, das neue Ministerium könnte für andere Zwecke ausgenutzt werden, groß.

Putschfreundliche Parteien in der Sozialistische Internationale

(Port-au-Prince, Januar 1995, hib-POONAL).- Auf einem zweittägigen Treffen des Komitees für Lateinamerika und die Karibik der Sozialistischen Internationale wurde deutlich, welches Ausmaß die politische „Versöhnung“ erreichen kann. Obwohl die Sozialistische Internationale die Rückkehr zur Demokratie unterstützte, bleibt die Nationale Fortschrittliche Revolutionäre Haitianische Partei (PANPRA) weiterhin Mitglied. Die PANPRA unterstützte den Staatsstreich und nahm an der illegalen Regierung von Marc L. Bazin und den Scheinwahlen vom 18. Januar 1992 teil. Auch der Nationalkongreß der Demokratischen Bewegungen (CONACOM) bleibt in der Sozialistischen Internationale. CONACOM ist eine wankelmütige Gruppierung, die erst den Putsch unterstützte und dann die Rückkehr des Präsidenten forderte.

Trotz der Forderung, die PANPRA auszuschließen, nimmt die Sozialistische Internationale lieber eine abwartende Haltung ein. Auf dem Treffen gab es einige bemerkenswerte Momente: so lobte der Präsident der Organisation die USA für ihre Intervention, Jean- Bertrande Aristide dankte der Dominikanischen Regierung trotz deren durchgehender Verletzung des Embargos „für ihre Hilfe und Kooperation“ und als der PANPRA-Generalsekretär Serge Giles das Wort ergreifen wollte, unterbrachen ihn ständig „18. Januar“-Rufe.

PANAMA

Zahl der Straßenkinder wächst

– Von Claudia Monteza

(Panama-Stadt, Februar 1995, sem-POONAL).- Auch in Panama leben Tausende von Kindern auf der Straße. Zahelnm des Bürgermeisteramtes sprechen von 1.110 Minderjährigen, die im Stadtzentrum leben und versuchen, sich mit Betteln das Überleben zu sichern. Diese Zahl beruht jedoch auf den Fällen, die angezeigt wurden oder in denen das Sozialamt informiert wurde. Die offiziellen Zahlen stellen daher eine Untergrenze dar. In sogenannten Sommercamps erhielten 1994 etwa 400 der Straßenkinder eine persönliche Betreuung, die psychologische Gespräche, Sport, die Drogenproblematik und die Unterstützung beim Schulbesuch umfaßten. Doch die städtische Koordinatorin dieser Programme, Dolores Luzcando, ist sich der Grenzen solcher Arbeit bewußt: „Es ist unmöglich für uns, alle Bedürfnisse zu erfüllen. Wir haben nicht die notwendigen Gelder. Die Unterstützung für solche Projekte muß energischer sein. Man kann nicht mit den Projekten anfangen, um sie dann plötzlich abbrechen zu müssen.“

In Panama-Stadt ist der Kontrast groß. Die Internationale Freihandelszone entlang des Panama-Kanales zieht tausende Investor*innen und Tourist*innen an. In dieser Region hat es den Anschein als floriere das wirtschaftliche Leben. Der Warenumschlag macht Panama zu einem der wirtschaftlich aktivsten Länder Mittelamerikas. Doch in den Stadtrandvierteln leben die Familien mit niedrigen Einkommen. Aufgrund der hohen Kriminalitätsrate, der Prostitution, dem Drogenverkauf und -Konsum sowie der erhöhten Kindesmißhandlung gelten diese Gebiete in der Verwaltungssprache als Zonen mit einem „hohen Risiko“. Aus diesen Vierteln stammt ein Großteil der Straßenkinder. Städte im Landesinnern haben die gleichen Probleme.

Gesteigerter Drogenkonsum zerstört Familienstrukturen

Inzwischen richten sowohl die Regierung als auch Nicht- Regierungsorganisationen den Blick verstärkt auf die Straßenkinder. Dolores Luzcando richtete mit Hilfe der Direktorin der Abteilung für Sozialarbeit, Noris de Estrada, 93 Betreuungszentren für Minderjährige und zwölf speziell für Kinder ein. Dabei stellten die beiden Frauen fest, daß viele der Kinder durchaus ein „Zuhause“ haben. „Im Zentrum erzählen uns die Kinder, daß der Erwachsene, mit dem sie leben, ihnen als erstes das Geld wegnimmt, das sie nach einem ganzen Tag auf der Straße mitbringen. Wenn es nicht genug ist, werden sie geschlagen, bekommen kein Essen oder werden körperlich mißbraucht“, berichtet Estrada.

Nach ihrer Erfahrung hat der steigende Drogenkonsum viel zur Zerstörung der Familienstrukturen beigetragen. Der Kreislauf beginnt in der Grundschule, wo kleine „Mafiaorganisationen“ zwischen den Kindern geschaffen werden. Die Psychologin Yazmín Ríos, die 1993 eine Kampagne der Zollbehörde gegen die Drogen koordinierte, sagt: „Bei unserem Weg in die Städte, auf das Land und in die Indígena-Regionen bemerkten wir, daß die Kinder sich mit den Drogen auskennen. Die Folgen sind ihnen allerdings nicht bewußt.“ Von 1991 bis 1993 hatte die Drogenbehörde mit etwa 3.000 Kindern im Schulalter zwischen sechs und zwölf Jahren zu tun. Dazu kamen 3.200 Jugendlche im Alter von 13- bis 18. An der Kampagne war auch der ehemalige Behördendirektor Rodrigo Arosemena beteiligt, der heute Mitglied der Drogenkommission im Parlament ist.

ARGENTINIEN

Schergen der Militärdiktatur dürfen nicht hofiert werden

– Von Valeria A. Bollero

(Buenos Aires, 23. Januar 1995, sem-POONAL).- „Vor zwei Jahren kam ich zu einer Universität, um dort über die Menschenrechte zu reden. Ich war überrascht, daß die Leute nicht verstanden, was ich ihnen erzählte. Sie sagten: Es kann nicht sein, daß das alles passiert ist.' Ich glaube, die Militärs haben eine wichtige Schlacht gewonnen, in dem sie der Gesellschaft die Angst einprägten. Diese Angst steckt in den Leuten, in der Gleichgültigkeit und im Vergessen der grausamsten Jahre unserer Geschichte.“

Diese Worte kommen von Clara (fiktiver Name), einer Frau, die während der Militärdiktatur in Argentinien (1976-1983) die meiste Zeit im Gefängnis verbrachte. Die Diktatur war unter anderem für das Verschwindenlassen von 30.000 Personen verantwortlich. Während der Regierung von Raúl Alfonsín (1983-1989) kamen die Militärjuntas vor Gericht und wurden verurteilt. Doch unter derselben Regierung kamen die Gesetze mit den Namen „Schlußpunkt“ und „Gehorsamspflicht“ zustande. Sie begünstigten die Freilassung vieler der Angeklagten. Um diese Entwicklung auf die Spitze zu treiben, verabschiedete Präsident Carlos Menem das „Begnadigungsgesetz“. Daraufhin wurde die Mehrheit der hohen Militärs, die für den sogenannten „Prozeß der Nationalen Neuorganisierung“ verantwortlich waren, aus der Haft entlassen.

Als Clara aus dem Gefängnis kam, ging sie nach Brasilien ins Exil. Sie kehrte nach Argentinien zurück, nachdem die Demokratie sich ankündigte. Sie arbeitete in einer von der Alfonsin-Regierung geschaffenen Kommission mit, die nach den Kindern forschte, die unter der Diktatur verschwanden. Außerdem formulierte sie die Gesetze über eine finanzielle Entschädigung der politischen Gefangenen und der Familienangehörigen der verschwundenen Personen mit. Diese Gesetze wurden vor zwei Monaten verabschiedet. In den Gesetzen wird von der Annahme ausgegangen, daß die „zwangsweise Verschwundenen“ gestorben sind (sprich ermordet wurden; die Red.). Rekruten werden mißhandelt und ermordet

Die Gesetze sind die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite drängt sich die Armee dauernd mit Skandalen in die Öffentlichkeit. Zuerst geschah 1994 der Mord an dem jungen Soldaten Omar Carrasco. Ihn fand man in der Kaserne, wo er seinen obligatorischen Wehrdienst ableistete, tot auf. Die noch nicht völlig aufgeklärte Tat hatte vielfältige Proteste und Anklagen zur Folge. Sie bezogen sich auf die peinigende Behandlung, der die Rekruten unterzogen werden.

Regierungserklärungen versicherten, die Demonstrant*innen gehörten subversiven Gruppen an oder seien von diesen infiltriert. Diese Art von Aktionen wären gegen die nationale Versöhnung gerichtet. Der Vertreter der „Oppositionsfront gegen den Pflichtwehrdienst“, Portillo, konterte: „Ich möchte mich auf andere Verschwundene, Gefolterte und andere Tote beziehen. Am 6. April des vergangenen Jahres war das Land empört, als die Leiche von Omar Carrasco auftauchte. Doch dies war nicht der erste Fall, es gab weitere Fälle, die wir seit Jahren anklagen.“ Angesichts der Hartnäckigkeit der Klagen verabschiedete die Regierung letztendlich ein Gesetz, das einen freiwilligen Wehrdienst vorsieht. Ende September 1994 gab es erneut eine angespannte Situation: Die „Vereinigung der Mütter vom Plaza de Mayo“ – eine Organisation, die von Mütter der während der Militärdiktatur Verhafteten/Verschwundenen gebildet wird – alarmierte die Medien und die Bevölkerung: Der Justizminister Rodolfo Barra hatte eine Person als Direktor des nationalen Gefängnissystems ernannt, die vor der „Nationalen Kommission für die Fälle der verschwundenen Personen“ (CONADEP) angeklagt ist. Die ersten Informationen kamen von einer Gruppe Häftlinge, die mit Menschenrechtsorganisationen sprachen. Die Proteste dieser Gruppierungen und der Hungerstreik, den die Häftlinge organisierten, führten daraufhin zur Absetzung des Generalinspektors Olympo Garay, eines ehemaligen Funktionärs des Putschregimes.

Erstmals geben Militärs Folterungen zu

Weniger als einen Monat später, am 19. Oktober, gestanden zum ersten Mal zwei Militärs öffentlich den Gebrauch der Folter als gewöhnliches Vorgehen in den Haftzentren der Diktatur ein. Die zwei Marineoffiziere gaben Erklärungen vor dem Senat ab, um ihre zweimalige Beförderung durch die Regierung seit 1993 zu verteidigen. Beide sind bei der CONADEP wegen ihrer Mitarbeit in den geheimen Haftzentren bekannt. Vor dem Senat sprachen sie über die Handhabe der grauenvollen Verhörmethoden. Der Marineoffizier Antonio Pernas berichtete, daß „dies damals das Rüstzeug war. Ich beziehe mich speziell auf Verhör und Folter.“ Die Erklärungen der beiden Militärss, die durch das Begnadigungsgesetz unter der aktuellen Menem-Regierung geschützt sind, provozierten eine neue Protestwelle bei den Menschenrechtsorganisationen. Diese bezeichneten die Möglichkeit, daß die zwei Folterer noch mit der Beförderung belohnt würden, als „Beleidigung der öffentlichen Moral“. Schließlich beugte sich die Regierung Menem dem öffentlichen Druck und ließ von der Beförderung ab.

Der von verschiedenen Medien befragte Regierungschef sagte wiederholt, daß in diesen dunklen Jahren ein „schmutziger Krieg“ zwischen subversiven Bewegungen und den Sicherheitskräften ausgelöst wurde. Politisch rechtfertigte er das Vorgehen der Militärs während der Diktatur. Als Antwort auf seine Äußerungen schloß die „Ständige Versammlung für die Menschenrechte“, die erste Menschenrechtsorganisation Argentiniens, den Präsidenten aus ihren Reihen aus. Er hatte der Organisation seit ihrer Gründung 1975 angehört. Der Ausschluß, durch andere Bewegungen und zahlreiche Persönlichkeiten des kulturellen und politischen Lebens unterstützt, wurde durch eine Reihe von Veranstaltungen vor dem Regierungspalast begleitet. Präsident Menem wollte bekennende Folterer befördern

Die Veranstaltungen nahmen die Form eines „öffentlichen Unterrichtes für den Präsidenten der Nation über die Menschenrechte“ an. Einige der Redner*innen wurden deutlich: „Der Präsident kann nicht die Dienste der Folterer, der Kinderräuber, derer, die Frauen und Kinder verschwinden liessen, in Anspruch nehmen. Dabei handelt es sich um einen arroganten Akt, einen Weg zur Straffreiheit. Es ist fehlender Respekt vor all den Familienangehörigen, die seit 18 Jahren nach dem Aufenthalt ihrer Lieben fragen, ohne eine offizielle Antwort zu bekommen.“

Auf der Habenseite für die Angehörigen der Diktaturopfer steht bisher wenig. Darunter ist das erwähnte Gesetz über das „zwangsweise Verschwinden“. Es erlaubt den Familienangehörigen in ihrer Funktion als Erben eine Reihe Anträge zu stellen. In diesem Fall stimmte die Regierung dem Gesetz zu. Ein weiteres Gesetzesprojekt spricht den Verschwundenen bzw. ihren Angehörigen eine Entschädigung zu. Ein ähnliches Gesetz hat eine minimale Monatsrente für die fast 10.000 ehemaligen politischen Gefangenen zum Inhalt.

Dieser Prozeß von Fort- und Rückschritten, polemischen Erklärungen und Wiedergutmachungsgesetzen, wird vom Rest der Gesellschaft mit einer gewissen Gleichgültigkeit erlebt. Die Menschen sorgen sich mehr um die tägliche Existenz inmitten der harten wirtschaftlichen Strukturanpassung. Währenddessen fragen sich die Opfer wie Clara, die die Diktatur aus der Nähe erlebten, was das Schicksal ihrer Bewegung sein wird: „Manchmal sehe ich die Großmütter und Mütter (der Plaza de Mayo), die immer älter werden und ich frage mich, wer ihren Platz einnehmen wird. Wer wird unsere Geschichte am Leben halten, um eine Wiederholung der Ereignisse zu vermeiden?“

GUATEMALA/MEXIKO

Flüchtlingskommissionen sprechen von bis zu 20.000 RückkehrerInnen

(Guatemala, 10. Februar 1995, cerigua-POONAL).- Gut eine Woche, nachdem das Flüchtlingskomissariat der Vereinten Nationen (ACNUR) die Rückkehr von 10.000 Flüchtlingen für 1995 ankündigten, nannten die Ständigen Kommissionen (CCPP) der guatemaltekischen Flüchtlinge in Mexiko eine weitaus höhere Zahl. Sie gehen von 15.000 bis 20.000 Personen aus. Ricardo Kurtz und Carlos Chuc Caal von den CCPP bezeichneten das Jahr 1995 als „Jahr der Rückkehr“. Sie forderten die guatemaltekische Regierung auf, die Verhandlungen über das Land für die Wiederansiedlung zu beschleunigen. Gleichzeitig betonten sie das verfassungsmäßige Recht der Flüchtlinge, sich bei der Rückkehr einen Ort ihrer Wahl auszusuchen.

Kurz wies auf fehlende Geldmittel für den Landkauf als das Hauptproblem hin. Die guatemaltekische Regierung habe im Haushalt für dieses Jahr nur 60 Millionen Quetzales (60 Millionen Dollar) dafür vorgesehen. Dies sei unzureichend. Ein weiteres Problem der CCPP als Vertretungsorgane der Flüchtlinge seien die bürokratischen Formalitäten und Verzögerungstaktiken der Regierungsbehörden. Kurz wies auch auf die negativen Auswirkungen der mexikanischen Wirtschaftskrise für die Flüchtlinge hin, die deren Rückkehrwunsch bestärken. In Vereinbarungen vom Oktober 1992 akzeptierte die guatemaltekische Regierung die freiwillige und kollektive Rückkehr der Flüchtlinge unter sicheren und würdigen Bedingungen.

GUATEMALA

Guerilla strebt breites Wahlbündnis an

(Mexiko, 9. Februar 1995, cerigua-POONAL).- Die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG) will eine „nationale Front“ bilden, um die Demokratie im Land voranzubringen. Dies betonte der Kommandant Pablo Monsanto in Mexiko bei Erklärungen zu einem Interview mit ihm, das die guatemaltekische Tageszeitung „La Hora“ zuvor veröffentlichte. Monsanto führte aus, das Hauptziel dieses Bündnisses müsse die Niederlage der Rechten sein. Es handele sich nicht um ein Programm der Linken, sondern um ein „demokratisches Projekt, in dem fortschrittliche, volksnahe und revolutionäre Kräfte versammelt sind“.

Das Mitglied der Generalkommandatur der URNG erklärte, bei den kommenden Wahlen (voraussichtlich im Oktober 1995; die Red.) werde die Guerilla nicht Beobachterin bleiben, sondern „als politische Kraft, die wir sind, nicht nur Programmpunkte für den Wahlkampf vortragen, sondern diese nationale Front fördern“. Monsanto erklärte, die URNG wolle nicht die Erfahrung El Salvadors und Nicaraguas wiederholen, wo die revolutionären Bewegungen und die Friedensprozesse Regime der Rechte als Ergebnis gehabt hätten. Er schloß aus, daß ein Mitglied der Generalkommandatur als Präsidentschaftskandidat bei den nächsten Wahlen antreten werde. Die Person, die die nationale Front anführe, müsse breite Teile der Bevölkerung hinter sich bringen und eine politische Plattform vorweisen, die den Interessen der Mehrheit entspreche. Der Guerillakommandant versicherte, eine Wahlbeteiligung der URNG werde es unabhängig davon geben, ob bis dahin das endgültige Friedensabkommen unterschrieben sei. In diesem Zusammenhang erklärte Monsanto kategorisch, eine Entwaffnung der Guerilla vor dem Friedensabkommen sei ausgeschlossen.

Widerstand gegen Einschränkung der Pressesfreiheit

(Guatemala, 10. Februar 1995, cerigua-POONAL).- Pressegremien, Informationsmedien und einzelne Journalist*innen wehren sich einhellig gegen eine Parlamentsinitiative, Teile des Gesetzes über die Meinungsäußerung zu ändern. Als Ausdruck des Protestes ging am 10. Februar eine Gruppe Journalist*innen mit gefesselten Händen und geknebeltem Mund in das Kongreßgebäude. Die JournalistInnenvereinigung Guatemalas (APG) nannte die Initiative der Abgeordneten eine „offen feindliche Kampagne“ gegen die guatemaltekische Presse. Die APG macht sich Sorgen über mögliche Attentate gegen Journalist*innen, die sich in der jüngsten Zeit kritisch über die Regierung geäußert hatten.

Oscar Masaya, der Präsident des guatemaltekischen JournalistInnenverbandes (CGP) wies darauf hin, daß in den Momenten, in denen Informationen für die Bevölkerung wichtig seien, der Kongreß in aller Eile ein Knebelungsgesetz für die nationale Presse verabschieden wolle. Die Tageszeitungen „Siglo Veintiuno“ und „La República“ sowie bekannte Radiosender schlossen sich den Protesten an. Sie erinnerten daran, daß ähnliche Kampagnen fast immer die Vorläufer von Angriffen auf die Kommunikationsmedien sind. Die Witwe des ermordeten Herausgebers der Zeitung „El Gráfico“, Maria de Carpio machte bereits Todesdrohungen gegen Mitarbeiter*innen in den vergangenen zwei Wochen öffentlich. In einem Kommentar des Gráfico hieß es: „Nur Diktatoren verweigern das Recht, zu informieren und informiert zu werden.“

Ex-Militär sagt vor UNO-Mission aus

(Guatemala, 8. Februar 1995, cerigua-POONAL).- Der ehemalige Soldat und Polizist Rubén Aguilar Urízar beschuldigte vor der UNO- Mission zur Internationalen Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala (MINUGUA) hohe Funktionäre der guatemaltekischen Sicherheitskräfte. Diese sollen seiner Aussage nach in Morde und Überfälle der letzten zwei Jahre verwickelt sein. Zu den Beschuldigten gehören der im Januar abgesetzte Innenminister Danilo Parrinello, der ehemalige Chef der Nationalpolizei, Salvador Figueroa und Oberst Mario Mérida, ex-stellvertretender Innenminister. Rubén Aguilar Urízar bat die UNO-Mission um Sicherheitsgarantien für sein Leben und das seiner Familie. In einer schriftlichen Erklärung versicherte er, im Januar 1989 für den Militärdienst in der Provinz Chimaltenango zwangsrekrutiert worden zu sein. Später absolvierte er eine Ausbildung bei den Kaibiles, der Elitetruppe der Armee. 1992 ging er zur Nationalpolizei in die Provinz Mazatenango. Dort widmete er sich zusammen mit Kollegen der Aufgabe, „Überfallkommandos durchzuführen, sich als Guerilleros auszugeben und mehrere Personen umzubringen“.

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