Poonal Nr. 116

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 116 vom 25.10.1993

Inhalt


GUATEMALA

KUBA

LATEINAMERIKA

HAITI

NICARAGUA

KOLUMBIEN


GUATEMALA

Widerstandsforum gegen den Putsch hat sich aufgelöst

Von Ileana Alamilla

(Mexiko-Stadt, 14. Oktober 1993, cerigua-POONAL).- Nach fünf Monaten einer Arbeit, deren innere Dynamik mehr von entgegengesetzten Positionen als übereinstimmenden Meinungen geprägt war, hat sich die Nationale Konsensinstanz (INC) Anfang Oktober faktisch aufgelöst. (Bis auf das Koordinationskomitee der Kammern für Handel, Industrie, Landwirtschaft und Finanzwesen (CACIF) zogen sich alle teilnehmenden Organisationen zurück. Darunter sind verschiedene Gewerkschaften und Volksorganisationen, die staatliche San Carlos-Universität, die Kirchen sowie die Einheits- und Konsensinstanz der Mayas. Die Red.)

Gewerkschaften und Volksorganisationen ziehen sich zurück

Im Rahmen des BürgerInnenwiderstandes gegen den vom rückständigsten Flügel der Armee mittels des damaligen Präsidenten Jorge Serrano inszenierten Staatsstreiches entstanden, hatte die INC einen verheißungsvollen Anfang. Doch diese Erwartung war nur flüchtig. Die durch den Staatsstreich geschaffene Ungewißheit und die Verschärfung der strukturellen Krise verdeckten, daß sich in der INC historisch gesehen gegensätzliche Kräfte verbündet hatten.

So schlossen sich in der INC die im Unternehmerverband CACIF organisierten wirtschaftlichen Machtgruppen mit den Sektoren der Religiösen, der Mayas, der Gewerkschaften (verschiedener Strömungen) und der Volksbewegung zusammen. Neben diesen sozialen Polen erschienen auch die politischen Parteien – durch eine Verstrickung in Korruption und Opportunismus – stark verschlissene Institutionen ohne ein Programm zum Nutzen der Mehrheit.

Die in der INC eingebundenen Teile fanden jedoch keine Harmonie miteinander. Dies läßt sich darauf zurückführen, daß das CACIF stets seine Interessen in den Vordergrund zu stellen suchte. Dies hatte zur Folge, daß die höchsten Vertretungen der guatemaltekischen Zivilgesellschaft für den Rückzug aus der INC optierten. Sie sahen, so ihre Argumention, „daß die Zielrichtung, für die sie aufgebaut wurde, nicht mehr eingehalten wurde.“

Positionen in zentralen Fragen zu gegensätzlich

Außerdem glaubten sie, daß die Nationale Konsensinstanz die legitimen Hoffnungen der Bevölkerung auf die Säuberung, Erneuerung und Reform der politischen Struktur des Staates nicht erfüllte. Das Diskussions- und Konsensforum arbeitete weder eine Tagesordnung aus, die die Ursachen für die Unterentwicklung, die Marginalisierung und die Armut thematisiert hätte, noch machte sie einen Friedensvorschlag, um die mehr als 30 Jahre dauernde Konfrontation zwischen den verschiedenen Bereichen der guatemaltekischen Gesellschaft zu beenden.

Die Spannungen in dem Forum wuchsen, nachdem das CACIF durchsetzte, daß die Maya-Gruppen nur mit einem Repräsentanten in der INC vertreten sein sollten – obwohl die Indìgenas 70 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Die Erfahrung mit der INC war ein Beispiel mehr für den fehlenden politischen Willen der wirtschaftlichen Eliten in Guatemala. In diesem Fall war es das CACIF, das das Konsensforum der Bürger*innen zu manipulieren versuchte. Angesichts der Abnutzung seiner traditionellen Zwischenhändler, der politischen Parteien, suchte der UnternehmerInnenverband in der INC das Instrument, das ihm im Rahmen der Staatsstreichkrise die Bewahrung seiner wirtschaftlichen und politischen Interessen erlauben sollte.

Die in der INC teilnehmenden politischen Parteien schlossen sich komplett dem Kurs des CACIF an. Dieses machte bei den Forderungen zur Säuberung des Kongresses übermäßig von der Demagogie Gebrauch. Sein ausschließliches Ziel war es, eine politische Einheit zu schaffen, die treu die Interessen der wirtschaftlichen Macht ausdrücken sollte. Das waren die Aktionslinien, die der CACIF im Innern der INC durchsetzen wollte.

Rückschlag für UnternehmerInnenverband

Als die anderen Kräfte innerhalb der INC sich den Absichten des CACIF nicht anschlossen, versuchten die Unternehmer*innen die Initiativen der Mehrheit zu torpedieren. Der Rückzug der sozialen Kräfte aus der INC zeigt klar den fehlenden nationalen Geist der Gruppen, die während 500 Jahren ein auf Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Diskriminierung aufgebautes System aufrecht erhalten haben.

Die Auflösung der INC dürfte in erster Linie aus der Sicht des CACIF ein Rückschlag sein. Für die Entwicklung und Einheit der Zivilgesellschaft ist sie jedoch eher positiv einzuschätzen. Die Vorschläge aus den Maya-, Gewerkschafts-, Universitäts-, Religiösen- und Volkssektoren wurden gestärkt. Es gab die Gelegenheit, Haltungen zur Respektierung der Menschenrechte und zum Ende der Militarisierung des Staates zu bekräftigen.

Der Rückzug der Mehrheitskräfte aus der INC bedeutete eine schwierige Entscheidung, denn die Anstrengung zum Konsens weckte Erwartungen, die sich aufgrund der durch den CACIF eingenommen Rolle eindeutig nicht erfüllen konnten. Dieser Versuch, das Handeln der repräsentativen Sektoren der guatemaltekischen Gesellschaft zu harmonisieren, hat nicht funktioniert. Aber es eröffnet der Volksbewegung und anderen kämpferischen Kräften einen Spielraum, um solide Grundlagen zu schaffen, die zur sozialen Gerechtigkeit in Guatemala führen.

Gewalttätige Konflikte zwischen SchülerInnen

Von Francisco Molina

(Guatemala, 14. Oktober 1993, NG-POONAL).- Zwischen Schüler*innen öffentlicher und privater Schulen in der guatemaltekischen Hauptstadt ist ein gewalttätiger Konflikt entbrannt. Schüler*innen von Privatkollegs wie der Kanadischen Mittelschule griffen Jugendliche von staatlichen Schulen auf der Straße an, nachdem diese sie beschuldigt hatten, ihre Besserstellung beruhe auf Diebstahl und Raub. Die Auseinandersetzungen zeigen, welches Ausmaß die sozialen Konflikte angenommen haben, die auf der krassen Ungleichheit und der tiefen Kluft zwischen Armen und Reichen basieren.

Die Anführer*innen der Privatschulen drohten, paramilitärische „Anti-Banden“-Kommandos im Stil der Todesschwadronen zu bilden und ihre 500 Mitglieder mit Baseballschlägern, Ketten und Schußwaffen auszustatten. Es macht besorgt, daß Aktionen dieser Art mit dem Ziel entstehen könnten, zwischen den Schülern eine Konfrontation zu provozieren, um von den drängenden Problemen abzulenken. Der SchülerInnen-Konflikt könnte der Versuch sein, die Volksbewegung zu atomisieren, um sie besser unterdrücken zu können.

Presseveröffentlichungen geben ein Zeugnis vom rassistischen Vokabular ab, mit dem die Schüler*innen der öffentlichen Schulen wie dem Institut Rafael Aqueche, der Zentralen Grundschule, der Zentralen Jungenschule oder der Handelsschule bedacht wurden. Sie werden mit dem Beiwort „choleros“ bedacht. Dieser abwertende Ausdruck wird häufig den Indìgenas gegenüber gebraucht und bezieht sich auf ein Konzept wirtschaftlicher Unterordnung: Ein cholero steht in der sozialen Hierarchie noch unter einem Diener. Die wohlsituierten Kinder setzten die Schüler*innen der staatlichen Schulen mit Jugendbanden und Straßenkindern gleich.

Die Mitglieder der staatlichen Schulen bezeichneten ihre Gegner*innen als „Bourgeois“. Dies zeigt, daß die Dinge in dem Land stehen geblieben zu sein scheinen. Das Problem liegt jedoch ohne Zweifel nicht im politischen Vokabular, sondern in der sozialen und wirtschaftlichen Realität, die den Konflikten zu Grunde liegt.

OAS ermahnt Regierung, die Rechte der Gefangenen zu respektieren

Von Francisco Molina

(Guatemala, 20. Oktober 1993, NG-POONAL).- Zum ersten Mal in der Geschichte Lateinamerikas hat die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) eine Regierung – und zwar die guatemaltekische – aufgefordert, „Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen“, um die Rechte von Kriegsgefangenen zu garantieren. Die Empfehlung ergeht, um „mögliche irreperable Schäden für diese Personen“ zu vermeiden.

Bemerkenswert ist die Entscheidung der CIDH, da sie ein Organ der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ist. In der OAS wiederum sind jedoch etliche Staaten vertreten, die ihrerseits mit Vorwürfen konfrontiert werden, die Menschenrechte zu verletzen. Die CIDH bzw. die OAS ist daher selten durch energische Kritik an Nenschenrechtsverletzern aufgefallen, da die einzelnen Länder immer auch fürchten müssen, daß harsche Anschuldigungen auf sie selbst zurückfallen. Doch offensichtlich hat die unmenschliche Behandlung, die die Militärs gefangenen guatemaltekischen Aufständischen zukommen lassen, selbst die CIDH erschreckt und zu einer unmißverständlichen Ermahnung gedrängt.

Der Druck auf Präsident Ramiro De Leòn Carpios verstärkt sich somit weiter. Vorher hatten bereits amnesty international (ai) und America's Watch die Regierung für Gewalttaten verantwortlich gemacht. Amesty reihte Guatemala unter die Länder ein, in denen „die Mörder frei herumlaufen und sich Regierung nennen“. America's Watch forderte, die Fälle des gewaltsamen Verschwindenenlassens und der geheimen Gefängnisse zu untersuchen.

Obwohl die Regierung – obwohl der Präsident zuvor selbst Menschenrechtsbeauftragter war – und die Militärs es leugnen, wird die Existenz von Kriegsgefangenen jeden Tag öffentlicher. Außer den Hinweisen dieser internationalen Organisationen sind Zeugnisse von Armee-Deserteuren und von Guerilleros, die aus den geheimen Kerkern der Streitkräfte flohen, bekannt geworden.

Das von der CIDH an den Außenminister Arturo Fajardo gerichtete Schreiben bezieht sich auf den Fall des Kommandanten der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG), Efraìn Bàmaca (Everardo) und weitere 35 im Kampf gefangengenommene Rebellen. Die Menschenrechtskommission fordert die Regierung auf, die Streitkräfte und die Polizei anzuweisen, die Grundrechte der Kreigsgefangenen zu respektieren.

Dieser Vorfall ist ein wichtiges Element für die Friedensverhandlungen, die bereits vor De Leòn Carpios Amtsantritt im Juni dieses Jahres stockten. In erster Linie ist es ein Aufruf, den Krieg zu humanisieren, was eine Behandlung von gleich zu gleich nach sich ziehen muß. Der Respekt vor den Kämpfern beider Seiten ist eine Voraussetzung für einen fruchtbaren Dialog. Es kann kein gutes Ergebnis zustande kommen, wenn der Gegner nicht als menschliches Wesen respektiert wird. Die Erklärung wird in einem wegen der Unnachgiebigkeit der Regierung und des Militärs heiklen Moment herausgegeben. Die Warnung ist eine Form, den Militärs klar zu machen, daß die internationale Gemeinschaft ihnen keinen Freibrief gibt, die politischen Gegner im Stillen zu unterdrücken.

KUBA

US-Delegation spendet Medikamente

Von Alejandro Gomez

(Havanna, 19. Oktober 1993, Prensa Latina-POONAL).- In Havanna kam zum vierten Mal eine Delegation des Medizinischen Projektes USA- Kuba an. Angeführt von dem berühmten nordamerikanischen Komödianten Irwin Corey brachten sie Medikamenten- und Vitaminspenden im Wert von schätzungsweise 320.000 US-Dollar mit, die dem kubanischen Roten Kreuz übergeben wurden.

In Erklärungen gegenüber der Presse auf dem internationalen Hauptstadt-Flughafen José Martí sagte Corey, daß eine Form gefunden werden muß, Kuba zu helfen. Entweder, indem die Blockade der nordamerikanischen Regierung nicht beachtet oder eine Erlaubnis des Außenministeriums verlangt werde (Nahrungsmittel und Medikamente fallen – theoretisch – nicht unter die US-Blockade gegenüber Kuba; die Red.). „Das von meiner Regierung geschaffene Embargo scheint unglücklicherweise das Werk des Teufels zu sein“, führte Corey aus. Der Schauspieler und Komödiant kritisierte auch die Demokratie seines Landes, die in ihrem Namen das kubanische Volk so strangulieren wolle, wie sie es mit den nordamerikanischen Indianern geschehen sei.

Leslie Cagan, Mitglied des Projektes, hofft, daß diese vierte Spende Washington als Botschaft dient, Medikamente und Nahrungsmittel nicht mehr als politische Waffe zu benutzen. Außerdem, so sagte er, „möchten viele Personen einschließlich zahlreicher Kubano-Amerikaner darauf hinarbeiten, daß die Blockade aufhört und dem kubanischen Volk helfen.“

Im ironischen Ton bezog sich Cagan auf die Anweisungen des Außenministeriums, Medikamente nicht direkt der kubanischen Regierung auszuhändigen, damit sie nicht für die bio- technologische Industrie und für die Folter genutzt werden könnten. „Dies Empfehlungen haben keine besondere Bedeutung für uns“, betonte er.

Der Präsident des kubanischen Roten Kreuzes bezeichnete die Anweisungen des nordamerikanischen Außenministeriums als dumm. Es sei eine Richtschnur seiner Organisation und der Regierung der Insel, sicherzustellen, daß die Spenden den bedürftigsten Personen zukommen. An der Delegation des Medizinischen Projektes USA – Kuba nahmen auch ein Sohn und eine Nichte (Richard und Karen) von Corey sowie die drei in New York lebenden Kubano-Amerikaner Mariana Gaston, Iraida Lopez und Sonia Rivera teil.

Gaston erklärte, daß sie Teil der Delegation seien, weil ein Teil der Spende (Vitamin B im Wert von etwa 35.000 US-Dollar) von Kubano-Amerikanern in den Vereinigten Staaten gegeben wurde. Das Medizinische Projekt wurde vor zwei Jahren gegründet. Insgesamt hat es der kubanischen Bevölkerung Medikamente im Wert von 700.000 US-Dollar gebracht.

Castro erwidert Kritik der Bischöfe

Von Jose Dos Santos

(Havanna, 19. Oktober 1993, Prensa Latina-POONAL).- Eine Öffnung mit Realismus, ohne aber der Intoleranz Raum zu geben und ohne die Souveränität zu schmälern – diesen Weg will Kuba nach den Worten von Staats- und Parteichef Fidél Castro einschlagen. die Karibikinsel müsse einen Ausweg aus der Krise finden, ohne jedoch die soziale Verantwortung aufzugeben.

Castro formulierte die Grundzüge der künftigen Politik als Erwiderung auf die Kritik der Bischöfe an der politischen Entwicklung auf Kuba. Ohne viel zwischen den Linien lesen zu müssen, gebe es Überlegungen, die auch an andere Adressaten gerichtet sind, die das revolutionäre Werk im Stillen oder ausdrücklich bekämpften – sowohl in Kuba als auch außerhalb, sagte Castro in Anspielung auf den Hirtenbrief der Bischöfe. Die Zeit sei schwierig, sagte Castro und verwies auf die Einseitigkeit der weltweiten sozio-politischen Zielrichtung, der fehlenden Alternativen zu den neoliberalen Modellen, der falschen Annahme des Endes aller Ideologien. Im Falle Kubas drücke sich dies im Chor der Stimmen aus, die sich „zusammenfügen, um alles zu verleumden und zu verhöhnen“, was seine Regierung mache oder entwickeln wolle und die je nach Lage „die Hinterlist nähren, dem Feind dienen und ihr Volk und ihr Heimatland verraten“. Kritik an Bischöfen: Unterschätzung der Auswirkungen der US- Blockade

In der Analyse des kubanischen Führers, die am 16. Oktober verbreitet wurde, wird – im Gegensatz zu den Äußerungen der Katholischen Bischofskonferenz Kubas einen Monat zuvor – ein besonderer Nachdruck auf die entscheidende Rolle der nordamerikanischen Blockade bei den Aktionen gegen die Insel und auf die Bedeutung für die schwierige Lage, die diese durchmacht, gelegt.

Gleichfalls wird die Solidarität „als Ausdruck einer moralischen Unterstützung“ betont, die unter den aktuellen weltweiten Bedingungen „sehr viel bedeutet“ – als Gegenposition zum ärmlichen und abhängigen Charakter, den ihr die katholische Kirchenhierachie beimißt. In diesem Zusammenhang hat die Bestärkung der kubanischen Überzeugung eine besondere Bedeutung, „daß wir auf unsere eigenen Energien vertrauen müssen“.

Das ständige Interesse, „zwischen den Menschen das Gefühl der Solidarität zu fördern“, um das zu schaffen, was Fidel Castro „eine gemeinschaftliche, menschliche und solidarische Gesellschaft“ nennt – und da stimmt er mit Religionsangehörigen verschiedener Herkunft überein – sei ein Grundpfeiler der Revolution.

„Wir haben niemals das Interesse und die Bereitschaft verloren, eine ständige Kommunikation mit allen Bereichen unserer Gesellschaft aufrecht zu erhalten“, sagte Castro. Das Grundlegende sei, die verschiedenen Sichtweisen über die Krise zu überschreiten und „die Lösungen den höheren Interessen des nationalen Überlebens unterzuordnen.“

Er wies die Kritik am „ausschließlichen und omnipräsenten Charakter der offiziellen Ideologie“ zurück – dies hatten die kubanischen Bischöfe kritisiert. Er verwies auf Maßnahmen wie die, Gläubige in der Kommunistischen Partei zuzulassen, die Verfassungsänderungen und die Wahlrechtsreformen, die eine breite Pluralität garantierten.

„Verschiedene Sichtweisen dem höheren Interesse des nationalen Überlebens unterordnen“

Auch wenn es wiederholt werde, sei es deswegen nicht weniger wichtig, auf dem „großen Realismus“ zu bestehen, der die aktuellen Entscheidungen auf Kuba beherrsche. Kuba werde „offen bleiben bleiben für jede Möglichkeit, Standpunkte auszutauschen und nach gemeinsamen Bereichen zu suchen“ mit sozialen Kräften wie jenen Unterzeichnern, auf deren Botschaft Castro antwortete.

In dieser an Mitglieder der lutheranischen Kirchen, der ökumenischen Bewegungen, christlichen Einrichtungen und an katholische Laien gerichteten Botschaft werden die erwähnt, „die auf der Basis von Intrige und Verrat zweifelhafte und spätreifende Verdienste anhäufen“. Er unterscheidet sie von denjenigen, „die ernsthaft an der Verbesserung unseres Werkes des sozialen Fortschritts interessiert sind“.

Mit dem Bibelzitat, daß „jedes in sich gespaltene Königreich verwüstet wird“ bekräftigt er den Willen, die Einheit zu bewahren, die heute wie nie zuvor notwendig sei, um „die Zerstörung unserer Identität und unserer Unabhängigkeit“ zu bewahren.

LATEINAMERIKA

VI. Feministinnentreffen: Die Unterschiedlichkeit ausdrücken

Von Irene Leòn

(3. September 1993, Alai-POONAL).- Vom 30. Oktober bis zum 4. November findet in Costa del Sol (El Salvador) das VI. Feministinnentreffen Lateinamerikas und der Karibik statt. Dieses Ereignis ist das Ergebnis eines Prozesses, der drei Jahre zuvor bei dem Treffen in Argentinien begann. Damals übernahmen die mittelamerikanischen Gruppen die Organisation des Treffens, welches das Hauptdiskussions- und Analysefeld für die feministische Bewegung der Region darstellt.

Das VI. Feministinnentreffen Lateinamerikas und der Karibik ist deswegen ein Zielpunkt, weil die Gastgeberinnen – mit dem Ziel, die feministischen Ideen zu fördern und den Feminismus als verändernde politische Strömung zu konsolidieren – es als PROZEß konzipierten. Es sollte Raum für Reflexionen auf lokaler und regionaler Ebene geben. So fanden beispielsweise in fast allen Ländern Mittelamerikas – vielfach zum ersten Mal – nationale Treffen statt. Sie erlaubten, die Organisation und die nationalen Prioritäten der Frauen in den Blickpunkt zu stellen. Dieser Prozeß führte zum I. Mittelamerikanischen Feministinnentreffen.

Der Kongreß soll einen Zusammenhalt herstellen, der gleichzeitig das Samenkorn für einen mulitpolaren Feminismus ist, bei dem die Unterschiedlichkeit deutlich wird und die horizontalen politischen Strukturen gefestigt werden. Darum machen die mittelamerikanischen Gastgeberinnen einen Aufruf zur Analyse und Reflexion, ohne bereits verschlüsselte Antworten vorauszuschicken.

Auf diesen, in dreijährigem Turnus stattfindenden Treffen werden vielfältige Strömungen präsent sein, die unterschiedliche Veränderungsvorschläge für die Frauen und die Gesellschaft vorstellen werden. Dieses Bestehen in der Vielfalt ist möglich gewesen, weil Mechanismen wie die Suche nach einem Konsens und nicht die Einstimmigkeit angewendet wurden. Auch gab es die Möglichkeit, Nuancen und Besonderheiten auszudrücken, ohne die allgemeine Problematik aus den Augen zu verlieren: Die institutionalisierte Unterdrückung der Frauen in einem Kontinent, der voll mit Komplexen und Widersprüchen ist.

Das VI. Feministinnentreffen Lateinamerikas und der Karibik will gleichzeitig ein Referenzpunkt für die Frauen verschiedener Kulturen, Ethnien, sexueller Präferenzen und sozialer Gruppen sein, die gemäß ihrer eigenen Besonderheiten singuläre Erfahrungen gemacht haben.

HAITI

Die demokratischen Parteien im Blick (Teil II)

(Port-au-Prince, Oktober 1993, HIB-POONAL).- Im ersten Teil haben wir die politischen Parteien analysiert, die den Staatsstreich vom 30. September 1991 gegen den Präsidenten Jean-Bertrand Aristide unterstützten (vgl. POONAL Nr. 113). In dieser Ausgabe werden jene Parteien und politischen Bewegungen in das Blickfeld gerückt, die sich sofort oder gelegentlich (im Sinne von nicht immer eindeutig; die Red.) gegen den Putsch stellten.

Direkt nach dem Putsch entstanden zwei Strömungen innerhalb der demokratischen Bewegung: Die erste schlug die Rückkehr zur Demokratie und die Rückkehr des Präsidenten vor – ohne Bedingungen und ohne irgendwelche Verhandlungen. Die zweite Strömung entschied sich dafür, über die Rückkehr des Präsidenten zu verhandeln. Die in diesem Artikel beschriebenen Parteien und Organisationen unterstützen die zweite Strömung.

Die Nationale Front für den Wechsel und die Demokratie (FNCD) entstand einige Monate vor den Wahlen von 1990 und hat hauptsächlich dank der Popularität Aristides die meisten gewählten Vertreter*innen. Im ganzen Land unterstützt die Bevölkerung die Politik der FNCD aufgrund des Ansehens des Präsidenten als Verteidiger der unterdrückten haitianischen Massen (Aristide wurde mit 67 Prozent der Stimmen gewählt).

Nach seiner Wahl wurde die erdrückende Popularität von Aristide der Führung der FNCD unbequem und machte sie sogar neidisch. Darum fing sie an, ihn und seine Politik zu kritisieren. Die FNCD setzt sich aus drei politischen Parteien (MOP, CONACOM, PNDPH) und zwei Volksorganisationen (KID und FNP) zusammen.

Kritik an politischer Übermacht Aristides

Der Nationalkongreß der Demokratischen Bewegungen (CONACOM) ist die stärkste der drei politischen Parteien. Die Partei gründete sich 1987 nach dem Ersten Nationalkongreß der Demokratischen Bewegungen, bei dem Vertreter*innen von über 100 städtischen und ländlichen Volksorganisationen sowie Intellektuelle der Opposition teilnahmen. Als der Kongreß begann, gab es zwei Richtungen in der CONACAM. Die erste unterstützte eine gemäßigtere „institutionelle Demokratie“, während die zweite für einen radikaleren strukturellen Wandel war und eine der Bevölkerung näherstehende Vorstellung hatte.

Viele Aktivisten der zweiten Richtung organisierten einen anderen, nicht weniger wichtigen Kongreß, an dem fast die gleiche Zahl an Delegiert*innen und Organisationen teilnahm. Ergebnis des Kongresses war die Gründung der Nationalen Volksversammlung (APN) – eine Volksorganisation, die die Wochenzeitschrift Fortschritt herausgibt.

Nach drei Tagen der Diskussion ging CONACOM aus dem ersten Kongreß als politische Partei hervor. 1987 bildete sie zusammen mit anderen politischen Parteien und Volksorganisationen die Nationale Front der Übereinstimmung (FNC). Der haitianische Präsidentschaftskandidat der FNC war der Menschenrechtsverteidiger und Liberale Gèrard Gourgue. Die Wahlen wurden (damals) durch die Streitkräfte verhindert, die auf die Menschen schoß, die vor den Wahllokalen Schlange standen.

Der derzeitige Präsident der CONACOM ist der Dozent Victor Benoit, ein sehr gemäßigter Politiker der Mitte, der derzeit Erziehungsminister ist. Nach dem Staatsstreich von 1991 schwankte CONACOM eine Zeit lang und beteiligte sich sogar an der Absetzung des Premierministers von Aristide. Dann schlug sie die verhandelte Rückkehr zur Demokratie vor. 1992 trat die sich als Mitte-Links bezeichnende CONACOM der Sozialistischen Internationale als Vollmitglied bei. Die Nationale Fortschrittliche Revolutionäre Haitianische Partei (PANPRA), die den Staatsstreich unterstützte, ist dort ebenfalls Mitglied (vgl. POONAL Nr. 113).

Die älteste Partei der FNCD ist die MOP – vormals die Arbeiter- und Bauernbewegung, jetzt heißt sie Bewegung für die Organisation des Landes. Die MOP gründete sich Anfang der 50er Jahre und ist durch ihren Führer Daniel Fignolè bekannt. Ein Populist mit einem demagogischen Sprachgebrauch, der 1957 für 19 Tage Präsident war. Der Dozent Fignolè war unter der städtischen Bevölkerung sehr beliebt. Vor den Präsidentschaftwahlen 1957 rief er zu „Straßenwalzen“ genannten Demonstrationen auf, bei denen die Leute aus den Armenvierteln auf die Straße gingen.

Die anderen Präsidentschaftenkandidaten kamen in damals überein, Fignolè als vorläufigen Präsidenten zu akzeptieren. 19 Tage später wurde Fignolè durch einen Militärputsch ins Exil gezwungen, bei dem Hunderte seiner Anhänger ermordert wurden. Mit der Unterstützung der USA organisierten die Streitkräfte Wahlen und setzten den Arzt Francois Duvalier als Präsidenten ein, obwohl man sagt, daß Louis Dejoie (von der Nationalen Industrie- und Landwirtschaftspartei PAIN) die Wahlen gewann. Duvalier wurde in der Tradition der „Double-Politik“ eingesetzt. In dieser Tradition dienen die zivilen Präsidenten als marionettenhafte Vertreter des Militärs. Dennoch verwandelte sich Duvalier in einen mächtigen Diktator.

19 Tage Staatspräsident – dann putschte sich Duvalier an die Macht

Zur Zeit ist die MOP nicht „volksnah“ und hat antidemokratische Haltungen wie die Unterstützung der illegalen Wahlen von 1988 eingenommen, bei denen Leslie Manigat als Präsident eingesetzt wurde. Der Führer der MOP wurde dafür mit einem Kabinettsposten entschädigt. Eine Fraktion schloß sich der FNCD an.

Die Nationalistische Demokratische Fortschrittliche Haitianische Partei (PNDPH) gründete Lionel Lainè. Er kam 1986 heimlich ins Land – kurz bevor Jean-Claude Duvalier aus Haiti floh. Trotz der starken Unterdrückung gelang es der Partei, sehr aktiv zu werden. Sie verbreitete Propaganda und organisierte Menschen im ganzen Land. Der Oberst Albert Pierre – besser als „Ti Boule“ (Die Brandwunde) bekannt – ordnete die Verhaftung von Lainè an. Als die Soldaten ihn angriffen, leistete Lainè Widerstand und wurde verletzt. Die Soldaten nahmen ihn gefangen und brachten ihn ins Militärhospital. Dort wurde er nach Angaben des Generalsekretärs der Partei, Senator Turneb Delpe, ermordet. Die PNDPH bildete 1987 einen Teil der FNC.

Der derzeitige Bürgermeister von Port-au-Prince, Evans Paul, und andere prominente Anti-Duvalieristen gründeten 1986 die Organisation Demokratisches Komitee Inite (KID). KID entwickelte sich von einer Volksorganisation zu einer politischen Organisation mit einer sehr radikalen politischen Richtung, die die Forderungen der Bevölkerung unterstützte. Später wandelte sie sich in eine gemäßigtere Organisation und betrachtet sich bereits als Teil der „institutionellen Demokratie“.

Die andere Parteienfront, die an den Wahlen von 1990 teilnahm und sich gelegentlich gegen den Staatsstreich aussprach, ist die Bewegung der Nationalen Neuerung (MRN), angeführt von Renè Thèodore und seiner Vereinigten Partei der Haitianischen Kommunisten (PUCH).

Die PUCH wurde geboren, als zwei verschiedene kommunistische Parteien sich 1965 zusammenschlossen. Einige Jahre später wurde sie dezimiert, als mehr als 500 ihrer Führer*innen gejagt, ermordet oder in Fort Dimanche eingekerkert wurden. Einige Führer*innen flüchteten ins Exil und kämpften weiter aktiv gegen das Regime von Duvalier. Thèodore und andere Aktivisten kehrten 1986 nach Haiti zurück.

Kommunisten verbündeten sich mit Reaktionären gegen Aristide

Obwohl er sich selbst als ein Linker bezeichnet, verbündete sich Thèodore mit zwei Reaktionären mit faschistischen Tendenzen, um die MRN zu bilden: Dem Militärfetischisten und US-Soldaten Jean- Claude Roy, der alle Militärregime auf der Insel unterstützte, und mit Carl Denis. Beide sind in der Vereinigung der Haitianische Konstitutionalisten (UCH; vgl. POONAL Nr. 113) aktiv.

Thèodore war 1990 der Präsidentschaftskandidat der MRN und ein heftiger Kritiker Aristides während des Wahlkampfes. Er erhielt ein halbes Prozent der Stimmen. Nach dem Putsch war die Haltung der MRN zweideutig. Später unterstützte die PUCH die Rückkehr zur Demokratie, während Roy von der UCH ein Verteidiger von Cedras blieb. Denis übernimmt diese Rolle für den Polizeichef Oberst Michel Francois. Obwohl sie sich nicht offiziell aufgelöst hat, scheint die MRN nicht mehr zu existieren.

Aufgrund der Differenzen zwischen der FNCD und dem Präsidenten Aristide, wurden dieser und seine Unterstützer*innen sich darüber klar, daß die Lavalas-Bewegung eine eigene politische Struktur brauchte. Als Ergebnis davon sind kürzlich zwei Organisationen entstanden: Die Parti Louvri Barye führt Aristides ehemaliger Planungsminister Renaud Bernadin an.

An der Spitze der Politischen Organisation Lavalas (OPL) steht der Intellektuelle Gèrard Pierre-Charles – zusammen mit dem Sprecher der Mouvman Peyizan Nasyonal Kongre Papay (MPNKP), dem Führer der LandarbeiterInnen-Organisation Mouvman Peyizan Papay (MPP) Chavannes Jean-Baptiste und Irvelt Chery von der MOP. Die OPL besteht seit diesem Jahr und versucht, eine politische Partei zu organisieren.

Sie schrieb eine Selbstkritik der Lavalas-Regierung und veröffentlichte ein politisches Programm. Dieses weist darauf hin, daß die OPL links steht, obwohl sie nicht mit den Forderungen der Bevölkerung gleichzusetzen ist. Sie hat sich für eine breite Front ausgesprochen, die verschiedene politische Persönlichkeiten einschließt, die für Veränderungen eintreten. Ihr gemischtes Programm schlägt Wirtschaftsreformen neoliberalen Typs vor. Aber daneben auch eine fortschrittliche Politik wie die Volksbeteiligung und einen starken Staat.

NICARAGUA

Regierungsberater: Wirtschaftspolitik provoziert soziale

Explosionen

(Managua, Oktober 1993, Apia-POONAL).- Seit der Machtübernahme durch Violeta Chamorro vor dreieinhalb Jahren habe sich die Wirtschaftslage in Nicaragua drastisch verschlechtert. Eine Fortsetzung des neoliberalen Kurses werde soziale Explosionen und den Sturz der Regierung zur Folge haben. Diese katastrophale Bilanz zieht einer der engsten Wirtschaftsberater von Präsidialminister Antonio Lacayo, der ehemalige Planungsminister von Costa Rica, Otton Solis, in einem vertaulichen Memorandum. Solis prognostiziert in dem Dokument, das mit dem 4. September datiert ist, daß „in weniger als sechs Monaten eine neue Krise eintritt, wenn das Wirtschaftsmodell nicht modifiziert wird.

Immer mehr Nicaraguaner*innen leben in Armut und extremem Elend

In den Jahren 1985 bis 89, so Solis, importierte Nicaragua 2,75mal mehr, als das Land durch Ausfuhren einnahm – 1992 betrug das Verhältnis bereits 4:1. Gleichzeitig verminderte sich die öffentlichen Investitionen um 37 Prozent, und das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner sank um 30 Prozent. „Das bedeutet, daß heute mehr Nicaraguaner*innen in Armut und extremem Elend leben, selbst wenn das Verteilungsmuster gleich geblieben wäre“, stellt Solis fest. Die Arbeitslosigkeit sei von 40 Prozent im Jahr 1989 auf 54 Prozent angestiegen und der Konsum von Grundnahrungsmitteln und Fleisch um 25 Prozent gesunken.

„Immer mehr Menschen leben in Armut und extremem Elend“

Doch nicht nur die Armen leiden unter der neoliberalen Roßkur. Auch die Unternehmer*innen, so Solis, werden durch den überstürzten Zollabbau geschädigt: „Die nicaraguanischen Produzenten, die fünf Jahre lang (seit der Verhängung des Wirtschaftsembargos durch die USA) von ihrem wichtigsten Markt abgeschnitten waren, waren plötzlich dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt; die Konkurrenzfähigkeit wurde zu einer Bedingung, um neue Kredite zu bekommen.“

Sowohl die Sandinisten, die in den letzten Monaten deutlich von der Regierung abgerückt sind, als auch die rechtsoppositionelle UNO-Allianz fordern seit langem eine Korrektur in der Wirtschaftspolitik. „Diese wurde im Einvernehmen mit der Handels- und Finanzbourgeoisie entworfen“, sagt der linke Ökonom Olando Nunez. „Es war ganz klar, daß die Produktion darunter leidem würde.“ Doch aus den eigenen Reihen ist der Stabilisierungsplan der Regierung bisher noch nie so deutlich kritisiert worden. Solis empfiehlt eine produzentenfreundlichere Kriditpolitik, die Förderung der Kleinbauern, die Anhebung der Luxussteuern; gleichzeitig sollten der Export und der Tourismus durch Steueranreize gestützt, eine offensive Beschäftigungspolitik betrieben, im sozialen Wohnungsbau investiert, die Schulgebühren abgeschafft und die freie Gesundheitsversorgung wieder eingeführt werden. Die internationalen Finanzorganisationen wie der Weltwährungsfonds und der US-Entwicklungsfonds müßten „angesichts der Folgsamkeit, mit der Nicaragua die von ihnen empfohlene Wirtschaftspolitik umgesetzt hat, mit Flexibilität und Verständnis reagieren“. Die Verantwortlichen in der Clinton-Regierung hätten bereits die Fehler des Modells erkannt.

Korrektur der neoliberalen Wirtschaftspolitik gefordert

Während Finanzminister Emilio Pereira sich in Washington bemüht, eine aus politischen Gründen vorerst auf Eis gelegte Summe in Höhe von 40 Millionen Dollar loszueisen, und Violeta Chamorro vor der UN-Generalversammlung versuchte, den Ruf des Landes auf internationaler Ebene aufzupolieren, versucht Antonio Lacayo in Managua, die Spekulationen über eine bevorstehende Umbesetzung an der Spitze des Wirtschaftsministeriums zu beenden: „Hier erreicht man überhaupt nichts, wenn ein Minister geschaßt wird oder gar die ganze Regierung zurücktritt“. Eine Modifizierung des Wirtschaftsprogramms müsse auf einem tragfähigen innenpolitischen Konsens beruhen. „Aber gegen den IWF können wir überhaupt nichts machen, sonst werden sofort alle Kredite blockiert.“

Reicht Pinochets langer Arm bis nach Mangua?

(Mangua, Oktober 1993, Apia-POONAL).- Nicaragua soll einen aktiven Kämpfer gegen den chilenischen Militärdiktator Pinochet ausliefern, fordert die christdemokratische Regierung der südamerikanischen Republik.

Gegen den ehemaligen chilenischen Linksaktivisten Sergio Buschmann, dem in Nicaragua politisches Asyl gewährt wird, erging Anfang Oktober aus Chile das Ersuchen um vorläufige Festnahme. Dieser Schritt geht dem formalen Auslieferungsantrag, dessen Zustellung mehrere Wochen beansprucht, voraus. Der 51jährige Mitbegründer der „Patriotischen Front Manuel Rodríguez“ (FPMR) wird offiziell der Waffenschieberei beschuldigt. „Mein Verbrechen ist, während der Diktatur Waffen an das Volk verteilt zu haben“, erklärte Buschmann in Managua.

Während der Pinochet-Diktatur Waffen an das Volk verteilt

Der deutschstämmige Buschmann, der während der Regierung der Unidad Popular unter Salvador Allende in der Kommunistischen Partei aktiv war, wurde in Chile fünfmal verhaftet und galt als „verschwunden“. „Ich habe die schlimmsten Barbareien, Folterungen und Morde gesehen. Noch immer setzen 40 politische Gefangene in den chilenischen Kerkern“, sagte er. Buschmann würde in dieselbe Kategorie fallen. Vor zehn Jahren zählte er zu den Gründern der FPMR, die den bewaffneten Kampf gegen die Pinochet-Dikatatur aufnahm. Im August 1987 flüchtete er aus einem chilenischen Gefängnis. Obwohl er von der UNO als politisch Verfolgter anerkannt und durch einen schwedischen Paß geschützt ist, stellte der Oberste Gerichtshof in Santiago bereits vier Auslieferungsanträge: an Schweden, Australien, Deutschland und Alaska. Seit 1991 lebt er in Managua und leitet dort eine Theatergruppe.

Der stellvertretende nicaraguanische Außenminister José Pallais bestätigte das Begehren der chilenischen Regierung: „Der Fall liegt in der Hand des Obersten Gerichtshofes, der nun entscheiden muß, ob der Festnahme und der Auslieferung stattgegeben werden kann.“ Für Vilma Nunez, die Leiterin des Benschenrechtsbüros, ist die Sache klar: Buschmann kann nicht ausgeliefert werden, da Chile und Nicaragua kein entsprechendes Abkommen abgeschlossen haben. In Nicaragua lebende Exilanten fühlen sich aber nicht mehr sicher, nachdem im Mai dieses Jahres drei eingebürgerte Basken über Nacht ihrer Pässe beraubt und ohne ein Gerichtsverfahren an Spanien ausgeliefert wurden. Seither wurden zahlreiche Ausländer, die während der sandinistischen Regierungszeit die nicaraguanische Staatsbürgerschaft erhalten hatten, vom Innenministerium vorgeladen, sie befürchten nun ihre Abschiebung.

KOLUMBIEN

Bürgermeister wegen eines Gedichts verhaftet

(Bogotá, Oktober 1993, AC-POONAL).- „Damit Soldaten und

Guerilleros nicht mehr füreinander den Schrecken erregenden Geschmack des Todes bedeuten, der nach dem Angst erfüllten Leben trachtet“, heißt es in einem Gedicht des Bürgermeisters der Gemeinde Tibú, Tirso Vélez. Die Zeilen fanden das tiefe Mißfallen der Generäle Harold Bedoya und Agustín Ardila, die die 1. Armeedivision und das Einsatzkommando 2 in der Region befehlen: Sie klagten den Bürgermeister an, da das Gedicht klar zum Ausdruck bringe, daß der Autor ein „Helfer der Guerilla“ sei. Er spiele auf die regionalen Friedensgespräche mit der Guerilla an, welche die Regierung verboten habe.

Generäle und Staatsanwalt: Bürgermeister ist ein „Helfer der Guerilla“

Die Regionale Staatsanwaltschaft folgte der Argumentation der Generäle und ordnete die Inhaftierung des Bürgermeisters von Tibú an, das in dem umkämpften Gebiet von Catatumbo im Departement Norte de Santander liegt. Am 14. September wurde Tirso Vélez verhaftet. Die Bewohner*innen von Tibú reagierten mit einer 72stündigen Protestaktion auf die Verhaftung des Bürgermeisters, der in der Gemeinde hohes Ansehen genießt, da er die Klagen der Bevölkerung über die Folgen des Krieges ernst nimmt. Einwohner*innen berichteten Journalist*innen, die die Proteste in der Stadt verfolgten, über Übergriffe der Armee gegen die Zivilbevölkerung.

Der Bischof von Tibú Luís Madrid Merlano verurteilte die Verhaftung des Stadtoberhaupts in einem Radiointerview als ungerecht und verfehlt. Er bestätigte, daß die Armee die Zivilbevölkerung bombardiere. Der Bürgermeister der Stadt Buga im Departement Valle, Gustavo Alvárez, kritisierte ebenfalls die Entscheidung des Gerichts und protestierte gegen die kriegerische Politik der Regierung. Alvárez gehört einer Waffenstillstandskommission an, die sich für Verhandlungen zwischen der Guerilla und der Regierung einsetzt, um den bewaffneten Konflikt in Kolumbien zu beenden.

Während sich Staatspräsident Gaviria bislang in Schweigen hüllt, hat der Innenminister die Haltung der katholischen Kirche in der Friedenspolitik in einer Sitzung des Sicherheitsrates heftig kritisiert: „Alle gesellschaftlichen, politischen, bürgerlichen und sozialen Gruppen, und demzufolge auch die Kirche, schaden der großen Anstrengung, die unsere Gesellschaft macht, um den Frieden zurückzugewinnen, wenn sie separate Friedensgespräche führen und Beziehungen mit den subversiven Organisationen aufrecht erhalten“. Ramón Emilio Gil Bermudéz, Kommandant der Streitkräfte, kritisierte ebenfalls die Menschenrechtsgruppen, die im Ausland über die Verletzung der Grundrechte in Kolumbien klagten. In diesen Chor stimmte nun auch die Außenministerin Noemí Sanín ein: „In mehreren Ländern empfängt man die kolumbianischen Guerilleros und bringt ihnen Vertrauen entgegen in Fragen, in denen sie nicht viel Glaubwürdigkeit besitzen, so zum Beispiel bei den Menschenrechten.“

Die Verhaftung des Bürgermeisters Tirso Vélez ist nur der vorläufig letzte Punkt in einer Reihe von Angriffen der Streitkräfte und der Regierung gegen jegliche Opposition, die für den Frieden und für einen Dialog zwischen dem Staat und der Guerilla eintreten. General Harold Bedoya, der den Bürgermeister anklagte, hatte bereits zuvor die Interkongregationale Menschenrechtsorganisation „Justicia y Paz“ (Gerechtigkeit und Frieden) und andere Gruppen angeklagt, die sich für den Frieden einsetzten. Gegen den Geistlichen Leonardo Gómez Serna und die Stiftung „Leben“ stellte er Strafanzeige, da sie Gespräche mit Guerillaeinheiten geführt hatten.

Streitkräfte torpedieren Dialog mit „Sozialistischer Erneuerung“

(Bogotá, Oktober 1993, AC-POONAL).- Nach der Ermordung von Enrique Buendía und Ricardo González, Sprecher der „Bewegung für sozialistische Erneuerung“ (CRS), am 22. September durch die Armee hat die CRS die Friedensgespräche mit der Regierung abgebrochen und ein wenige Stunden zuvor unterzeichnetes Abkommen vorerst suspendiert. Die CRS ist eine dissidente Fraktion der Nationalen Befreiungsarmee (ELN).

Kommentatoren betrachten den Doppelmord nicht als isolierten Vorfall, sondern bewerten ihn als Teil einer Strategie gegen die CRS, die unter der Losung „unterwerfen, um dann zu verhandeln“, zusammengefaßt wurde. Seit dem Beginn des Dialogs mit den verhandlungsbereiten Rebell*innen im März 1992 wurden bereits zahlreiche Aktivist*innen der CRS von paramilitärischen Einheiten ermordet. Die Regierung ließ die Unterzeichnung eines Abkommens immer wieder an Detailfragen scheitern. So nahm sie in der Frage, in welchen Gebieten sich die Guerilleros sammeln sollten, eine kompromißlose Haltung ein. Zwei Stunden vor dem Doppelmord an den CRS-Aktivisten (einer zählte zur Verhandlungsdelegation der CRS und genoß hohes Ansehen innerhalb der Guerilla) hatten der Sicherheitsberater des Präsidenten, Ricardo Santamaría, und die CRS-Kommandanten Jacinto Ruíz und Gariel Borja im Beisein des Bischofs Nel Beltrán ein Abkommen unterzeichnet, daß die Entwaffnung und die Eingliederung der Aufständischen in das zivile Leben vorsah. Beide Parteien einigten sich auf folgende Punkte: Konzentration der CRS-Aufständischen in der Gemeinde Ovejas im Departement Cordoba am 25. September; Beginn der Verhandlungen über einen 8-Punkte-Katalog am 2. Oktober; Abschluß eines Akommens über die Entwaffnung der Rebell*innen bis zum Ende des Jahres.

Nach der Ermordung der beiden Aktivisten hat die CRS die Friedensgespräche abgebrochen. „Die Regierung muß zeigen, daß sie tatsächlich eine Einheit ist und daß die Streitkräfte nicht willkürlich nach ihrem Gutdünken handeln können. Nur dann werden wir die Verhandlungen wieder aufnehmen“, sagte Jacinto Ruiz, Unterhändler der CRS.

CRS: Armee nahm Aktivisten fest und ermorderte sie kaltblütig

Über den Tathergang kursieren unterschiedliche Versionen. Nach Angaben der Streitkräfte wurden Buendía und González in der Gemeinde Turbo bei einem Gefecht zwischen einem Armeebataillon und einer CRS-Einheit getötet, der Innenminister behauptete auf einer Pressekonferenz ebenfalls, daß „sie beinem Zusammenstoß einer Guerillaeinheit mit der Armee getötet wurden“.

Nach Angaben der CRS wurden die beiden Gurilleros dagegen „lebend festgenommen und kaltblütig ermordet“. González und Buendía hätten sich gemäß einer Absprache mit der Regierung in der Gemeinde Turbo aufgehalten, um dort 40 Kämpfer*innen zu konzentrieren. Die Regierung habe zugesagt, die Region abzusichern. Die Armee habe diese Übereinkunft verletzt und das Feuer auf die CRS-Einheit eröffnet, die Führer verhaftet und anschließend umgebracht,“ obwohl sie eine weiße Fahne gehißt hatten“. Jacinto Ruíz machte die Regierung für die Ermordung der Gefährten verantwortlich und sagte, solange sie nicht die Kontrolle über die Streitkräfte zurückgewinne, sei der Frieden nicht möglich.

Die Regierung sagte daraufhin zu, den Vorfall von dem Generalinspektor der Streitkräfte, Camilo Zuniga, und von der Generalstaatsanwaltschaft untersuchen zu lassen. Zuniga selbst wird beschuldigt, schwere Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. CRS-Sprecher Gabriel Borja kritisierte daher die Zusammensetzung der Untersuchungskommission und forderte, daß Bischof Nel Beltrán, das Permanente Menschenrechtskomitee sowie ein Mitglied der UNO-Menschenrechtskommission in den Untersuchungsausschuß berufen werden müßten.

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