Poonal Nr. 091

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 91 vom 03.05.1993

Inhalt


HAITI

NICARAGUA

GUATEMALA

KUBA


HAITI

Angriffe auf JournalistInnen

(Port-au-Prince, April 1993, HIB-POONAL).- Trotz der Präsenz von Beobachter*innen der UNO und der OAS (Organisation der Amerikanischen Staaten), die die Freiheitsrechte der Haitianer*innen garantieren sollen, werden weiterhin Journalist*innen belästigt, verprügelt und bedroht. Der Rundfunkjournalist Charles Jean Lumack wurde am 30. März, von Mitgliedern der Armee Haitis verprügelt. „Drei bewaffnete Männer griffen mich an, schlugen mich mit ihren Revolvern und haben mir Knochen gebrochen. Zeugen konnten nicht eingreifen, weil sie erschossen worden wären,“ sagte er

Bekannter Radiomoderator verprügelt und mit Tod bedroht

Lumack ist durch seine Arbeit bei Radio Cacique ein bekanntes Mitglied der Demokratiebewegung. Radio Cacique, einer der beliebtesten Radiosender des Landes, mußte nach dem Staatsstreich seinen Betrieb einstellen, Soldaten plünderten die Büros und bedrohten die Journalist*innen. Viele Angestellte gingen damals ins Exil. „Mein Leben ist in Gefahr,“ erklärte der Journalist. „Die Männer sagten mir, daß sie mich beim nächsten Mal töten werden.“ Sein Haus wird ständig von zwei bewaffneten Männer der Geheimpolizei bewacht. „Er lebt eigentlich ständig unter Hausarrest,“ sagte ein Menschenrechtsbeauftragter. Nach dem Angriff ging Lumack zu einem Menschenrechtsbüro. Dort bat er die Beobachter*innen der UNO und OAS, ihn zu seinem Haus zu begleiten. Dieses Hilfegesuch wurde mit der Begründung, sie seien“ zu beschäftigt“, abgelehnt.

Keine Hilfe vom Menschenrechtsbüro

Journalisten, die fernab von den Hauptstädten arbeiten, werden ebenfalls bedroht. Masner Beauplan, der Koordinator der Assoziation der Journalist*innen des Hochplateaus (AJHP) und ein Korrespondent von Radio Tropic FM, wurden am 30. März in Hinche festgenommen. Beauplan wurde verhaftet, geschlagen und bezichtigt, „sich mit seinen Ausländer*innen getroffen zu haben, die die Macht im Land übernehmen wollen.“ Es war das zweite Mal, daß Beauplan verhaftet wurde. Vor kurzem sagte er, ein Journalist in Hinche zu sein bedeute, „mit einem Bein im Grab zu stehen.“ Jetzt hat er Asyl im Ausland beantragt.

Verkäufer*innen der „Libete“ angegriffen

Auch Zeitungsverkäufer*innen werden zunehmend Opfer von militärischen Agressionen. Am ersten und zweiten April wurden in Port-au-Prince drei Männer, die die kreolische Wochenzeitung „Libete“ verkaufen, angegriffen und brutal zusammengeschlagen. Am 28. März durchsuchten die Geheimpolizei und Soldaten das Haus eines ehemaligen Libete-Verkäufers. Seine Frau wurde geschlagen und vergewaltigt, anschließend wurde das drei Monate alte Baby geschlagen. Jetzt ist der Mann mit seiner Familie auf der Flucht. Resümierend stellt ein Verleger fest, daß „tatsächlich die Repression stärker geworden ist, seit die BeobachterInnenmission begonnen hat.“

Gerard Jean-Juste: Ein Priester im Widerstand

(Port-au-Prince, April 1993, HIB-POONAL).- Pater Gerard Jean-Juste, 47, ist durch seine langjährige Arbeit im haitianischen Flüchtlingszentrum in Miami bekannt geworden. 1990 kehrte er nach Haiti zurück, wo er von Präsident Jean-Bertrand Aristide zum „Koordinator des Zehnten Departments“ ernannt wurde. (Die Insel Haiti ist in neun Departments eingeteilt. In den letzten Jahren wurden die ca. eine Million Exil-Haitianer*innen, als „Zehntes Department“ benannt.) Am dritten April leitete Jean-Juste gemeinsam mit anderen Priestern eine Prozession. Mit dieser Prozession wollten sie gegen die Vorgehensweise der Putsch-Regierung bei dem brutalen Angriff auf Bischof Willy Romelus und viele andere protestieren. Bischof Romelus hatte am 25.Februar eine Messe für die mehr als 2000 Opfer des Fährenunglücks gehalten, bei der es zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. „Am zweiten März hatten wir ein Presbytertreffen mit vielen Priestern, und sogar der Bischof von Port-au-Prince war dort. Wir sammelten vertrauliche Berichte, Fotos und Videos des Vorfalls und gründeten eine Fünferkommission, die sie untersuchen sollte. Am sechzehnten März gaben wir eine Pressemeldung heraus und forderten dazu auf, eine neuntägige Andacht zu halten,“ erklärte Jean-Juste. Bischof läßt die Katedrale schließen

„Für den dritten April war die Prozession geplant. Vom 25. März bis zum 3. April wurden wir auf verschiedenste Weise unter Druck gesetzt. Der Bischof sagte, die Regierung wolle keine religiöse Demonstration. Ein Priester erzählte mir, ihm sei verboten worden, die Kathedrale an diesem Tag zu öffnen. Um sie zu öffnen, brauchte er eine schriftliche Erlaubnis von seinem Vorgesetzten Bischof Joseph Lafontant, der nach Rom gefahren sei. Ich versuchte, mehr herauszufinden. Einen Tag vor der Prozession bekamen wir die endgültige Antwort, daß er die Erlaubnis erhalten hätte. „Parallel dazu gab es eine Desinformationskampagne in der Presse. Es wurde angekündigt, daß die Prozession nicht stattfinden würde. Die BeobachterInnenmission teilte uns in einem Brief mit, daß sie nur zum Beginn der Demonstration käme, nicht aber an der Demonstration selbst teilnehmen werde. Das war ein weiterer schwerer Schlag. Am Tag der Demonstration wurden wir darüber informiert, daß die Armee am „Champ de Mars“ auf uns warten würde und den Befehl hätte, zu schießen und speziell die jungen Leute zu töten. Trotzdem entschieden wir uns, die Demonstration abzuhalten.“

Armee hatte Befehl zu schießen

„Um halb acht morgens kamen über 300 Demonstrant*innen. Es gab viele Bedrohungen. Viele Geheimpolizisten waren in der Kirche und hielten die Menschen auf. Wir begannen die Prozession und sangen Lieder riefen politische Parolen.“ „Wir gingen um die Kirche herum und die Leute begleiteten uns, manchmal bis zu tausend. Die Fünferkommission besprach die Drohungen und da wir für den Anlaß schlecht ausgerüstet waren, entschieden wir, den Champ de Mars nicht zu überqueren. Wir schlugen eine andere Route ein und gingen zur Kirche zurück. Flugblätter gegen die Putsch-Regierung und die Militärs flogen überall herum. Wir begannen zu rufen: „Aristide muß zurückkommen! Nieder mit den Verbrechern Bazin, den Militärs und den anderen!“ Die Demonstration endete sehr friedlich.“ Priester wollen dem Putsch-Regime die kirchlichen Sakramente verweigern „Die Botschaft war gesandt. Wir verteidigten unser Recht auf Meinungsfreiheit. Es war nützlich für die Demokratiebewegung. Ich möchte meine Brüder und Schwestern ermutigen, vor allem die Führung, die Mitglieder der Präsidentschaftskommission (die die Teilnahme an der Demonstration ablehnten), die Politiker*innen, die für die Demokratie kämpfen. Ich möchte sie alle ermutigen, sich zu organisieren und sich für eine Demonstration zu entscheiden, erlaubt oder nicht erlaubt,“ sagte Jean-Juste. Das Priesterkollegium müsse nun entscheiden, ob sie, wie angekündigt, den Mitgliedern des Putsch-Regimes die kirchlichen Sakramente und andere Dienste verweigern sollen.

In Bezug auf die UNO-BeobachterInnenmission sagte Jean-Juste, er sei enttäuscht, daß sie die Demonstration nicht begleitet hätten. „Sie sollten als Freund*innen kommen, nicht als Lehrer*innen,“ sagte er. „Wir Menschen sollten der Mission die Richtung weisen.“ Gegen eine Generalamnestie Jean-Juste verbringt den Großteil seiner Zeit damit, für die Rückkehr der Demokratie und des Präsidenten Aristide nach Haiti zu kämpfen. Auch versteckt er sich, um sich vor den Sicherheitskräften der Regierung zu schützen. Auf die Amnestie angesprochen, die im Moment diskutiert wird, antwortete Jean-Juste nicht eindeutig: „Sollen die Täter straffrei ausgehen, so daß wir sie nicht vor Gericht bringen können? Die Entscheidung liegt bei Präsident Aristide…und ich weiß, daß er in dieser Frage unter Druck steht. Was er auch entscheidet, ich werde ihn unterstützen. Ich selbst bin jedoch nicht mit einer Generalamnestie einverstanden, bei der keiner der Generäle, der Mörder, vor Gericht gestellt werden kann. Diese Menschen haben Verbrechen gegen die Menschheit begangen“, sagte der Priester.

NICARAGUA

Keine Konzepte gegen die Krise

(Managua, April 1993, Apia-POONAL).- Ungeachtet des Optimismus der Regierung, die von der wieder fließenden Auslandshilfe die Rettung aus der Krise erhofft, und ungeachtet der Aufrufe der sandinistischen Führung zu Besonnenheit und Dialog herrscht in Teilen des Landes das Faustrecht, das Recht der Bewaffneten. Managua 1993. Die Symbole der Vergangenheit sind drei Jahre nach dem Machtwechsel noch präsent: Die Wandmalereien im Zentrum, die Autokennzeichen mit dem früheren sandinistischen Schlachtruf 'Nicaragua libre', die großen Gemäldeportraits der Freiheitshelden Sandino und Fonseca über dem Eingang des ezhemaligen Nationalpalastes, dessen Erstürmung durch ein FSLN-Kommando im August 1978 ein entscheidender Schritt zum Sturz der Somoza- Diktatur war. Unübersehbar indes auch die Zeichen der „neuen Zeit“: Zerlumpte Kinder an den Straßenkreuzungen, die die Windschutzscheiben der haltenden Autos putzen und auf ein paar Centavos hoffen; ein Heer von Straßenverkäufern; halbleere Busse und Taxis, da die Preise für den Großteil der Bevölkerung unerschwinglich geworden sind. Und auf der anderen Seite die Zeichen eines neuen Wohlstands, der freilich nur eine kleine Minderheit erreicht hat: Der Straßenverkehr ist dichter geworden, sündhaft teuere Bars und Restaurants sind gut gefüllt.

Hoffen auf Hilfe aus dem Ausland

Für die Mehrheit der Bevölkerung zeichnet sich kein Ausweg aus der Misere ab. Die Regierung indes verbreitet ungebrochenen Optimismus. Der Grund: In diesem Jahr hofft die Regierung auf Auslandshilfe in Höhe von 750 Millionen Dollar. Präsident Clinton sagte die Auszahlung der sehnlich erwarteten 54 US-Dollar (die zweite Tranche eines seit Juni 1992 eingefrorenen 100 Millionen Dollar-Kredits); bei einer Konferenz mit Gläubigerländern in Paris wurden neue Mittel in Höhe von 170 Millionen Dollar zugesagt und Spanien gab die Gewährung eines Kredits über 84 Millionen Dollar bekannt. Kritiker wie der Wirtschaftsexperte und Rektor der Jesuitenuniverstität UCA, Xavier Gorrostiaga, warnen indes, die Regierung treibe die Auslandsverschuldung in die Höhe und fördere eine Mentalität, die allein auf die Hilfe von außen zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme hoffe. Ein überzeugendes Konzept gegen die Misere blieb bislang allerdings auch die stärkste politische Kraft Nicaraguas, die oppositionelle sandinistische Partei, schuldig. Bezeichnenderweise wurde die Diskussion über die künftige wirtschaftspolitische Strategie der FSLN auf der Sandinistischen Versammlung (AS) Ende März, dem höchsten Parteigremium nach dem Delegiertenkongreß, aus Zeitgründen ausgeklammert. Beherrschendes Thema der Sandinistischen Versammlung: die interne Organisation und das Selbstverständnis der FSLN. Breiten Raum nahm die Diskussion über ein von der Ethik-Kommission ausgearbeitetes Dokument, das etlichen Spitzenfunktionären der Partei Korruption und Bereicherung nach der Wahlniederlage vom Februar 1990 vorwirft. Die Geheimhaltung auf der AS-Konferenz war allerdings derart strikt, daß keine Details über die Vorwürfe an die Öffentlichkeit drangen.

Widersprüchliche Strategie der FSLN: Regierungspartner oder militante Opposition

Seit der Wahlniederlage vor drei Jahren wird die FSLN-Führung nicht müde, die Bevölkerung zu Ruhe und Besonnenheit aufzurufen. Die gewünschte politische und wirtschaftliche Stabilität hat sich jedoch bis heute nicht eingestellt. Insgesamt erscheint die politische Strategie der FSLN unklar und widersprüchlich. Einerseits pflegt sie einen pragmatischen Kurs, der sie zu einem verläßlichen Partner der Regierung werden ließ; andererseits bedient sie sich einer radikalen Rhetorik, um die von Wirtschaftskrise und innenpolitischen Unruhen gebuetelte Basis nicht zu verlieren. Beispielhaft ist die Schlußerklärung der AS- Konferenz, die die Sandinist*innen zu einer Militanz aufruft, die die Parteiführung weder unterstützt noch wünscht: „Die FSLN ist weder an einer Co-Regierung beteiligt, noch wünscht sie eine solche. Sie ruft alle ihre militanten Kräfte und die gesellschaften Gruppen, die sich mit dem Sandinismus identifizieren, dazu auf, sich zu mobilisieren und von der Opposition aus für die Verteidigung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Rechte zu kämpfen.“ Die innenpolitische Situation in Nicaragua ist gekennzeichnet von Unsicherheit, Gewalttätigkeit, Korruption und wachsender Anarchie in mehreren Regionen des Landes. Anfang April wurden neun Menschen der Stadtverwaltung von Managua verhaftet, da sie angeblich 20 Millionen Cordobas an Steuereinnahmen auf ihre eigenen Konten fließen ließen. Bei ihrer ersten Vernehmung gaben sie an, nur Sündenböcke für die eigentlichen Diebe zu sein, die in der Verwaltungsspitze im Umfeld des Bürgermeisters Arnoldo Alemám zu suchen seien. Der radikal sandinistenfeindliche Alemán hat sich mit einem populistischen Führungsstil in der Bevölkerung viele Sympathien geschaffen, er gilt als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat für 1996.

Polizei gegen marodierende Banden machtlos

Die Überfälle bewaffneter Banden, vor allem im Norden des Landes, reißen nicht ab. Recontras und Recompas, die im Gegenzug für die Abgabe ihrer Waffen ein Stück Land und Baumaterial für ein Häuschen erhielten, verkaufen ihren Besitz und ziehen wieder in den Krieg. Die Polizei ist viel zu schwach und schlecht ausgerüstet, um die Landbevölkerung vor den Angriffen der Banden zu schützen. In Muelle de los Bueyes, einer Gemeinde in der Nähe von Rama im Departement Chontales, wurde in der letzten Märzwoche ein Menschenrechtsaktivist von drei uniformierten Männern erschossen. Niemand will eine Aussage machen, nicht einmal die Frau des Ermordeten: Zu groß ist die Angst vor Vergeltungsaktionen der Täter. In der Gemeinde Muelle herrscht das Recht des Stärkeren. Der Polizeiposten der Gemeinde ist machtlos gegen das Anwachsen der Gewalt, er verfügt nicht einmal über ein eigenes Fahrzeug.

Wichtigstes Trinkwasserreservoir Managuas ausgetrocknet

(Managua, April 1992, Apia-POONAL).- Die verheerenden Ausmaße der ökologischen Katastrophe rücken zunehmend in das öffentliche Bewußtsein. Den Ernst der Situation belegte vor wenigen Tagen ein spektakulärer Vorfall: Die Nejapa-Lagune, eines der wichtigsten Wasserreservoire für die Hauptstadt, trocknete völlig aus (siehe auch den Beitrag „Spiegel des Todes“). Und auch der Wasserspiegel des Xolotlán-Sees und anderer Gewässer sinkt beständig. Weite Landflächen versteppen, denn das Abholzen der Wälder und der Verkauf von Ästen und Stämmen als Brennholz ist für viele die einzige Einnahmequelle. Tausende Hektar von Baumwollfeldern werden nicht mehr bewirtschaftet, da der Verkauf der weißen Wolle nicht einmal die Herstellungskosten einbringt und auf den ausgelaugten und überdüngten Böden kaum andere Agrarpflanzen angebaut werden können. Experten fürchten, daß in 15 Jahren ein Großteil der Landflächen Nicaraguas nicht mehr kultivierbar sind. Ein Beispiel für die Zerstörung ist die Naturschutzzone Bosawás bei Waslala und Siuna im Norden des Landes. Bosawás ist mit rund 800.000 Hektar das größte tropische Regenwaldgebiet Zentralamerikas. Etwa 7.000 Familien, die an den Rändern des Dschungels leben, verbrauchen jährlich eine Million Kubikmeter Holz für ihren eigenen Energiebedarf. Zudem wurde an rund 6.000 Familien von entwaffneten Contras und Soldaten über 10.000 Hektar verteilt, die Übergabe von 14.000 Hektar steht noch bevor. Die Abholzung, da sind sich Experten einig, wird künftig noch rascher voranschreiten. Denn für einen Kubikmeter Holz (Zeder oder Caoba) erhält man in den Sägewerken an der Pazifikküste etwa 8.000 Cordobas. Rechnet man etwa 40 Prozent für das Abholzen und den Transport ab, so bleiben immerhin noch 4.500 Cordobas als Gewinn – ein verlockendes Geschäft in einem Land, in dem der Mindeslohn für einen Landarbeiter 5,75 Cordobas beträgt.

Der Spiegel des Todes

(Managua, April 1993, Apia-POONAL).- Der frühere Vizepräsident und Schriftsteller Sergie Ramirez, heute Vorsitzender der FSLN- Fraktion im Parlament, hat in der pro-sandinistischen Wochenzeitschrift „El Semanario“ anläßlich des Ausstrocknens des Nejapa-Sees eine Kolumne über die drohende Öko-Katastrophe in Nicaragua veröffentlicht: „Der Spiegel am Grunde des Kraters ist ausgelöscht. Auf der trockenen, zerspalteten Oberfläche, die wie ein riesiges Spinnennetz aussieht, drehen Aasgeier mit ihren Schnäbeln die Panzer der leblosen Schildkröten um. Trostlosigkeit und langsames Sterben auf den meuen Ödland, wo früher tiefgrünes Wasser unter der Sonne glänzte. Balsd wird sich auch der letzte Schlamm, der noch verblieben ist, in Staubwirbel auflösen. Die Lagune von Nejapa ist gestorben, und es hat den Anschein, als würden wir uns dessen gar nicht bewußt werden oder als würde uns das wenig betreffen. Vor Monaten sah ich eine Fotografie, die mich mit demselben Alptraum erfüllte: Ein bis über die Ohren in Staubbwolken gehüllter Ochsenhirte zieht sein Gespann durch das Flußbett des Telica-Flusses, als wäre es ein gewöhnlicher Weg. Der Fluß wird nicht mehr zurückkehren. Gemäß Heraklit kehrt das Wasser eines Flusses nie an denselben Ort zurück. In Nicaragua hat das Wasser bereits aufgehört zu fließen. Am Rio San Juan fließen tausende von aneinandergeketteten Stämmen über den Rio Frío nach Costa Rica, während im Urwald nur mehr die Baumstümpfe zurückbleiben, riesige Felder von abgeholzten Bäumen, wo früher das Leben pulsierte. Nackte rötliche Hügel und versengte Steppen – das ist es, was von unserer Landschaft übrigbleibt. Die Seen werden zu Spinnennetzen, die Flüsse zu Wegen. Das wird zu Staub, die Wälder zu Ödland. Werden wir weiter mit verschränkten Armen zusehen?“

Aktiengesellschaften: Neue Form der Selbstverwaltung

(Managua, April 1993, Apia-POONAL).- Die Vereinigung der Landarbeiter*innen (ATC) ist mit rund 40 000 Mitgliedern die stärkste LandarbeiterInnengewerkschaft Nicaraguas. Sie ist auch die treibende Kraft einer Wirtschaftsreform auf dem Land, sie setzt sich für die Einführung arbeitereigener Betriebe (APT), einer neuen Form von Arbeiterselbstverwaltung, ein. Die sandinistische ATC wurde 1978 gegründet, ein Drittel der rund 40 000 Mitglieder arbeiten in der Region Jinotega und Matagalpa im Norden des Landes. Der Organisationsgrad ist ungewöhnlich hoch, rund 95 Prozent der Arbeiter*innen auf Bananenplantagen sind in der ATC organisiert, von den Beschäftigten in der Kaffeproduktion sind es immerhin noch 70 Prozent.

Arbeiter übernehmen Aktien von Betrieben und Ackerflächen

Im August 1991 beschloß die Regierung, die von den Sandinisten in den achtziger Jahren verstaatlichten Betriebe und Ländereien zu reprivatisieren. Rund 25 Prozent der zu privatisierenden Unternehmen und Flächen sollten als Aktiengesellschaften in den Besitz von Arbeiter*innen übergehen. Derzeit sind rund 105 750 Hektar Agrarfläche sowie 14 Industriebetriebe und 5 Dienstleistungsunternehmen ganz oder teilweise im Besitz von Arbeitern. Rund 18 437 Arbeiter*innen besitzen Anteile an 41 Aktiengesellschaften. Die ATC ist die wichtigste Kraft, die sich für diese neue Betriebsform einsetzt. Die Gewerkschaft gilt als die politische Vertretung der arbeitereigenen Betriebe. Nahezu alle ArbeiterInnenin leiten den Positionen in den neuen Agrar- und Industriebetrieben sowie der ATC-eigenen Kaffeevertriebsfirma AGROCAFE sind Mitglieder der ATC. Die organisatorischen Strukturen des APT-Sektors sind noch nicht genau festgelegt. Jeder APT-Betrieb hat Verwaltungskomitees gegründet, die die Unternehmen leiten. Derzeit wird eine landesweite Aktionärsversammlung vorbereitet, die die Statuten und wichtige Regeln festlegen soll. Noch ist beispielsweise nicht fixiert, wer wie viele Aktien erwerben darf und wie die Gewinnausschüttung geregelt werden soll.

Neue Form der Selbstverwaltung

Bislang gilt, daß eine Person mindestens fünf, maximal jedoch zehn Aktien besitzen kann. Nur wenn die Mehrheit der Aktionäre zustimmt, darf eine Aktie auch an betriebsfremde Personen verkauft werden. Die ATC betreibt ein umfangreiches Sozial- und Bildungsprogramm: Sie führt Schulungen in gewerkschaftlicher Arbeit durch, hält Seminare über Betriebsführung, Kindergärten und Frauenkliniken ab und gewährt Arbeiter*innen, die Anteile an ihren Betrieben übernehmen wollen, finanzielle Unterstützung. In der Zeit der sandinistischen Regierung richtete die ATC rund 70 Kindertagesstätten im staatlichen Kaffeesektor ein. Unter der Chamorro-Regierung wurden fast alle wieder geschlossen. Gegenwärtig sind 20 Kindertagesstätten noch – beziehungsweise wieder – in Betrieb, sie befinden sich sämtlichst in selbstverwalteten Betrieben. In Jinotega, Matagalpa Chinandega und Estelí unterhält die ATC zudem vier Frauenkliniken.

Selbstverwaltete Betriebe exportieren Nica-Kaffee mit Preisaufschlag

Im vormals teilweise verstaatlichten Kaffeesektor gibt es heute 38 arbeitereigene Betriebe. Sie besitzen rund 41 Prozent der 50 841 Hektar, die seit dem Machtzwechsel vor drei Jahren privatisiert wurden. Diese APT werden in diesem Jahr rund 7 Prozent der nationalen Kaffeeproduktion erzeugen. Der Vertrieb erfolgt über die ATC-eigene Vertriebsfirma AGROCAFE. Sie beliefert eine österreichische, eine italienische und zwei deutsche alternative Handelsorganisationen mit nicaraguanischem Kaffee. Die ATC und die UNAG, ein Verband von kleinen und mittelgroßen Bauern, erhalten je die Hälffte des Mehrpreises, den diese Organisationen zahlen: Während der Weltmarktpreis 1992 zwischen 50 und 70 Dollar pro 46 Kilo Rohkaffee betrug, zahlten die alternativen Handelspartner 132 Dollar. Der Aufpreis ermöglicht es den APT-Betrieben, Kredite für Gebäude, Saatgut und Agrargeräte abzubezahlen (das Land selbst wurde ihnen im Rahmen der Privatisierung geschenkt). Die Rückzahlung wird vvom zweiten Erntejahr an fällig, die Laufzeit beträgt zehn Jahre, die Zinsen liegen bei 7 Prozent (statt der marktüblichen 18 Prozent).

Regierung betrachtet neue Betriebsform mit Argwohn

Der gesamte APT-Kaffeesektor erzielte 1992 Einnahmen in der Höhe von 18,6 Millionen Cordobas, die Ausgaben betrugen rund 24,7 Millionen Cordobas. Nach Einschätzung der Betriebe kein schlechtes Ergebnis, da alte Schulden übenommen werden mußten, der Weltmarktpreis für Kaffee sehr niedrig war und die APT im ersten Jahr große Investitionen vornahmen. Die Regierung hat im Reprivatisierungsabkommen den APT-Betrieben Garantien zugesichert, sie betrachtet deren Entwicklung jedoch mit Argwohn. „Die Regierung steht in den Startlöchern und wartet darauf, daß die Solidarität unter den Leuten zerbricht“, sagt Eddy López, Mitglied des Nationalkongresses der ATC.

GUATEMALA

Intellektuellengipfel im Land der Exilkultur

(Guatemala, 27. April 1993, NG-POONAL).- Am 26. April wurde in der Stadt Antigua Guatemala der „Gipfel des iberoamerikanischen Denkens: Vision 2000“ eröffnet, an dem Schriftsteller*innen, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen sowie Abgesandte internationaler Organisationen teilnahmen. Das Ereignis wurde von der Bevölkerung gleichgültig aufgenommen. Guatemaltekische Intellektuelle kritisierten den Gipfel: Die Regierung verfolge mit dem Treffen lediglich die Absicht, ihr angekraztes Bild im Ausland wieder aufzupolieren. Die Kritiker beklagen die Zerstörung mehrerer historischer Gebäude durch die Regierung. Diese Gebäude waren von den Vereinten Nationen, die durch die UNESCO selbst zu den Förderern des Kulturgutes gehören, als kulturelles Erbe der Menschheit bezeichnet.

Kongress ohne Guatemaltek*innen

Eine weitere Ursache für die ablehnende Haltung ist die geringe Beteiligung guatemaltekischer Autor*innen. Die Organisator*innen des Gipfels, unter anderem die Regierung, hatten ihnen keine Möglichkeit gegeben, sich an dem Gipfel zu beteiligen. Zudem wurden nur geringe Anstrengungen geleistet, die Teilnahme von guatemaltekischen Exil-Schriftsteller*innen zu erreichen. Unter den ca. 100 Teilnehmern befanden sich der ehemalige Präsident von Mexiko, Miguel de la Madrid, der ehemalige nicaraguanische Vizepräsident und Schriftsteller Sergio Ramírez Mercado und der ehemalige Präsident Ecuadors, Rodrigo Borja. Ungewöhnlich war die Teilnahme einer zahlenmäßig starken Delegation aus Kuba, da Guatemala keine diplomatischen Beziehungen mit Havanna unterhält.

Carlos Fuentes aus Protest nicht erschienen

Es fehlten jedoch die guatemaltekische Indígenaführerin Rigoberta Menchú Tum, Friedensnobelpreisträgerin von 1992, die mexikanischen Schriftsteller Carlos Fuentes und Octavio Paz, Literaturnobelpreisträger von 1991, und der Peruaner Mario Vargas Llosa. Fuentes reiste Presseberichten zufolge nicht nach Guatemala, weil er nicht mit der Menschenrechtspolitik der guatemaltekischen Regierung einverstanden ist. Octavio Paz sagte das Treffen mit der überraschenden Begründung ab, es sei „pro-kommunistisch“. Rigoberta Menchú befindet sich momentan in den Vereinigten Staaten und versucht, Unterstützung für die Friedensverhandlungen zu erhalten. Der Architekt José María Magaña erklärte, das Treffen sei für eine Elite des Auslandes entworfen worden und bezweifelte positive Auswirkungen für die guatemaltekische Bevölkerung. Er stellte fest, daß kaum Bücher guatemaltekischer Autor*innen in einer Ausstellung in der antiken San-Carlos-Universität vertreten seien.

Serrano: Intellektuelle und Politiker sollen zusammenarbeiten

In seiner Eröffnungsrede sagte der guatemaltekische Präsident Jorge Serrano Elías, die Intellektuellen müßten mithelfen, die Probleme der 500 Millionen Lateinamerikaner*innen zu lösen. Daraufhin forderte er eine engere Zusammenarbeit von Inteligenz und Politik. Der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Joao Baena Suárez, sagte, daß in Iberoamerika das gegenseitige Verständnis die Voraussetzung für Frieden, Solidarität und Entwicklung sei. Er trat für eine Neuordnung der weltweiten Beziehungen und eine Korrektur der Ungleichgewichte ein. Man darf gespannt sein, ob die angereisten Intellektuellen den Mut aufbringen werden, die Situation ihrer guatemaltekischen Kolleg*innen zu erwähnen, die in Guatemala kaum eine Chance haben, zu veröffentlichen, und die bei kritischen Äußerungen mit Verfolgung und Anschlägen rechnen müssen.

Soziale Gruppen fordern Beteiligung an Friedensverhandlung

(Guatemala, 26. April 1993, Cerigua-POONAL).- An der jüngsten Verhandlungsrunde zwischen der Armee, der Regierung und der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG), die am vergangenen 18. April endete, nahmen Vertreter*innen der zivilen, sozialen Organisationen der guatemaltekischen Gesellschaft teil. Sie forderten ihre Beteiligung an der politischen Lösung des bewaffneten Konfliktes. Auf die neue Phase im Friedensprozeß werden große Hoffnungen gestzt. Schon 1990 wurde in Oslo, Norwegen, ein Grundlagenabkommen unterzeichnet, das die Beteiligung der sozialen Sektoren und der internationalen Gemeinschaft an den Verhandlungen vorschrieb. Heute, drei Jahre später, weigert sich die Regierung Jorge Serranos jedoch weiterhin, die zivilen Sektoren und die UNO an den Friedensverhandlungen zu beteiligen.

Regierung lehnte Kompromiß ab

Die Gründe der Regierung für ihre harte Position sind vielfältig. So will die Regierung primär einen bedingungslosen Waffenstillstand mit der URNG erreichen, ohne weitergehende Verpflichtungen einzugehen. Der Kompromißvorschlag, der am 26. März erreicht worden war, wurde von der Regierung nicht unterzeichnet. Dieser Kompromiß hätte die Beteiligung der zivilen Sektoren ermöglicht. Während der Friedensdialog stockt, nehmen Terror und Gewalt in Guatemala zu. Listen mit Todesdrohungen, unter anderem gegen sieben Journalist*innen und elf Gewerkschafts- führer*innen, sind aufgetaucht. Für den fünften Mai ist eine neue Verhandlungsrunde angesetzt. Die Aussichten auf Erfolg dieser neuen Runde bleibt zweifelhaft, da die Regierung und die Armee offensichtlich nicht von ihrer kompromißlosen Haltung am Verhandlungstisch abweichen will. Die Regierung fürchtet offensichtlich die Konsequenzen, die ein Menschenrechtsabkommen und die Teilnahme der zivilen, sozialen Organisationen an den Verhandlungen hätte. Ein Menschenrechtsabkommen hätte zum Beispiel einen Besuch der Menschenrechtskommision der OAS in den vvon der Armee bombadierten Zonen zur Folge. Auch müßte dann die Rückkehr der mehr als 50 000 Flüchtlinge aus Mexiko endgültig geregelt werden. Die Armee, auf der anderen Seite, bangt vor der Einführung einer „Wahrheitskommision“, die – wie in El Salvador geschehen – die Menschenrechtsverletzungen untersuchen und die Verantwortlichen bestrafen würde.

KUBA

Regierung befürchtet schlechte Ernte

(Havanna, 21. April 1993, PL-POONAL).- Extreme Regengüsse gefolgt von einer langen Trockenperiode, ein Wirbelsturm mit orkanartigen Winden von über 170 Stundenkilometern und ungewöhnliche Temperaturschwankungen werden in Kuba zu einer schlechten Ernte in diesem Jahr führen. Beamte des Landwirtschaftsministeriums versicherten zwar, an dem Ziel, 14 Millionen Doppelzentner Lebensmittel zu ernten, werde festgehalten. Sie räumten jedoch gleichzeitig ein, daß die Ernte bislang „nicht so war, wie wir erwartet haben.“ In den ersten vier Monaten dieses Jahres seien zwei Millionen Doppelzentner weniger geerntet worden als erwartet wurde. Es fehlen rund 600.000 Doppelzentner Bananen, 150.000 Doppelzentner Tomaten und 100.000 Doppelzentner Kartoffeln. Der Minister der Zuckerindustrie, Juan Herrera, sagte vor einer Woche Schwierigkeiten in der Zuckerproduktion voraus, dem wichtigsten Exportprodukt des Landes. Er führte die ungünstige Witterung und Brennstoffengpässe als Ursache für die Probleme an und gab bekannt, daß die Zuckkerrohrernte sich bis Mai hinauszögern werde.

Extreme Witterung und Brennstoffknappheit

Die schlechte Ernte trifft Kuba hart. Sie verschärft die wirtschaftliche Krise, in der sich das Land nach dem Zusammenbruch der osteuropäischen, ehemals sozialistischen Verbündeten und nach der Verschärftung des Handelsembargos durch die USA befindet. „Das kubanische Volk muß Kräfte finden, um dem Druck der USA zu widerstehen und das Vertrauen in die Zukunft zu bewahren,“ sagte der bekannte nordamerikanische Pastor Lucius Walker. Bei einem Besuch auf der Insel an der Spitze einer religiösen Delegation der Vereinigten Staaten, meinte Walker: „Wenn Kuba fällt, wird die ganze Welt viel gefährlicher.“ Tatsächlich scheint die Mobilisierungsfähigkeit der Bevölkerung sehr groß zu sein. Ende vergangener Woche meldeten sich mehr als eine halbe Million Jugendlicher, um an landwirtschaftlichen Pflanzungen und an einer Hygiene-Kamapagne in den Städten teilzunehmen. In der Provinz von Havanna südlich der Hauptstadt, die als „Getreidekammer“ Kubas bezeichnet wird, arbeiten zehntausende Arbeiter*innen der Hauptstadt, um die Versorgung zu sichern. Am vergangenen Samstag und Sonntag wurde im ganzen Land eine militärische Übung durchgeführt, um „einen möglichen Angriff abzuwehren“, so das Ministerium der revolutionären Streitkräfte. Das Manöver „Giron '93“, das an den Sieg über die US-Invasoren in der Schweinebucht vor 32 Jahren erinnern soll, war vor allem der Überwachung und dem Schutz der wirtschafltichen Zentren gewidmet.

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