Neun Jahre Haft für drei tote Kaninchen? Absurdes Vorgehen gegen zapotekischen Bauern und Kommunalpolitiker

Von Gerd Goertz, Mexiko-Stadt

(Mexiko-Stadt, 30. August 2016, npl).- Heliodoro Morales Mendoza, Bauer und Lokalpolitiker im Landkreis Tlacolula de Matamoros im Bundesstaat Oaxaca, ist beileibe kein Unschuldslamm. Als gescheiterter Bürgermeisterkandidat und als Gemeinderat in Tlacolula für den Bereich öffentliche Sicherheit zuständig, hat er oft mit harten politischen Bandagen gekämpft. Ebenso soll er im Besitz einer Waffe gewesen sein, deren Nutzung ausschließlich dem mexikanischen Militär vorbehalten ist – eindeutig illegal und gleichzeitig ein Fall von wohl Zehntausenden in Mexiko. Wie allerdings die Justiz mit ihm umgeht, bezeichnet weniger ihn, sondern die mexikanische Rechtspraxis.

98 Prozent der Verbrechen bleiben straffrei – es sei denn es geht um Kaninchen

Nach wie vor enden etwa 98 Prozent der in Mexiko begangenen Verbrechen straffrei. Angesichts von über 6.500 Morden allein in den ersten vier Monaten 2016 ein schwerwiegendes Problem. Dass die Justiz aber in der Lage ist, auch unbarmherzig und prinzipienfest zuzuschlagen, zeigt der Anfang August von der Tageszeitung El Universal und anderen Medien beschriebene Fall des am 30. Januar 2016 von Bundespolizisten festgenommenen Morales Mendoza.

Ihm drohen bis zu neun Jahre Haft. Laut Medienberichten nicht in erster Linie wegen des unerlaubten Waffenbesitzes, sondern wegen eines anderen Vergehens. Der Hauptanklage nach hat Morales Mendoza, der zur Ethnie der Zapotek*innen gehört, 2012 auf einem Feld in Gemeindebesitz drei Kaninchen getötet. Ein „Verbrechen“, das er abstreitet. Der juristische Hebel für die Anschuldigung: Das Gemeindeareal überlappt sich mit dem Naturschutzgebiet Yagul, in dem die Jagd verboten ist. Die nationale Naturschutzbehörde Conanp erhob 2013 Anklage und gut drei Jahre später erfolgte die erwähnte Verhaftung. Seitdem sitzt Morales Mendoza während des laufenden Verfahrens im Gefängnis.

Keine Haftverschonung – Identität als Zapotheke soll Gutachten bestätigen

Das mexikanische Strafgesetzbuch sieht laut Paragraph 420 für illegale „Jagdaktivitäten… mit nicht erlaubtem Mittel“ in bestimmten Fällen Haftstrafen von einem bis zu neun Jahren oder empfindliche Geldstrafen vor. Die Staatsanwaltschaft in Oaxaca sah durch den Tod der drei Kaninchen die im Gesetzesparagraphen erwähnte biologische Nachhaltigkeit offenbar als so gefährdet und gestört an, dass sie laut Zeitungsbericht gleich die Höchststrafe beantragte. Dass in Yagul in erster Linie nicht Fauna und Flora, sondern archäologische Stätten geschützt werden sollen, sei nur am Rande bemerkt.

Jüngste Strafrechtsreformen und die Tatsache, dass das Morales vorgeworfene Vergehen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer indigenen Gemeinschaft anders bewertet werden könnte, stimmten den zuständigen Richter bisher nicht um. Um Haftverschonung zu gewähren, forderte er den Veröffentlichungen nach ein anthropologisches Gutachten, welches die Identität von Morales Mendoza als Zapoteke bestätigt. Zusätzlich verlangte er die – teure – Stellungnahme eines Sachverständigen, dass von Heliodoro Morales keine Gefahr für die Gesellschaft ausgehe.

Ungleiches Maß beim Naturschutz – zu Ungunsten indigener Gepflogenheiten

Der Fall mag absurd erscheinen, steht jedoch nicht alleine da. Immer wieder gibt es in der mexikanischen Presse Berichte, dass vor allem indigene Kleinbauern aufgrund von Delikten wie „illegaler Jagd“ oder „illegalem Holzschlag“ verhaftet oder mit Geldstrafen belegt werden, die sie nur schwerlich aufbringen können. Oft gehen sie dabei Jahrhunderte alten Gepflogenheiten auf ihren eigenen Territorien nach, die erst in den vergangenen Jahrzehnten teilweise zu Naturschutzgebieten erklärt wurden und seitdem strengen Nutzungsbeschränkungen unterliegen. Gleichzeitig werden von der Regierung aber Bergbaukonzessionen in Naturschutzgebieten erteilt und groß angelegte illegale Holzschläge von externen Akteuren nicht oder nur äußerst nachlässig verfolgt.

Selbst wenn der Fall Morales Mendoza wegen des Waffenbesitzes und seiner politischen Aktivitäten etwas anders gelagert ist, so wirft er doch ein weiteres Licht auf diese Widersprüche und auf eine fragwürdige Rechtsinterpretation. Und was die nicht kaninchenbezogene Verbrechensbekämpfung angeht: Von den beispielsweise am 30. Juli in Mexiko registrierten 54 Morden wird die mexikanische Justiz statistisch gesehen mindestens einen aufklären.

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