Mut und Widerstand der Zivilgesellschaft

von Lydia Cacho

(Mexiko-Stadt, 27. August 2012, cimac).- Sollten wir Felipe Calderón irgendetwas zu verdanken haben, dann die Tatsache, dass er uns mit beachtlicher Ausdauer gezeigt hat, dass alle, die ihre Überzeugungen in den Dienst der Macht stellen, diese auf fatalste Weise verlieren werden.

 

Sicherheit und Gerechtigkeit in ihrer schwersten Krise

Gewiss ist Calderón nicht allein dafür verantwortlich, dass die Sicherheit und Gerechtigkeit Mexikos sich in einer der schwersten Krisen der modernen Geschichte des Landes befindet. An seiner Seite stehen Politiker*innen und Beamte des öffentlichen Dienstes, die uns zwölf Jahre lang aus dem Chaos befreien konnten, das die Partei der Institutionellen Revolution PRI (Partido Revolucionario Institucional) hinterlassen hatte. Entscheidend war, dass sie nicht den Krieg, sondern das neue Rechtssystem verteidigten und sich damit den Konventionen und Strategien der Machthabenden widersetzten, die vom Vorgehen der Ministerien ablenken sollten. Es war ihre Pflicht, eine moralische Haltung anzunehmen und die schändlichen Löhne abzuschaffen, die die Wirtschaft bis auf die Knochen geschwächt hatten.

Die Wirtschaftsexpert*innen allerdings, die von ihren Schreibtischen aus nur Zahlen sehen (und die Marktwirtschaft als Laborexperiment betrachten, in dem die Gesellschaft aus Ratten besteht, die von einem Käfig in den anderen gedrängt werden), machen sich über die Forderung lustig, die Löhne und luxuriösen Leistungen an hohe Beamte des öffentlichen Dienstes zu senken, da dies die nationale Wirtschaft auch nicht ändern würde. Gewiss tut es das auch nicht, jedoch ist es für diejenigen, die die Verantwortung im Kampf gegen Armut und soziale Ungleichheit tragen, von ethischem Zwang ein Lohngleichgewicht zu schaffen. Es hat sich schon lange als falsch erwiesen, dass Beamte, die mehr verdienen, nicht bestechlich seien. Die Korrupten sind nicht korrupt, weil sie arm sind, sondern ungerecht.

Demokratischer Rückschritt nach misslungenem Machtwechsel

Wer einen charismatischen Präsidenten erwartet, der die soziale Gerechtigkeit und Gleichheit fördert, um das Land zu retten, hat sich getäuscht. Was wir vor uns haben, ist eine frevelhafte neoliberale Bande und deren wiederverwertete, schmachvolle Politiker*innen, angeführt von Enrique Peña Nieto.

Die Frage, die wir schnellstens beantworten müssen, ist, was wir mit jenen tun, die ihre Rückkehr zur Macht erkauft haben. Sollen wir mit dem messanischen politischen Widerstand spielen oder den überparteilichen zivilen Widerstand stärken?

Der soziale Einsatz war tatsächlich erfolgreich. Milliionen empörte Menschen kämpften nach ihren Möglichkeiten und Überzeugungen dafür, dass die Wahlbehörden zumindest ihre Unfähigkeit eingestanden, wirkliche Schiedsrichter im Hinblick auf die Wahlbestechung zu sein.

Wir wissen sehr wohl, dass wir es hier mit einem schweren demokratischen Rückschritt zu tun haben. Nun müssen wir entscheiden, wie wir vorgehen wollen, damit so etwas nicht wieder passiert. Der Verdienst der Studentenbewegung #YoSoy132 bei der Forderung nach dem Recht der Jugend auf zivilen Protest, sollte dabei nicht unterschätzt werden.

Stärkung der Nichtregierungsorganisationen

Unser Recht wahrzunehmen, Widerstand zu leisten und aus vielen Gründen und von verschiedenen Bereichen aus die Zivilgesellschaft neu zu gestalten, ist das einzige, was uns aus dem Chaos befreien kann, das seit dem misslungenen demokratischen Wechsel in Mexiko herrscht. Ja, lasst uns mit lauter Stimme rebellieren, trotz der Konsequenzen die Wahrheit sagen und mit allen Mitteln die veralteten und korrupten Institutionen in Frage stellen!

Es ist an der Zeit die Verbindungen zwischen den Nichtregierungsorganisationen, der wahren Stütze des sozialen Netzes, zu stärken: zwischen den Umweltaktivist*innen, Tierschützer*innen und denen, die sich für den Schutz von Migrant*innen oder verlassenen und misshandelten Kindern und Jugendlichen einsetzen, oder das Recht der Frauen auf Gleichbehandlung und gegen Gewalt verteidigen. Zwischen jenen, die uns dazu auffordern, für die Rechte und Sprachen der Indígenas einzutreten, gegen Diskriminierung vorgehen oder sich für ein neues Bildungssystem und eine psycho-emotionale Erziehungslehre einsetzen, um unsere Kinder vor der normalisierten Gewalt zu schützen. Und schliesslich auch zu den Verfechter*innen eines neuen Rechtssystems.

Keine der Organisationen hält sich zurück. Gemeinsam mit jenen, die das freie Radio verteidigen und die Medienmonopole stürzen wollen oder die den Journalist*innen zeigen, wie man sich Risiken und Bedrohungen stellt, um weiterhin arbeiten zu können, sind sie niemals von ihrem Weg abgekommen oder haben den Mut verloren.

Zivilgesellschaft gibt nicht auf

Die Zivilgesellschaft hat nicht aufgegeben; trotz Vicente Fox und seinen Dummheiten, Felipe Calderón und seinen Massakern, der Schwächung des Rechtssystems und der Partei der demokratischen Revolution PRD (Partido de la Revolución Democrática), die über so manche Provinzen Unglück gebracht hat.

Wir werden vorwärts kommen, trotz des Bündnisses aus PRI und der Grünen Partei, samt deren schlechtesten Vertreter*innen. Dieses Land braucht mehr als je zuvor wahre Friedensstrategien (und Frieden ist nur möglich durch Bildung, Umweltrechte, Gleichheit, körperliche und seelische Gesundheit, Kunst und Kultur, Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit).

Den Frieden werden wir natürlich weder in den Mandaten, noch dem Fernseh-Duopol [aus Televisa und TV Azteca] finden. Diese feiern bereits ihren Rückkehr an die Macht. Wir dagegen sollten feiern, dass diese Macht nur sechs Jahre andauern wird, wir aber bereits Jahrzehnte hinter uns haben und Widerstandskraft besitzen, Menschen mobilisieren können, zu Rebellionen fähig sind und viele Ideen für einen guten Weg nach vorne haben.

Anmerkung:

* Plan b ist eine Kolumne, die montags und donnerstags in CIMAC, El Universal und verschiedenen Tageszeitungen Mexikos veröffentlicht wird. Ihren Name verdankt sie dem Glauben daran, dass es immer auch eine andere Art und Weise gibt, die Dinge zu betrachten und viele Themen existieren, die sehr wahrscheinlich vom traditionellen Diskurs, dem Plan A, unbeachtet bleiben.

 

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