Meinungsfreiheit oder Straffreiheit?

von Néstor Busso

(Quito, 28. August 2008, alai-poonal).- Wir werden in diesen Tagen Zeugen eines Angriffs auf die staatliche Rundfunk-Regulierungsbehörde von Seiten jener Medienkonzerne, die einen großen Teil der argentinischen Kommunikationsmedien kontrollieren. Das ist nicht neu. Ähnliches geschieht auch in anderen Ländern Lateinamerikas. Die Interessenverbände versuchen, uns einen Diskurs aufzuzwingen, der einzig auf ihre Interessen ausgerichtet ist.

Wenn ihnen von staatlicher Seite eine Grenze gesetzt wird, sprechen sie von Zensur und Anschlägen auf die Pressefreiheit. Eine der Unternehmensgruppen, die in den letzten Jahren auf dem ganzen Kontinent am meisten expandieren konnte, ist das spanische Medienkonsortium PRISA. Dieser Konzern stellt sich jetzt als Opfer staatlicher Verfolgung dar, weil einem seiner Anträge nicht stattgegeben wurde, der die Verletzung von Gesetzen zur Folge gehabt hätte.

Aber, alles der Reihe nach: Wer ist die Gruppe PRISA? Wie ist sie entstanden? Was 1958 in Spanien mit der Gründung des Verlages Santillana begann, erzielte zwischen Januar und Juni des Jahres 2008 Betriebseinnahmen von mehr als 2 Mrd. Euro. PRISA verlegt die Madrider Tageszeitung El País, die spanische Wirtschaftszeitung Cinco Días, die Sportzeitung As sowie 20 weitere lokale Tageszeitungen. PRISA betreibt die Senderkette Cadena Ser (Radio), den Musiksender 40 Principales (Radio) und, mittels Unión Radio, das größte Netz spanischsprachiger Sender in den USA, Mexiko, Kolumbien, Costa Rica, Panama, Argentinien und Chile.

PRISA kontrolliert mehr als 1.000 Radiosender, darunter fallen sowohl solche, an denen lediglich Beteiligungen gehalten werden, als auch eigene Sendestationen. In Argentinien kaufte das Konsortium den Sender AM Radio Continental (der Kaufpreis wird auf 12 Mio. Dollar geschätzt), einen der größten Sender von Buenos Aires, der durch unzählige Stationen im ganzen Land weiterverbreitet wird, viele von ihnen haben dafür keine Lizenz. Durch die Verlage Alfaguara, Aguilar, Taurus und noch andere, hat PRISA ebenfalls eine enorme Kontrolle über den lateinamerikanischen Buchmarkt. Außerdem produziert der Verlag Santillana fast alle Schultexte, die in den lateinamerikanischen Schulen verwendet werden.

Andere wichtige Medien, die zum Medienkonzern PRISA gehören, sind beispielsweise in Bolivien: La Razón, die auflagenstärkste Tageszeitung Boliviens; El Nuevo Día, die zweitstärkste Tageszeitung der Stadt Santa Cruz de la Sierra und die Tageszeitung Extra; weiterhin das nationale Netz des bolivianischen Fernsehsenders ATB sowie ein Internetportal. Das Netz von Radio Caracol de Colombia (Kolumbien) operiert mittels der Grupo Latina de Radiodifusión in Bolivien, Panama, Costa Rica, den USA, Frankreich und Mexiko.

Die das Radio betreffenden Pläne von PRISA zielen auf die Expansion in ganz Lateinamerika ab und – über die neue Firma Unión Radio – auf die spanischsprachige Welt in den USA. Heute schon kontrolliert PRISA 50% des mexikanischen Medienkonzerns Televisa, dem weltweit größten Anbieter spanischsprachiger Medien. PRISA, das Monster der Telekommunikation, hat sich vorgenommen, die spanischsprachige Rundfunkwelt zu dominieren. Man muss sich also fragen, wer die Hintermänner dieser Gruppe sind.

Der Kauf der Sender Continental und 105.5 FM HIT in Argentinien wurde mit einem Trick eingefädelt: Käufer ist die spanische Aktiengesellschaft CARSA (zu etwa 30%) gemeinsam mit GLR SERVICES INC (zu etwa 70%), die in Delaware, USA, ihren Sitz hat. So nutzten sie das wechselseitige Investitionsabkommen (Tratado de Reciprocidad de Inversiones) mit den USA aus der Regierungszeit von Carlos Menem. Danach wird US-amerikanisches Kapital genauso wie lokales behandelt. Die Gruppe besitzt 16 Lizenzen im Land und ihre Sendungen werden illegal durch viele Stationen im ganzen Land weiterverbreitet.

Was beabsichtigt PRISA? Die Gruppe PRISA kaufte mit AM 590 eine der sendestärksten argentinischen Funkstationen. Von diesem Sender aus baute sie eine Kette von Verstärkern im ganzen Land auf. PRISA besitzt auch FM HIT (Las 40 Principales) auf 105,5 Mhz in Buenos Aires und weitere 16 Lizenzen in den größten Städten des Landes.

Im März dieses Jahres präsentierte PRISA der staatlichen Regulierungsbehörde, der Föderalen Hörfunkkommission COMFOR (Comité Federal de Radiodifusión) einen Antrag. So will PRISA die Berechtigung für die Ausstrahlung von Inhalten des Senders Radio Continental (AM 590) durch den Sender FM Nostalgie auf der Frequenz 104,3. Der Antrag wurde jedoch zu einem Zeitpunkt gestellt, als diese Inhalte bereits längst durch FM Nostalgie gesendet wurden und außerdem eine Übereinkunft darüber bestand, 30% der Werbeeinnahmen für die Verbreitung des Programmes auf dieser Frequenz an FM Nostagie abzutreten.

Obendrein gilt, dass die Frequenz 104,3 in einer Ausschreibung, auf die sich ebenfalls PRISA beworben hatte, zunächst der Aktiengesellschaft der Gruppe Cuatro Cabezas (im Besitz von Mario Pergollini) zugewiesen wurde. Die Gewinner der Ausschreibung um die Frequenz versprachen und realisierten zunächst ein anspruchsvolles Kulturprogramm, verkauften jedoch im Jahr 2007 den Sender an PRISA, denen seither auch die Programmgestaltung obliegt.

Bleibt anzumerken, dass Continental auch eine Lizenz für die Frequenz FM 105,5 Mhz besitzt und nicht vorgeschlagen wurde, diese für die Ziele zur nutzen, die der Gruppe so wichtig sind. Stattdessen übertragen sie das Programm von Continental auf eine andere FM-Frequenz, um dadurch die Werbeeinnahmen zu erhöhen.

Was tat der Staat? Ganz einfach. COMFER bearbeitete den Antrag bezüglich FM Nostalgie und Continental und lehnte ihn, wegen einer klaren Verletzung der Gesetze, ab. Das gültige Recht verbietet das Transferieren von Programmen ohne vorherige staatliche Erlaubnis, den Besitz von zwei Rundfunkstationen in der gleichen Zone, eine Änderung des Programms und die Übertragung der Nutzung. Ein weiteres Argument ist auch die vom Staat zu gewährleistende Pluralität. Aufgrund dessen ist es nicht hinnehmbar, dass dieselben Inhalte von mehreren Radiostationen in der gleichen Region ausgestrahlt werden. Es gibt also mehr als genug Gründe für eine Ablehnung des Antrags.

Radio Continental und deren Star-Journalist*innen, gefolgt von den Verteidiger*innen der Unternehmensfreiheit, waren sofort dabei, dies als Zensur anzuprangern. Auch „Reporter ohne Grenzen“ stimmte in das Wehklagen mit ein. Ihrer Ansicht nach ist die Antwort von COMFER auf den Antrag von Continental eine Retourkutsche für die Position dieses Senders zugunsten der Landpatrone im jüngsten Konflikt um die flexiblen Steuersätze beim Getreideexport. Sie erscheinen als Opfer, obwohl der Straffreiheit – mit der sie zu agieren gewohnt sind – einfach nur Grenzen gesetzt wurden.

Natürlich ist es unverzichtbar, Grenzen für die Eigentumskonzentration im Medienbereich zu setzen, um die Meinungsfreiheit und das Recht auf Information für alle Menschen garantieren zu können. Es ist notwendig, die Pluralität und Diversität der Stimmen sicher zu stellen. Deshalb muss verhindern werden, dass einige Wenige dank ihrer wirtschaftlichen Vormachtstellung die Verbreitung von Informationen kontrollieren. Die Entscheidung von COMFER ist ein Schritt in diese Richtung und sollte deshalb unterstützt zu werden.

Ebenso wichtig ist es, klarzustellen, dass, solange wir nicht über ein Gesetz zu Radio und Fernsehen oder den Kommunikationsdiensten verfügen, welches aus einer demokratischen Debatte entstanden ist, es schwierig ist, die Rechte der Kommunikation zu wahren. Unserer Ansicht nach ist es unabdingbar, neue Regelungen zu diskutieren und zu beschließen, die im Einklang stehen mit einem Land, in dem die Demokratie gestärkt werden muss, durch Partizipation und Einbindung sowie einer gerechteren Verteilung. Auf diese Weise könnte ein Gremium mit der nötigen Glaubwürdigkeit und Autorität geschaffen werden, um die Kommunikationsmedien zu demokratisieren.

Anmerkung der Redaktion: Der Autor ist Vizepräsident des Lateinamerikanischen Verbandes für Rundfunkerziehung ALER (Asociación Latinoamericana de Educación Radiofónica)

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