„Immer noch sehr nah dran an dieser schlimmen Zeit“

Guatemala-Stadt, Zona Uno, das historische Zentrum der Hauptstadt Guatemalas. Menschen flanieren über die Sexta Avenida, die einstige Prachtstraße der Stadt. Heute wirkt die Sexta nach langen Jahren des Verfalls mit jungen Bäumen und aufwändig restaurierten Bauten wie frisch herausgeputzt. Die Cafés und Esslokale des Zentrums sind jetzt, am späten Vormittag voller Menschen.

Ein paar Avenidas weiter oben, im einstigen Oberschichtsviertel mit seinen Villen, alten Universitätsgebäuden und barocken Kirchen, treffe ich den Fotografen Daniel Hernández Salazar. Daniel lebt hier zusammen mit seinem Lebensgefährten in einem ebenso nüchternen wie schnuckeligen Art Deco-Häuschen, errichtet zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Der Mittfünfziger sitzt in seinem Büro zwischen Regalen, auf denen sich Bücher und Bildbände stapeln, an den Wänden hängen neben urbanen Portraits von Guatemala-Stadt und gerahmten Zeichnungen ein paar männliche Aktfotos. Daniel Hernández´ Weg und Beitrag zur homoerotischen Fotografie allein wäre einen Beitrag wert, aber seine Bedeutung geht weit darüber hinaus. In fast dreißig Jahren ist Hernández zu einem der wichtigsten Chronisten der Grauen der guatemaltekischen Militärdiktatur geworden.

Wichtiger Chronist der Verbrechen des Militärs

Hernández: „Mir ist schnell klar geworden, dass sich all diese Menschen, sehr wahrscheinlich ohne eigenes Verschulden, in Mitten eines Konfliktes wiedergefunden haben. Und die meisten waren zivile Opfer. Und jetzt heben wir Gräber aus von Menschen, die unsagbar leiden mussten, deren Leben auf schlimmste und ungerechte Weise beendet wurde. Das darf nicht sein! Und die einzige Möglichkeit, solche Verbrechen in Zukunft zu verhindern, oder zumindest unwahrscheinlicher zu machen ist es, sie zu dokumentieren, sie einer juristischen Aufarbeitung zur Verfügung zu stellen… (und) denen, die das alles nicht glauben wollen und vor allem den jüngeren Generationen, damit sie sehen und verstehen, was passiert ist.“

Wer diesen Daniel Hernández mit seiner weichen Stimme hört oder ihn mit seinen funkelnden Augen kennenlernt, wird beim ersten Eindruck kaum erahnen, dass seine Arbeit mit tief prägenden, oft traumatischen Erfahrungen verbunden ist. Nur ein Bild, das ihm bis heute nicht aus dem Kopf geht…

Hernández: „Ich habe ein Triptichon gemacht, auf diesem sind die Schädel von drei Kindern zu sehen. Die sind während der ersten Angriffe der Armee auf die indigenen Dörfer und Weiler der Provinz Quiché gestorben. Die Bewohner waren vor der Armee in den Wald geflüchtet. Die Erwachsenen trugen die Alten und einige Sachen fürs Überleben. Die Kinder sollten ihnen folgen. Die Menschen dachten, den Kindern wird die Armee sicherlich nichts tun. Das war am Anfang der Massaker, die Bevölkerung hatte noch keine Erfahrung damit, zu welchen Grausamkeiten die Armee fähig ist. Als die Dorfbewohner umkehrten, trafen sie auf die Leichen ihrer Kinder. Eines der Kinder, das ich fotografiert habe, hatte seine eigene Schere im Rücken stecken. Bei der Exhumierung hatten die Kinder ihre Spielsachen dabei. Ich habe diese Schädel einen Tag lang portraitiert. Danach habe ich jedes Mal, wenn ich die Augen geschlossen habe, diese Köpfe vor mir gesehen und drei Tage lang war mir übel. Diese Bilder haben mich zutiefst bewegt.“

Fotos für den Bericht der Wahrheitskommission

„Die Zerstörung der Samen“ heißt das Triptichon, der Titel ist einer Kapitelüberschrift des REHMI-Berichtes entliehen, zu dem Daniel Hernández die Titelfotos beigesteuert hat. REHMI ist der erschütternde Abschlussbericht der guatemaltekischen Wahrheitskommission unter dem Vorsitz des katholischen Bischofs Juan Gerardi, die zuvor die Menschenrechtsverletzungen während des jahrzehntelangen Konfliktes zwischen Armee und Guerilla untersucht hatte.

Der REHMI-Bericht belegt 54.000 Menschenrechtsverletzungen und spricht von 150.000 Toten, 50.000 Verschwundenen, einer Million Flüchtlinge, 200.000 Waisen, 40.000 Witwen. Über 90 Prozent der Verbrechen weist der Bericht der Armee und den mit ihnen verbundenen Paramilitärs zu. Am 24. April 1998 wurde der Bericht veröffentlicht, nur zwei Tage später wurde Juan Gerardi brutal ermordet.

Hernández: „Ich hatte das Gefühl, aus einer Wolke zu fallen, auf der wir nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen gesessen haben und auf der wir glaubten, all die Schrecken lägen hinter uns und das Land könne seinen demokratischen Weg wieder aufnehmen, der durch den Militärputsch von 1954 so jäh beendet worden war. Es war unvorstellbar, dass nach den Friedensabkommen ein Verbrechen dieser Dimension und Tragweite geschehen könnte. Gerardi veröffentlicht diesen Bericht und sie bringen ihn um. Und wie sie seinen Kopf zertrümmern, das war eine Warnung an die ganze Gesellschaft: Vorsicht, denkt nicht zu viel. Vorsicht, fragt nicht zu viel. Denn seht, was Euch dann passieren kann. Vielleicht ist der Spielraum für die Zivilgesellschaft ein wenig größer geworden aber man hat hier eine klare Grenze gesetzt, und die Drohung ist latent da.“

Erinnerungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft

Die Erinnerungsarbeit, sie bleibt zentral im Schaffen des Daniel Hernández. Dokumentarisch als Foto von der zur Großdemonstration geratenen Trauerfeier und Beerdigung Gerardis. Künstlerisch in Form eines nackten, jungen Mannes, sein Kopf brutal nach hinten gezogen von einem schwarz umhüllten Henker, die Sense über ihm. Oder der vierte „Angel Callejero“ aus Hernández´ Illustration des REHMI-Berichtes. Ein Indigena-Junge mit entblößtem Oberkörper, Hände und Mund zu einem unüberhörbaren Ruf geformt, stilisierte Engelsflügel darüber moniert. Immer wieder taucht er auf, dieser Ángel Nunca Mas. Auf öffentliche Gebäude in Guatemala-Stadt plakatiert, vor dem Friedensdenkmal in Hiroshima, vor den Toren von Auschwitz. Eine, vielleicht die Ikone wider das Vergessen der guatemaltekischen Gräueltaten.

Hernández: „Meiner Meinung nach sind wir immer noch sehr, sehr nah dran an dieser schlimmen Zeit. Allein dass die internationale Gemeinschaft Guatemala immer noch ein wenig im Blick hat garantiert, dass man in Guatemala nicht mehr ALLES ungestraft tun kann. Aber das System Guatemala hat sich nicht geändert. Die Oberschicht sieht Guatemala nach wie vor als ihre Finca, auf der sie machen kann, was sie will. Immerhin haben sich ein paar Räume geöffnet. Räume die wir, die Zivilgesellschaft nutzen müssen. Und wir dürfen nicht zulassen, dass sie sich je wieder schließen. Denn wenn das passiert, werden wir dasselbe Grauen wieder erleben.“

http://danielhernandezsalazar.blogspot.mx

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