Grünes Gold in Gefahr: Der Kampf der Awajun-Indigenen gegen den Goldabbau und für ihre Wasserquellen

von Sandy El Berr, Lima

(Berlin, 19. November 2015, ideele revista-npl).- Pancho Kantuash verschneidet vorsichtig seine Kakaobäume, die sich unter der Last der vielen roten und gelben Kakaoschoten biegen. Pancho ist ein etwa 60-jähriger Familienvater und Landwirt. Er ist Teil eines technischen Teams, das andere Awajun-Familien im nördlichen Amazonasgebiet Perus im ökologischen Kakaoanbau fortbildet. Das Projekt wird von der Europäischen Union finanziert und vor kurzem haben die Produzent*innen die Ökozertifizierung von Biolatina erhalten. In der Zukunft könnte ihnen das höhere Einnahmen sichern. Schon seit zwei Jahren verkaufen die Awajun ihren Kakao nach Europa. Aufgrund seines exzellenten Aromas wurde er dort bereits ausgezeichnet.

Gefährdetes Kakaoprojekt

Initiiert hat dieses Projekt die Awajun-Organisation ODECOFROC (Organización de Desarrollo de las Comunidades Fronterizas del Cenepa). Sie repräsentiert ungefähr 10.000 indigene Einwohner*innen im Gebiet Cenepa, das an der Grenze zu Ecuador liegt. Ziel des Projektes ist es, mit dem „grünen Gold“, dem Kakaoanbau, die Familieneinkommen zu erhöhen und gleichzeitig die atemberaubende, aber sehr anfällige Artenvielfalt des Gebietes zu erhalten.

Der peruanische Staat hat allerdings, so beschwert sich Pancho Kantuash, andere Pläne für die Region, speziell für die Bergkette der Cordillera del Cóndor: „Die Regierung glaubt, wir seien Tiere, nur, weil wir hier im Regenwald leben. Aber wir sind Menschen und haben dieselben Rechte wie andere Peruaner. Allerdings ignorieren der Staat und die Beamten diese Tatsache. Wir wollen respektiert werden! Der Staat nutzt das Argument, dass wir faul seien und nicht arbeiten würden, um uns zum Schweigen zu bringen. Aber sieh mal die Kakaopflanzung, die wir hier haben! Hier war die Regierung zu faul, uns bei diesem Projekt zu unterstützen. Denn sie will hier lieber Bergbau- und Erdölunternehmen ansiedeln. Der Regierung ist das Land egal. Das ist wirklich faul, wenn jemand gar nichts für sein Land tut. Wir aber suchen hier nach Einkommensquellen für uns, unsere Kinder, unsere Bevölkerung. Und wir versuchen der Regierung klarzumachen, dass wir nicht der ´perro del hortelano´ (der Hund des Gärtners)1 sind.“

Das Kakaoprojekt ist nun in Gefahr und mit ihm auch die Einkommensquellen und die Hoffnung mehrerer hundert Awajun-Familien auf ein besseres Leben. Denn das Bergbauunternehmen Afrodita steht kurz davor, mit dem Goldabbau in der Cordillera del Cóndor zu beginnen. Trotz der seit 10 Jahren andauernden Proteste der dortigen knapp 100 Awajun-Gemeinden, hat die Regionalregierung von Amazonas dem Unternehmen die notwendigen Genehmigungen ausgestellt. Es fehlt nur noch ein letztes Dokument: die Bewilligung zum Förderbeginn.

Vertrauen in den Rechtsstaat vollends zerstört

Mehrere Anfragen der Awajun-Führer zum Stand der Bergbaugenehmigungen hat die Regionalregierung mit Schweigen oder Schulterzucken beantwortet. Die vorherige Konsultation kommt für sie nicht in Frage, obwohl dieser Prozess zwingend ist. Damit hat die Regionalregierung national und international anerkannte Rechte, wie das Recht auf Konsultation und das Recht auf indigenes Land, verletzt.

Das Handeln der Regionalregierung hat die Awajun-Familien empört und ihren Glauben in den Rechtsstaat vollends zerstört. Der latent schwelende Konflikt um die Cordillera del Cóndor könnte bald in einen gewaltsamen Konflikt ausbrechen.

Der Eigentümer von Afrodita, der Peruaner Jorge Bedoya Torrico, besitzt 20 Bergbaukonzessionen in der Cordillera del Cóndor, die genau über jenen Wasserquellen liegen, von denen die Awajun ihr Trink- und Haushaltswasser beziehen. Bevor sich Soldaten seit den 1940er Jahren in mehreren Militärposten niedergelassen haben, gab es dort auch Awajun-Siedlungen.

Nationalpark Cordillera del Cóndor

Für die Indigenen ist die Bergkette ein zu schützender Raum, den sie seit Jahrhunderten vornehmlich für religiöse Riten wie die Visionssuche mit Ayahuasca (Banisteriopsis caapi u.a.) oder Toé (Brugmansia spp.), für das alljährliche Einsammeln der Höhlenvögel tayu mit der Großfamilie oder für das Sammeln von Heilmitteln nutzen.

Aufgrund dessen haben die Awajun dem peruanischen Staat im Jahr 2004 ihr Einverständnis gegeben, dort einen Nationalpark einzurichten.

Der Plan, ein Naturschutzgebiet in der Cordillera del Cóndor zu etablieren, geht auf das Friedensabkommen zwischen Peru und Ecuador im Jahr 1998 zurück. Drei Jahre zuvor war die Cordillera, welche die Grenze zwischen Peru und Ecuador markiert, Schauplatz eines bewaffneten Konflikts beider Länder, vorrangig um den Zugang zu Bodenschätzen.

Mit dem Ziel, weitere Konflikte dieser Art zu verhindern, sind die Konfliktparteien und die internationale Gemeinde übereingekommen, in der Grenzregion Naturschutzzonen einzurichten. Aufgrund der besonders reichen Artenvielfalt, der Entdeckung vieler neuer Pflanzen- und Tierarten sowie wegen seiner Funktion als Wasserquellgebiet sollte die Cordillera del Cóndor den höchsten Schutzstatus erhalten – den eines Nationalparks.

Betrug und Vertragsbruch

Eines Tages, so erinnert sich Pancho Kantuash, kamen Beamte der damaligen Naturschutzbehörde INRENA in den Cenepa und unterbreiteten den Awajun-Familien den Vorschlag zur Gründung eines Nationalparks auf Awajun-Land. Am Anfang trauten die Awajun dem Staat und dessen Absichten nicht.

Aber letztlich war der Park die einzige Möglichkeit, das fragile Gebiet dem Zugriff interessierter Bergbauunternehmen wie Afrodita, den Siedler*innen aus dem Hochland und illegalen Holzfällern zu entziehen. Denn INRENA versprach ihnen, dass das Gebiet als Park unantastbar sei. Deshalb haben die Awajun im Jahr 2004 nach einem zweijährigen Konsultationsprozess der Einrichtung des Parque Nacional Ichigkat Muja – Cordillera del Cóndor mit einer Größe von knapp 153.000 Hektar zugestimmt.

Pancho Kantuash, der 2004 bei der Unterzeichnung des Abkommens als Führungsperson dabei war, erinnert sich mit Empörung an den nun folgenden Betrug: Ab 2005 verloren die Awajun den Kontakt zur Naturschutzbehörde und fragten sich, was denn aus dem Park geworden sei, bis sie über Dritte erfuhren, dass der Park zwar im Jahr 2007 gegründet wurde, aber nur mit der Hälfte der vereinbarten Größe (88.000 Hektar). Der Rest wurde Bergbaufirmen als Konzession für den Goldabbau vergeben. Seitdem kämpfen die Awajun-Familien für die Einrichtung des ursprünglich vereinbarten Parks und die Annullierung der Bergbaukonzessionen auf ihrem Land.

„Wir leben vom Fluss“

Pancho Kantuash fürchtet, der Goldabbau, bei dem Zyanid oder Quecksilber in großen Mengen zum Einsatz kommen, könnte ihre Wasserquellen verseuchen. „Wir alle hier leben vom Fluss [Cenepa, der seine Quellen und die seiner Zuflüsse in der Cordillera del Cóndor hat], dort fischen wir, baden uns, waschen unsere Kleidung. Deshalb fordern wir, dass die Unternehmen von dort verschwinden.“

Er ist nicht der einzige mit dieser Befürchtung. Marina Yampis, eine ältere Frau, verkauft ihre kunstvoll hergestellten, traditionellen Töpfereiprodukte im Landesmuseum in Lima.

„Das Unternehmen Afrodita arbeitet bereits im Quellgebiet des Comaina-Flusses [ein wichtiger Zufluss des Cenepa-Flusses]. Sie sollen sich von dort zurückziehen, denn Zeugen haben mir gesagt, dass das Gebiet dort schon verseucht ist. Dies schmerzt mich sehr, denn meine Großeltern stammen von dort, die Yampis. Ich lehne den Bergbau vollkommen ab. Der Bergbau bringt uns nur Verschmutzung und macht unser Land unbrauchbar.“

Ihr Mann Rafael Ukuncham stimmt ihr zu. Er ist Experte für Naturheilpflanzen. Er behandelt sein Rheuma mit Pflanzen aus dem Regenwald. Rafael fragt sich, wie man denn leben könne, wenn all die Heilpflanzen aufgrund der Verheerungen, die der Goldabbau mit sich bringt, verschwinden. Er selbst will die Wasserquellen schützen und sauber halten, damit das hydrologische System in der Region intakt bleibt.

Rafael fordert, dass die Bergbaufirmen von den Wasserquellen verschwinden und in ihr Herkunftsgebiet zurückkehren, denn die toxischen Materialien werden vom Regen und den Quellen in die Flüsse gespült, von denen die wilden Tiere des Regenwaldes wie der Hirsch, der Ameisenbär, der majás, die Wildvögel wie der pucacunga, aber auch alle Awajun des Cenepa-Flussgebiets ihr Trinkwasser beziehen.

Sensibles Ökosystem und Vergiftung der Bewohner*innen befürchtet

Die Befürchtungen der Awajun, dass der Goldabbau in der Cordillera schwere Auswirkungen auf ihre Gesundheit und die Umwelt haben könnte, ist auch durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt worden. Sowohl die nationale Naturschutzbehörde INRENA als auch verschiedene internationale Institutionen haben in wissenschaftlichen Studien über die Cordillera del Cóndor belegt, dass dieses Gebiet nicht nur ein hotspot für Artenvielfalt und endemisch ist, sondern zugleich auch ein extrem anfälliges und instabiles Ökosystem darstellt.

Jeglicher menschliche Eingriff in die höher gelegenen Zonen der Cordillera del Cóndor, für die die aktuellen Bergbaukonzessionen vergeben wurden und wo demnächst der Goldabbau beginnen soll, hätte schwerwiegende Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, von dem alle Awajun-Gemeinden der Region abhängig sind.

Im Falle einer Verseuchung der Wasserquellen wären die Bewohner*innen dieser Gemeinden die hauptsächlichen Opfer, aufgrund von Vergiftungen durch die Verschmutzung des Ökosystems und der Anreicherung von Toxinen in den Fischen, von denen die Awajun den Großteil ihres Proteinbedarfs decken. Daher hat INRENA eingestanden, dass diese Zonen für unantastbar erklärt werden müssen.

„Das Geld ist irgendwann alle, das Land nicht“

Doch der Regierung unter dem damaligen Präsidenten Alan Garcia waren diese Argumente egal. So hat sie nicht nur 109 Bergbaukonzessionen in der Cordillera genehmigt, sondern auch zwei Explorationsprojekte. Die Regierung des jetzigen Präsidenten Ollanta Humala, der zu Anfang seiner Regierungszeit die große Transformation versprach, strebt nun den Goldabbau im Tagebau an.

Die das Kakaoprojekt begleitenden Agraringenieure haben zugegeben, dass die lokalen Produzent*innen durch den Goldabbau in der Cordillera del Condor ihre Ökozertifizierung und damit ihre Märkte in Europa verlieren könnten.

Pancho Kantuash wollte eigentlich seine im Regenwald und an sauberen Bächen gelegenen Kakaopflanzungen – das grüne Gold – seinen Kindern vererben. „Hier haben hier viel Reichtum: sauberes Wasser, unzählige Heilpflanzen. Seit Jahrhunderten leben wir hier; unsere Vorfahren haben diesen Reichtum für uns bewahrt, aber nicht, damit andere ihn uns wegnehmen! Das Geld ist irgendwann alle, das Land nicht. Sie [die Regierung, die Unternehmen] können uns einen Million Soles geben. Davon könnten wir ein Flugzeug kaufen, aber dann ist das Geld zu Ende. Und dann haben wir gar nichts mehr. Das Land ist unsere Mutter, es bedeutet Leben. Hier gibt es alles, was wir zum Leben brauchen. Das Land zu verlieren bedeutet den Tod.“

 

Anmerkung 1: Mit dem aus der barocken, spanischsprachigen Komödie gleichen Namens entlehnten Begriff beleidigte der peruanische Ex-Präsident Alan García 2009 die Indigenen des Amazonas, die gegen den Ausverkauf ihres Regenwaldes an extraktive Industrien demonstrierten. Des Gärtners Hund frisst selbst nichts (denn der Gärtner produziert nur Gemüse), lässt aber auch andere nichts fressen (er bewacht den Garten).

 

Dieser Artikel ist Teil unseres diesjährigen Themenschwerpunkts:

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