Essen oder nicht essen – Wer entscheidet?

von Silvia Ribeiro*

(Mexico-Stadt, 25. August 2012, la jornada).- Es ist wie bei einer Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt: Derzeit macht das industrielle Nahrungsmittelsystem – Hauptverursacher des globalen Klimawandels – durch die Ernteverluste aufgrund der intensiven Dürre in den USA eine Erschütterung durch.

 

In einigen Zonen gibt es zwar eine Ernte, doch kann sie nicht genutzt werden. Aufgrund des ausgebliebenen Regens können die Pflanzen den Kunstdünger nicht verarbeiten und sind für den Konsum vergiftet. Die Zusammenhänge sind dem industriellen und von multinationalen Konzernen kontrolliertem System selbst geschuldet: uniformes Saatgut, fehlende biologische Vielfalt, Agrogifte und Kunstdünger. Dazu kommen ein hoher Transportaufwand sowie ein enormer Energie- sowie Ölverbrauch – und damit ein grosser Ausstoß von Treibhausgasen.

Im Fall des Mais verschlimmert sich der Mangel, weil 40 Prozent der US-Produktion für Etanol bestimmt sind. Statt Menschen zu ernähren, werden Autos gefüttert.

Nahrung für Autos statt für Menschen

Die USA sind einer der weltweit wichtigsten Exporteure von Mais, Soja und Weizen. Zudem befindet sich die weltweite Vermarktung von Getreide zu 80 Prozent in den Händen von vier Multis, die die Versorgung im Sinne der Gewinnmaximierung betreiben. Der Produktionsrückgang in den USA hat einen Dominoeffekt auf dem Weltmarkt, auf dem die Lebensmittelpreise in die Höhe schießen. Nicht nur beim Getreide, auch für Geflügel, Schweine und Rinder steigen die Preise. Denn mehr als 40 Prozent der Getreideproduktion auf dem Planeten werden als Futtermittel für die industrielle Massentierhaltung verwendet. Dies ist eine weitere Absurdität des agroindustriellen Systems, denn es wäre sehr viel effizienter, das Getreide für die menschliche Ernährung zu nutzen und weniger Fleisch zu verzehren. Oder die Tierzucht in kleinerem Maßstab und mit abwechslungsreichen Futtermitteln durchzuführen. Die industrielle Massentierhaltung ist zudem die Ursache von Epidemien wie der Schweine- und der Geflügelgrippe, die ihrerseits für Knappheit und steigende Preise sorgen. Wir haben dies jüngst in Mexiko beim Preissprung für Eier aufgrund des Ausbruches der Geflügelgrippe erlebt.

Am meisten leiden die Armen unter den Preiserhöhungen, vor allem die arme Stadtbevölkerung. Letztere wendet 60 Prozent ihrer Einkommen für Nahrungsmittel auf. Dagegen sind die knapp zwei Dutzend Multis, die das agroindustrielle Nahrungsmittelsystem kontrollieren (von Monsanto über Cargill, ADM, Nestlé und einige mehr bis hin zu Wal Mart) zwar für die Krise verantwortlich, aber gegen die Folgen abgesichert. Sie kontrollieren das Saatgut und das Zuchtvieh, die Agrogifte sowie den Aufkauf, die Verteilung und die Lagerung des Getreides (auch für Biotreibstoffe). Zu ihnen gehören die Fleisch-, Lebensmittel- und Getränkehersteller und die Supermärkte. Die Verluste wälzen sie auf die Kleinproduzenten, die Verbraucher und den öffentlichen Haushalt ab. Für sie bedeuten Klimachaos und Knappheit nicht Verlust, sonder mehr Gewinn. Wir können das beim Saatgut, Agrogiften und Düngemitteln beobachten. Oder bei den Unternehmen, die Getreide lagern, aufkaufen und auf einen teureren Verkauf spekulieren. Oder bei den Supermarktprodukten, deren Preis viel mehr steigt als der Preisanstieg am Beginn der Kette ausmacht.

Großkonzerne profitieren vom Klimawandel

Der Mais ist Mexiko ist ein erhellendes Beispiel. Die Landwirte im Norden des Landes versichern, über Vorräte von zwei Millionen Tonnen zum Verkauf zu verfügen. Doch unlängst wurden 1,5 Millionen Tonnen (genveränderter) Mais aus den USA importiert. Gleichzeitig ist der Verkauf von 150.000 Tonnen an El Salvador und weiterer Bestände an Venezuela vorgesehen. Zuvor wurde bereits eine halbe Million Tonnen Mais in Südafrika gekauft. Aus der Klimaperspektive ist dies aufgrund unnötiger Transportwege absurd. Gegenüber der einheimischen Produktuion ist es brutal. Wirtschaftsminister Bruno Ferrari (ein früherer Monsanto-Beschäftigter) wusch sich angesichts von Kritik die Hände in Unschuld. Er führte an, es handele sich um eine Entscheidung von Privatunternehmen.

Ana de Ita vom Studienzentrum für den Wandel im Mexikanischen Landbau (Ceccam) erläutert den Hintergrund. Im Vorfeld der Unterschrift unter den NAFTA-Freihandelsvertrag mit den USA und Kanada sei auch die nationale Landwirtschaft liberalisiert worden. In diesem Kontext wurde die staatliche Organisation Conasupo in Mexiko entmachtet [und 1999 aufgelöst; die Red.], die für einen ausgewogenen Maishandel auf dem Binnenmarkt sorgte. Der interne Markt fiel damit in die Hände der Multis. Das waren Unternehmen wie Cargill, ADM, Corn Products International, dazu grosse Schweine- und Geflügelmastbetriebe und Unternehmen, die industriell Tortillas verabeiteten. Diese kaufen dort ein, wo es für sie am günstigten ist. Sei es aus Preisgründen oder anderen Motiven, beispielsweise dem Ernteaufkauf bei US-Farmern, mit denen sie Produktionsverträge haben.

Teurer Maisimport für Massentierhaltung

Solche Unternehmen – und ihre nun in der Regierung sitzenden ehemaligen Beschäftigten wie Ferrari – sind es, die versichern, es müsse Mais importiert werden, weil die einheimische Produktion nicht ausreiche. Aber Mexiko hat in den vergangenen Jahren jährlich etwa 22 Millionen Tonnen Mais produziert, während der Maiskonsum von Menschen bei ungefähr elf Millionen Tonnen liegt. Vier Millionen Tonnen werden für Industriederivate verwendet, so dass sieben Millionen verbleiben. Trotzdem importieren die Unternehmen jedes Jahr zusätzlich acht bis neun Millionen Tonnen Mais für die industrielle Massenhaltung von Geflügel und Schweinen, die ebenfalls von Grossunternehmen beherrscht wird.

Wenn die Zucht dezentralisiert und mit diversifizierten Futtermitteln betrieben würde, könnte eine ausreichende Produktion ohne Epidemien und ohne Genmais der Multis, aber mit viel mehr Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft erreicht werden. Der Maisimport in Mexiko ist nicht notwendig. Es handelt sich schlichtweg um ein Geschäft zwischen Multis, das von der Regierung geduldet und gefördert wird. Würde die staatliche Politik die vielfältige und kleinbäuerliche Land- und Viehwirtschaft mit eigenem und einheimischem Saatgut schützen, würden auch die Risiken – die klimabedingten eingeschlossen – breiter gestreut. Wir hätten eine ausreichende, bezahlbare und qualitativ sehr viel bessere Nahrungsmittelproduktion.

*Silvia Ribeiro ist Wissenschaftlerin der ETC Group

 

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