Angespannte Stimmung nach Tod eines Journalisten

von Andreas Behn

(Rio de Janeiro, 12. Februar 2014, npl).- Der Tod eines Journalisten während einer Demonstration gegen Fahrpreiserhöhungen sorgt im Vorfeld der Fußball-WM für erhebliche Spannungen. Polizei und Medien machen gewalttätige Demonstrant*innen für den Anschlag verantwortlich, Politiker*innen fordern ein hartes Durchgreifen und Antiterror-Gesetze. Aktivist*innen und soziale Bewegungen verweisen hingegen auf brutale Übergriffe der Sicherheitskräfte als Ursprung der Gewalteskalation und beharren darauf, dass der Hergang der Attacke nach wie vor unklar ist. Sie befürchten jetzt eine neue Hetzkampagne gegen die Protestbewegung, die in Juni letzten Jahres Millionen Menschen gegen die Milliardenkosten der Fifa-WM auf die Straße brachte.

Der Kameramann des Fernsehsenders Bandeirantes, Santiago Andrade, war vergangene Woche während Auseinandersetzungen zwischen Demonstrant*innen und der Polizei im Zentrum von Rio de Janeiro von einem Geschoss am Kopf getroffen und schwer verletzt worden. Am Montag (10.2.) stellten die Ärzte seinen Hirntod fest.

Anlass der Demonstration war eine Buspreiserhöhung in der Stadt um knapp zehn Prozent auf 3,00 Reais, umgerechnet rund 0,90 Eurocent. Fahrpreiserhöhungen waren der Ausgangspunkt der Protestwelle des vergangenen Jahres, die vor allem bessere öffentliche Dienstleistungen und ein Ende der Korruption forderte.

Tathergang und Schuldfrage ungeklärt

Vollständige Videoaufnahmen des Tathergangs gibt es nicht. Ein Demonstrant, der sich in der Nähe eines auf dem Boden liegenden Feuerwerkkörpers aufhielt, wurde in den Medien als mutmaßlicher Täter ausgemacht. Er stellte sich der Polizei und sagte aus, die Feuerwerksrakete einem anderen, ihm unbekannten Mann gegeben zu haben. Dieser soll laut Polizei inzwischen identifiziert worden sein und wird gesucht.

Seit dem Vorfall sind sich Medien und viele Politiker*innen darin einig, dass gewalttätige Demonstrant*innen derzeit das größte Problem in Brasilien sind. Die Rede ist von Mord und Terrorismus. Feindbild ist vor allem der sogenannte Black Bloc – schwarz-vermummte zumeist Jugendliche, die seit den Massendemos im Juni jede Demonstration zum Anlass nehmen, um Sachschaden anzurichten und sich Gefechte mit der Polizei zu liefern.

Noch diese Woche soll über einen Gesetzesentwurf abgestimmt werden, der erstmals wieder den Strafbestand des Terrorismus vorsieht. Der Entwurf namens PL 499 sieht bis zu 30 Jahren Haft für sehr schwammig definierte Vergehen vor, zum Beispiel für „das Auslösen oder das Verbreiten von Terror und allgemeiner Panik“. Die schnelle Abstimmung darüber wurde möglich, nachdem ein Senator der regierenden Arbeiterpartei PT aus Anlass des Todes von Andrade seinen Antrag, den Entwurf der Menschenrechtskommission vorzulegen, zurück zog.

Zunehmende Kriminalisierung von Protesten befürchtet

Viele Aktivist*innen befürchten, dass sich die Kriminalisierung der Protestbewegung jetzt weiter verschärfen wird. Schon in den vergangenen Monaten waren Viele den Demonstrationen ferngeblieben, da die Hetze gegen Vermummte von der Polizei als Freibrief für immer härteres Vorgehen interpretiert wurde. „TVs und Regierung haben das traurige Ereignis bestimmt gefeiert, denn jetzt können sie jeden Protest gegen die WM und die Korruption als Taten von Vandalen und Mördern stigmatisieren,“ so einer der vielen Kommentare auf der Website der Anonymous-Hacker, die zu vielen landesweiten Protesten aufgerufen haben.

Hinterfragt wird auch der Tathergang. Mehrere Demonstrant*innen sagen, wenn auch nicht öffentlich, dass die Granate aus einer Polizeikette abgefeuert worden war. Sogar der Reporter von GloboNews sagte in seinem Live-Bericht, dass auch nach der Verletzung von Andrare „die Polizisten weitere Bomben abschossen und damit weiteres Chaos verursachten“.

Polizeigewalt statt Deeskalation

Kritisiert wird zudem, dass der Kameramann Andrade jetzt als erstes Todesopfer auf einer Demonstration und die Protestierenden als Feind*innen der Pressefreiheit bezeichnet werden. Auf vielen FaceBook-Seiten werden die mindestens acht Opfer vom Juni und Juli aufgezählt, die durch Tränengas-Einsatz oder Rennerei bei Tumulten zu Tode kamen. Immer mehr Unmut wird auch über die Regierung geäußert, die für eine reibungsfreie WM auf eine Polizei setzt, die statt Deeskalation nur den Einsatz von Gewalt kennt.

Es wundert kaum, dass bei dieser Stimmungslage eine andere Nachricht bislang überhaupt nicht in Brasilien zu lesen war: Ein Reporter der Deutschen Welle (DW) wurde während der gleichen Demonstration von Polizisten angegriffen. Er wurde geschlagen und getreten und seine Kamera beschädigt. Die DW protestierte am Dienstag bei der brasilianischen Botschaft in Berlin gegen den Übergriff, doch in Brasilien weiß bislang kaum jemand von diesem Angriff auf die Pressefreiheit.

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