Amtsenthebung oder Staatsstreich?

von Markus Plate, San José

(Berlin, 25. Juni 2012, npl).- Die Absetzung des paraguayischen Präsidenten Fernando Lugo ruft die südamerikanischen Nachbarn auf den Plan. Der 2008 gewählte Präsident Fernando Lugo wurde von Parlament und Senat am vergangenen 22. Juni quasi über Nacht seines Amtes enthoben. Die paraguayische Verfassung sieht zwar durchaus die Möglichkeit der Amtsenthebung mit der Begründung einer „schlechten Amtsführung“ vor, die Vorgeschichte und die Umstände der Absetzung Lugos riechen jedoch nach Staatsstreich.

Kritik von den südamerikanischen Nachbarn

Die Positionen der meisten südamerikanischen Regierungen sind eindeutig, auch wenn die Präsident*innen Argentiniens, Venezuelas und Ecuadors, das Wort Putsch zunächst nicht in den Mund nehmen mochten.

Cristina Fernández sieht in der Absetzung Lugos einen „Angriff auf die Institutionen Paraguays“, man erlebe „die Wiederkehr von Situationen, die wir in Südamerika und der Region absolut überwunden geglaubt hatten.“ Auch Hugo Chávez erklärte, dass Venezuela „diese illegale und illegitime Regierung“ nicht anerkennen werde und verurteilte die Geschnisse als „Farce und Blamage für ganz Amerika“, die jedoch ihn jedoch nicht überraschten, denn „so sind sie, die Bourgeoisien auf diesem Kontinent.“ Uruguays Präsident José Mujica bedauerte die Absetzung Lugos ebenso wie sein kolumbianischer Amtskollege, Juan Manuel Santos, der zusätzlich in Richtung des paraguayischen Kongresses die deutliche Mahnung aussprach, dass an und für sich legale politische Prozesse nicht benutzt werden dürften, um Macht zu missbrauchen.

Deutlicher wurde Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, die mit einem Ausschluss Paraguays aus der südamerikanischen Staatengemeinschaft UNASUR und der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur drohte.

Tote bei Landräumung als (vorgeschobener) Grund für die Absetzung

Offizieller Anlass für die Express-Absetzung Lugos durch den Kongress war die gewaltsame Räumung eines von Bauern und Bäuerinnen besetzten Landstücks in Curuguaty, im Osten Paraguays, am 15. Juni. Die Zusammenstöße endeten mit Dutzenden getöteten und verletzten Bauern und Polizisten. Das besetzte Land wird von Blas N. Riquelme beansprucht, einem der politisch und wirtschaftlich einflussreichsten Menschen des Landes. Der 87-jährige Riquelme ist langjähriger Funktionär und Senator der rechtskonservativen Colorado-Partei, die von weiten Teilen des Militärs und Großgrundbesitzer*innen unterstützt wird. Die Colorados regierten von 1946 bis 2008 ohne Unterbrechung und stützten auch die Militärdiktatur Alfredo Strössners von 1954 bis 1989.

Der Hintergrund zu den Auseinandersetzungen in Curuguaty sind Landkonflikte, die in Paraguay eine lange Geschichte haben, wie der Journalist Carlos Gonçalvez vom Nationalen Radio Paraguays erläutert: „Was dort passiert ist, ist so neu nicht! Die Landkonflikte begannen weit vor der Amtszeit Fernando Lugos.“ Es gehe um Forderungen von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen und um Zugang zu Land. Riquelme sei im Zuge der Besetzung des Landes, das von ihm beansprucht wird, vor Gericht gezogen und die Justiz habe in seinem Sinne entschieden. Durch diesen Räumungsbefehl sei es dann zur Konfrontation mit den Bauern und Bäuerinnen gekommen. „Aber es gibt ein wichtiges Detail“, ergänzt Gonçalvez: „Die Kommission für Wahrheit und Gerechtigkeit in Paraguay, die eine staatlich legitimierte Instanz ist, hatte den Fall untersucht und kam zu dem Schluss, dass das umstrittene Land dem Staat gehört. Folglich hatte Herr Riquelme kein Recht, sich das Stück Land einzuverleiben.“

Oligarchie kämpft schon seit 2008 gegen Lugo

In Paraguay besitzen zwei Prozent der Bevölkerung rund 80 Prozent des Landes. Paraguay ist ein traditionelles Agrarland. Die Konflikte zwischen den Großgrundbesitzer*innen, die vor allem mit Sojaexporten und Viehwirtschaft ein Vermögen verdienen und dem Heer der landlosen Bauern und Bäuerinnen waren ein Grund für den Wahlsieg Fernando Lugos vor gut vier Jahren.

Angesichts der großen Mehrheit traditioneller oligarchischer Parteien im Parlament sind die Ergebnisse der Regierung bei den Landkonflikten dürftig, die Enttäuschungen der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen hingegen groß. Die Landbesetzungen sind daher auch ein politisches Druckmittel auf die Regierung. Doch obwohl in der Landfrage kaum etwas passiert ist, haben die Gegner*innen Lugos im Parlament, allen voran die Colorado-Partei aber auch die Liberalen, die bei den letzten Wahlen noch Fernando Lugo unterstützt hatten, nichts unversucht gelassen, um die Regierung Lugo loszuwerden.

„Unwürdiges politisches Spiel“

So sagt Ricardo Rodas, Studentensprecher an der Nationalen Universität in Asunción: „Die Rechte in Paraguay hat seit dem Amtsantritt Lugos alles versucht, einen Staatsstreich herbeizuführen und jetzt sind sie dabei, ihre Pläne zu konkretisieren.“ Die Regierung Lugo habe – obwohl sie fast den gesamten Kongress gegen sich hatte – auf sozialem Gebiet einiges getan. In den Bereichen Gesundheit und Wohnen, sie habe Volksküchen eingerichtet und Zuwendungen an Familien mit geringen Einkommen eingeführt. „Wir fordern, dass dieser Prozess fortgeführt werden muss. Und deswegen können wir als Studenten und als paraguayische Bevölkerung nicht erlauben, dass dieser Prozess von Sektoren erstickt wird, die wieder zurück in die dunklen Jahre wollen. Deswegen wehren wir uns entschieden gegen diesen Staatsstreich“, unterstreicht Rodas.

Bereits im Jahr 2004 waren die umstrittenen 2.000 Hektar Land als „von nationalem Interesse“ erklärt und zur Verteilung im Falle einer Landreform bestimmt worden. Das Gericht, das dem Großgrundbesitzer Riquelme das Land vor der gewaltsamen Räumung zusprach, setzte sich also über geltendes Recht hinweg. Auch die Räumung selbst wirft Fragen auf. María Cristina Villalba, Gouverneurin des zuständigen Departments Canindeyú, beklagt, dass das Innenministerium über ihren Kopf hinweg und trotz mehrfacher Aufrufe zu Verhandlungen, die Räumung befohlen habe.

Nicolás Barretto Jara, Mitglied des Movimiento Patriótico Popular, das Lugo im Wahlkampf ebenfalls unterstützt hatte, vermutet daher, dass dieser Staatsstreich möglicherweise von längerer Hand vorbereitet wurde: „Wir wissen dass zwischen diesem Putsch und der Ermordung der Bauern in Curuguaty ein Zusammenhang besteht. Bauern, die Land besetzt haben, das sich Blas N. Riquelme illegal angeeignet hat. Und jetzt organisieren die Abgeordneten und Senatoren dieses unwürdige Spiel, einen politischen Prozess gegen eine institutionelle Regierung, die versucht, die Demokratie zu vertiefen.“

Lugo hofft auf Staatengemeinschaft und Widerstand in Paraguay

Fernando Lugo selbst hatte zwar das Recht des Kongresses respektiert, gegen den Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten, gleichzeitig aber gegen die Form seiner Amtsenthebung protestiert, die ihm keine Zeit für die Vorbereitung seiner Verteidigung eingeräumt habe. Zugleich warf er dem Kongress eine Missachtung des Wählerwillens vor. Der abgesetzte Präsident setzt derweil Hoffnungen auf die Reaktion der Staatengemeinschaft, vor allem aber auf den Widerstand in Paraguay selbst: Die internationale Gemeinschaft und vor allem die Region hätten genau verstanden, was in Paraguay passiert ist.

Niemandem sei entgangen, „dass es hier einen parlamentarischen Staatsstreich gab.“ Jetzt sei die Reaktion der lateinamerikanischen Staatschefs wichtig. Mit Blick auf die Proteste in Paraguay sagte Lugo, dass „wenn die Demonstrationen sowohl in der Hauptstadt wie auf dem Land, sich zu einer Demonstration der Mehrheit entwickeln, dann könnte es sein, dass das Parlament seine Haltung noch einmal überdenkt. Ich habe da durchaus Hoffnungen. Es fehlen neun Monate bis zu den Wahlen. Und ich glaube aus dem, was in den letzten Tagen geschehen ist, hat die paraguayische Zivilgesellschaft eine Lektion gelernt.“

Lugo nimmt an UNASUR-Treffen diese Woche teil

Am 24. Juni erklärte Lugo, seinen bisherige Vize Federico Franco als neuen Präsidenten nicht anzuerkennen. Ferner bestätigte er seine Teilnahme am nächsten Treffen der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur am kommenden Donnerstag und Freitag im argentinischen Mendoza. Hier und auf einer kurzfristig für die nächsten Tage geplanten Sondersitzung der Staatschefs der UNASUR wird sich zeigen, wie sich die südamerikanischen Staaten zum Sturz Lugos verhalten – und ob Sanktionen gegen Paraguay beschlossen werden.

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