Wir dokumentieren: Weiteres Verfahren im Fall Colonia Dignidad eingestellt

(Münster/Berlin, 22. Januar 2019, fdcl).- Die nordrhein-westfälische Justiz hat am 22. Januar ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Mordes gegen den ehemaligen Bewohner der Colonia Dignidad Reinhard Döring eingestellt. Das gegen Döring im August 2016 eingeleitete Verfahren wurde nach zweieinhalb Jahren ohne Anhörung des Beschuldigten und offensichtlich auch ohne Anhörung von verfügbaren Zeug*innen eingestellt. Gesprächsangebote, Hinweise und Anregungen von Menschenrechtsanwält*innen blieben unbeantwortet oder ungehört. Eigene Ermittlungsschritte – außer Nachfragen an die chilenische Justiz – blieben anscheinend vollständig aus.

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hatte im April 2018 Strafanzeige gegen Döring erstattet und der Staatsanwaltschaft Münster Hinweise auf seine mögliche Beteiligung an Mordtaten vorgelegt. Wie Aussagen von ehemaligen Bewohner*innen der Colonia Dignidad aus chilenischen Gerichtsverfahren belegen, wurden in der Colonia Dignidad nach dem Militärputsch vom 11.September 1973 dutzende Gegner*innen der Pinochet-Diktatur erschossen und ihre Leichen verscharrt. Wenige Jahre später wurden die Leichen wieder ausgegraben und verbrannt. Die betreffenden Aussagen stammen meist aus der Zeit nach März 2005, als Paul Schäfer festgenommen wurde und die chilenischen Strafverfolgungsbehörden unter hohem Ermittlungsdruck standen. Der Beschuldigte Döring hatte sich bereits vor dieser Zeit, im Jahr 2004, nach Deutschland abgesetzt. Daher konnte er in Chile nicht vernommen werden.

So sind die Informationen über ihn aus den chilenischen Ermittlungen spärlich. Außerdem decken sich verschiedene Beschuldigte in diesen Verfahren bis heute gegenseitig. 2005 wurde Döring zwar von der chilenischen Justiz international zur Fahndung ausgeschrieben. Die deutschen Justizbehörden ignorierten das chilenische Festnahmeersuchen allerdings und leiteten bis 2016 auch keine eigenen Ermittlungen gegen Döring ein.

Staatsanwaltschaft hat nicht selbst ermittelt

In einem anderen Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Bonn hatte Reinhard Döring im Jahr 2009 als Zeuge ausgesagt und Straftaten wie die Bewachung von Gefangenen zugegeben, jedoch eine Beteiligung an Mordhandlungen verneint. Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass Döring Gefangene zu Erschießungen führte, wurden diese von der Staatsanwaltschaft Münster nicht als ausreichend relevant erachtet, um einen Anfangsverdacht wegen Beihilfe zum Mord zu begründen. „Der Beschuldigte war nach den vorliegenden Erkenntnissen lediglich als Bagger- und Kraftfahrzeugführer beschäftigt […]“ so die Mitteilung der Staatsanwaltschaft Münster. Der Sektenführer Paul Schäfer habe niemals eine Person „von Anfang bis Ende“ in die Verbrechensbegehung eingeweiht, so will es die Münsteraner Staatsanwaltschaft aus einer Aussage eines weiteren, nicht näher benannten Colonia-Mitglieds, das Gefangene bewacht hat, erfahren haben.

Die Staatsanwaltschaft Münster scheint diese Aussagen eines Beschuldigten nicht durch eigene Ermittlungen überprüft und mit anderslautenden Aussagen kontrastiert zu haben. Stattdessen zitiert sie in der Einstellungsmitteilung einen Brief des Beschuldigten Döring und erwähnt, dass dieser „unwiderlegbar angegeben“ habe, in der Colonia Dignidad selbst Opfer einer nicht näher bezeichneten Straftat geworden zu sein.

„Bitterer Tag für die Angehörigen“

Jan Stehle vom FDCL (Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika) erklärt dazu: „Dies ist ein bitterer Tag für die Angehörigen der in der Colonia Dignidad Ermordeten und für alle, die sich seit Jahrzehnten für eine Aufarbeitung der Verbrechen der Colonia Dignidad einsetzen. Die
Staatsanwaltschaft Münster hat es nicht für notwendig erachtet, den Beschuldigten zu vernehmen. Allem Anschein nach wurden keine eigenen Ermittlungsschritte unternommen, obwohl viele Ansätze dazu vorlagen. Stattdessen werden Täterdiskurse unhinterfragt übernommen. Kann es tatsächlich sein, dass in zweieinhalb Jahren sogenannter Ermittlungen nur einige Altakten gelesen und Briefe nach Chile geschrieben wurden? Wer so handelt, kapituliert vor einer Verbrechensgeschichte, die hunderten von Menschen immenses Leid zugefügt hat. Die Begründung für die Einstellung lässt vermuten, dass sich die Staatsanwaltschaft entweder mit der Komplexität des Sachverhalts überfordert sieht oder kein wirkliches Aufklärungsinteresse hat.

Dass es nicht einfach ist, vier Jahrzehnte zurückliegende Verbrechen in einem anderen Land aufzuklären, steht außer Frage. Wer jedoch nach jahrzehntelanger Untätigkeit – wie die nordrhein-westfälische Justiz im Fall Colonia Dignidad – heute Ermittlungsansätze ignoriert und Täterdiskurse salonfähig macht, arbeitet eher einer Aufklärung zuwider als sie zu befördern. Dies ist traurig und in einem Rechtsstaat ein Skandal.“

Rechtsanwältin Petra Isabel Schlagenhauf, Anwältin von Opfern der Colonia Dignidad, erklärt dazu: „Diese Entscheidung reiht sich ein in die lange Reihe von Versagen der deutschen Justiz im Umgang mit den Verbrechen, die in der Colonia Dignidad geschehen sind. Die Exekution Dutzender Personen ist durch mehrere Zeugenaussagen belegt. Dies gilt ebenso für die Tatsache, dass die Leichen dieser Menschen in Massengräbern vergraben und nach Jahren wieder ausgegraben wurden. Wie man dies als nicht gesichert darstellen kann, ohne überhaupt die Zeugen, die hierzu aussagen können – und auch teilweise in anderen Verfahren dazu ausgesagt haben – zu vernehmen, bleibt das Geheimnis der Staatsanwaltschaft Münster. Dass die Colonia Dignidad in der Diktaturzeit ein Folterzentrum des Geheimdienstes beherbergte, und dass dort politische Gefangene umgebracht wurden, kann nicht ernsthaft bestritten werden. Auch zum Verdacht gegen den in diesem Verfahren Beschuldigten hätte man weitere sinnvolle Ermittlungen anstellen können. Dies ist scheinbar aber nicht gewollt.“

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3 Antworten zu “Wir dokumentieren: Weiteres Verfahren im Fall Colonia Dignidad eingestellt”

  1. Der am meisten gefolterte in Deutschland und Chile wegen der Wahrheit Willen Heinrich Franz Wagner,und in Chile Heinrich Franz Schmidt sagt:

    Die Opfer die alles miterleben mussten,müssen mit ansehen wie ein deutscher Staat und seine Gerichte spurlos diese Verbrechen nicht nötig finden,aufzuarbeiteñ,nur weil sie selbst mit gewirkt und Waffen wie giftgase steuerfreie dem ober sektenschergen nach chile ausgelieferrt haben.und der Deutse Staat sich an 365 gefolterten und missbrauchen und verprügelten Menschen sich mehrmals strafbar gemacht haben.und das ist das Problem, was ein deutscher von sich abweisen will ,aber alles dokumentiert und aufgezeichnet in Video zu beweisen ist.und die ,die Wahrheit reden in Deutschland werden mit Hürden der Gerichte und Behörden Ost taktiert ,das sie Mutlos werden sollen.wir sagen und es ist unser Trost,einmal kommt der Tag ,wo sie sich für alles verantworten müssen,aber dann Kost es zu spät, den Opfern die gequält und misshandelt wurden ihr Recht zu sprechen.

  2. Zumal wir einen Staatsausweis vom Staat Chile des obersten Gerichtes haben ,das wir uns nichts zu Schulden kommen lassen haben ,und deshalb ihnen weil wie Klartext reden ,ihnen ein Dorn im Auge sind,und deshalb von den Behörden und Polizei verfolgt und dikriminiert werden.Bei uns gilt immer noch die Wahrheit zu reden.

  3. Tja, da kann man sich fragen, wo die deutsche Justiz heute wirklich steht. Mit beiden Beinen im demokratischen Deutschland, einem Rechtsstaat oder doch noch mit einem Bein in der braunen Vergangenheit? Vielleicht macht es ja Sinn, diese Geschichten dem Europäischen Gerichtshof mal zur Überprüfung vorzulegen. Denn so einfach stehen lassen, sollte man das Alles nicht.

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