Wahlen in El Salvador – ehemalige Guerillabewegung liegt bei Umfragen vorn

von Edgardo Ayala

(Lima, 23. Oktober 2008, noticias aliadas).- Die linksgerichtete Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí FMLN (Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional) steht vor einem Schlüsselmoment ihrer Geschichte als politische Partei: erstmals hat sie greifbare Chancen, bei den am 15. März 2009 stattfindenden Präsidentschaftswahlen die Staatsmacht zu erlangen. Doch noch hat sie einen weiten Weg vor sich.

Dann sieht sich die während des Bürgerkriegs (1980-1992) als sozialistisch-marxistisch Guerillabewegung aktive Partei erneut ihrem stärksten Gegner gegenüber, der rechtskonservativen amtierenden Regierungspartei Republikanisch-Nationalistisches Bündnis ARENA (Alianza Republicana Nacionalista). Seit die Unterzeichnung der Friedensverträge am Ende des Bürgerkrieges 1992 die Wandlung der ehemals illegalen bewaffneten Bewegung FMLN in eine politische Partei ermöglicht hatte, konnte sie die ARENA in keiner der drei aufeinander folgenden Wahlen seit 1994 besiegen. Diese wiederholten Wahlniederlagen waren nicht zuletzt das Resultat der gegnerischen Kampagnen, welche die Angst der Bevölkerung vor dem Gespenst des Kommunismus beschworen. Außerdem brachte die Partei in der Vergangenheit auch zu wenig Willenskraft auf, interne Probleme zu überwinden und verbaute sich damit die Möglichkeit, ein erfolgreiches Team von Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidat in den Wahlkampf zu führen.

Doch nun scheint es, als stünden die Sterne günstig für die Partei der ehemaligen Guerillabewegung. Sie führt den angesehenen und sozialkritischen Fernsehjournalisten Mauricio Funes als Präsidentschaftskandidaten in den Wahlkampf und sucht sich damit von einstigen radikaleren politischen Positionen zu distanzieren, die ihr in der Vergangenheit eher geschadet hatten.

Alle Umfragen nennen Funes als klaren Sieger der Wahlen. Laut jüngsten Meinungsumfragen des Hochschulinstituts für Öffentliche Meinung IUDOP (Instituto Universitario de Opinión Publica) der Zentralamerikanischen Universität José Simeón Cañas (UCA) in San Salvador, liegt Funes über 14 Prozentpunkte vor seinem Konkurrenten aus dem Lager der amtierenden Regierungspartei, Rodrigo Ávila. Ávila ist der frühere Leiter der Nationalen Zivilpolizei.

Das liegt nicht zuletzt an einem deutlichen Vorteil, den Funes gegenüber der seit fast 20 Jahren regierenden ARENA hat. Wie alle über längere Zeit in die Macht eingebundenen Parteien erliegt ARENA einem natürlichen Verschleißprozess, seit Alfredo Cristiani noch während des Bürgerkriegs 1989 den Christdemokraten die Präsidentschaft (1989-94) abrang.

Einen weiteren entscheidenden Faktor für den Ausgang der Wahlen haben bereits Wirtschaftsfachleute dargelegt: die Präsidentschaftswahlen werden in erster Linie von der schwierigen wirtschaftlichen Situation der Bevölkerung bestimmt. Erstmals seit Jahrzehnten ist die Inflation auf fast 10 Prozent gestiegen. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen warnte kürzlich in einem Bericht, dass auf Grund der hohen Lebensmittelpreise bereits über 100.000 Menschen mehr in Armut lebten. Und die Menschen machen die Regierung für ihre Notlage verantwortlich.

Alles, so bestätigen es jedenfalls die Umfragen, läuft gut für die FMLN. „Es ist offensichtlich, dass die FMLN ihre Lektion gelernt hat und sich mit einem Präsidentschaftskandidaten präsentiert, der den Wandel der Partei und ihrer traditionell dogmatischen Rhetorik verkörpert“, analysiert der Rektor der Zentralamerikanischen Universität UCA, José María Tojeira die Transformation der FMLN in einem Meinungsartikel.

Und doch ist der Weg bis zum möglichen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen voller Hindernisse. Auch wenn die FMLN eine neue Besonnenheit demonstrierte, indem sie Funes ins Boot holte, fällt es der Partei in der Praxis doch schwer, ihre Wählerschaft davon zu überzeugen. Und tatsächlich zeigt die Parteispitze noch immer Anzeichen einer orthodoxen Haltung, die mit den Wahlkampfreden ihres Kandidaten unvereinbar sind.

So hatte die FMLN beispielsweise stets heftige Kritik an dem von El Salvador unterzeichneten Freihandelsabkommen CAFTA zwischen den USA, Zentralamerika und der Dominikanischen Republik geübt. Dennoch bekräftigte Funes seine Absicht, an dem Abkommen festzuhalten. Demgegenüber äußerte der Generalvorsitzende der FMLN, Medardo González in einer Online-Zeitung, dass die Partei das Abkommen sehr wohl überprüfen werde, wenn sie die Wahlen gewinne.

Dieser Punkt ist deshalb so bedeutend, weil derzeit 2,9 Millionen Salvadorianer*innen mit zeitlich begrenzter Aufenthaltserlaubnis in den USA leben und die Rückgängigmachung des Freihandelsabkommen die Migration in dieses Land verunmöglichen bzw. sehr erschweren würde.

González äußerte auch, dass eine FMLN-Regierung bestrebt wäre, den 2001 eingeführten Dollar zu Gunsten der nationalen Währung (Colón) abzuschaffen. Damit widersprach er direkt Funes, der signalisiert hatte, dass die Kosten eines solchen Verfahrens unter den aktuellen Bedingungen nicht finanzierbar seien.

„Statt das versprochene Paradies zu bringen, hat [die Dollarisierung] unsere Schwächen noch verstärkt. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass die Kosten für die Abschaffung des Dollars weit höher sind, als wenn wir ihn behalten“, so der Kandidat kürzlich.

Führende Mitglieder der FMLN zeigen außerdem Sympathien für den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, dem die Rechte des Landes, aber auch Stellvertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen, im Allgemeinen mißtrauisch (oder sogar mit Furcht) gegenüber stehen. Letztere hatten erst vor kurzem die Ausweisung von zwei Mitgliedern der Organisation Human Rights Watch durch die Regierung Chávez kritisiert. Die Bekundungen der FMLN-Spitze könnten demnach dazu führen, das Ansehen der Partei bei ihren Wähler*innen zu schädigen.

Die ARENA hat seinerseits die Zeit nicht untätig verstreichen lassen. Da die Partei in den Umfragen hinter der FMLN zurück liegt, wurde der Wirtschaftswissenschaftler Arturo Zablah als Vizepräsidentschaftskandidat nominiert. Zablah hatte sich in der Vergangenheit als heftiger Kritiker der Wirtschaftspolitik der ARENA präsentiert.

Darüber hinaus ist auch er eine angesehene Persönlichkeit, und zwar aus dem selben Grund wie sein Kontrahent Funes: seinen kritischen Äußerungen gegenüber den radikal neoliberalen Maßnahmen der ARENA-Regierungen. Er beteiligte sich sogar an Gesprächen mit der FMLN bezüglich einer Präsidentschaftskandidatur, die allerdings keine Ergebnisse brachten.

Stattdessen überzeugte der ARENA-Kandidat Rodrigo Ávila Zablah davon, im Kampf um die Präsidentschaft sein Kopilot zu sein. Ávila weiß um die Tatsache, dass Zablah seiner Partei ein Image des Wandels verleihen und die Botschaft transportieren könnte, dass ARENA heute die zurückliegenden Fehler berichtigen würde. Mit diesem Joker hoffen Ávila und die ARENA, den Umfrage-Vorsprung ihres Rivalen Funes aufholen zu können.

Noch nie zuvor war die FMLN dem Wahlsieg so nahe. Dennoch müssen Wahlkampfteam und Parteiführung in übereinstimmender Weise demonstrieren, dass sie auf dasselbe Ziel hinarbeiten.

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